Befreit zur Liebe
Faith Impulse
Pastor, Superintendent
Liebe Festgemeinde, und heute ganz besonders: Liebe Gäste aus der Ökumene und der Diakonie!
Ich freue mich sehr, dass ihr der Einladung gefolgt seid, mit uns das Jubiläum 150 Jahre Evangelisch-methodistische Kirche in Österreich zu feiern!
Wobei das mit der „Einladung“ meines Wissens nach gar nicht so ganz stimmt. Denn wenn ich richtig informiert bin, kam der Anstoß zu diesem Jubiläumsgottesdienst in Salzburg eigentlich von Seiten unserer ökumenischen Kolleginnen und Kollegen, die das Jubiläum auch hier gemeinsam mit der Salzburger Gemeinde feiern wollten. Aus meiner Sicht ist das nicht nur ein schönes Zeichen der Wertschätzung für unsere Kirche. Es zeigt auch, wie gut die Beziehungen hier in Salzburger Ökumene sind.
Als der methodistische Prediger Christian Dieterle vor 150 Jahren seine Arbeit in Wien begonnen hatte, hätte er sich wohl nicht träumen lassen, dass die Methodistinnen und Methodisten irgendwann einmal ein Jubiläum gemeinsam mit Katholiken, Lutheranern, Reformierten, Altkatholiken und Christinnen und Christen anderer Konfessionen feiern könnten.
Die Situation, in der unsere Kirche entstanden ist, war ja eine völlig andere. Religionsfreiheit, wie wir sie heute kennen, gab es zu dieser Zeit natürlich noch nicht. Die Lutherische und die Reformierte Kirche waren rechtlich gesehen selbst erst ein paar Jahre davor, nämlich durch das Protestantenpatent von 1861, endlich der römisch-katholischen Kirche weitgehend gleichgestellt worden. Die Begeisterung über neu auftauchende „Sekten“ wie Methodisten und Baptisten (die ungefähr zur selben Zeit nach Österreich kamen) hat sich da eher in Grenzen gehalten. Und die Idee, dass es sich hierbei um eine „Schwesternkirche“ aus derselben Kirchenfamilie handeln könnte, hatte damals sicher niemand.
Und im Blick auf die Beziehungen zur römisch-katholischen Kirche zeigt die Lektüre alter Kirchenchroniken, dass die gegenseitige Zuneigung auf beiden Seiten recht überschaubar war. So mancher methodistische Prediger, der in dieser Zeit stolz ins Kirchenbuch geschrieben hat, er habe „einige Seelen aus den finsteren Fängen des Katholizismus retten“ können, würde heute vermutlich erschrocken den Raum verlassen.
Schön, dass das Miteinander der Kirchen heute anders ist! Schön, dass wir heute so selbstverständlich miteinander feiern können und dass wir uns gegenseitig wertschätzen!
150 Jahre EmK – eine Erfolgsgeschichte?
Die EmK feiert in Österreich ihr 150-jähriges Bestehen. In kirchengeschichtlichen Dimensionen gerechnet ist das ein recht überschaubarer Zeitraum. Dennoch ist es ein Zeitraum angesichts dessen man die Frage stellen kann: Ist die 150-jährige Geschichte der EmK in Österreich denn eine Erfolgsgeschichte? Nüchtern betrachtet gibt es viele Gründe diese Frage mit Nein zu beantworten. Die EmK Österreich zählt heute, 150 Jahre nach ihrer Entstehung in Österreich, neun Gemeinden mit nicht einmal 1500 Kirchenzugehörigen. Die meisten römisch-katholischen Pfarren haben mehr Mitglieder als die EmK Österreich!
Nun können wir uns vielleicht damit trösten, dass diese wenigen Mitglieder dafür besonders aktiv sind und sich sehr engagieren. Man kann auch ins Feld führen, dass man ja eigentlich auch noch die methodistischen Gemeinden in Ungarn und im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien dazuzählen müsste. Diese Gemeinden wurden nämlich von Wien aus gegründet. Man könnte auch darauf verweisen, wie sehr sich die wenigen Methodistinnen und Methodisten immer in der Ökumene engagiert haben. Und vielleicht könnte man auch noch darauf hinweisen, dass die EmK Österreich vermutlich die einzige Kirche ist, die eine Sozialeinrichtung hat, die bald so viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat wie die Kirche selbst: Denn das Diakonie Zentrum Spattstrasse hat mittlerweile über 900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und betreut unzählige Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene und Ober- und Niederösterreich.
Aber auch wenn all das Dinge sind, auf die wir als EmK stolz sind, muss man trotzdem nüchtern festhalten, dass die EmK in Österreich in Zahlen immer eine sehr kleine Kirche geblieben ist.
Doch vielleicht ist die Frage nach den Zahlen und nach den „Erfolgen“ ja auch gar nicht die richtige und entscheidende Frage. In der Bibel liest man auch nichts darüber, wie viele Menschen Jesus in seiner „Mitgliedsliste“ stehen hatte. Ein „Erfolg“ war es aus der Sicht Jesu, wenn ein Mensch von einer Krankheit oder einer lebensfeindlichen Macht befreit und zurück ins Leben geführt wurde. Und da war ihm jeder einzelne Mensch wichtig genug, um sich für sie oder ihn Zeit zu nehmen.
Jesus hat Menschen in die Freiheit geführt
Befreit zum Leben: Das ist das Thema des Predigttextes aus dem Galaterbrief, den wir eingangs gehört haben. Es ist ein Text, der auch John Wesley, einer der Begründer der methodistischen Bewegung, immer wieder geprägt hat.
Paulus erinnert hier an die Freiheit, die uns Christus schenkt. Und gleichzeitig mahnt er, dass wir nicht die Verantwortung vergessen sollten, die mit dieser Freiheit einhergeht. Freiheit und Verantwortung gehören zusammen. Manche wird das an das Jubiläum 500 Jahre Reformation erinnern, das wir vor 2017 als drei evangelische Kirchen gemeinsam gefeiert haben. Da war das Motto auch „Freiheit und Verantwortung“.
„Christus hat uns befreit, damit wir endgültig frei sind. Bleibt also standhaft und unterwerft euch nicht wieder dem Joch der Sklaverei!“, sagt Paulus. Paulus hat, als er diese Zeilen schreibt, offensichtlich eine konkrete Situation vor Augen, denn er spielt explizit auf ein Gesetz aus der jüdischen Glaubens- und Lebenswelt an, nämlich das Gebot der Beschneidung. Und er wendet sich offensichtlich gegen Stimmen, die fordern, die Christinnen und Christen in Galatien müssten sich auch beschneiden lassen (und vermutlich auch alle anderen jüdischen Vorschriften und Gebote einhalten), um wirklich dazuzugehören.
Paulus ist da ganz dagegen. Er sieht nämlich die Gefahr, dass die Menschen statt einer vertrauensvollen Beziehung zu Gott sich auf eine rein äußerliche, formale Form der Religion beschränken wollen. Eine Form der Religiosität, die meint, wir könnten es Gott aus eigener Kraft recht machen. Dieser Anspruch, aus eigener Kraft gerecht sein zu wollen oder zu können, steht aber im Widerspruch zu der Botschaft des Apostel, dass es uns aus eigener Kraft gar nicht gelingen kann, vor Gott und den Menschen ganz und gar gerecht zu sein bzw. zu bleiben.
Wir können uns unsere Rechtfertigung – oder ich sage lieber unsere Daseinsberechtigung – nicht selbst geben. Unser ganzes Dasein ist abhängig von der Gottes Gnade – und zwar vom ersten Moment an. Wir können zwar so handeln, dass wir dadurch unsere Daseinsberechtigung in Frage stellen oder verwirken, durch Sünde und Schuld, in die wir uns immer wieder verstricken. Und doch sind wir frei, sagt Paulus. Christus hat uns befreit: Er befreit uns von der Last, unsere Daseinsberechtigung durch die Erfüllung irgendwelcher Gebote erst verdienen zu müssen. Und er befreit aus dem Netz der Sünde, in das wir uns so leicht verstricken.
Wir sind endgültig frei, und auch dazu berufen, als freie, aufrechte und aufrichtige Menschen zu leben. „Unterwerft euch nicht wieder dem Joch der Sklaverei“, sagt Paulus. Lasst euch nicht wieder von Gebote und Gesetzen einschränken und bestimmen lassen, die euch im Herzen nicht näher bringen zu Gott.
Die Götter, denen wir uns allzu schnell unterwerfen
Nun spielen die Gebote, die Paulus vor Augen hat, für uns heute längst keine Rolle mehr. Aber das Grundproblem, das Paulus anspricht, scheint mir heute wie damals dasselbe zu sein: dass wir Menschen gerne aus eigener Kraft gut dastehen wollen, bzw. oft mehr darauf bedacht sind, nichts falsch zu machen, damit uns keiner einen Vorwurf machen kann. Wir wollen uns eben gerne selbst rechtfertigen können.
Und auch zu unserer Zeit gibt es „Götter und Gebote“, von denen wir uns (mehr oder weniger gerne) sagen lassen, was man machen muss und was nicht. Zum Beispiel, dass man erfolgreich sein sollte und diesen Erfolg auch in Zahlen vorweisen soll. Oder dass man der richtigen Gruppe angehören sollte. Für die frommen Kreise, die Paulus im Blick hatte, bestand „die richtige Gruppe“ nur aus echten Juden oder zumindest Proselyten, die sich beschneiden lassen und sichtbar alle religiösen Gebote befolgen. Heute ist es in Österreich wichtig, dass man Österreicher ist, oder zumindest ein Migrant, dem man den Migrationshintergrund nicht gleich auf den ersten Blick ansieht oder anhört.
Wenn Paulus sagt, wir sollen also standhaft bleiben und uns nicht wieder dem Joch der Sklaverei unterwerfen, kann das für uns heute heißen: Unterwerft euch nicht dem Gott des Wachstums und des Erfolges. Und beurteilt euch gegenseitig nicht danach, wo ihr herkommt und wie ihr ausseht.
Ihr seid zur Freiheit berufen: Eure Daseinsberechtigung ist euch von Gott geschenkt, egal ob ihr erfolgreich seid oder nicht, und egal, ob ihr in Salzburg geboren seid oder in Wien oder in Hamburg, New York oder Kabul.
Ihr seid zu einem Leben in Freiheit befreit und berufen – von Christus, aus Gottes Gnade. Jede und jeder, der oder die sich unter ein anderes „Gesetz“ stellt als dieses Gesetz der Gnade, schließt sich selbst von der Gnade und ihrer heilsamen, befreienden Wirkung aus.
Wenn ich diese Botschaft auf unsere Kirchengeschichte übertragen darf, führt mich das zunächst zu der Feststellung: Die Frage, ob unsere Kirchengeschichte eine Erfolgsgeschichte ist, müssen wir selbst gar nicht beantworten. Wir tun gut daran, die Antwort auf diese Frage Gott zu überlassen. Was wir aber sagen können, ist: Es ist ein Geschenk und eine Gnade Gottes, dass es uns gibt. Und solange es Gott gefällt, dass es uns Methodistinnen und Methodisten in Österreich gibt, wird es uns auch weiter geben!
Frei zu einem Glauben, der sich in Liebe auswirkt
Wenn wir zu Christus Jesus gehören, so sagt Paulus, dann spielt es keine Rolle, ob jemand beschnitten ist oder nicht – und ich füge hinzu: Wenn wir zu Christus Jesus gehören, spielt es keine Rolle, wie viele wir sind. Was aber zählt ist „der Glaube, der sich in Liebe auswirkt.“
Glaube, der sich in Liebe auswirkt: Das ist eine vertrauensvolle Beziehung zu Gott, die mich fähig macht zu lieben und aus Liebe zu handeln. Solchen Glauben zu wecken und zu fördern, das war das wesentliche Motiv unseres Kirchengründer John Wesley. Und solchen Glauben zu wecken und zu leben, sehe ich auch heute noch als unsere Aufgabe als Methodistinnen und Methodisten.
Denn dass wir das Urteil über unseren Erfolg und die Frage nach unserer Daseinsberechtigung getrost Gott überlassen, heißt ja nicht, dass wir keine Aufgabe hätten. Wo immer wir unser Leben so gestalten, dass dadurch unsere Liebe zu Gott wachsen und unsere Fürsorge für unsere Mitmenschen größer werden kann, bleiben wir dieser Aufgabe treu. Und wo immer wir andere in ihrer Vertrauensbeziehung zu Gott so fördern, dass dadurch auch ihre Liebesfähigkeit wachsen kann, bleiben wir dieser Aufgabe treu.
Die Freiheit, die Gott uns schenkt, ist die Freiheit zu lieben, und aus Liebe zu handeln. Es ist die Freiheit, einander gegenseitig in Liebe zu dienen. Denn lieben kann nur, wer frei ist, den Blick von sich zu lösen. Nur wer von sich selbst lassen kann, ist wirklich frei zu lieben, frei seinen Mitmenschen aus Liebe heraus zu dienen.
Gottes Erfolg ist, dass wir einander lieben
Nun, sind wir Methodistinnen und Methodisten in dieser Hinsicht erfolgreich gewesen? Sind wir „in Liebe“ erfolgreich gewesen? Ich denke, dass diese Frage eigentlich aus einer anderen Perspektive beantworten werden muss: Immer da, wo die Liebe eines Menschen zu Gott und seine Fähigkeit zur Nächstenliebe wächst, da ist Gott selbst erfolgreich: Gott, der selbst die Liebe ist und der Liebe wecken will.
Solange wir Methodistinnen und Methodisten bereit sind, uns – gemeinsam mit allen Christinnen und Christen – Gott als Werkzeug für dieses Ziel zur Verfügung zu stellen, sind wir auf keinem schlechten Weg. Wir sollten nicht der Versuchung erliegen, uns Ziele zu stecken, die wir dann als unsere eigenen Erfolge verbuchen können und für die wir uns selbst auf die Schultern klopfen können. Und wir sollten auch nicht versuchen, irgendwelchen anderen Ansprüchen gerecht zu werden. Schon gar nicht dem Anspruch, dass man „alles so machen muss, wie man es schon immer gemacht hat“. Auch das ist manchmal ein „Gebot“, dem wir uns allzu bereitwillig unterwerfen.
Viel wichtiger ist, dass wir bereit sind, uns von Gott gebrauchen zu lassen, der seine Liebe weiter schenken will. Und dass wir darauf achten, wo sich Türen auftun, die es uns ermöglichen, anderen von der Liebe Gottes zu erzählen und sie in einer vertrauensvollen Beziehung zu Gott zu fördern. Aber das ist etwas, was wir ohne jede Angst oder jeden Erfolgsdruck tun können.
Berufen in einer neuen Situation
Als EmK Salzburg seid ihr hier gerade in einer spannenden Situation: Ihr habt vor nicht allzu langer Zeit den Standortwechsel von der Riedenburg hier nach Aigen vollzogen. Noch ist manches ein wenig provisorisch, aber es zeichnen sich doch immer mehr gute Lösungen und Möglichkeiten ab. Auch eure Pastorin ist noch recht frisch hier. Und doch ist sie schon bestens in der Stadt vernetzt.
Wenn ich euch als Salzburger Gemeinde etwas wünschen darf, dann dass ihr euch nicht zu sehr vom Blick auf Zahlen leiten lasst wie: „Wir sind ja nur wenige, was können wir schon tun?!“ Ich wünsche euch auch, dass ihr euch nicht zu sehr von „alten“ Erfolgsrezepten leiten lasst: Dies und das hat früher in der Neutorstraße funktioniert – warum können wir das jetzt hier in Aigen nicht mehr tun? Bleibt vielmehr offen und neugierig darauf, welche Aufgaben es hier vor Ort gibt – und welche Möglichkeiten es gibt, der Liebe Gottes hier Raum zu geben.
Ich wünsche euch darum, dass ihr jetzt in dieser Phase eures Kircheseins neugierig fragt: Wo will Gott uns jetzt gebrauchen? Wo braucht es ein Wort oder eine Tat der Liebe hier an diesem Ort?
Die Frage nach der Daseinsberechtigung müssen wir nicht selbst beantworten, auch nicht als Kirche. Das Daseinsrecht ist uns von Gott einfach geschenkt. Was aber zählt, ist der Glaube, der in der Liebe tätig ist. Was zählt ist, dass wir die Freiheit haben, einander tatsächlich in Liebe zu dienen – und nicht aus anderen Motiven. Was zählt ist, dass wir den Blick frei haben – für Gott, für unsere Mitmenschen, für die Zukunft, die Gott uns schenkt.
Es ist schön, dass wir diese Aufgabe als EmK nicht allein tun müssen, sondern dass wir Teil eines guten Netzwerks sind: innerhalb der evangelischen Kirchen, in der Diakonie und in der Ökumene.
Dienen wir uns auch in dieser Hinsicht gegenseitig in Liebe – als freie, weil von Christus befreite Menschen!
Amen
Glaubensimpulse