Maria besucht Elisabet
Faith Impulse
Pastor, Kinder- und Jugendwerk
Zum Bibeltext Lukas 1,39-56
Aufbruch in Sorge
Liebe Schwestern und Brüder!
Maria ist schwanger. Der Engel hat es ihr zuerst gesagt – und Maria hat Gottes Plan für ihre Zukunft zugestimmt: „Es soll an mir geschehen, was du gesagt hast,“
Ich stelle mir vor: In den Stunden und Tagen nach dem Besuch des Engels versucht Maria zunächst einmal einzuordnen, was sie eigentlich gehört hat und wozu sie überhaupt „ja“ gesagt hat.
Sie war doch eigentlich gerade dabei, sich auf ihre Hochzeit vorzubereiten. Und jetzt das: schwanger. Ich stelle mir vor: Maria war verunsichert. Würde Josef sie überhaupt noch wollen? Und wem konnte sie sich anvertrauen? Mit wem sollte sie über all das sprechen, was sie jetzt beschäftigt?
Mit ihren Eltern? Aber was, wenn die ihr nicht glauben? Was, wenn die Nachbarinnen etwas mitbekommen? Dann weiß es doch morgen ganz Nazaret. Im Dorf verbreiten sich solche Neuigkeiten schnell.
Nein, das kann Maria nicht riskieren. Die Ehre ihrer Familie, ja ihr eigenes Leben steht auf dem Spiel. Und so gibt sie ihrem Verlobten Bescheid: „Ich gehe meine Verwandte, Elisabet, besuchen. Du hast doch von ihr gehört. Sie ist in hohem Alter noch schwanger geworden. Ich will sehen, wie es ihr geht und ob sie meine Hilfe braucht.“
Insgeheim hofft Maria aber darauf, bei Elisabet auch selbst Hilfe zu finden. Sie bricht auf in der Hoffnung auf guten Rat; in der Hoffnung auf unterstützende Worte einer erfahrenen und frommen Frau. Ich stelle mir vor: Maria will auch hören, was sie in der Schwangerschaft zu erwarten hat – sie ist jung. Sie weiß weit nicht alles über die kommenden 9 Monate. Schwangerschaftsbücher und Ratgeber hat sie wohl keine zur Hand. Guter Rat einer vertrauten Person – auch die Sehnsucht danach lässt sie aufbrechen.
Maria macht sich also auf. Sie hat Proviant eingepackt. Vor dem nächsten Schabbat will sie bereits bei Elisabet sein. Rund 150 km Fußmarsch hat sie vor sich. Ein guter Teil des Weges geht leicht, später auch steil bergauf.
Damals so unterwegs zu sein war nicht sicher. Schon gar nicht für eine junge Frau, die alleine unterwegs war. Gott sei Dank – sie trifft schon auf dem ersten Tagesmarsch auf eine Gruppe von Pilgern – Frauen und Männer aus Galiläa, die unterwegs zum Tempel in Jerusalem sind.
Unterwegs redet Maria viel mit den anderen Reisenden; erfährt die Gründe für deren Reise. Die meisten sind unterwegs, um im Tempel die durch die Tora vorgeschriebenen Opfer darzubringen.
Manchmal geht Maria auch für sich allein. Sie wälzt ihre Gedanken: „Was wird jetzt aus mir werden? Wird Josef mich bei den Schriftgelehrten anzeigen? Das kann ich mir nicht vorstellen. Er mag mich gern. Aber wird er damit leben können, dass ich schon vor der Hochzeit schwanger bin? Er arbeitet so hart, damit wir es uns leisten können, eine Familie zu gründen. Wird er enttäuscht sein, mich verlassen und sich eine andere Verlobte suchen, wenn er davon erfährt? Es ist gut, dass ich noch etwas Zeit für mich habe, bevor ich mit ihm rede. Elisabet werde ich alles erzählen. Sie wird mir glauben. Sie hat selbst erfahren, wie kraftvoll Gott plötzlich in ihr Leben eingegriffen hat.“
Die Kraft der Lieder
„Wie es Elisabet wohl geht?“ Maria fällt die alte Geschichte von Hanna ein. Ihre Mutter hat sie oft erzählt. Auch Hanna hat erst spät ein Kind bekommen. Dafür war ihr Sohn Samuel ein großer Prophet und Anführer Israels. Maria muss an das Lied der Hanna denken, das ihre Mutter so oft gesungen hatte:
Mein Herz ist voll Freude über den EWIGEN …
Maria beginnt zu singen. Der Psalm ist gut bekannt – und so stimmen bald auch Ihre Weggefährt*innen in das Lied ein.
Gemeinsam singen sie davon, wie der Gott Israels die Starken und die Kriegstreiber demütigt, die Schwachen und Verachteten aber aus Staub und Dreck hebt und ihnen neue Kraft gibt.
Maria spürt, wie das Singen ihr guttut. Das Lob Gottes gemeinsam mit vielen anderen – da steckt eine Kraft dahinter, die Maria aufatmen lässt. So viele Sorgen hat sie sich in den letzten Tagen gemacht. Während sie einen Fuß vor den anderen setzt, kommt es ihr vor, als würde jeder Schritt sie ein bisschen ruhiger und gelassener, ja sogar mutiger und vorfreudiger machen. „Der Gott meiner Mütter und Väter hat Großes mit mir vor. Was soll ich mir Sorgen machen? Wenn es Gottes Plan ist, wird Gott mir auch helfen.“
Die Seelen der Menschen, aller Menschen, haben es bitter nötig, von den Erfahrungen gelungener Befreiungen zu singen. In ihnen – ja, in uns, liebe Schwestern und Brüder – steckt die große Sehnsucht, davon zu singen, wie Gott die Mächtigen vom Thron stoßen wird. Gott kommt in die Welt und rettet aus verkehrten Verhältnissen.
So ein Loblied kann erklingen, wo Menschen unterwegs sind, wie Maria. Ein Loblied in Gemeinschaft, ein Loblied tief verwurzelt in Befreiungserfahrungen.
Zurück zu unserer Pilgergruppe: Dort ist das Loblied Hannas schon verklungen. Aber gleich stimmt jemand ein neues Lied an:
Ich schaue hoch zu den Bergen.
Woher kommt Hilfe für mich?Hilfe für mich, die kommt vom HERRN!
Er hat Himmel und Erde gemacht …
Während die Gruppe weitersingt, blickt Maria in den Himmel und lässt ihre Gedanken zu:
„Woher kommt Hilfe für mich? Meine Pläne für mein Leben sind ganz durcheinander. Was bedeutet diese Schwangerschaft für mich?“
„Warum hat Gott eigentlich mich ausgesucht? Es ist für mich doch nicht der richtige Zeitpunkt. Darf ich so etwas überhaupt denken? Ach, ich fühle mich noch nicht bereit. So sinniert Maria verunsichert.“
Bereit dafür, Gott aufzunehmen; bereit, Gott in sich wachsen zu lassen – sind wir heute und hier bereit?
Ankommen im Segen
Vor Jerusalem hat Maria sich dann von der Pilgergruppe verabschiedet und geht jetzt allein das letzte Stück des Wegs hinauf in die Berge um Jerusalem. Sie ist froh, als sie das Haus von Zacharias, dem Priester, und seiner Frau Elisabet sieht.
Die Reise ist gut gegangen; sogar besser, als Maria es sich erhofft hatte. Aber ihre Füße schmerzen. Und diese dauernde Müdigkeit – durch die Schwangerschaft spürt sich ihr Körper anders an.
In ein paar Stunden wird es dunkel werden und der Schabbat wird beginnen. Maria wird mit Zacharias und Elisabet essen und trinken und Gott loben. Sie werden sich gemeinsam daran erinnern, wie oft Gott seinem Volk geholfen hat. Sie werden beten, dass Gott ihnen auch in diesen schwierigen Zeiten einen Messias, einen Gesalbten schickt, der sein Volk rettet.
Und: Maria wird sich ausruhen können und wird Zeit haben, mit Elisabet über alles zu reden.
Als Maria das Haus betritt und Elisabet begrüßt, antwortet Elisabet mit einem unerwarteten Segen:
Gesegnet bist du unter allen Frauen
und gesegnet ist das Kind in deinem Bauch!
Wie komme ich zu der Ehre,
dass die Mutter meines Herrn mich besucht?
Als ich deinen Gruß hörte,
sprang das Kind vor Freude in meinem Bauch.
Glückselig bist du, denn du hast geglaubt:
Was der Herr versprochen hat, geht in Erfüllung.
„Wie kann das sein?“, denkt Maria. „Woher weiß Elisabet schon alles? Sie muss es von Gott erfahren haben.“ Und aus Maria bricht ein Lied hervor. Angelehnt an das Lied der Hanna, an die Psalmen, an die vielen Gesänge Israels, die sie seit früher Kindheit gehört und gesungen hat, singt sie ihr eigenes Lied.
Lieder im Advent
So oder so ähnlich stelle ich mir vor, könnte es sich zugetragen haben. Es lohnt sich, dass wir mit Maria ein paar Schritte mitgehen – sie war ein Mensch in einer herausfordernden Lebenslage.
Verunsicherung steckte in ihren Knien, aber auch Mut in ihrem Herzen. Wenn wir uns Maria so vorstellen, dann sind wir nicht abgelenkt von den bekannten Bildern oder den Titeln, die sie später bekommen hat – „Mutter Gottes“, „Gottesgebärerin“, Himmelmama – sondern wir können vielleicht neu sehen, was im biblischen Bericht über sie im Vordergrund steht: Maria ist eine Frau unter vielen Menschen, die sich von Gott für eine bestimmte Aufgabe berufen lässt. Darin kann sie uns ein Vorbild im Glauben sein.
In ihr Lied können wir einstimmen. Jetzt im Advent und alle Tage lasst uns singen mit Maria – und mit Mirjam, mit Hanna und und mit all den Frauen und Männern, die zu ihrer Zeit die Erfahrungen mit Gott in ihrem Leben zu Liedern gemacht haben.
Lasst uns mit ihnen den Gott der Liebe groß machen in unserem Leben; Gott Lob singen für das, was er uns verheißt und für das, was er erfüllt.
Wir dürfen das tun – in aller Unsicherheit – trotz fehlendem Vertrauen – mitten in der Hektik dieser Zeit.
Lasst uns diesen Advent, diesen Beginn eines neuen Kirchenjahres wieder dazu nutzen, von unseren Hoffnungen und von Gottes Verheißungen zu singen; und zwar aus tiefstem Herzen, wie Maria es getan hat.
Ja, und lasst uns ohne Scheu so kraftvoll von Gottes rettendem Handeln an uns singen, dass unsere Lieder noch in Generationen aufgegriffen werden. Nicht, um uns selbst wichtig zu machen, sondern um Gott groß zu machen!
Gott groß machen, das schließt immer Wort und Tat, Lied und Leben mit ein. So wie damals, bei Maria.
Amen.