Die vier soli

Faith Impulse


Predigt der evang. Pfarrerin Marianne Pratl-Zebinger aus Leibnitz (Steiermark) zu den vier Herzensanliegen der Reformation: Nur die Gnade. Nur Christus. Nur der Glaube. Nur die Schrift.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und von unserem Herrn Jesus Christus, Amen. 

„Und siehe, es war gut“. Der göttliche Refrain über die hymnenhafte Aufzählung der sichtbaren Welt in den ersten Worten der Bibel. Viel später knüpfen die ersten Worte des Johannesevangeliums an diesen Refrain an und führen die Schöpfung einem göttlichen Zielpunkt entgegen, nämlich Christus, diesem starken-schwachen Menschgewordenen, der alle irdischen Maßstäbe über den Haufen wirft, weil nur das Liebevolle zählt. Ich lese den berühmten Christushymnus aus dem Prolog des Johannesevangeliums, wir erheben uns vor dem Wort der Heiligen Schrift: 
"Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis kann es nicht ergreifen. Das ist das wahrhaftige Licht, welches alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen. Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes von Gott, voller Gnade und Wahrheit. Und von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade. Denn das Gesetz ist durch Moses gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durchJesum Christum geworden. Niemand hat Gott je gesehen; der eingeborene Sohn, der in Gottes Schoß ist, der hat es uns verkündigt."

Vier Herzensanliegen hat die Reformation: Nur die Gnade. Nur Christus. Nur der Glaube. Nur die Schrift. Viermal „nur“. Gemeint ist: Konzentration. Vereinfachung. Ausrichtung auf ein heilsames Zentrum hin. Nicht das Viele und Unübersichtliche, nicht das Verunsichernde und Fragwürdige, nicht das Erschreckende und Anklagende soll das Herzstück unserer Seele sein, sondern das eine und einzige Heilige, die lebensspendende Geistkraft, die Martin Luther in diesen vier Konzentrationsübungen findet: Nur die Gnade. Nur Christus. Nur der Glaube. Nur die Schrift. Das erste: Nur die Gnade

Das was uns Menschen trägt, ist das sichere Bauen auf Gottes Wohlwollen: dass er uns gewogen ist, dass er uns haben will. Dieses grundsätzliche und basale Wohlwollen nicht in Frage zu stellen, sondern immer wieder einzuüben zu verinnerlichen: Das ist heilsam. „Schau hin, es ist gut“ … der göttliche Refrain über die hymnenhafte Aufzählung der sichtbaren Welt. Aus seiner Fülle haben wir genommen Gnade um Gnade“. ... der göttliche Zielpunkt der Schöpfung in Christus, diesem menschlichen, großzügigen, schwachen-starken Gotteskind-Menschensohn, der alle irdischen Maßstäbe über den Haufen wirft, weil nur das Liebevolle zählt. ... ein Refrain, ein Zielpunkt, der sich nicht von selber versteht. Manchmal kommt einem schon das Zweifeln, ob alles so „gut“ ist auf dieser Welt, ob das Menschlich-Warmherzige, ob das Großzügig-Liebevolle wirklich allem gewachsen ist. Und deswegen, zweitens: Nur Christus. 

Nicht das gelehrte Problemewälzen, sondern der schlichte Blick auf Christus kann uns … vielleicht … herausholen aus allen berechtigten Zweifeln an diesem optimistischen „sieh hin, es ist gut“. Machen wir denn flächendeckend die Erfahrung, dass ein weiches, achtsames, warmherziges Leben ein Schutzschild ist gegen die Härte dieser Welt? Nein, machen wir nicht. Viel zu oft fährt die rohe Gewalt einfach drüber über das Zarte und Zögerliche. Wie viele werden zerrieben zwischen Macht und Kriegsspielen und globalen Grausligkeiten? Und wie immer: Die Zarten und Weichen verkommen zuerst! Je skrupelloser, umso aussichtsreicher, scheinbar. Aber behauptet das Christentum denn, dass ein weiches, achtsames, warmherziges Leben ein Schutzschild wäre gegen die Härte dieser Welt? Nein, behauptet es nicht. Christus war kein smarter Siegertyp. Er gaukelt uns nicht vor, dass sein Programm, das unser Leben erfolgreich macht, automatisch erfüllt und gelungen ist. Viele belächeln uns dafür, nennen uns morbid, weil wir nicht vergessen können, dass es die Kreuzigung gegeben hat. Weil wir nicht leugnen wollen, dass es das gibt: echte, ungebremste, rohe Gewalt die …typisch! ... ausgerechnet das Sensible und Weiche und Beseelte zerreibt und ruiniert. Aber sie täuschen sich, wenn sie glauben, dass wir morbid auf den Gekreuzigten starren. Es ist umgekehrt. Wir versuchen visionär „hinter“ die Wirklichkeit zu schauen. Wir schauen „hinter“ das Kreuz und hören eine leise Botschaft, die sich nicht von selber versteht: Sie sagt uns: 

Lass dich nicht täuschen von der sogenannten „Wirklichkeit“. Der, der da zerrieben wird, ... wie so viele vor und nach ihm, das ist kein Scheiternder. Was ihm widerfährt, lässt keinen Rückschluss zu auf Wert oder Unwert seines Daseins; keinen Rückschluss darauf, ob er was falsch gemacht oder falsch verstanden hätte. 

Was ihm widerfährt, sagt nichts aus über ihn. Denn Gewalt sagt immer nur etwas über die Gewalttäter aus, immer nur über die Unrechtsstrukturen dieser Welt, aber nichts über Gott und nichts über den, der da leidet. Wir hören die leise Botschaft, die heißt: Gib nie den Opfern die Schuld. Schau auf’s Kreuz, schärfe deinen visionären Blick, der von innen kommt, und erkenne: Das Kreuz ist leer. Der Gekreuzigte ist nicht mehr da. Er ist auferstanden. 

Und was auch immer das heißt, wie immer man das deuten will, aber es heißt auf jeden Fall eines: Da ist eine Wahrheit „hinter“ der Rohheit dieser Welt, „hinter“ den Elendserfahrungen, die auch uns nicht erspart bleiben. Da ist „hinter“ allem ein göttlicher Refrain, der sagt: Schau hin, es ist gut. Und da ist ein göttliches Ziel: Aus seiner Fülle haben wir genommen Gnade um Gnade. Und deswegen, drittens: Nur der Glaube

oder wenn wir‘s mit dem berühmten Zitat des kleinen Prinzen leichter hören können: Das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar. Das wissen alle, die schon einmal geliebt haben. Das wissen alle, die die Kraft der Sehnsucht kennen, die Lust an der Kunst oder das Vertrauen in einer Freundschaft: Das, was meiner Seele gut tut, was mich freut und beschwingt, das ist in den seltensten Fällen etwas materiell Sichtbares, eindeutig Nachweisbares. So auch der Glaube. Nicht, was diese Welt eindeutig und unwiderlegbar vor Augen stellt, prägt unsere innere Einstellung. Deswegen helfen sogenannte „Liebesbeweise“ nicht gegen Eifersucht; deswegen führen regelmäßige Kontrollmaßnahmen nicht zu Vertrauen; deswegen heilen rationelle Gegenargumente keine Depression. Nicht, was diese äußere Welt unwiderlegbar erweist, prägt unsere innere Wirklichkeit, sondern was unsere Seelen überzeugt. Die Bibel wirbt um uns, indem sie sagt: Glaube nicht denjenigen „Fakten“, die Misstrauen und Gegenwehr nahelegen; lass dich nicht irremachen von der gewaltvollen Fratze dieser Welt, lass dich nicht hart machen von Erfahrungen, die du dir gern erspart hättest. Heilsamer ist die Haltung, die wir „Glaube“ nennen: Sie bleibt dabei, dass sie als Refrain über dieser sichtbaren Welt das göttliche „schau hin: es ist gut“ singt; 

und wenn es nicht gut ist, dann ist es dazu da, um gut zu werden ... vielleicht auch durch dich ... und ganz sicher durch einen Gott, aus dessen Gnade wir Fülle um Fülle nehmen. Das ist eine heilsame Haltung, weil sie nicht das Misslungene festschreibt, sondern in jeder Situation ... selbst über dieses irdische Leben hinaus ... immer die Möglichkeit festhält: Es könnte auch anders sein. Besser sein. Wird es auch. Weil da ein Gott ist, der uns wohl will. Und wenn ich mich frage: Wie finde ich diese heilsame Haltung? Wie mache ich das, dass ich mich nicht festnageln lasse von meinen eigenen Enttäuschungen, mich nicht auf das Negative fixiere, sondern mich immer wieder auf dem Leben zuwende? ... dann antwortet unser Martin Luther: viertens: Nur die heilige Schrift. 

Natürlich nicht so verstanden, als ob in der Heiligen Schrift lauter akademische Wahrheiten fix und fertig drin stünden, gebrauchsfertig, ... das gerade nicht.☺Sondern so, dass wir durch unser lebenslanges Studium der Heiligen Schrift einüben können, Wahrheiten nicht zu besitzen, sondern zu suchen; Wahrheiten nicht zu fixieren, sondern in Frage zu stellen; Werthaltungen nicht zu zementieren, sondern zu öffnen. Wahrheit nicht festnageln, wie den gekreuzigten Christus, sondern der Geistkraft Raum geben. Was uns heilt, ist nicht ein fertiger Glaubenssatz zum Nachplappern, sondern es ist das Lesen selber, die ständige Suchbewegung, die Demutshaltung, die immer wieder in Erwägung zieht, dass sie sich auch getäuscht haben könnte. Eine lebenslange Meditationspraxis. Das öffnet unser Herz für Gott. Nur die Gnade. Nur Christus. Nur der Glaube. Nur die Schrift. 

Herzstück unserer evangelischen Lebensart. Nicht große Wahrheiten beanspruchen, sondern die eigene Seele nähren mit dem, was wohltut und dem Frieden dient und das Herz öffnet. Gott, du Eines, du Heiliger, du Ganzheit, höre unser Gebet: Führe unsere Seelen immer mehr ihrer Bestimmung zu: Lass uns im Spiegelbild Christi unsere Menschlichkeit erkennen und lass uns die Kraft Deines Geistes aufsaugen in unsere kleinen Seelen, damit wahr wird, was wahr ist: Dass wir aus der Fülle nehmen können Gnade um Gnade. 

Amen. 

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