Reizwörter
Faith Impulse
Laienpredigerin
Sünder, Schaf, Buße, Münze
Erinnert ihr euch noch an eure Schulzeit und die Geschichten bzw. Aufsätze, die ihr da schreiben musstet, zum Beispiel Reizwortgeschichten? Stellt euch vor, ihr bekommt folgende vier Reizwörter: Sünder, Schaf, Buße, Münze, die alle mindestens einmal in der Geschichte vorkommen müssen. Würde euch dazu etwas einfallen?
Keine Sorge, niemand muss jetzt erzählen oder schreiben! Es gibt schon Geschichten mit diesen Wörtern, Jesus hat sie erzählt, und genau genommen sind es Gleichnisse. Sie stehen im Lukasevangelium und bestehen wie jeder gute Aufsatz aus Einleitung, Hauptteil und Schluss, wobei Jesus sehr originell erzählt, nämlich zwei kurze Geschichten hintereinander mit jeweils einem ähnlichen Schluss.
1Es nahten sich ihm aber alle Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. 2Und die Pharisäer und die Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen. 3Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach:
4„Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er eines von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er's findet? 5Und wenn er's gefunden hat, so legt er sich's auf die Schultern voller Freude. 6Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. 7Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.“
8„Oder welche Frau, die zehn Silbergroschen hat und einen davon verliert, zündet nicht ein Licht an und kehrt das Haus und sucht mit Fleiß, bis sie ihn findet? 9Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freut euch mit mir; denn ich habe meinen Silbergroschen gefunden, den ich verloren hatte. 10So, sage ich euch, ist Freude vor den Engeln Gottes über einen
Sünder, der Buße tut.“ (Lukas 15,1-10, Luther 2017)
Was sind Sünder?
In der Einleitung haben wir gehört, dass sich gewisse Leute darüber ärgern, dass Jesus sich gern mit Sündern trifft und sogar mit ihnen isst. Diese Menschen sind anscheinend davon überzeugt, dass sie selber ohne Fehler sind und nur sie den richtigen Glauben an Gott haben. Um sie eines anderen zu belehren, erzählt Jesus ihnen zwei Gleichnisse. Sie handeln von einem Hirten und einer Frau, die etwas für sie ganz Wichtiges verzweifelt suchen und auch finden. Beide – sowohl Mann wie Frau – stehen dabei für Gott und seine Freude über Sünder, die Buße tun.
Aber was sind das überhaupt: Sünder? Und was sind Sünden? Geht es da um Verkehrssünden, Diätsünden, Klima- oder Umweltsünden? Oder vielleicht Parksünden und Steuersünden?
Das Erste, was vielen Christen in der Regel bei Sünde einfällt: Sünde ist, wenn eins der zehn Gebote übertreten wird. So steht es tatsächlich im Alten Testament. Dort wird ein Mensch, der sich nicht an Gottes Gebote hält, als Sünder bezeichnet – im Gegensatz zum Gerechten, der sie befolgt.
Zu welchen gehören denn wir? Wenn wir an die zehn Gebote denken, dann sind wir zuerst einmal nicht wirklich schuldbewusst. Schließlich haben wir niemanden umgebracht, stehlen tun wir auch nicht und wir erzählen auch keine falschen Geschichten über andere. Außerdem sind wir nett zu unseren Eltern, wenigstens meistens. Und dass wir den Sonntag heilig halten, das beweisen wir mit unserer Anwesenheit im Gottesdienst. Aber wie ist es mit dem Neid auf das, was andere haben und wir nicht?
Und vor allem: Wie ist es mit dem ersten Gebot? Nämlich keine anderen Götter zu haben? Ist uns wirklich nichts wichtiger als Gott?
Wenn wir uns Jesu Antwort auf die Frage nach dem wichtigsten Gebot anschauen, dann wird es noch schwieriger: „Das höchste Gebot ist das: ‚Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele, mit deinem ganzen Verstand und mit all deiner Kraft.‘“ (5. Mose 6,4-5). Und Jesus fügt noch hinzu: „Das andere ist dies: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. (3. Mose 19,18). Es ist kein anderes Gebot größer als diese.‘“ (Markus 12,29-31, Zürcher Bibel).
Tun wir das? Können wir das? Gott lieben mit unserem ganzen Herzen, unserer ganzen Seele, auch unserem ganzen Verstand und all unseren Kräften? Und alle Menschen, die uns brauchen, ebenso wie uns selbst? Halten wir uns tatsächlich an diese beiden Gebote? Sind wir Sünder oder Gerechte?
Was ist Sünde?
Schauen wir in die Bibel, was dort das Wort Sünde bedeutet: Die drei häufigsten Sündenbegriffe im Alten Testament, das ja ursprünglich in Hebräisch verfasst wurde, bedeuten übersetzt „verdrehen“, „auflehnen“ und vor allem „das Verfehlen einer Zielmarkierung“. So ähnlich lautet auch die Version im griechischen Neuen Testament, nämlich „das Nichttreffen eines Ziels“.
Das würde aber dann heißen, dass Sünde nicht nur ein Aufbegehren oder Ungehorsam gegenüber Gott und seinem Willen ist, sondern ein Verfehlen, ein Nicht-Erreichen dessen, was Gott uns eigentlich zugedacht hätte. Sünde bedeutet damit, dass wir unsere Lebensbestimmung nicht erreichen, dass wir nicht so werden, wie Gott uns in seiner Liebe gedacht hat, als er uns ins Leben rief – und das, weil wir uns zu weit von ihm entfernen oder entfernt haben.
Das muss nicht einmal absichtlich sein. Wenn wir an das Schaf denken, das der Hirte unermüdlich sucht, dann ist nicht anzunehmen, dass es in böser Absicht weggerannt ist. Vermutlich hat es die köstlichsten Kräuter gesehen und beim selbstvergessenen Verzehren nicht gemerkt, dass es sich von der Herde und dem Schutz des Hirten entfernt.
Besteht Sünde also schon darin, dass wir etwas gerne hätten, obwohl es uns – bewusst oder unbewusst – aus Gottes Nähe lockt? Wenn wir dabei unwissentlich falsch abbiegen oder in die verkehrte Richtung
gehen? Anscheinend meint Jesus genau das, denn am Schluss der Gleichnisse spricht er von Sündern.
Wenn wir ehrlich sind, dann entfernen wir uns keineswegs nur unabsichtlich aus dem Schutz des Hirten oder der Fürsorge der Frau, sondern viel zu oft durchaus absichtlich, indem wir etwas tun, trotzdem wir genau wissen, dass es falsch ist – und das sogar wiederholt. Oder wir unterlassen etwas, obwohl uns eigentlich klar ist, dass es wichtig ist und getan gehört.
Wir kommen nicht daran vorbei: Gerechte sind wir wohl nicht, sondern wir gehören zu den Sündern bzw. Sünderinnen, die Buße tun sollen: „So wird Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut.“
Müssen wir also Bußgeld bezahlen?
Buße als Umkehren
Wie bei „Sünde“ sitzen wir auch hier einem Irrtum auf. Wenn man nämlich das Wort Buße aus dem Hebräischen übersetzt, so heißt es „die Umkehr zu Jahwe“ und im Griechischen ist die Bedeutung „Sinnesänderung, Umkehr des Denkens“.
Wenn Jesus also angesichts der Nähe der Gottesherrschaft aufruft: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“ (Matthäus 3,2), dann meint er: Kehrt um! Ihr habt euch verlaufen und verirrt! Kommt doch zurück in die Nähe des liebenden Gottes, er sucht euch schon, er wartet auf euch!
Aber ist Buße wirklich nur aktive und bewusste Umkehr? Wie ist es dann mit dem Schaf, das der Hirte suchen muss? Es kehrt ja gar nicht um, er sucht es lange Zeit und muss es zurücktragen.
Und die Münze rollt auch nicht zurück oder ruft: „Hier bin ich!“. Die Frau braucht Besen und Lampe, um sie nach langer Suche endlich zu finden und muss sie vermutlich aus dem Schmutz aufheben.
Das kann nur bedeuten: Wenn wir selber nicht fähig sind zur Umkehr, dann lässt Gott alles liegen und stehen und sucht uns unermüdlich und mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln! In diesem Fall bewirkt also Gott selber die Umkehr, ja, er nimmt uns liebevoll in seine Arme und trägt uns zurück. Und sie – denn auch die Frau ist ein Bild für Gott – sie bückt sich und hebt uns vom Boden auf und freut sich über die Maßen!
Ist das nicht eine unglaublich schöne, befreiende, ja wunderbare Botschaft!?
Dazu kommt noch: obwohl wir dabei nichts anderes tun, als uns finden, aufheben und tragen zu lassen, rufen Hirte und Frau, ruft damit Gott alle aus der Umgebung zusammen und feiert mit ihnen. Und Himmel und Engel freuen sich mit!
Jesus hält damit sein Versprechen: „Ich bin gekommen, um Sünder zur Umkehr zu Gott zu rufen und nicht Gerechte, die sich sowieso für gut genug halten.« (Lukas 5,32 Hoffnung für alle)
Schon bei seiner „Antrittsrede“ in seiner Heimatstadt Nazareth hatte Jesus eindeutig erklärt, um wen es ihm geht: „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat und gesandt, zu verkündigen das Evangelium den Armen, zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und die Zerschlagenen zu entlassen in die Freiheit und zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn.“ (Jesaja 61,1-2 in Lukas 4,18-19)
Es gilt also nicht nur, was wir beim Abendmahl nach einem Sündenbekenntnis zugesprochen bekommen: „Wenn wir aber unsre Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit.“ (1. Johannes 1,9), sondern darüber hinaus versichert Jesus: „Wer meine Worte nur hört und sie nicht befolgt, den richte nicht ich; denn ich bin nicht gekommen, um die Welt zu richten, sondern um die Welt zu retten.“ (Johannes 12,47). Kein Richter also, keiner, der ein Urteil spricht – das soll uns eine Lehre und ein Vorbild sein! – sondern einer, der als Retter erschienen ist!
Das bestätigt Jesus auch dem Zöllner Zachäus gegenüber, bei dem er sich eingeladen hatte: „Denn der Menschensohn ist gekommen, um Verlorene zu suchen und zu retten.“ (Lukas 19,10)
Diese frohe Botschaft gilt allen – niemand ist ausgenommen!
Wir müssen wohl einige der Bilder korrigieren, die wir im Kopf haben oder mit denen wir immer wieder konfrontiert werden: Zum einen sind Sünder (beiderlei Geschlechts) nicht nur böse Gesetzesbrecher, mit denen wir nichts gemein haben, sondern Menschen, die auf irgendeine Weise die Orientierung verloren haben. Zum anderen müssen sie trotzdem keine Buße bezahlen, denn die Rechnung ist schon bezahlt: Gott und sein Sohn haben dafür gesorgt. Sie brauchen nur umkehren oder – wenn sie das nicht schaffen – sich aufheben, sich nach Hause tragen lassen.
Umdrehen, Umdenken ist also nötig, eine Kehrtwendung zu unserem Schöpfer und damit auch zu seiner Kreatur! Seine Nähe sollen wir suchen, um auf dem richtigen Weg bleiben zu können, um das Optimum zu erreichen, das Gott in uns zugrunde gelegt hat, um uns anstecken zu lassen von seiner bedingungslosen Liebe und sie weitergeben zu können.
Kehrtwendungen
Von Kehrtwendungen war diese Woche auch in Online- und Printmedien zu lesen: von „Fünf außerordentlichen Kehrtwenden“, die der Club of Rome fordert, damit unsere gequälte Erde überleben kann.
Sie stehen in seinem Bericht „Earth for All“, die Erde für alle. Mehr als 30 Autorinnen und Autoren haben ihn verfasst, und sie schreiben dazu: „Dies ist ein Buch über unsere Zukunft – die kollektive Zukunft der Menschheit in diesem Jahrhundert.“ Sie hänge vor allem von diesen „fünf außerordentlichen Kehrtwenden“ ab, die in den kommenden Jahrzehnten vollzogen werden müssen: Die Armut der Ärmsten muss beendet werden ebenso wie die wirtschaftliche Ungleichheit, die Geschlechtergerechtigkeit muss hergestellt, ein gesundes Ernährungssystem installiert und die Energiewende geschafft werden.
Dies bedeutet auch für uns eine Umkehr, eine Kehrtwende. Wir werden lernen müssen, unseren vergleichbaren Reichtum noch viel mehr zu teilen, um den Menschen vor allem in den ärmsten Teilen der Erde das Überleben zu sichern und damit sowohl bei uns wie auf allen anderen Kontinenten den nächsten Generationen Wohlergehen zu ermöglichen.
Auf den 234 Seiten des Berichtes werden mit anschaulichen Beispielen und Berechnungen konkrete Lösungen für einen schnellen Wandel präsentiert, bevor es zu spät ist. Die Expertinnen und Experten sprechen von hoch gesteckten Zielen, die sie für unverzichtbar halten und die mit Entschlossenheit und gutem Willen durchaus erreicht werden können.
Wenn ich mir allerdings den derzeitigen Zustand unserer Erde und der Menschen auf ihr vor Augen führe, bewundere ich ihre positive Einstellung. Aber sind nicht gerade wir zur Hoffnung aufgerufen? Sollen nicht genau wir als Nachfolger Jesu Christi umkehren von falschen Wegen, um unseren Mitmenschen – unseren „Nächsten“ – ein lebenswertes Leben zu ermöglichen?
Dass genügend Menschen zur Vernunft kommen: ich kann es mir nur schwer vorstellen. Aber es gibt eine junge Aktivistin, die mir eine Lektion erteilt hat.
Niemals aufgeben
Sie gehört zu Pussy Riot, einem so genannten Performance-Kollektiv junger Frauen aus Moskau, das mit Mitteln des Punkrock Zustände in Russland anprangert. Ihr Markenzeichen besteht in spontanen Auftritten an öffentlichen Orten, bei denen sie Sturmhauben sowie eine grelle Kleidung tragen.
Nach einer Aktion in einem Gotteshaus wurden sie vor Gericht gestellt und begründeten die Wahl einer Kirche als Auftrittsort damit, dass das Christentum die Suche nach Wahrheit und Selbstüberwindung unterstütze und Christus aus gutem Grund die Nähe zu Prostituierten suchte. Einige der Mitglieder der Gruppe sind inzwischen aus Russland geflohen und treten jetzt z.B. in Deutschland und Österreich auf.
Und nun zur Lektion:
Bei einem Interview für eine Tageszeitung wurde einer der jungen Frauen von Pussy Riot die Frage gestellt: „Gibt es eine Chance, Putin so zufriedenzustellen, dass er den Krieg beenden würde?“ Und die Antwort lautete: „Da hilft wohl nur noch, zu Jesus zu beten… Er wird niemals aufgeben.“
Und mein Fazit dazu ist:
Wir werden auch nicht aufgeben – nämlich intensiv für den Frieden zu beten und uns für Gerechtigkeit einzusetzen, wo immer uns das möglich ist.
Und da, wo es nötig ist, werden wir aus unserer Gleichgültigkeit oder Bequemlichkeit umkehren in die Nähe des barmherzigen Gottes und um seinen Geist bitten, damit er uns mit Kraft und Liebe erfülle, um sie auf die richtige Art und Weise an seine geliebten Geschöpfe weitergeben zu können.
Dann wird nicht nur bei den Engeln im Himmel Freude herrschen, sondern wir werden auch hier auf Erden schon fröhlich feiern können – und heute damit anfangen!
Aber um welchen Preis wird das möglich sein? Wie hoch wird die Rechnung sein, die uns letztendlich präsentiert wird?
„Am Ende wird uns gewiss die Rechnung präsentiert“, so gibt Lothar Zenetti in einem seiner Texte zu bedenken und zählt zunächst einmal auf, was alles der Schöpfer uns in seiner wunderbaren Schöpfung zur Verfügung gestellt hat.
Wenn wir aber dann die Rechnung verlangen, kommt die große Überraschung: Wir sind eingeladen! Und das vergnügte Lachen des großzügigen Wirtes in der Gestalt des Schöpfers schallt über die ganze Erde.