Die Liebe und die Heiligen

Faith Impulse

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Martin Obermeir-Siegrist

Pastor, Kinder- und Jugendwerk


Predigt zu Epheser 3,14-21 anlässlich des 70-Jahr-Jubiläums „Methodistische Kirche in Linz-Kleinmünchen“
Schriftzug "Jesus is alive"

Ihr sollt in der Liebe verwurzelt

und fest auf ihr gegründet bleiben.

So könnt ihr sie zusammen mit allen Heiligen

in ihrer Breite, Länge, Höhe und Tiefe erfassen.

Die Bibel
Epheser 3,17b-18 (BasisBibel)

Love is in the air

L O V E – love, also das englische Wort für „Liebe“ steht seit einer Woche groß in unserem Linzer Kirchenraum.

Liebe Geschwister, einige von euch haben unter der Anleitung von Frank Moritz-Jauk ein Projekt umgesetzt, das er sich gemeinsam mit Annika Mayr-Nausner und mir für unseren Kirchenraum überlegt hat. Der Titel dieses Werks ist „Liebe, komm herab zur Erde“ und ist von einem Lied übernommen, das sicher hunderte Male in diesem Kirchenraum erklungen ist, seit er am Allerheiligen-Tag 1953 mit einem Festgottesdienst eingeweiht wurde.

Vor 70 Jahren hat die Geschichte dieses Kirchenraumes – damals „Glaubenskirche“ genannt – begonnen und damit ein wichtiger Abschnitt der Geschichte unserer methodistischen Gemeinde hier im Süden von Linz. 

„Liebe, komm herab zur Erde!“ Der Liedtext von Charles Wesley ist sowohl im englischen Original: „Love divine, all loves excelling“ als auch in der deutschen Übersetzung ein Bittgebet, das viel darüber aussagt, wer Gott ist. Und zwar weniger darüber, wer Gott an sich ist, sondern wer Gott für uns ist: nämlich Liebe. 

Liebe, die alle Grenzen und Hürden überwindet. Liebe, die in unserer Mitte gegenwärtig ist. Liebe, die uns frei macht, von allem, was uns gefangen hält. Liebe, die uns damit auch frei macht, uns selbst für die Liebe zu öffnen. Liebe, die uns als Kinder Gottes leben lässt. Das heißt: in enger Beziehung zu Gott, der die Liebe ist. In tiefer Verbundenheit mit allen Menschen, ja mit der ganzen wunderbaren Schöpfung Gottes.

Um diese Liebe bitten wir heute – und dieses Wir schließt auch diejenigen mit ein, die vor uns hier gefeiert haben – in diesem Raum seit ziemlich genau 70 Jahren.

Dieses Bittgebet, das wir auch heute gleich am Beginn unseres Gottesdienstes gesungen haben, erinnert mich an einen Abschnitt aus dem Brief an die christliche Gemeinde in Ephesos. 

Wir haben die Worte aus Epheser 3 bereits als Lesung gehört. Sie sind wie ein Bericht über ein Bittgebet. Wir hören die Verse 14-21 nochmals in einer etwas anderen Übersetzung:

Deshalb knie ich vor Gott nieder und bete zu ihm. Er ist der Vater, der alle Wesen in der himmlischen und in der irdischen Welt beim Namen gerufen hat und am Leben erhält.
Ich bitte ihn, dass er euch aus dem Reichtum seiner Herrlichkeit beschenkt und euch durch seinen Geist am inneren Menschen, d.h. innerlich stark werden lässt.
Ich bitte ihn, dass Christus durch den Glauben in euch lebt und ihr fest in seiner Liebe wurzelt und auf sie gegründet seid. Ich bitte ihn, dass ihr zusammen mit der ganzen Gemeinschaft der Glaubenden begreifen lernt, wie unermesslich reich euch Gott beschenkt.
Ihr sollt die Liebe erkennen, die Christus zu uns hat und die alle Erkenntnis übersteigt. So werdet ihr immer umfassender Anteil bekommen an der ganzen Fülle des Lebens mit Gott. Gott kann unendlich viel mehr an uns tun, als wir jemals von ihm erbitten oder uns ausdenken können. So mächtig ist die Kraft, mit der er in uns wirkt.
Ihm gehört die Ehre in der Gemeinde und durch Jesus Christus in allen Generationen, für Zeit und Ewigkeit! Amen.

(Epheser 3,14-21 zitiert nach Thomas Bautz)

Die Heiligen

Liebe Geschwister, der Autor des Epheserbriefs bittet für die Gemeinde – bittet Gott darum, dass ihre Mitglieder innerlich stark werden und erkennen können, dass sie Liebe in Fülle geschenkt bekommen haben.

Die Bibel stellt damit auch uns in Aussicht, dass wenn wir in der Liebe von Jesus verwurzelt bleiben und fest auf sie gegründet bleiben, dass wir diese Liebe – also Gott selbst – in ihrer Breite, Länge, Höhe und Tiefe erfassen werden. Und zwar nicht als einzelne Menschen, sondern als Gemeinschaft der Glaubenden – zusammen mit allen Heiligen (Vers 18).

Ein Allerheiligen-Text also. Das passt zum Tag der feierlichen Eröffnung unseres Kirchengebäudes. Der Text und das Jubiläum rufen uns heute in Erinnerung: Wir sind ein Teil der großen Gemeinschaft der Heiligen.

Wenn wir im Neuen Testament von „Heiligen“ hören, dann sind keine Statuen mit Heiligenschein gemeint. Sondern es sind all jene gemeint, die auf Jesus Christus und seine Botschaft ihr Vertrauen und ihre Hoffnung setzen. Diese Gemeinschaft der Glaubenden schließt alle Christ*innen ein, die vor uns gelebt haben und alle, die noch nach uns auf dieser Erde leben und glauben werden.

Sowohl das Lied „Liebe, komm herab zur Erde“ als auch der Epheserbrief rechnen fest damit, dass Gottes Gegenwart durch die Kraft des Heiligen Geistes in der Gemeinschaft der Glaubenden erlebbar werden kann.

Und zu dieser weltweiten Gemeinschaft gehören auch wir hier im Süden von Linz. Wir könnten also durchaus sagen: Wir sind eine Allerheiligen-Gemeinde.

Alle Sünder*innen und Heilige

Liebe Geschwister, da fällt mir eine Gemeinde in den USA, in Denver (Colorado) ein. Diese Gemeinde wurde von der lutherischen Pastorin Nadia Bolz-Weber und anderen aufgebaut und trägt den Namen „House for All Sinners & Saints“ (deutsch: Haus für alle Sünder*innen und Heilige). 

In dieser Gemeinde sind viele Menschen, die – so wie Bolz-Weber selbst – früher sehr kirchenfern waren. Menschen, die am Rande der Gesellschaft standen, die durch dunkle Täler gewandert sind und auf der Suche nach Leben diese Gemeinde gefunden haben; die in dieser Gemeinschaft Liebe erfahren und sich – oft zum ersten Mal – angenommen gefühlt haben.

Ich schätze es, wie ehrlich und humorvoll Nadia Bolz-Weber über sich selbst und ihre Gemeinde schreibt.

In einem ihrer Bücher – Accidental Saints: Finding God in All the Wrong People (deutsch: Unheilige Heilige. Gott in all den falschen Leuten finden) – beschreibt Bolz-Weber ihre Erfahrung.

„Ich habe die Erfahrung gemacht, dass nicht unsere eigene Fähigkeit, heilig zu leben, uns zu den Heiligen Gottes macht, sondern Gottes Fähigkeit, durch Sünder zu wirken. Der Titel „Heiliger“ wird immer verliehen, niemals verdient. Oder um es mit dem Apostel Paulus zu sagen: „Denn Gott ist's, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen“ (Philipper 2,13). Mir ist klar geworden, dass alle Heiligen, denen ich je begegnet bin, aus Versehen dazu geworden waren. Es sind Leute, die unversehens in die Erlösung hineinstolpern, so als wären sie gerade auf der Suche nach etwas ganz anderem gewesen.“ (S. 18-19)

Bolz-Weber folgert weiter: „[…] dass wir die Heiligen nicht wegen ihrer Frömmigkeit oder Vollkommenheit feiern, sondern weil wir an einen Gott glauben, der in dieser Welt rettende und heilige Taten ausgerechnet durch Menschen vollbringen lässt, die allesamt mit Fehlern behaftet sind.“ (S. 19)

Im Originalton klingt das so:

„For too long, the Church has turned its back on the very people who need the Gospel the most because they didn’t talk right or look right or act right. As it turns out, we’re all “those people” — sinners, broken, in need of the grace of Christ.“ (Manifest des „House for all Sinners & Saints“)

Verrückte Liebe

Liebe Geschwister, von dem Zeitpunkt an, als der Epheserbrief zum ersten Mal in der Gemeinde verlesen wurde bis heute (und wahrscheinlich auch in Zukunft) sind nicht alle begeistert von dem Gedanken, dass alle, wirklich alle, die sich zu Jesus Christus halten (oder die sich vielleicht sogar verzweifelt an ihn klammern) zur Gemeinde dazu gehören. Aber was damals galt, gilt auch heute und in Zukunft:

Ihr seid eingewurzelt in der Liebe. Diese Liebe gilt allen, unabhängig von Herkunft, Beruf, oder Hautfarbe; unabhängig von der Vorgeschichte und den Narben in der Biographie. Diese Liebe Christi gilt selbst denen, denen wir für ihre Taten und für ihre Haltung nicht vergeben können.

Gott gebraucht Menschen mit erheblichen Fehlern und Schwächen; ruft sie in die Nachfolge Jesu und baut mit ihnen an seiner neuen Welt. Das klingt verrückt – es ist aber nunmal auch Liebe. Die ist verrückt. 

Die Perspektive dieser Liebe macht mir Mut, wenn ich wieder einmal mit meinen eigenen Fehlern und Schwächen kämpfe. Und sie gibt mir Gelassenheit und Geduld, wenn ich mich einmal über die Fehler und Schwächen meiner Geschwister ärgere. Und sie erinnert mich – gerade in einer Zeit, in der die Schrecken von Krieg, Terror und Vergeltung wieder so allgegenwärtig sind – daran: Gottes Liebe ist so unglaublich groß, dass sie Dinge in Bewegung setzt, die ich mir gar nicht oder nur schwer vorstellen kann. 

Diese verrückte Liebe verrückt immer wieder die Steine, von denen wir mit Sicherheit denken: Hinter diesem Stein ist kein Leben mehr zu finden; in dieser Situation oder Sache ist nichts Gutes mehr zu erwarten. 

Diese verrückte Liebe bringt immer wieder neues Leben zur Welt; bringt sich selbst unter uns Menschen ins Spiel; kommt herab und verrückt die Glaubenssätze, die zu Grabsteinen geworden sind.

Um solche alles und jeden umfassende Liebe bitten wir – sie möge herab zur Erde kommen und uns mutiger machen und beherzter.

Möge der Schriftzug love – Liebe allen Menschen, die hier jetzt und in Zukunft feiern, Gottes Liebe in Erinnerung rufen: Die Liebe, die alles irdische Vermögen und alle Vorstellungskraft übersteigt: Love divine, all loves excelling. 

Und lasst uns nicht aufhören, diese Liebe in unser Leben zu lassen – auch indem wir sie an diesem Ort gemeinsam hereinbitten und herbeisingen.

Amen.

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