Eine Predigt über die Liebe
Faith Impulse
Pastor i.R., EmK Salzburg
Liebe Leser*innen,
Ich möchte heute folgende Frage beantworten: Schwindet das Interesse am Christentum dahin?
Ganz gleich in welcher Kirche oder Konfession, ein schleichender Atheismus herrscht überall. Viele Leute scheuen sich, das Wort „Gott“ auszusprechen, z.B. bei „Grüß Gott“ oder „Pfiat di Gott“, höchstens noch „Griaß di, Pfiat di“. Nur mehr ein „Hallo!“.
Die sogenannte Volksfrömmigkeit hat stark abgenommen..
Junge Leute findet man kaum mehr im Sonntagsgottesdienst. Immer mehr Schüler*innen werden vom Religionsunterricht abgemeldet oder melden sich selbst ab.
Die Austrittszahlen aus den traditionellen Kirchen steigen.
Und wenn man nachfragt, heißt es: „Religion? Das gibt mir nix!“
Oder vielleicht noch: „Ja, ich glaub eh an Gott. Aber dafür brauch ich keine Kirchen!"
Ja, doch noch: "eine schöne Taufe, eine kirchliche Hochzeit in einer Barockkirche und a schöne Leich mit an Pfarrer." Aber sonst?
Nein, es ist kein kämpferischer Atheismus in unserem Land. Es ist vielleicht einfach Desinteresse. Man kann auch ohne christliche Religion gut leben. Bei so vielen Informationen und Verpflichtungen, die auf einen einströmen, kann man „Kirche“ am ehesten ausblenden. Ist es vielleicht nur Bequemlichkeit? Oder – weil es uns eh gut geht…
Und da frag ich mich: Wo stehen wir da als gläubige Christ*innen, als Methodist*innen, in solch einer entchristlichten Gesellschaft? Haben wir da einen Platz? Haben wir einen Auftrag? Ja, was ist unsere Aufgabe in dieser Welt von heute?
In der heutigen Predigt werde ich darüber nachdenken und Anregungen bringen, ja bewusst Mut machen. Dafür können uns die Bibeltexte des heutigen Sonntags (Anm.: 5.11.2023) Anregungen bieten.
Wir finden sehr kritische Worte Jesu im Evangeliumstext. Den Schriftgelehrten und Pharisäern auf dem Lehrstuhl von Mose wirft er vor, nicht selbst das zu leben, was sie andern vorschreiben. Anders ausgedrückt: Sie predigen Wasser und trinken selbst Wein. Sie sind unglaubwürdig.
Zunächst schaut es so aus, als wäre das ein Problem damals zur Zeit Jesu gewesen. Das ist richtig.
Aber da kommt ein weiterer Gedanke hinzu:
Diesen Text hat Matthäus, der Evangelist, seiner Gemeinde etwa 50 Jahre später vorgelegt. Diese Gemeinde war eine kleine judenchristliche Gemeinde – in einem Umfeld einerseits von Juden, die am Gesetz des Mose hingen, die es aber kaum eingehalten haben. Und andererseits waren da Andersgläubige, die ihre klassischen Götter verehrten oder gar Ungläubige..
Für die kleine christliche Gemeinde war es nun wichtig, glaubhaft zu leben – inmitten einer andersgläubigen Gesellschaft. Hierher passt der Ausspruch von Jesus: „Aber ihr sollt euch nicht ›Rabbi‹ nennen lassen. Denn nur einer ist euer Lehrer, aber untereinander seid ihr alle Brüder und Schwestern.“
Wir sollen als Schwestern und Brüder zusammenhalten, einander dienen, einander lieben als ein Vorbild für das neue, andere Leben in Christus.
Alle frühen Christengemeinden waren in einer Umgebung, die andersgläubig war. Wir haben im Brief des Paulus an die Gemeinde in Thessaloniki gehört, wie er den Leuten dort Mut zuspricht, wie er sie lobt. Da schreibt er: „Wir haben euch Mut gemacht und euch zugeredet. Und wir haben euch nachdrücklich aufgefordert, ein Leben zu führen, das Gott Ehre macht. Denn er hat euch in sein Reich gerufen!“ (1. Thessalonicher 2,12)
Wir kennen auch Texte aus dem 1. Johannesbrief, wo es heißt: „Wir wollen nicht lieben mit Worten oder mit der Zunge, sondern in Tat und Wahrheit“. (1. Johannes 3,18)
Oder, im Johannesevangelium spricht Jesus: „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe unter euch habt.“ (Johannes 13,35)
Und nun, diese Liebe zu den Mitmenschen geht über die Gemeindemitglieder hinaus. In der Bergpredigt sagt Jesus: „Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner? Und wenn ihr nur eure Brüder und Schwestern grüßt, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden?“ (Matthäus 5,46-47)
Wisst ihr, was mir dabei auffällt? Die Texte geben Anregungen und Hilfen für das tägliche, profane Leben. Kaum etwas über Frömmigkeit. Bei Jesus finden wir keine Vorschriften für Gottesdienstgestaltung, keine Anleitung für Kirchenbauten oder irgendwelche Kleidervorschriften. Aber sehr viele Anregungen, wie die Menschen mit Mitmenschen in Liebe leben sollen.
Das gibt mir zu denken. Ja, wir können aus dem Neuen Testament lernen, wie wir in unserer entchristlichten Welt von heute leben und wirken können. Ja, wir können und dürfen etwas tun.
Und jetzt konkret:
Als ich im Spital lag, brachte mir unsere Pastorin ein Buch zum Lesen. Es hat mich fasziniert. Allein schon der Buchtitel ließ mich aufhorchen: „Die Liebe ist unsere einzige Aufgabe“.
Was ist denn das wichtigste Gebot, nach dem wir als Christen leben mögen? Doch nichts anderes als das Doppelgebot der Liebe, nämlich: Gott und die Nächsten zu lieben. Das ist unsere einzige Aufgabe.
Ja, genau: Gerade in unserer Salzburger EmK-Gemeinde spürt man dieses Tun. Wir lieben einander nicht nur mit Worten und mit der Zunge, sondern in Tat und Wahrheit. Das ist gut. Wunderbar!
Aber erlaubt mir, dass ich einen Schritt tiefer gehe:
Ich liebe Jesus, ich weiß, dass der Auferstandene in mir lebt. Und ich spüre, dass seine Liebe in mir den Weg zu den Mitmenschen sucht.
Wenn ich nun auf andere bewusst zugehe, trage ich dann nicht Christus selbst zu den andern?
In dieser unserer atheistischen Umwelt bin ich es doch – der die Liebe Christi in den Menschen sieht. Gott liebt ja nicht nur dich und mich, sondern er liebt alle Menschen. Er ist nicht nur für die Christen, für Methodisten gestorben. Ihm sind alle ein großes Anliegen.
Und jetzt kommt der Schritt ins neue Bewusstsein.
Könnt ihr / wollt ihr mit mir diesen Schritt nachvollziehen? Oder mitgehen?
Spürst du es, fühlst du es: Christus, der Lebendige, ist in mir. Er hat mich lieb. Und ich kann ihn fast umarmen. Mit diesem Bewusstsein begegne ich anderen Menschen. Ja, auf einmal merke ich: Auch diese anderen liebt der Herr.
Ich geh auf den Menschen zu. Spreche ihn vielleicht an. Höre bewusst zu, was er mir erzählt, von seinen Sorgen am Arbeitsplatz, von seiner Familie, von Freuden und Leiden. Und dann sag ich NICHT: ‚Ja, das ist wie bei mir!‘ und ich hör nicht mehr zu und rede nur mehr von mir… NEIN. Ich frag weiter nach, hör weiter zu, geh auf dessen Worte ein.
Warum tu ich das? Weil dieser Mensch mir wichtig geworden ist. Weil er für Gott wichtig ist, von Gott geliebt ist. Wir alle sind Schwestern und Brüder.
Ihr wisst nun, was es heißt: Gott ist präsent im Hier und Jetzt? Selbst in atheistischer Umgebung. Das kann überall sein.
Ich muss dabei gar nicht mit jemandem reden. Es genügt schon, zu wissen: Hier ist ein Menschen-liebender Gott. Und ich darf das fühlen und erkennen: in einem Café, auf der Schranne, im O-Bus, bei der Kassa im Supermarkt, beim Telefonieren, im Stiegenhaus, auf der Straße…
Probiert es aus.
Wagt den Schritt.
Ja, wir können diese Liebes-Begegnung sogar trainieren, z.B. beim Kirchenkaffee. Der liebende Gott ist gegenwärtig, in uns, in den Menschen.
Ja, so stell ich mir das praktisch vor: Christen, die Christi Liebe ausstrahlen.
Doch da merke ich, dass ich selbst öfters gar nicht diesem Ideal entspreche. Da bin ich mürrisch, hör nicht recht zu, bin mit meinen Gedanken woanders, oder nur bei mir selbst.
Da gilt genau das, was Jesus den Schriftgelehrten vorgehalten hat: Sie sagen den Leuten, was sie tun sollten, aber selber halten sie sich nicht daran. Und den Zuhörern sagt Jesus: „Alles, was sie euch sagen, sollt ihr tun und befolgen. Aber verhaltet euch nicht so, wie sie sich verhalten! Denn sie halten sich selbst nicht an das, was sie lehren.“ (Matthäus 23,3)
Und darum bitte ich euch. Wenn ihr merkt, dass ich nicht richtig liebevoll zuhöre, dann macht mich darauf aufmerksam. Denn ich habe anscheinend vergessen, dass die Liebe Christi in uns Vorrang hat.
Solche Einsicht könnte nun aber für uns alle hilfreich sein.
Schließlich kommt jetzt noch ein anderer Gedanke hinzu:
Einfach nur die Nächste, den Nächsten lieben – genügt das denn in einer atheistischen Welt? Sollte man da nicht evangelistisch reden und die anderen bekehren. Ihnen klar machen, dass sie nicht gerettet würden, wenn sie ohne Gott weiter lebten.
Da hab ich doch Bedenken:
Klingt das nicht nach Überheblichkeit, nach Besser-sein-Wollen? Wir wären die Richtigen, die andern die Falschen…
Und wo bliebe dann die Liebe? Sie ist verschwunden.
Die Rechthaberei steht da im Vordergrund, nicht mehr die Liebe Christi.
Hier gilt für uns:
Wir wollen nicht mit Worten und mit der Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit. Denn: „Die Liebe ist unsere einzige Aufgabe“. Nicht die Überredungskunst.
Liebe geliebte Schwestern und Brüder, ich weiß und bin überzeugt davon, dass der Weg der Liebe ein längerer Weg ist. Aber er ist ein Miteinandergehen. Eine Weggemeinschaft. Wir wollen so leben, weil wir alle Schwestern und Brüder sind, Söhne und Töchter unseres gemeinsamen Vaters sind.
Und mit einem Spruch von John Wesley möchte ich diese Gedanken beenden:
Wir glauben, dass die Liebe die Medizin des Lebens ist, das nie versiegende Heilmittel für die Krankheit einer zerrütteten Welt.