Gott ist Richter! Gott­seidank!

Faith Impulse

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Angelo Comino

Gastprediger


Predigt zu Lukas 18: Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten?  

Predigttext

Lukas 18,1-8

Er sagte ihnen aber ein Gleichnis davon, dass man allezeit beten und nicht nachlassen sollte, und sprach:

Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen. Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam immer wieder zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher! Und er wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich selbst: Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue, will ich doch dieser Witwe, weil sie mir so viel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage.

Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt! Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er bei ihnen lange warten? Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze. Doch wenn der Menschensohn kommen wird, wird er dann Glauben finden auf Erden?

Predigt

Allmächtiger Gott? 

In den letzten Jahren hatte ich mit einer bestimmten Glaubensvorstellung meine Probleme: die Allmacht Gottes. Es ist so weit gegangen, dass, wenn man mich gefragt hat, ob ich an Gott glaube, ich oft geantwortet habe: „An Jesus Christus, ja. An den Heiligen Geist, ja. An Gott, den allmächtigen Vater, vielleicht.“ Dem barmherzigen Gott, der seiner Schöpfung auf Augenhöhe begegnet, ja aus Liebe sogar Teil davon wird, kann ich und will ich mich anvertrauen, ihn als liebende Stütze meines Lebens wissen. Jesus Christus, so menschfreundlich, so nahe und so überhaupt nicht fremd, ist und bleibt eine wichtige Figur in meinem Glaubensleben. Auch vom Heiligen Geist, diesem Lebenshauch, der durch die ganze Schöpfung weht und sie zum Leben erweckt, lasse ich mich gerne inspirieren. Diese unerklärliche, unfassbare, zum Einatmen nahe Seite Gottes – weiblich auf Hebräisch, sächlich auf Altgriechisch, leider männlich auf Deutsch – kann und soll mein Leben beflügeln. Schade eigentlich, dass wir so selten zu ihm direkt beten. Mit dem allmächtigen, alles Bekannte und alles Mögliche übersteigenden Gott habe ich aber meine Schwierigkeiten. Er ist mir zu mächtig, zu größenwahnsinnig, zu unreal. Der Gedanke eines allmächtigen Gottes klingt zwar gut und hat sicherlich seine theologische Berechtigung, aber er widerspricht meiner Alltagserfahrung, in der eher die Ohnmacht überwiegt. Wir beten für den Frieden, der auf sich warten lässt, für unsere Familien und Freunde, deren Wunden nicht immer heilen, für unsere Kirche, die mit Trennungen zu kämpfen hat. Nicht immer werden unsere Gebete erhört. Natürlich könnte man mir widersprechen, Gott habe einen Plan, Gott wisse mehr als ich. Man könnte mir auch vorwerfen, dass man Jesus Christus oder den Heiligen Geist vom Vater nicht so trennen darf. Das mag alles stimmen und ich möchte Gott auch nicht die Möglichkeit absprechen, irgendwie eingreifen zu können. Aber diese allumfassende Macht finde ich rätselhaft und teilweise unhaltbar. Ich bin damit nicht allein: Viele Theolog*innen haben sich mit dem Thema beschäftigt, aber bei ihren Entwürfen vermisse ich Möglichkeiten der Umsetzung in meinen Alltagsglauben.

Diese Gedanken münden nicht in Unglauben, sondern spornen mich vielmehr an, manches zu überdenken, andere Vorstellungen zu finden, die ich mit meiner Erfahrung in Einklang bringen kann. Eine dieser Vorstellungen habe ich unlängst entdeckt und sehr hilfreich gefunden: Gott als gerechten und barmherzigen Richter über den ganzen Erdkreis. Hört sich das genauso problematisch an? Schauen wir einmal.

Gott als König und Richter

Zunächst: Wer ist ein Richter oder eine Richterin? Die antike Vorstellung eines Richters (oder in Ausnahmefällen auch Richterin) hat wenig mit dem modernen Gedanken einer unparteiischen Person zu tun, die vom Staat mit der neutralen und unbefangenen Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten beauftragt ist. Wenn die Bibel vom Richter spricht, dann meint sie einen König oder Herrscher, der von Gott zum rechtlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wohl seines Volkes eingesetzt wurde. Vielleicht erinnert ihr euch an die Geschichte von Salomos Urteil, wo sich zwei Frauen über ein Kind streiten. Salomo setzt seine von Gott gegebene Weisheit ein, um ein Urteil zu fällen, anhand dessen die tatsächliche Mutter des Kindes ausgemacht wird. Eine weniger erfreuliche Geschichte ist die des Pontius Pilatus, der als Statthalter von Judäa über Jesus urteilen muss. In der Antike war es eben die Aufgabe des Herrschers auch Richter zu sein und über Gut und Böse zu urteilen und für Gerechtigkeit, Wohlergehen und Frieden zu sorgen. Von ihm erwartete man nicht nur, dass er ein gottgefälliges Leben führt, sondern auch, dass er sich um die Schwachen und Benachteiligten kümmert. Der irdische Richter-König erfüllte auf Erden in seinem Zuständigkeitsbereich die Aufgabe, die Gott für den ganzen Erdkreis innehat. Vielleicht klingen bei euch manche Psalmenworte nach: „Der Herr wird richten“ oder „Der Herr wird Recht schaffen“. Weil er eben auch der Schöpfer und der Herrscher über seine Schöpfung ist, hat Gott die königliche und richterliche Aufgabe, etwaige Störungen seiner Weltordnung zurechtzubringen. Er muss dafür sorgen, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Im Gegensatz zur erdrückenden und einseitigen Allmacht eröffnet das barmherzige Richteramt Gottes Raum für Gespräche, Verhandlungen, ja, sogar für lästige Bitten wie im Falle der Witwe aus der heutigen Lesung.

Richten wollen viele

Diese Rede von Gott als König und Richter klingt vielleicht etwas befremdlich. Daran sind wir nicht gewohnt: Der moderne Mensch betont – natürlich oft genug zurecht – die eigene Selbstbestimmung. Wir sind Herren und Frauen unserer selbst: Wir wissen, was für unser Leben gut ist und was nicht, also treffen wir auch für uns selbst die Entscheidung. Dass wir uns vom Gesellschaftszwang in die Irre führen lassen, von unserer genetischen Beschaffenheit bestimmt sind oder von unserer Erziehung gesteuert sind, ignorieren wir souverän. Diese Vorstellung der grenzenlosen Selbstbestimmung geht so weit, dass auch bei den Religiösen von uns eine andere Vorstellung verdrängt wird: Eben die, dass Gott als Richter über Gut und Böse urteilt. Sich vor Gott verantworten zu müssen, ist uns aufgeklärten Menschen eine unannehmbare Forderung, das richtende Handeln Gottes eine unzumutbare Bevormundung, eine inakzeptable Fremdbestimmung. Das kommt auch nicht von irgendwoher: Wer im religiösen Bereich richtet oder gerichtet hat, der oder die – meistens der – richtet eher Schaden an. Das unbarmherzige Richten ist uns leider in der Kirche bekannt. Ob es die emanzipierte Rolle der Frauen war oder die Offenheit gegenüber der LGBTQ-Bewegung ist, darüber wurde und wird gnadenlos gerichtet. Besserwisser – und Besserwisserinnen – schießen wie Pilze aus dem Boden: Jeder und jede hat recht, jeder und jede wisse es viel besser als die anderen und beansprucht für sich den Richterstuhl. Für manche geht das unbarmherzige Richten so weit, dass sie sich sogar lieber vom Glauben abwenden: Man könne – so die Argumentation – allein entscheiden, was Gut und Böse ist. Ich kann sie verstehen, frage mich aber, ob nicht die Falschen auf dem Richterstuhl sitzen.

Fremdbestimmung oder Eigenbestimmung?

Die Angst, gerichtet zu werden, sitzt einer falschen Alternative auf: Fremdbestimmung oder Eigenbestimmung? Diese Alternative schließt aber ein Sich-Kümmern Gottes aus, das auf Gerechtigkeit und Erbarmen beruht und die ganze Weltordnung und Schöpfung erfasst. Der Richterstuhl Gottes bleibt somit im besten Fall leer, im äußersten Fall wird er vom Menschen selbst besetzt. Gott sitzt aber nicht aus Sadismus oder Größenwahn auf dem Richterstuhl, sondern aus Liebe zu seiner Schöpfung. Gegenüber diesem kosmischen Richter sitzt nicht der verurteilte Mensch, sondern das in Liebe lebende Geschöpf. Wenn man also wichtige biblische Texte außer Acht lässt, die Rolle des göttlichen Richters missversteht und den Freiheitsgedanken einseitig betont, dann landet man bei einer Vertauschung der Rollen: Nun wird Gott die Kompetenz abgesprochen, über Gut und Böse zu urteilen und Barmherzigkeit walten zu lassen, und man muss sich selbst vor der menschlichen Vernunft rechtfertigen. Wenn Menschen sich selbst die Fähigkeit zuschreiben, in allen Belangen die eigenen Richter*innen zu sein, verfallen sie – so behaupte ich – in eine Art moralische Anarchie, in eine ethische Beliebigkeit. Hebt diese nicht dann die Unterscheidung zwischen Gut und Böse auf, wenn alles Urteilen Privatsache wird? Die Art und Weise, wie die Menschen als selbst ernannte Richter*innen mit der Schöpfung umgehen, beweist nicht gerade unser Können.

Gott schafft Gerechtigkeit und erweist Erbarmen

Wenn wir noch an Gottes Existenz und Fürsorge festhalten wollen, werden wir uns eines biblischen Gedankengutes bedienen können, das Richten, Gerechtigkeit und Erbarmen eng miteinander verbindet. Der Gott, der über Weltordnung und Schöpfung regiert, richtet auch darüber, wie damit umgegangen wird. Der Gott, an den Menschen im Falle der Beugung des Rechts ihre Gebete richten können, schafft Gerechtigkeit und erweist Erbarmen. Ein herrschender Richter ist somit auch zugleich richtender Retter und rettender Herrscher, der nicht unparteiisch bleibt, sondern gerade für die Wehrlosen, Armen, Schwachen Partei ergreift. Da oben ist jemand, zu dem ich beten kann und der sich für mich einsetzt, wenn mir Unrecht geschieht. Das Eingreifen eines Richters geschieht nicht augenblicklich, meistens geht es mit einem kurzen oder langen Prozess einher. Ein Urteil kehrt auch nicht immer die Lage um, es stellt aber ganz klar, was Sache ist. In dieser Vorstellung erhält Gottes Allmacht – falls ich an ihr noch festhalten möchte – viele Schattierungen, die ich davor nicht bedacht habe und die auch ein Gespräch mit der Schöpfung ermöglichen, um die Gott sich kümmern will und muss. Und so finde ich, werden unsere Gebete für den Frieden, der auf sich warten lässt, für unsere Familien und Freunde, deren Wunden nicht immer heilen, für unsere Kirche, die mit Trennungen zu kämpfen hat, doch erhört. Wie? Gott als barmherziger Richter stellt sich auf unsere Seite: Er lehnt Kriegstreibende ab, er hält zu unseren Familien und Freunden, er verurteilt Missstände und Ausgrenzungen in seiner Kirche. Vielleicht greift er auch manchmal ein. Vielleicht greifen wir als richterliche Beauftragte manchmal ein.

Seid lästig vor dem Richter, der auf uns schaut!

Uns vernunftbegabten Menschen kommen bestimmte Aufgaben zu: Wir hören auf Gottes Wort und können uns moralisch betätigen, indem wir uns nach dem göttlichen Muster für Gut und Böse einsetzen. Ein kosmischer Richter steht uns bei. Im Gebet können wir immer wieder unsere Bitten an diesen Richter richten, wie die Witwe in der heutigen Lesung. Selbst wenn wir meinen, der göttliche Richter höre gerade nicht zu, dürfen wir lästig sein. Und dazu ermutige ich euch: Liebe Gemeinde, seid lästig vor dem Richter, der auf uns schauen will.

Amen.

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