Jesus wendet sich denen zu, die aus­geschlossen werden

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Bernhard Lasser

Laienprediger


Predigt zu Matthäus 9,9-13 und 18-26

Predigttext Matthäus 9,9-13 und 18-26

DIE BERUFUNG DES MATTHÄUS UND DAS MAHL MIT DEN ZÖLLNERN

9Und als Jesus von dort wegging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus; und er sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm.

10Und es begab sich, als er zu Tisch saß im Hause, siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern. 11Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst euer Meister mit den Zöllnern und Sündern? 12Als das Jesus hörte, sprach er: Nicht die Starken bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. 13Geht aber hin und lernt, was das heißt (Hosea 6,6): »Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer.« Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder.

DIE HEILUNG EINER BLUTFLÜSSIGEN FRAU UND DIE AUFERWECKUNG EINES MÄDCHENS

18Als er dies mit ihnen redete, siehe, da kam einer der Oberen, fiel vor ihm nieder und sprach: Meine Tochter ist eben gestorben, aber komm und lege deine Hand auf sie, so wird sie lebendig. 19Und Jesus stand auf und folgte ihm mit seinen Jüngern.

20Und siehe, eine Frau, die seit zwölf Jahren den Blutfluss hatte, trat von hinten an ihn heran und berührte den Saum seines Gewandes. 21Denn sie sprach bei sich selbst: Wenn ich nur sein Gewand berühre, so werde ich gesund. 22Da wandte sich Jesus um und sah sie und sprach: Sei getrost, meine Tochter, dein Glaube hat dir geholfen. Und die Frau wurde gesund zu derselben Stunde.

23Und als Jesus in das Haus des Oberen kam und sah die Flötenspieler und das Getümmel des Volks, 24sprach er: Geht hinaus! Denn das Mädchen ist nicht tot, sondern es schläft. Und sie verlachten ihn. 25Als aber das Volk hinausgetrieben war, ging er hinein und ergriff es bei der Hand. Da stand das Mädchen auf. 26Und diese Kunde erscholl durch dieses ganze Land.

Predigt


Jesus wendet sich den Menschen zu, die in der Gesellschaft ausgeschlossen waren. 

Liebe Gemeinde,

Jesus wendet sich den Menschen zu, die in der Gesellschaft ausgeschlossen waren. Zunächst den Zöllnern. Diese waren bei der Bevölkerung sehr unbeliebt, da sie Steuern eintrieben. Die hebräischen Zöllner waren dabei römischen Zöllnern unterstellt. Diese römischen Zöllner hatten ihren Posten bekommen, weil sie am meisten dafür geboten hatten. Vom römischen Reich wurden die Zöllner nicht kontrolliert, so konnten diese auch höhere Steuern eintreiben als Rom das vorschrieb. Und die hebräischen Zöllner stellten sich auf die Seite des römischen Reiches, nicht auf die Seite der Bevölkerung Israels. Sie halfen den römischen Machthabern, die Juden und Jüdinnen auszubeuten. Es gab also genug Gründe, den Zöllnern ablehnend gegenüber zu stehen. An vielen Stellen im Neuen Testament werden sie mit Sündern gleichgesetzt. Und gerade ein Zöllner wird von Jesus als einer seiner Jünger und Jüngerinnen berufen. Jesus sagt ihm nur: „Folge mir nach!“[1] Und Matthäus schließt sich Jesus an und gibt dafür all den Reichtum auf, der mit dem Leben als Zöllner einhergeht. Schließlich aß Jesus auch noch gemeinsam mit den Zöllnern, den Sündern. Matthäus hatte sie alle eingeladen, da er feiern wollte, ein Jünger geworden zu sein. Gemeinsam essen ist etwas sehr verbindendes, das spiegelt sich auch in der Feier des Abendmahls wider. Im gemeinsamen Essen drückt sich Gottes Zuwendung zu den Menschen aus. Für dieses gemeinsame Essen mit den Zöllnern wird Jesus kritisiert. Jesus entgegnet, dass die gesunden keinen Arzt brauchen, wohl aber die kranken Menschen. Zu diesen Menschen ist er gesandt, die die Gesellschaft als Sünder einschätzt. Der Arztberuf war damals nicht hoch angesehen, weil die Ärzte mit kranken Menschen zu tun hatten – die Krankheiten wurden auf Sünden zurückgeführt und damit wollte niemand in Berührung kommen. Die Moralisierung der Pharisäer hat niemandem geholfen, die Zuwendung Jesu zu den Menschen schon. Jesus und Gott ist die Zuwendung zum Mitmenschen wichtiger, als das Opfer im Tempel. Jesus sagt, dass Gott Barmherzigkeit möchte und nicht die Opfer. Das hatte er im Buch des Propheten Hosea gelesen.[2] Matthäus verbindet das mit der Aufforderung: „Darum lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer.“[3] An der Zuwendung zu den Mitmenschen erkennt man uns Christinnen und Christen, an der Liebe untereinander. Jeder Mensch ist Ebenbild Gottes und der Umgang miteinander ist daran auszurichten. Und wenn ich auf mein Leben schaue, dann ist das keine leichte Aufgabe. „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“[4] Daran bin ich oft gescheitert. Aber der Anspruch bleibt. Die Zuwendung Jesu zu den Menschen, von der wir lernen können, zeigt sich auch in den nächsten beiden Erzählungen.

Auch die Tochter des Synagogenvorstehers heilte Jesus. 

Und dabei war sie bereits gestorben. Für Gott ist nichts unmöglich. Jesus schätzt es aber so ein, dass sie nur schläft. Mit der Heilung kam ihr Weg zurück in die Gemeinschaft. Und die Trauerrituale sind plötzlich unpassend. Dass sie lebt, verändert alles. Sie wird wieder Teil der Gemeinschaft, ihr Leben und ihre Geschichte geht weiter.

Und auch die Frau, die an Blutungen litt, wurde von Jesus geheilt. 

Das, was mit Blutungen oder Blutfluss in den verschiedenen Übersetzungen wiedergegeben wird, war eine lang andauernde, krankhafte und wahrscheinlich auch sehr schmerzhafte Regelblutung. Markus beschreibt, dass die Frau von Arzt zu Arzt gegangen ist und keiner ihr helfen konnte. Mit der langen Leidenszeit war die Frau zutiefst verzweifelt. Sie wandte sich mit einer üblichen Bittgeste an Jesus. Sie wird sofort geheilt, und Jesus erklärt die Heilung mit dem Glauben der Frau. Auch wenn die Frau Jesus zuvor nicht begegnet war, scheinen sie sich jetzt zu kennen. Dabei ist die Heilung nicht nur körperlich, sie wirkt sich auf das ganze Leben der Frau aus. Die Reinheitsgebote bedeuteten, dass die Frau vom sozialen und religiösen Leben ausgeschlossen war. 12 Jahre lang! Sie musste in dieser Zeit am Rand der Gesellschaft leben. Ein Zusammenleben mit ihrem Ehemann oder mit ihren Eltern war mit einer solchen Erkrankung nicht möglich, und andere Optionen gab es damals für Frauen nicht. Menschen mit derartigen Leiden lebten außerhalb der Stadt. Auch an der Religion konnte sie so nicht mehr teilnehmen. Das war wohl auch der Grund, warum sie Jesus, den Rabbi, einen religiösen Lehrer, nicht direkt angesprochen hat. Allein, dass die Frau Jesus berührt hat bedeutete nach den Reinheitsgesetzen, dass er auch als unrein galt. Darauf hat Jesus noch nicht einmal reagiert. Auf das, was damals geltende religiöse Vorschriften waren, die oft sehr genau durchgesetzt wurden. Er hat sich der Frau in ihrer Not zugewendet. Die Berührung war kein Problem für ihn. Das Leiden zu beenden war das, was zählt. Nicht den Regeln der Religion zu folgen. Auch die damals gängige Erklärung solcher Krankheiten, dass sie eine von Gott kommende Plage wegen begangener Sünden wären, wird noch nicht einmal erwähnt. Stattdessen ist es der Glaube der Frau, von dem Jesus redet. Dieser hat ihr geholfen, hat ihm ermöglicht zu helfen. Vor der Menge spricht Jesus sie an als seine Tochter, sie ist ein Kind Gottes. Er sieht in ihr das Ebenbild Gottes und nicht eine Frau, die von der Gesellschaft verurteilt wird.

In allen drei Fällen kommen die Menschen zurück in Gemeinschaft. 

Jesus isst mit den Zöllnern und Matthäus wird berufen, sie feiern gemeinsam ein Fest und essen gemeinsam. Die Tochter des Synagogenvorstehers lebt wieder und ist erneut in Gemeinschaft mit den Menschen. Und auch die Frau, die zuvor an Blutungen litt, kann wieder am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Jesus, und damit Gott, ermöglicht neue menschliche Gemeinschaft. Und diese Gemeinschaft wird genau dort möglich, wo menschliche Bemühungen versagen. Im Vertrauen aufeinander und im Vertrauen auf Gott wird Gemeinschaft möglich, wo das zuvor unmöglich erschien.

Matthäus schreibt für eine spätere Generation 

Das Evangelium nach Matthäus wurde an eine Gemeinde geschrieben, die innerhalb des damaligen Judentums an Jesus glaubte. Aufgeschrieben wurde es ca. drei Generationen nach dem Tod Jesu, vielleicht auch ein bisschen später. Die Menschen litten unter der Herrschaft Roms. Der Tempel, von dem das Evangelium noch erzählt, war bereits zerstört. Vieles kann als Kritik an dieser Herrschaft verstanden werden. Das Wort "Evangelium" bezeichnete ursprünglich Nachrichten des Kaisers, sogenannte gute Nachrichten. Bei Matthäus wird es anders verwendet, die gute Nachricht ist die Nachricht Gottes, die Nachricht vom Leben und Wirken Jesu Christi, aber auch von Tod und Auferstehung. Das ist die wirkliche gute Nachricht, die Nachrichten des Kaisers sind es nicht. Seit Augustus wird der römische Kaiser als pater patriae bezeichnet, als Vater des Landes. Das Gebet zu Gott dem Vater zeigt, dass der römische Kaiser nicht der wahre Vater sein kann. Und wo Gott fürsorglich ist, wird der Kaiser mit Ausbeutung und Unterdrückung verbunden. Auch die Erwartung des Reiches Gottes zeigt, dass die irdischen Reiche nur eine begrenzte Gültigkeit haben. Wenn das Reich Gottes kommt werden die irdischen Reiche werden damit vergehen.

Gottesdienst als Zuwendung zu den Leidenden 

In dieser Situation liest und hört die Gemeinde Erzählungen vom Gottesdienst im Alltag der Welt. Dieser Gottesdienst im Alltag der Welt ist die Zuwendung zu den leidenden Menschen. Matthäus leidet unter dem Ausschluss aus der Gesellschaft, Jesus wendet sich im zu und es wird neue Gemeinschaft möglich. Eine Verbundenheit, die sich im gemeinsamen Essen zeigt. Die Tochter des Synagogenvorstehers wird geheilt und kann wieder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, ihre Geschichte geht weiter. Und auch die blutflüssige Frau wird geheilt, und hier ist Heilung sowohl körperlich als auch sozial zu verstehen. Gottes Fürsorge zeigt sich im Umgang Jesu mit den Menschen, ganz besonders in den Heilungen. Die Menschen in der Gemeinde sind aufgerufen, diesem Vorbild zu folgen und füreinander da zu sein. Dabei vertrauen sie auf Gott, den fürsorglichen, himmlischen Vater und aufeinander. „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.“[5] Es ist ein tiefes Vertrauen in Gott und ineinander da, und dieses Vertrauen ermöglicht Kritik an ungerechten Verhältnissen. Einmal sagt Jesus: „So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!“[6] Auf den Münzen war das Bild des Kaisers geprägt, die Steuern sollten also gezahlt werden. Der Mensch aber ist als Ebenbild Gottes geschaffen, der Mensch gehört nicht dem Kaiser und sollte nicht unter ausbeuterischer Herrschaft leben müssen. Das Gebet ist verbunden mit dem gerechten Handeln, selbst zu vergeben ist Voraussetzung für die Vergebung Gottes. Lasst auch uns lernen, was es bedeutet, dass Gott Barmherzigkeit möchte und nicht Opfer.[7] Dorothee Sölle hat das einmal so formuliert: „Am Ende der Suche und der Frage nach Gott steht keine Antwort, sondern eine Umarmung.“[8] Lasst uns den Menschen begegnen als Gottes Ebenbilder und lasst uns die Liebe Gottes in die Welt tragen. Eine Liebe, die vielseitig ist und nicht in religiöse oder andere Regeln gefasst werden kann, sondern eine Liebe, die sich dem leidenden Menschen zuwendet.

Amen.

 Quellenangaben

[1] Matthäus 9,9, Einheitsübersetzung.

[2] Vgl. Hosea 6,6/Matthäus 9,13.

[3] Matthäus 9,13, Einheitsübersetzung.

[4] Matthäus 22,39, Einheitsübersetzung.

[5] Matthäus 7,8, Lutherbibel 2017.

[6] Matthäus 22,21, Einheitsübersetzung.

[7] Vgl. Hosea 6,6/Matthäus 9,13.

[8] zit. n. Evangelische Kirche in Mitteldeutschland, online im Internet: https://www.ekmd.de/glaube/radio-andachten/angedacht-mdr-sachsen-anhalt/eine-umarmung-von-gott.html

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