Un­gesich­ert, aber gehalten

Faith Impulse

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Dr. Stefan Zürcher

Bishop UMC Central and Southern Europe


Predigt von Bischof Stefan Zürcher im Gottesdienst zum Abschluss der Jährlichen Konferenz am 21. Mai 2023

Bibeltexte: Ps 69,2-4.14-18.31.35; Mt 14,22-27

Predigttext: Matthäus 14,28-33

Hinführung

»Wir feiern Gottes Liebe: Machen wir Mut!«, so lautete das Motto der diesjährigen Jährlichen Konferenz. In seinem Bericht fragte Superintendent Stefan Schröckenfuchs, wie Gottes Liebe gefeiert werden könne. »Indem ihr der richtige Stellenwert gegeben werde«, schrieb er. Jesus Christus, die Mensch gewordene Liebe Gottes suchen, ihm nahe sein wollen, ist eine Ausdrucksform davon. Das kann manchmal in einem geschützten Raum sein, wie jetzt hier beim Gottesdienst feiern. Öfter als uns lieb ist, heißt dies aber, den sicheren Boden verlassen, um Jesus nahe zu sein, um da zu sein, wo er ist.

Ein Beispiel gibt uns Petrus, der über das Wasser zu Jesus kommt:

Jesus geht über das Wasser

22Sofort danach drängte Jesus die Jünger, in das Boot zu steigen. Sie sollten an die andere Seite des Sees vorausfahren. Er selbst wollte zuerst noch die Volksmenge verabschieden. 23Als die Volksmenge weggegangen war, stieg er auf einen Berg, um in der Einsamkeit zu beten. Es war schon Abend geworden, und Jesus war immer noch allein dort.

24Das Boot war schon weit vom Land entfernt. Die Wellen machten ihm schwer zu schaffen, denn der Wind blies direkt von vorn. 25Um die vierte Nachtwache kam Jesus zu den Jüngern. Er lief über den See. 26Als die Jünger ihn über den See laufen sahen, wurden sie von Furcht gepackt. Sie riefen: »Das ist ein Gespenst!« Vor Angst schrien sie laut auf. 27Aber sofort sagte Jesus zu ihnen: »Fürchtet euch nicht! Ich bin es. Ihr braucht keine Angst zu haben.«

 

Petrus findet Halt bei Jesus

28Petrus sagte zu Jesus: »Herr, wenn du es bist, befiehl mir, über das Wasser zu dir zu kommen.« 29Jesus sagte: »Komm!« Da stieg Petrus aus dem Boot, ging über das Wasser und kam zu Jesus. 30Aber auf einmal merkte er, wie stark der Wind war. Da bekam er Angst. Er begann zu sinken und schrie: »Herr, rette mich!« 31Sofort streckte Jesus ihm die Hand entgegen und hielt ihn fest. Er sagte zu Petrus: »Du hast zu wenig Vertrauen. Warum hast du gezweifelt?« 32Dann stiegen sie ins Boot und der Wind legte sich. 33Die Jünger im Boot warfen sich vor Jesus nieder. Sie sagten: »Du bist wirklich der Sohn Gottes!«

Matthäus 14,(22-27)28-33 (Basisbibel)

 Ich erlebe die Kirche, auch unsere, stark auf unsicherem Boden; bedroht von Wind und Wellen; und darum ringend, den Herrn der Kirche, Jesus Christus nicht aus den Augen zu verlieren!

Nur einige wenige Stichworte, um zu illustrieren, was ich meine:

·     Da war die Pandemie, die das kirchliche Leben stark beeinträchtigt hat.

·     Da sind gesellschaftliche Veränderungen, z.B. der Individualismus, die Grundwerten des Kircheseins entgegenstehen.

·     Da ist in unserer weltweiten Kirche der Konflikt um die menschliche Sexualität, der zu Trennungen führt.

Weitere, aktuelle Themen hat Superintendent Stefan Schröckenfuchs in seinem Bericht erwähnt. – Wasser, Wind und Wellen… Sie verunsichern, manchmal machen sie Angst!

»Sofort streckte Jesus ihm die Hand entgegen und hielt ihn fest.« – Das berührt mich: Petrus ist gehalten. Und das heißt auch: Wir, die Kirche, in aller Unsicherheit, sind gehalten! Das macht Mut! Das ist die gute Nachricht heute Morgen!

Allerdings, nicht von einem Glaubenshelden ist hier die Rede, sondern von einem, den der Glaubensmut verließ. Von einem »Weniggläubigen«. Jesus hält zu den »Weniggläubigen«! Zu denen, die sich auf sein Wort hin mutig auf das Wasser wagen, dann aber doch Angst bekommen und den Mut verlieren. Zu denen, die auf ihn hören und im nächsten Moment wieder auf die Welle schauen. Er hält zu denen, die auf ihn vertrauen und doch von Zweifeln übermannt werden. Diesen, uns, seiner Kirche streckt er die Hand entgegen und hält uns fest!

Im Predigttext geht es um das Unterwegssein als Kirche in unsicheren Zeiten und ihre Beziehung zu Christus. Ich habe  Merkmale gefunden, die dieses Unterwegssein charakterisieren.

 

Zu Jesus kommen

Petrus will bei Jesus sein. Darum fordert er Jesus auf: »Herr, befiel mir zu dir zu kommen«. – ‘Oh, da ist ja rundherum Wasser! Egal, dann halt über das Wasser! Aber befiel mir zu dir zu kommen’. Petrus will zu Jesus. Das ist das Entscheidende in diesem Vers. Dass er auf dem Wasser gehen kann wie Jesus, ist höchstens ein Nebenaspekt. Es geht schlicht und einfach darum: Petrus will zu Jesus. Das ist seine Absicht. Bei Jesus sein! Das will er. Petrus zieht es also in den Stürmen des Lebens zu Jesus. Vor sich sieht er nur Wasser. – Wasser steht in der Bibel häufig für Chaosmächte (Ps 69). – Vor sich sieht er also nur Wasser und Wellen, nur Bodenlosigkeit und Weglosigkeit. Aber er will um alles in der Welt zu Jesus: ‘„Herr, befiehl mir, zu dir zu kommen!“ Ganz egal, was vor mir und um mich ist. Auch wenn ich keinen Weg sehe, keiner Spur folgen kann, auch wenn es unmöglich scheint, „befiehl mir zu dir zu kommen auf dem Wasser“. Ich will bei dir sein!’

Was für ein Vertrauen in diesen Jesus, der sagt: „Gott hat mir alle Macht gegeben, im Himmel und auf der Erde“ (28,18)! Was für ein Glaubensmut! Petrus verlässt sich ganz auf Jesus. Zu diesem Petrus sagt Jesus kurze Zeit später: ‘Du bist Petrus. Auf diesen Felsen werde ich meine Gemeinde bauen’ (16,18). Eindrücklich!

Das ist das erste Merkmal: Unterwegssein als Glaubende, als Kirche heißt, immer wieder zu Jesus Christus kommen. Nahe bei ihm sein, auch und erst recht in stürmischen und unsicheren Zeiten.

Diese Geschichte lädt ein, zu überlegen: Wie nah sind wir bei ihm? Wo in unserem kirchlichen Programm ist Raum und Zeit, um gemeinsam zu ihm zu kommen. Zeit, um das Alltagsgeschäft zu unterbrechen und bei ihm Ruhe zu finden? Oder sind wir so damit beschäftigt, Wogen zu glätten, das Chaos zu bändigen, das Wasser begehbar zu machen, dass es für das Entscheidende nicht mehr reicht?

In unsicheren Zeiten, wie wir sie zur Zeit erleben, gilt seine Einladung ganz besonders: »Kommt zu mir, ihr alle, die ihr euch abmüht und belastet seid! Ich will euch Ruhe schenken« (11,28).

Petrus will zu Jesus, egal wie die Umstände sind, sogar dann, wenn er das sichere Boot verlassen muss. Das ist das nächste Merkmal:

 

Tun, was er befiehlt

Petrus wird gern als vorlaut und übereifrig dargestellt, was ja nicht ganz verkehrt ist. Er war vermutlich unglaublich begeisterungsfähig und radikal. – Ganz nach dem Motto: Alles oder nichts, mit allen positiven und negativen Folgen. Auch in dieser Geschichte geht er aufs Ganze. Doch ist euch aufgefallen, dass er nicht einfach aufs Wasser hinausstürzt? Dass er nicht einfach dreinschießt. Im Gegenteil. Petrus bittet Jesus, ihm zu befehlen, zu ihm zu kommen über das Wasser, und wartet seinen Befehl ab. Erst als Jesus ihn auffordert zu kommen, wagt er sich aufs Wasser hinaus. Dann zögert er aber keinen Moment mehr: „Jesus sagte: ,Komm!‘ Da stieg Petrus aus dem Boot, ging über das Wasser und kam zu Jesus“. Petrus tut ohne Wenn und Aber, was Jesus sagt, und geht ihm im Sturm entgegen.

Das ist das zweite Kennzeichen im Unterwegssein der Gemeinde mit Jesus Christus: Tun, was er befiehlt. Was bedeutet das? Schnell denken da manche an: Befehlen blind »gehorchen«. Interessant ist: In der hebräischen Sprache gibt es kein Wort für »gehorchen« oder »Gehorsam«, sondern nur für »hören«. Und im neutestamentlichen Griechisch ist das ganz ähnlich. Der Begriff, der gerne mit »gehorchen« übersetzt wird, bedeutet zunächst einfach »hören«. Gemeint ist: mit den Ohren etwas hören, dann hinhören, zuhören und das Gehörte aufnehmen, sich bemühen, es zu verstehen, es verinnerlichen und zum Eigenen machen, schließlich es befolgen, also danach tun.

Erst jetzt, nach einem ziemlich langen Weg, sind wir bei der Bedeutung »gehorchen« angelangt. Und wir merken: Das hat nichts mit blindem Gehorsam zu tun. Vielmehr sind Kopf und Herz, unsere ganze Person dabei beteiligt. Das lässt Raum für Fragen, für Bedenken, für Unverständnis, für die gedankliche Auseinandersetzung mit verschiedenen Ansichten, für Zweifel.

Gehorsam so verstanden, also hören, verstehen, einwilligen und dann tun, hat mit der Christus-Beziehung zu tun. Glaubensgehorsam erwächst aus einer lebendigen Vertrauensbeziehung zu Christus. Wir sind nicht Knechte, die blind tun, was ihnen befohlen wird, tun müssen, weil sie gar keine andere Wahl haben. Nein, wir sind Töchter und Söhne Gottes. Kinder Gottes, frei, Ja oder Nein zu sagen. Wir müssen seinen Willen nicht tun. Aber wer nah bei Jesus ist, wer seinen Herzschlag vernimmt, wessen Herz schlägt, wie Jesu Herz schlägt, der/die will es. Nicht weil es geschrieben steht oder es ihm/ihr befohlen wird, sondern aus Liebe zu ihm, auch wenn es manchmal ganz schön Mut braucht.

Was ist uns, der Kirche, befohlen? Jesus beauftragte seine Kirche, das Evangelium in Wort und Tat zu bezeugen und Licht und Salz in der Welt zu sein. Dieser Auftrag führt immer wieder über unsicheres Wasser. Wer kommt mit – aus Liebe zu Jesus?

Petrus vertraut Jesus und gehorcht seinem Befehl. Er tritt hinaus aufs Wasser.

 

Leben in der Spannung zwischen Vertrauen und Zweifel

„Aber auf einmal merkte er, wie stark der Wind war. Da bekam er Angst. Er begann zu sinken und schrie: ‘Herr, rette mich!‘“ Jesus wird ihn nach seiner Rettung fragen: „Du hast zu wenig Vertrauen. Warum hast du gezweifelt?“

‚Wow!‘ habt ihr vorhin vielleicht gedacht. ‚Dieser Petrus! Dieses Vertrauen. Dieser Mut. Dieser Glaube. So Kirche sein, das wollen wir!‘ Aber ihr merkt: Petrus, wie er hier beschrieben wird, ist uns viel näher: Er sieht nur noch die Wellenberge. Angstvoll erstarrt er und beginnt zu sinken. Verschwunden ist sein Mut, verschwunden sein Vertrauen. Jesus scheint weit weg, und er allein Wind und Wellen ausgesetzt. – Wer kennt sie nicht, diese Erfahrung, wenn die Realität, in der wir leben, übermächtig wird, uns gefangen nimmt und blockiert. Die Erfahrung, den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Unsere Geschichte beschreibt sehr realistisch, was passiert: Petrus sieht nur noch die gewaltige Welle: ‚Nein, ich sinke! Es ist vorbei!‘ Er fixiert die Welle, verliert dabei Jesus aus dem Blick, die Welle wird größer und mächtiger und droht ihn zu verschlucken. Das passiert ausgerechnet Petrus! Auch er ist kein Glaubensheld, der über allem steht. Auch nicht als Fels, auf dem Jesus seine Kirche baut. Auch sein Glaube taugt im Sturm nicht. „Du Wenigglauber, warum hast du gezweifelt?“, fragt Jesus Petrus.

So nah beieinander sind Glaube und Unglaube, Mut und Angst, Hören auf den Herrn und Schauen auf den Wind, Vertrauen und Zweifel. Auch bei einem wie Petrus. Diese Mischung nennt Jesus Kleinglaube, Wenigglaube. „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“, sagte Jesus einmal (Johannes 16,33). In dieser Spannung zwischen Angst und Zuversicht findet er seine Nachfolger*innen, seine Kirche vor, bis heute. Dazwischen bewegen wir uns. Wir sind hin- und hergerissen zwischen Zuversicht und Angst, zwischen Vertrauen und Zweifel, zwischen Glauben und Unglauben. Das ist das Leben auf der Erde, auch das christliche. Das ist Teil der Existenz in der Welt, auch der Existenz der Kirche.

Das ist das dritte Kennzeichen: Die Kirche lebt in der Spannung zwischen Vertrauen und Zweifel. Unser Glaube ist schwach und klein, kleiner als ein Senfkorn, wie der von Petrus. Petrus sinkt.

 

Beten

„Er schrie: ‚Herr, rette mich!‘“ Das ist das Beste, was Petrus tun konnte: In seiner Angst schrie er zum Herrn. Wir wissen nicht, ob er sich eines Besseren besonnen hat, oder ob es einfach ein Reflex war. Das ist auch nicht wichtig. „‚Herr, rette mich!‘“ Das ist kein besonders frommes, inniges oder schönes Gebet. Es geht nicht darum, dass Petrus sich durch sein Beten selbst aus der Angst befreit. Es geht schlicht darum, zu dem zu rufen, der Herr über allem ist, auch über Wind und Wellen, und ihn aus seiner Angst herausreißen will und wird.

Das ist das vierte Kennzeichen im Unterwegssein als Gemeinde: das Gebet, mag es noch so gewöhnlich und unspektakulär sein.

 

Gehalten

„Sofort streckte Jesus ihm die Hand entgegen und hielt ihn fest.“ Jetzt sind wir beim Entscheidenden angelangt. Das ist das fünfte Kennzeichen: „Sofort streckte Jesus ihm die Hand entgegen und hielt ihn fest“.

Sich aufmachen und zu Jesus kommen – unbedingt! Auf sein Wort hin den sicheren Boden verlassen – ja! Die Spannung zwischen Vertrauen und Zweifel aushalten – ja! Beten – absolut zentral! Aber vor und über dem allem steht: „Jesus hält fest“ – Petrus, uns alle, seine Kirche. Das ist das Entscheidende! Darauf kommt alles an. Jesus streckt seine Hand aus, greift nach uns und hält uns. Ganz besonders hält er die ‚Wenigglauber‘ und Zweifler. „Ich habe für dich gebetet, dass du deinen Glauben nicht verlierst“, wird Jesus später zu Petrus sagen (Lukas 22,32).

Glaube, der ständig danach fragt, ob er stark genug sei, ob er auch durchhalten werde, oder Glaube, der stolz auf seinen eigenen Mut schaut, ist verloren. Er ist verloren, weil er ständig mit sich selbst beschäftigt ist und nicht mit dem Herrn, an dem er doch hängt. Rechter Glaube ist selbstvergessen, weil er nur einen Zielpunkt hat: Jesus Christus. Weil er weiß: Da ist einer – Christus –, der dafür betet, dass der Glaube seiner Kirche nie aufhört. Weil er weiß: Nicht an uns, sondern an ihm hängt unser Glaube, mag er noch so klein und schwach sein, mag er noch so oft versagen.

Christus hält, belebt und trägt unseren Glauben, unser Vertrauen, unsere Beziehung zu ihm. Er! Nicht wir, nicht die Kirche. Darum mögen wir zweifeln, aber verzweifeln müssen wir nicht – weil er uns festhält und nicht loslässt. Nie! Wir sind gehalten. Die Kirche ist gehalten. Ihr, die EmK in Österreich ist gehalten! Da können wir nur noch bekennen: ‚Du bist wirklich der Sohn Gottes‘ und gelassen und mutig den nächsten Schritt tun. Amen.

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