Wo ist Gott in den Krisen der Welt?

Faith Impulse

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Dorothee Büürma

Pastorin, Erwachsenenbildung


Eine Predigt zu Matthäus 22,1-14 und 2. Mose 32

Die Bibeltexte zum Nachlesen: 

Matthäus 22

Exodus (2. Mose) 32

Warum diese Texte und dieses Thema?

Was sind das denn für Texte, die für den heutigen Sonntag (Anm.: 15.10.2023) in der Leseordnung stehen?
Muss das denn sein, dass wir so komplizierte Bibeltexte im Gottesdienst hören? 
Wo doch die Nachrichten voller Krisen und Probleme sind, kann man da nicht wenigstens am Sonntag sich mit frohen Botschaften im Gottesdienst berieseln lassen? 
Nun - vielleicht zu Weihnachten ;-) 
Ist ja nicht mehr lang hin, die Läden sind ja jetzt schon bereit für die Weihnachtssaison!

Die Bibelverse, die vorgesehen sind und die die Basis dieser Predigt bilden, sind tatsächlich keine leichte Kost. Aber umso wichtiger ist es, dass wir uns darüber Gedanken machen. Es ist zwar möglich, mit einer Art Filter vor den Augen durchs Leben zu gehen und alles Unbequeme einfach auszublenden – aber das ist sicher nicht im Sinne Gottes.

Die Bibel lädt uns immer wieder ein, mit Menschen, deren Lebensgeschichten wir lesen oder hören, genauer hinzuschauen im Leben. Und in diesem Genauer-Hinschauen entdecken wir tiefe Glaubensmomente, sowohl im Leben der Menschen, die in biblischen Geschichten beschrieben sind, als auch im eigenen Leben.

Mose und die Gottesbegegnung auf dem Berg Sinai

Beginnen wir einmal mit Mose am Berg. Aus dem Buch Exodus haben wir gehört/ gelesen, wie Mose sich vom Volk Israel entfernt hatte und auf einen Berg, den Sinai oder auch Gottesberg genannt, gestiegen war.

Damals hatten die Menschen das Weltbild, dass Gott geografisch über der Erde sein muss. Sie wussten noch nichts über den Erdball oder die Konstellation der Planeten im Weltall. Aus Sicht der Bücher Mose im Ersten Testament waren die Menschen unten, also am Boden der Erde, und Gott war weit oben, über den Wolken. Wenn man nun einen hohen Berg hinaufstieg, dann kam man, geografisch gesehen, Gott ein kleines bisschen näher. Und so suchte auch Mose den Berg auf, um sich mit Gott ein bisschen mehr verbunden zu fühlen.

Wie die Erzählung beschreibt, hatte Mose oben am Berg auch Gespräche und Begegnungen mit Gott. Unter anderem würde er hier die 10 Gebote empfangen.

Und die ganze Zeit wartete das Volk am Fuß des Berges. 

Damals gab es natürlich keine Lifte, keine Seilbahnanlagen. Es dauerte länger, auf einen Berg hinaufzugelangen. Da waren auch keine befestigten Wanderwege. Und es gab am Berg weniger Menschen, aber mehr wilde Tiere.

Als nun Mose eine ganze Zeit lang nicht hinunter kam, da machte sich das Volk irgendwann Sorgen. Was sollten sie tun, wenn Mose nicht mehr zurückkehrte? Wer würde ihnen helfen?

In seiner Ungeduld und Sorge versuchte das Volk Israel, die Bräuche der Völker um sie herum nachzuahmen und so vielleicht Gottes Hilfe zu bekommen. Aaron wollte das Volk beschwichtigen und so machte er mit ihnen eine Statue aus Gold – das goldene Kalb, wie wir es heute nennen. Wobei dieses Tierbild wohl eher eine Art Stier war. Der Stier galt damals als Inbegriff von Fruchtbarkeit, Kraft und Wildheit – auch andere Völker verehrten Götter mit Nachbildungen von Stieren, denen Opfer dargebracht wurden.

Aaron und das Volk Israel opferten also diesem goldenen Stierbild und führten allerlei Rituale und Tänze auf.

Abstand suchen zu den Problemen der Welt

Mose bekam von alledem nichts mit; oben am Berg war er fern von all dem Tumult seiner Mitmenschen. Doch Gott wurde zornig. Und Mose, als er vom Berg wieder hinunterstieg, ebenfalls.

Ich möchte diesen Kontrast für einen Moment in Gedanken behalten.

Die Ruhe und Erfüllung oben am Berg, die Mose in der Gegenwart Gottes gefunden hatte – und die Sorgen, Ängste und das Chaos unten im Tal bei den Menschen.

Vielleicht habt ihr das auch schon erlebt, wie es ist, wenn man sich für eine Zeit aus dem Alltag entfernt. Wenn man Abstand sucht und vielleicht auch auf einen Berg steigt. Hier in der Salzburger Gegend ist das ja recht unkompliziert möglich. 

Ich war diesen Sommer ab und zu mal ein paar Stunden wandern und auf den Bergen in der Umgebung. 

Auch ich habe gespürt, wie gut es tut, wenn man den Trubel des Lebens für einige Zeit hinter sich lässt und sich auf den Weg macht. Von oben betrachtet werden die Menschen, die Autos und auch die Häuser ganz klein. Nahezu unbedeutend. Und man sieht das Panorama – die Weite. Mich bringt das zum Innehalten und zum Staunen. Wir Menschen verheddern uns immer wieder in unseren Alltagskrisen. Wir sind oft so umringt vom Tumult, dass es schwer ist, den Blick von uns selbst fort zu richten und die Weite um uns herum wahrzunehmen.

Ich verstehe gut, warum Mose den Abstand und die Höhe des Berges gesucht hat, um Gott näher zu kommen. 

Wahrscheinlich hätte es dem Rest des Volkes Israel gut getan, diese Nähe Gottes auch aufzusuchen, statt sich in Sorgen und Ängsten immer mehr zu verirren.

Krisen und Sorgen sind Teil des Lebens

Die Welt, in der wir Menschen leben, ist geprägt von Sorgen und Krisen. Damals, wie zur Zeit Jesu und wie auch heute. 

Letzten Sonntag (8.10.2023) haben wir uns in Salzburg am Beispiel des Propheten Jesaja angeschaut, wie kreativ Gott ist, wenn es darum geht, uns Menschen zu einer Art des Lebens einzuladen, die uns gut tut. Die Predigt kann hier nachgelesen werden.

Als Christ*innen ist einer unserer wichtigsten Glaubensinhalte, die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus. 

Gott begibt sich in die Sorgen der Welt hinein

Gott bleibt nicht in hoher Ferne, sondern Gott kommt uns Menschen in Jesus ganz nah. Er sucht unsere Nähe, um uns auf seine Wege der Nächstenliebe einzuladen.

Wie wir aber aus dem Evangelium heraushören können, ist auch das nicht immer ganz einfach. Im Matthäusevangelium, Kapitel 22, finden wir ein Gleichnis, das Jesus in Jerusalem gelehrt hat, schon relativ nah am Ende seines Wirkens als Mensch auf dieser Erde.

Die Geschichte vom großen Gastmahl

Das Gleichnis handelt von einem Hochzeitsfest. Ein Gastgeber lädt ein – doch die Gäste lehnen die Einladung ab. Für den Gastgeber ist das eine Krise. So werden einfach alle eingeladen – gut und böse, ganz egal! Hauptsache, das Fest kann gefeiert werden und das Ansehen ist nicht ganz beschädigt. Bis der Gastgeber merkt, dass ein Gast nicht einmal für die Hochzeit gekleidet ist. Dieser respektlose Gast wird kurzerhand rausgeworfen und dem Heulen und Zähneklappern überlassen.

Was meint Jesus mit diesem Gleichnis? Wie sollen wir es verstehen?

Die einfache Interpretation

Eine geläufige und recht einfache Interpretation dieses Gleichnisses sagt uns: Mit dem Gastgeber ist Gott gemeint. Das Hochzeitsfest ist die Vermählung Jesu mit seiner Kirche (die ja auch als Braut bezeichnet wird) in alle Ewigkeit. Wer eingeladen wurde und nicht kommen möchte, hat Pech gehabt. Der/die hat die Chance auf Gottes Ewigkeit verpasst. Wer gekommen ist, aber sich nicht passend angezogen oder aufgeführt hat, hat auch Pech gehabt. Auf ihn/ sie warten ewige Verdammnis. 
Darum ist es wichtig, auf Gottes Einladung zu achten und mit ihm durchs Leben zu gehen.

Das wäre eine Art, dieses Gleichnis zu verstehen und es auf das eigene Leben anzuwenden. Wer mich kennt, weiß vielleicht, dass mir diese einfachen Deutungen oft zu oberflächlich sind. 
So möchte ich auch zu diesem Gleichnis Jesu eine etwas tiefgründigere Deutung mit euch teilen – ob sie euch überzeugt oder nicht, ist natürlich euch überlassen.

Die Interpretation, die sich in den letzten Jahren entwickelt hat, in Reaktion auf "Empire Theology"

In den letzten Jahrzehnten hat sich in der Theologie einiges verändert. Auch dieses Gleichnis wurde aus neuen Perspektiven betrachtet.

Es ist nämlich nicht ganz so selbstverständlich, wie wir denken, dass mit dem Gastgeber dieses Festes Gott gemeint ist.
Der Gastgeber ist ein König. Und die Menschen, die Jesus damals zugehört hatten, haben bei dieser Erzählung wahrscheinlich zunächst irdische Könige oder Herrscher vor Augen gehabt. Wenn dem Herrscher nicht gehorcht wurde, dann drohten Konsequenzen. Im Gleichnis ließ der König die ungehorsamen Bürger umbringen und ihre Dörfer anzünden. Und das ist nicht ein Verhalten oder ein Bild, das ich so unbedingt mit Gott in Verbindung bringen möchte. 

Schon in der Lesung aus Exodus haben wir gemerkt, dass Gott zwar zornig wird, aber dass er diesen Zorn nicht am Volk Israel auslässt. Im Gespräch mit Mose wird Gott besänftigt. Letzten Sonntag hatten wir die Lesung vom Propheten Jesaja, der von Gott berufen wurde, als das Volk Gott zornig gemacht hatte. Gott findet Menschen, die für ihn einstehen und mit den Mitmenschen nach Lösungen der Konflikte suchen. Natürlich sind diese Lösungen nicht immer perfekt – aber Gott ist nicht der willkürliche Herrscher, der seine Macht durch Gewalt zeigt. 

Wenn der König im Gleichnis also nicht für Gott steht, sondern wenn Jesus ihn als Beispiel für Unterdrücker und Herrscher zu seiner Zeit verwendet, was will uns Jesus dann eigentlich mit dem Gleichnis sagen?

Und da fällt uns vielleicht noch der Gast auf, der nicht richtig gekleidet erscheint; der kein Hochzeitsgewand trägt. 

Weshalb ist er da?

Kann es sein, dass er die eigentliche Hauptgestalt des Gleichnisses ist? Er, der gegen den König Widerstand leistet, der den Mut hat, so zu erscheinen wie er ist – er leistet eine Art stillen oder friedlichen Protest in diesem Szenario. Er ist da, aber er unterwirft sich nicht. 
Am Ende wird er vom Fest ausgeschlossen.

Spricht Jesus an dieser Stelle von sich selbst?

Deutet er hier seinen Jüngern schon an, dass der Messias selbst leiden wird? Und dass Gott auf der Seite derer steht, die unter den Systemen der Herrscher leiden?

Mir persönlich ist diese Deutung verständlicher als das Gleichsetzen Gottes mit dem unbarmherzigen König.

Gott ist auf der Seite der Unterdrückten

Am heutigen Sonntag erinnern sich Methodist±innen weltweit daran, dass Gott auf der Seite der Armen und der Unterdrückten ist; dass Gott ihnen beisteht und ihnen Kraft schenkt; dass auch unsere Aufgabe darin liegt, in den Krisen nicht die Schultern hängen zu lassen, sondern den Leidenden beizustehen.

Wir sind gesegnet mit dem Glauben und der Zuversicht, dass Gott es gut mit uns meint; dass auf Leiden und Tod Auferstehung und neues Leben folgen werden; dass Gott auch die schlimmsten Situationen zu Zeichen der Hoffnung werden lässt.
Und diese Zeichen der Hoffnung können wir auch heute schon in unserer Welt erkennen – wenn wir nicht nur die Schreckensnachrichten der Medien konsumieren, sondern uns auch mit guten Nachrichten erfüllen lassen. 

Gute Nachricht inmitten der aktuellen Krisen

Ich habe in Großbritannien einen anglikanischen Priester kennengelernt, der viel Zeit im Irak und in Israel verbracht hat: Canon Andrew White. Vor einigen Tagen hat er auf seiner Facebook-Seite verkündet, dass er im Gespräch und im Gebet verbunden ist mit dem Mann, der die Hamas vor Jahren gegründet hat. Der inzwischen seine Ansichten geändert hat und nun mit Andrew White gemeinsam betet für Frieden zwischen Christ*innen, Jüd*innen und Muslim*innen. Der sagt, er wird nicht aufhören, sich für Frieden einzusetzen, bis alle Menschen in Gottes Frieden miteinander leben. 
Beten wir für ihn und für mehr Gespräche dieser Art.

Hören wir hin und suchen wir uns ganz bewusst diese Arten von Nachrichten, die in unseren Massenmedien viel zu oft untergehen. 

Gottes Gnade wirkt Wunder – auch in den Krisen unserer Zeit. Amen.

Das Kleingedruckte/ Anmerkungen der Predigerin:

Die neue Interpretation des Gleichnisses wird von Theolog*innen wie Nadia Bolz-Weber zitiert (https://thecorners.substack.com/p/god-doesnt-have-a-fragile-ego) und vertreten, von derzeit einflussreichen Theologen wie z.B. Marty Aiken, James Alison ("Raising Abel"), Frederick A. Niedner,  Raymund Schwager und Andrew Marr.

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