Hilft beten?
Faith Impulse
Pastor, Superintendent
Beten prägt und verändert
Beten prägt. Es verändert, wer ich bin. Und Beten gibt Halt. Es lässt mich Wurzeln schlagen, wie ein Baum in der Erde.
Das sind zwei Erfahrungen, über die ich heute sprechen möchte. Das heutige Evangelium hilft mir dabei zu verstehen, wie hier Gottes Wirken und mein Zutun zusammen kommen.
»Mit dem Reich Gottes«, so erklärte Jesus »ist es wie mit einem Bauern,
der die Saat auf seinem Acker ausgestreut hat.
Er geht schlafen, er steht wieder auf – ein Tag folgt dem anderen –
und die Saat geht auf und wächst – wie, das weiß er selbst nicht.
Ganz von selbst – von allein - bringt die Erde Frucht hervor:
zuerst die Halme, dann die Ähren
und schließlich das ausgereifte Korn in den Ähren.
Sobald die Frucht reif ist, lässt er das Getreide schneiden;
denn die Zeit der Ernte ist gekommen.«
Jesus erzählt da von einem Bauern, der Samen aufs Feld streut. Dann geht er schlafen, steht wieder auf, geht wieder schlafen, usw. Er kann nicht viel mehr tun als zu warten. Denn dass die Saat aufgeht und wächst, liegt nicht in seiner Hand. Es geschieht ganz von allein.
Für mich ist dieses Gleichnis ein wunderbares Bild dafür, wie Gottes Wirken mit menschlichem Zutun zusammenspielen. Da gibt es Dinge, die ich selbst tun kann. Beten, zum Beispiel. In der Bibel lesen. Den Gottesdienst besuchen. Das Abendmahl feiern. Mit anderen über den Glauben reden. Und vieles mehr.
Gnadenmittel als Samenkörner
„Gnadenmittel“ heißen diese Dinge in der Tradition der evangelisch-methodistischen Kirche. Gnadenmittel sind Handlungen, die ich tun kann, um mich von meiner Seite her für Gottes Wirken zu öffnen. Es sind Samenkörner, die ich aufs Feld streuen kann. Oder die Tür, die ich Gott als meinem Gast öffnen kann.
Das andere – dass die Saat aufgeht und wächst – liegt nicht in meiner Hand. Ich kann es nicht erzwingen. Aber das Gleichnis Jesu ist eine Verheißung: Ich kann darauf vertrauen, dass es geschieht. Vielleicht nicht immer so schnell, wie ich es mir wünsche. Gnadenmittel sind keine Getränkeautomaten, bei denen ich oben eine Münze reinwerfe, und unten kommt sofort mein Getränk.
Gebete sind – wie alle Gnadenmittel – wie Samenkörner, die wir auf einen Acker streuen und die zu wachsen beginnen. Langsam vielleicht, so langsam, dass man es erst gar nicht sieht. Doch wenn der Boden gut ist, wachsen sie ganz von allein. Nach unten, um Wurzeln zu schlagen. Und nach oben, sodass wir ihre Blätter und Früchte sehen können.
Gebet sind wie Samenkörner, die wir auf einen Acker streuen, und die zu wachsen beginnen.
Ich möchte zwei Geschichten erzählen, um das zu verdeutlichen:
Halt in einer Zeit der Umbrüche
Der Methodismus – also die Tradition meiner Kirche – ist im 18. Jahrhundert in England entstanden. Das war eine Zeit großer gesellschaftlicher Umbrüche. Einerseits fällt in diese Zeit der Beginn der Aufklärung. Die Vorstellungen davon, wie die Welt funktioniert, waren bislang v.a. von den biblischen Überlieferungen geprägt. Nun wurden viele dieser Vorstellungen durch neu entwickelte Wissenschaften zunehmend in Frage gestellt.
Vor allem aber war das 18. Jahrhundert vom Beginn der Industrialisierung geprägt. Die Dampfmaschine wurde erfunden, und in kurzer Zeit wurden unzählige Fabriken gebaut. Für den Betrieb der Dampfmaschine wurden Unmengen an Kohle gebraucht. So sind auch große Kohleminen entstanden.
Unzählige Menschen, die in bäuerlichen Strukturen lebten, sind damals zu den Fabriken und Minen gezogen. So sind große Arbeiterslums entstanden, in denen es viel Elend gab. Die „offizielle Kirche“ – die in England dem König unterstand – hat auf diese Entwicklungen oft keine Antworten gehabt. So gab es auch religiös viele Notstände. Es fehlte in den Arbeiterslums an Seelsorgern und anderen kirchlichen Strukturen, in denen Menschen Halt und Orientierung finden konnten.
In dieser Zeit hat eine Gruppe von Studenten begonnen, neue Wege auszuprobieren. Sie haben versucht, den Glauben wieder stärker mit ihrem Leben zu verbinden.
Einerseits haben sie begonnen, ganz regelmäßig die Gnadenmittel zu gebrauchen. Sie haben diszipliniert ihre Gebetszeiten eingehalten, Bibel gelesen, den Gottesdienst besucht, das Abendmahl gefeiert, gefastet, usw.
Und sie haben ebenso diszipliniert begonnen, ihren Glauben in die Tat umzusetzen, indem sie sich um armutsbetroffene, kranke oder inhaftierte Menschen oder um Kinder gekümmert haben. Ein solches „soziales Engagement“ war zu dieser Zeit keineswegs selbstverständlich.
Der Spottname “Methodisten“
Wegen ihrer strengen Disziplin haben sie den Spottnamen „Methodisten“ bekommen. Die mit den komischen Methoden.
Immer mehr Menschen haben sich dieser Gruppe angeschlossen. Es waren vor allem Menschen, die in den Arbeiterslums gelebt haben. Menschen, die in dieser Umbruchszeit jeden Halt und jeden Glauben an die Zukunft verloren haben.
Sie haben gefragt: Was kann ich tun, damit ich wieder Halt in meinem Leben finde? Was kann ich tun, damit Gott mich rettet?
Die Methodisten haben diesen Menschen drei einfache Regeln an die Hand gegeben.
Drei einfache Regeln
- Mach nichts, was Schaden anrichtet. Wenn du ein Familienvater bist, dann versauf nicht den Lohn, mit dem du deine Familie versorgen solltest.
- Tue Gutes – soviel es deinen Möglichkeiten und deiner Kraft entspricht.
- Gebrauche die Gnadenmittel. Bete. Lies in der Bibel. Geh in den Gottesdienst und höre dir Predigten an. Nimm am Abendmahl teil. Und vor allem: Mach es regelmäßig!
Diese drei einfachen Regeln sind in jener Zeit für zigtausende Menschen zu einem Rettungsanker geworden, der ihr Leben nachhaltig verändert hat.
In einer sich völlig verändernden Welt, in der sie jeden Halt verloren hatten, waren es die Samenkörner, die sie auf dem Acker ihres Lebens ausstreuen konnten. Die Samen haben Wurzeln gebildet, so dass sie wieder Hoffnung und Halt gefunden haben. Und es sind Pflänzchen aus der Erde gewachsen, die gute Früchte hervorgebracht haben. Menschen wurden verändert und damit auch die Art, wie sie miteinander umgingen.
Böses meiden, Gutes tun, und regelmäßig die Gnadenmittel gebrauchen: Das hat ihrem Leben neuen Halt gegeben.
Böses meiden, Gutes tun, und regelmäßig die Gnadenmittel gebrauchen
hat unzähligen Menschen Halt gegeben.
Ein Strahlen von Innen
Meine zweite Geschichte handelt von einer alten Frau, die ich bis zu ihrem Tod oft besucht habe. Sie war die Witwe eines Pastors, und sie hat ihr ganzes Leben lang viel gebetet. Zu ihrem Gebet hat immer auch das Lob Gottes gehört.
Als ich sie kennengelernt habe, war sie schon weit über 90. Das Leben war schon recht mühsam. Trotzdem hat sie immer ein leuchtendes Strahlen in den Augen gehabt.
Wenn ich zu Besuch gekommen bin, war dieses Strahlen am Anfang erst nur schwach zu sehen. Sie musste sich erst einmal verschiedene Dinge von der Seele reden. Nach einer Weile hat sie aber immer gesagt. „So, und jetzt hören wir auf zu klagen. Jetzt wollen wir beten.“ Dann hat sie gebetet und Gott für alle möglichen Dinge gelobt. Und ich, so gut ich konnte, mit ihr.
Wenn wir mit dem Gebet fertig waren, war ihr Strahlen wieder klar und deutlich da. Aus dem tiefsten Inneren hat es aus dieser fast 100-jährigen Frau heraus geleuchtet. Wie eine Pflanze im Licht der Sonne aufblüht, so ist sie durchs Gebet neu aufgeblüht – auf eine wunderschöne Weise.
Hilft beten auch heute?
Auch für mich ist das Gebet ein wichtiger Halt im Leben geworden. Wir leben heute in einer Zeit, in der sich auch vieles ändert. Die Welt, in der ich groß geworden bin, gibt es schon lange nicht mehr: eine Welt ohne Handy, Internet, KI, und ständige Nachrichten in Echtzeit über Krisen und Kriege.
Ich kann sagen: Ich brauche in meinem Leben regelmäßige Zeiten des Gebets, weil beten mir Halt gibt.
Beten ist ja eines der einfachsten Dingen. Beten kann jeder.
Wir können es gleich jetzt machen. Ich lade sie ein, wenn sie möchten, mit mir ein sehr altes Gebet zu beten. Es ist der Psalm 23 – ein Gebet, das sie vielleicht sogar auswendig können.
Der Herr ist mein Hirte,
mir wird nichts mangeln.
Er weidet mich auf einer grünen Aue
und führet mich zum frischen Wasser.
Er erquicket meine Seele.
Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück;
denn du bist bei mir,
dein Stecken und Stab trösten mich.
Du bereitest vor mir einen Tisch
im Angesicht meiner Feinde.
Du salbest mein Haupt mit Öl
und schenkest mir voll ein.
Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang,
und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.
Amen
Ein wunderschönes Gebet. Mit Worten, die ich mir nicht einmal selbst ausdenken muss.
Beten ohne Worte
Beten heißt für mich aber gar nicht unbedingt, besonders viel zu reden.
Beten bedeutet aus meiner Sicht oft sogar eher: Still werden, zur Ruhe kommen. Es bedeutet, hinzuhören. Was liegt mir auf dem Herzen, was bewegt mich? Wofür bin ich dankbar? Was bedrückt mich?
Manchmal brauche ich dafür zwar zuerst Worte. Worte, mit denen ich mir von der Seele rede, was mich bedrückt. Eigene Worte – oder Worte anderer, wie den Psalm, den wir gerade gebetet haben. Das eigentliche Ziel meines Gebets ist aber nicht, Gott zu erklären, was mich bewegt, oder was Gott tun sollte. Das weiß Gott eh. Das eigentliche Ziel meines Gebets ist, dass ich schließlich still werden kann. Still, um zu warten, was in der Stille geschieht.
So wie der Bauer im Gleichnis muss ich geduldig warten, dass etwas wächst.
Das nämlich, dass ich in die Tiefe wachse, um Wurzeln zu schlagen, und in die Höhe, um gute Früchte zu bringen, liegt nicht in meiner Hand.
Doch ich denke, ich habe es bereits erfahren: Wenn ich im Gebet regelmäßig säe, und dann loslasse und warte, geschieht es – wie beim Samen im Acker – ganz von allein. Amen.
Ich habe es bereits erfahren: Wenn ich im Gebet regelmäßig säe, und dann loslasse und warte, geschieht es – wie beim Samen im Acker –
ganz von allein.
Glaubensimpulse