Karfreitag: Der Tag, an dem Gottes Herz offen lag
Faith Impulse
Pfarrer i.R. (Baptist)
Karfreitag ist der Tag, an dem Gottes Herz offen lag
Nirgend sonst hat Gott sich in dieser unvergleichlichen Art tiefer ins Herz schauen lassen.
Nirgend sonst hat sich Gott so verletzlich gemacht.
Nirgend sonst hat Gott es auf solche Weise mit sich geschehen lassen, dass der hässlichste Bodensatz von dem, was Menschen anderen antun können, sein Innerstes infizierte und eitern ließ.
Karfreitag ist der Tag, an dem Jesus Christus, der einzig geliebte Sohn des Vaters, am Kreuz stirbt und der Vater den bitteren Tod seines Sohnes miterleidet.
Was da geschieht, sprengt jede Logik und überfordert das Bild von Gott, das wir von Natur aus mit uns herumtragen. Darum sagt ja auch Paulus (1. Korinther 1,22-23): „Die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach Weisheit, wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit.“
Wenn wir Gott ins offene Herz schauen, dann sehen wir Liebe, die auch den letzten Schritt in den Schmerz und in die Todesangst nicht scheut.
Schon die Schriften des Alten Testaments nehmen uns hinein in das Leiden Gottes an seinem Volk. Aber wie weit Gott dabei zu gehen bereit ist, zeigt ein Text aus Jesaja 53. Er spricht über einen, der Gottesknecht genannt wird – und wir erkennen in ihm Jesus Christus. Dieser Gottesknecht erscheint als ein enger Vertrauter Gottes. In seinem Wirken kann Gott seinem Herzen freien Lauf lassen (Jesaja 53,4-5): „Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“
Gott kommt bittend. Er klopft an unsere Tür und tritt sie nicht mit Füßen ein. Gott kommt nicht von oben, sondern von unten. Gott will, dass die Angst, die wir vor ihm haben, weicht und vertrauensvolle, dankbare Liebe aus unserem Innersten emporsteigt. Wenn wir Gott ins offene Herz schauen, dann sehen wir … Liebe, die auch den letzten Schritt in den Schmerz und in die Todesangst nicht scheut.
Wenn wir Gott ins offene Herz schauen, dann sehen wir Liebe, die so ernsthaft um uns ringt, dass sie nicht leichtfertig mit unserer Schuld umgeht, sondern das Übel an der Wurzel packt.
Immer wieder sind wir befremdet und rätseln: Musste das sein? Gab es selbst für den allmächtigen, vollkommen liebenden Gott keinen anderen Weg zu unserer Versöhnung und unserem Heil, als durch das entsetzliche Geschehen an Karfreitag? Konnte Gott nicht einfach vergeben? – einfach so?
Gottes Vergebung ist anders als Vergebung zwischen Menschen. Wenn Gott vergibt, dringt er vor bis in den tiefsten Grund. Menschliche Vergebung ist immer eine „Zwischenlagerstätte“ für Schuld und Unrecht, auch für den Schaden, der Menschen und Schöpfung zugefügt wurde. Wenn Gott vergibt – ja, die Schuld der ganzen Welt vergibt, dann ist das eine „Endlagerstätte“, mehr noch: die „Beseitigung“ der Schuld.
Darum hat Gott eine vollkommene, bis in die letzten Wurzelspitzen bereinigte Versöhnung geschaffen. Das übersteigt unsere Logik. Doch genau deshalb übersteigt auch der Friede, der uns angeboten wird, alles menschliche Denken.
Wenn wir Gott ins offene Herz schauen, dann sehen wir Liebe, die so ernsthaft um uns ringt, dass sie nicht leichtfertig mit unserer Schuld umgeht, sondern das Übel an der tiefsten Wurzel packt.
Ein Drittes: Wenn wir Gott ins offene Herz schauen, dann sehen wir Liebe, die bereit ist, auf jede Gerechtigkeit und Ehre zu verzichten und es zu ertragen, als verabscheuenswürdig hingestellt und missdeutet zu werden.
Die Kreuzigung galt in römischer Zeit als Hinrichtungsart für Sklaven. Sie war so entwürdigend, dass sie nicht an Menschen vollzogen werden durfte, die die römische Staatsbürgerschaft besaßen. Die Kreuzigung war eine Zurschaustellung, bei der jeder Rest an Menschenwürde lustvoll zerstört wurde. Und so einen Tod ist Jesus gestorben.
An Karfreitag hat die Lüge triumphiert. Das war für Jesus so unerträglich wie die körperlichen Qualen. Ein ganzes Leben voller Leidenschaft für Gott und für die Menschen, das pulsiert hat vor Erbarmen und edelsten Absichten – alles in den Schmutz getreten, alles verhöhnt.
Doch über dem unfassbaren Geschehen steht doch etwas, das letztlich jeder und jede verstehen kann: die Kluge und der Einfache, der Hohe und die Niedrige, ein Kind, ein behinderter Mitmensch: jeder und jede kann es verstehen: für mich … aus Liebe … nicht zu begreifen, aber zum Ergreifen.
Wie ein Stück Brot können wir es nehmen und unseren tiefsitzenden nagenden Hunger damit stillen. Wie einen Becher Wasser, der uns an die ausgedörrten Lippen gehalten wird, können wir davon trinken.
Wenn wir Gott ins offene Herz schauen, dann sehen wir Liebe, die bereit ist, auf jede Gerechtigkeit und Ehre zu verzichten und es zu ertragen, als verabscheuenswürdig hingestellt und missdeutet zu werden.
Hören wir es mit noch einmal mit den geheimnisvollen Worten aus dem Mund des Propheten (Jesaja 52+53 Auswahl)
52 „13Seht her, mein Knecht wird Erfolg haben. 53 „1Wer hätte für möglich gehalten, dass der Herr / an einem solchen Menschen seine Macht zeigt? / 2Er wuchs vor seinen Augen auf wie ein Spross, / wie ein Trieb aus trockenem Boden. / Er hatte keine Gestalt, die schön anzusehen war. / Sein Anblick war keine Freude für uns. / 3Er wurde von den Leuten verachtet und gemieden. / Schmerzen und Krankheit waren ihm wohl vertraut. / Er war einer, vor dem man das Gesicht verhüllt. / Alle haben ihn verachtet, / auch wir wollten nichts von ihm wissen. 4In Wahrheit (aber) hat er unsere Krankheiten getragen / und unsere Schmerzen auf sich genommen. / Wir aber hielten ihn für einen Ausgestoßenen, / der von Gott geschlagen und gedemütigt wird. / 5Doch er wurde gequält, weil wir schuldig waren… Er wurde misshandelt, weil wir uns verfehlt hatten. / Er ertrug die Schläge, damit wir Frieden haben. / Er wurde verwundet, damit wir geheilt werden. / 6Wir hatten uns verirrt wie Schafe. Aber der Herr lud all unsere Schuld auf ihn. / 7Er wurde misshandelt, aber er nahm es hin. / Er sagte kein einziges Wort. / Er blieb stumm wie ein Lamm, / das man zum Schlachten bringt. / Wie ein Schaf, das geschoren wird, / nahm er alles hin und sagte kein einziges Wort.“
An einer Stelle wissen wir mehr als der Prophet. Er sagte doch noch ein Wort:
„Es ist vollbracht!“
Amen.