Pink Floyd und die Sünde Ein theo­lo­gis­cher Deu­tungs­ver­such

Faith Impulse

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Bernhard Lasser

Laienprediger


Ein theologischer Deutungsversuch des Sündenverständnises in Pink Floyds Album "The Wall", aus der Langen Nacht der Kirchen in Fünfhaus

Liebe Besucher*innen der Langen Nacht der Kirchen,

Pink Floyd erzählen in ihrem Album „The Wall“ die Geschichte von Pink. Es geht um einen bekannten Musiker, der von seinen Fans immer entfernter wird. Bei dem großen Auftritt zu dem all die Fans gekommen sind, ist er nicht wirklich da. Eine Ersatzband tritt auf. Pink baut eine immer größere imaginäre Mauer um sich herum auf, die ihn vor emotionalen Einflüssen schützen soll. 

Lied: In the Flesh 

(Externes Video)

Der Grund dafür liegt in seiner Biographie: Er wird von seiner Mutter überbehütet, sein Vater ist im Krieg gefallen, er hat unglückliche Liebesaffären und wird von seiner Partnerin betrogen. In allen Bereichen seines Lebens wird er immer stärker von den Menschen entfremdet, die ihm am nächsten stehen und letztendlich wird er dabei immer auch von sich selbst entfremdet.

Lied: When the tigers broke free

(Externes Video)

Auch die Lehrkräfte in seiner Schulzeit verwendeten grausame Bestrafungsmethoden. Manche Lehrer unterstützten die Schülerinnen und Schüler nicht beim Selbstständig Denken, das was sie machten, war Dressur und nicht Pädagogik.

Lied: Another brick in the wall (Part 2)

(Externes Video)

Mit all diesen Erfahrungen wird die Mauer größer. Die Mauer, die Pink aufgebaut hat, bewirkt aber auch, dass er an seiner Existenz verzweifelt, weil er abgeschirmt von sozialen Kontakten ist. Er lässt niemanden mehr an sich heran, er ist sehr distanziert. Menschen, mit denen er Kontakt sucht, werden ihm fremd. Genauso wird er sich selbst fremd. Er schätzt die Welt als grausam ein, zieht sich noch weiter in sich zurück und versucht, sich mit Drogen zu betäuben.

Lied: Good by cruel world

(Externes Video)

Mit steigendem Drogenkonsum kann er immer weniger zwischen Realität und Wahn unterscheiden. Schließlich nehmen Drogenfantasien überhand und er sieht sich als totalitären Agitator, der gegen Minderheiten hetzt. Zum Totalitarismus muss den Würmern gefolgt werden. Pink Floyd verweisen dabei sowohl auf den Nationalsozialismus als auch auf die imperialistische Vergangenheit Großbritanniens.

Pink erkennt seine Fehler und schreit Stop!

Schlussendlich klagt Pink sich in seinem Wahn vor einem Gericht an, weil er die Gefühle nicht vollständig unterdrücken kann. Dabei sind als Zeug*innen seine Mutter, der Lehrer und seine Ex-Frau.

Lied: The Trial

(Externes Video)

Es wird erkennbar, wie ähnlich er den Menschen geworden ist, die ihn verletzt haben. Insbesondere wenn die Mauer fällt, ist er vor seinesgleichen bloßgestellt. Er wurde, wie er es immer abgelehnt hatte zu sein – wie sein Lehrer, wie seine kontrollsüchtige Mutter, und wie seine Ex-Frau, die ihn betrogen hatte.

Das letzte Lied von „The Wall“ hat einen sehr berührenden Text:

Lied: Outside the wall

(Externes Video)

Die Hoffnung wird von Pink Floyd auf die Kunst gesetzt, die Menschen die Pink wirklich lieben, können durch die Mauer zu ihm durchdringen. Die mit blutenden Herzen und die Künstler*innen feiern Pink so, wie er ist. Sie feiern die Differenzen, Pink wird von ihnen geliebt wie er ist. Er muss nicht mehr nach Macht über andere streben, da er nun so angenommen wird, wie er ist.

Die Deutung von Pink Floyds „The Wall“, die ich im folgenden Vortrag entwickle, ist eine christliche Deutung. Dieser Deutung würden Pink Floyd nicht zustimmen, da für sie Religion Teil des gesellschaftlichen Verblendungszusammenhangs ist und mit einem falschen Bewusstsein einhergeht. Der Versuch, „The Wall“ christlich zu deuten ergibt nur Sinn, wenn diese grundlegende Prämisse, Pink Floyd derart zu deuten, akzeptiert wird.

Pink Floyds „The Wall“ ist ziemlich pessimistisch, im Album stellt sich die Frage, ob es sich bei dieser Geschichte um einen Kreislauf handelt. Dann würde nach dem Einreißen der Mauer diese wieder aufgebaut werden und es immer so weitergehen. Die Band übt damit Kritik an einer Gesellschaft, in der es nur noch auf das Funktionieren von Menschen ankommt. Menschliche Bedürfnisse kommen oft zu kurz und die Menschen leiden darunter. Statt sich auf Gemeinschaft und liebevolle Zuwendung einzulassen bauen Menschen Mauern um sich, die sie schützen sollen. Die Kritik Pink Floyds ist immer noch aktuell, die Situation hat sich mit einer neoliberalen Wirtschaft noch verstärkt. Menschen werden nun als Unternehmer ihrer selbst verstanden, wenn sie scheitern, ist das ihre eigene Schuld. Aus dieser so konstruierten Selbstverantwortung folgt, dass staatliche Unterstützung möglichst gering gehalten wird. Schließlich seien die Menschen selbst schuld an ihrem Versagen. Menschliche Nähe wird vermieden, wo es nur mehr um das Funktionieren in der Gesellschaft geht.

Was Pink nicht erfahren hat ist Liebe. Eine Liebe, die ihn stärkt und unterstützt, und in der er erkennen kann, was ihm gut tut und was nicht. In der er seine Grenzen kennen lernt und einfordert. Die Formen von Liebe, die Pink erfahren hat, konnten nicht dazu führen, dass er sich selbst kennen und lieben lernt. Die Flucht vor den eigenen Gefühlen ist keine Lösung, sie macht alles schlimmer. Die Frage, ob die eingestürzte Mauer eine wirkliche Befreiung ist, beantworten Film und Album anders. Im Album entsteht der Eindruck, dass nach der eingerissenen Mauer eine neue Mauer aufgebaut wird. Im Film wird das so nicht gezeigt. Es wird aber auch nicht gezeigt, wie es nach der eingerissenen Mauer weitergeht. Der Film endet mit der eingerissenen Mauer. Der Text des letzten Liedes vermittelt den Eindruck, dass Pink nun zum ersten Mal so geliebt wird wie er ist – von den Künstler*innen und den Menschen mit blutenden Herzen.

Warum Pink die Mauern errichtet hat, ist nachvollziehbar. Es handelt sich dabei um einen Schutzmechanismus. Zumindest vorläufig war der Schutz immer notwendig. Dieser Schutz kann notwendig sein, wenn die Angst groß wird. Die Frage ist, wie wir mit der Angst und der Mauer umgehen. Eine Antwort darauf finden Christinnen und Christen in dem Buch der Psalmen, einem Gebetsbuch, das sich in der Bibel befindet. In Psalm 18 heißt es, dass ich mit meinem Gott Mauern überspringen kann. Gott gibt Kraft, die Mauern zu überwinden. Es handelt sich dabei um ein Geschenk Gottes. Liebe, Beziehung, Vertrauen. Da wo diese wachsen, ist es möglich, Mauern zu überwinden. Allerdings wird es oft nicht möglich sein, Mauern einzureißen. Manche Mauern bleiben, dann geht es darum, einen Umgang damit zu finden.

Jesaja ist einer der Propheten vor Jesus. Für Jesaja (59,2) ist die Mauer das, was als Sünde zwischen Gott und Mensch steht. Die Sünde greift in die Beziehung des Menschen mit Gott ein, diese Verbindung wird durch die Sünde gestört, es wird eine Mauer zwischen Gott und dem Menschen errichtet. In „The Wall“ können wir sehen, wie die Mauer zu Grenzen zwischen Menschen wird und Menschen vereinsamen lässt. Auch das kann als Sünde verstanden werden. Jesus formuliert das sogenannte Doppelgebot der Liebe: Das höchste Gebot ist das:

„Höre, Israel,        
der Herr, unser Gott, ist der Herr allein,       
und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben
von ganzem Herzen, von ganzer Seele,        
von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft“ (5. Mose 6,4-5).  
Das andre ist dies:
„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (3. Mose 19,18).  
Es ist kein anderes Gebot größer als diese.

Das Doppelgebot der Liebe hängt zusammen, Gott zu lieben ist verbunden damit, den oder die Nächste wie sich selbst zu lieben. Diese beiden Gebote sind für Jesus die wichtigsten Gebote: Liebe Gott von ganzem Herzen, mit ganzem Verstand und all deiner Kraft – und deine Nächsten wie dich selbst. Auch die Selbstliebe darf hier nicht vergessen werden. Meine Beziehung zu Gott ist verbunden mit meiner Beziehung zu meinen Mitmenschen, in ihnen sehe ich Gottes Ebenbild. Ich versuche, anderen Menschen als Gottes Ebenbilder, als von Gott geliebte Menschen zu begegnen.    
Als Menschen sind wir angewiesen aufeinander. Um mich selbst verstehen zu können bin ich angewiesen auf andere Menschen. Martin Buber, ein jüdischer Religionsphilosoph und Erziehungswissenschaftler betonte, dass das Ich nur am Du zum Ich wird. Wenn ich so über das Doppelgebot der Liebe denke, dann ist auch das Sünde, was die Beziehung zwischen Menschen, zwischen den Ebenbildern Gottes, stört. 

Im Umgang miteinander kommt es oft zu Verletzungen. Auch gute Absichten ändern nichts daran, dass es zu diesen Verletzungen kommt. Mein Handeln bewirkt, dass andere Mauern bauen müssen. Und Menschen deuten sich selbst sehr verschieden, es ist von Mensch zu Mensch verschieden, was als Verletzung, Einengung oder ähnliches verstanden wird. Auch das hat viel mit der eigenen Biografie zu tun. Da, wo Beleidigungen absichtlich geschehen, wird versucht, durch Herabsetzung und Nicht-Anerkennung der oder des Anderen das eigene Selbst zu stabilisieren. Jedoch entzieht man sich selbst so auch die Anerkennung der oder des Anderen, die Beziehung ist also auch in dieser Hinsicht gestört. Zum Ich werde ich nur am Du, und so fällt durch Herabsetzung und verweigerte Anerkennung beides weg.

Wichtig ist hier auch die Schuld. Der Mensch ist frei, und auch wenn wir nicht alle Zusammenhänge verstehen, gibt es eine Verantwortung für das eigene Handeln. Die Frage nach Beweggründen des eigenen Handelns führt zur Verantwortung, und diese möglicherweise zum Eingeständnis eigener Schuld. Es ist ein Unterschied zwischen Sein und Sollen. Ich möchte gut mit Menschen umgehen und doch kommt es zu Verletzungen. Meine Beweggründe passen nicht dazu, wie andere Menschen eine Situation und sich selbst sehen. Mein Handeln führt dazu, dass Mauern aufgebaut werden. Die religiöse Deutung der Schuld wird als Sünde bezeichnet. Letztendlich komme ich durch mein eigenes Nachdenken dazu, eigene Handlungen oder eigenes Denken als Sünde einzuschätzen. Ich verstehe mich selbst in der Gebrochenheit meines Handelns und durch die Gebrochenheit meines Handelns. In dem, wie ich andere verletzt habe. Die Erfahrungen von Schuld werden wenn ich sie als Sünde verstehe in meine Beziehung zu Gott hineingenommen. Zu Gott kann ich kommen, wie ich bin, mit all meiner Schuld. Auf Gott kann ich vertrauen.

Wenn es zu Mauern gekommen ist, stellt sich die Frage, wie damit umgegangen werden kann. So kann beispielsweise um Verzeihung gebeten werden. Diese kann nur vom verletzten Menschen gewährt werden. Verzeihung oder Entschuldigung – so sie denn geschehen – kommen immer nach den entstandenen Verletzungen. Das, was geschehen ist, wird damit nicht mehr verändert. Aber es kommt damit in einen anderen Blickwinkel. Es ist nicht mehr trennend. Damit kann ein neuer Anfang versucht werden. Verzeihung ist immer freiwillig, und auch wo der Wille dazu besteht, heißt das nicht, dass sie gelingt und eine Freundschaft oder Beziehung weitergeht wie bisher. Um Verzeihung bitten zeigt Bereitschaft zuzugeben, an der Mauer mitgewirkt zu haben, die wer Anderer brauchte. Vielleicht ist mit der Bitte um Verzeihung ein Neuanfang möglich. Ein neuer Umgang mit oder der Zusammenbruch der Mauer macht verletzlich. Gerade dann braucht ein Mensch behutsame Unterstützung und Geduld. Sowohl von Menschen als auch von Gott. Gottes Liebe kann mir und uns allen helfen, uns anzunehmen. Mit unserer Angst und unseren Mauern können wir zu Gott kommen und sind angenommen von Gott. Von Gott werden wir geliebt wie wir sind.

Gehalten von Bernhard Lasser am 7. Juni 2024 im Rahmen der Langen Nacht der Kirchen in der EmK Wien-Fünfhaus

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