Sehen und gesehen werden
Faith Impulse

Pastorin, Kinder- & Jugendwerk

Gottesdienstthema:
Sehen und gesehen werden – das ist im Leben oft ganz wichtig.
Da fallen mir sofort Beispiele aus dem Alltag ein:
- Die Festspielsaison hier in der Salzburger Altstadt jeden Sommer, während der die verschiedensten Promis hier gern gesehen und auch fotografiert werden.
- Die Vorbereitung der Kinder auf ihren Schulweg ab nächster Woche wieder – der geht nur sicher vonstatten, wenn die Kinder andere Verkehsteilnehmer*innen sehen und auch von ihnen gesehen werden.
Mir fallen aber sofort auch Menschen ein, die oft übersehen werden. Die vielleicht nicht ins übliche Schema oder Blickfeld passen und deswegen gar nicht wahrgenommen werden.
- Kranke Menschen, die nicht mehr aus ihrer Wohnung oder gar ihrem Bett kommen.
- Ältere Menschen, die selten besucht werden.
- Oder auch Menschen, die an unseren Straßenrändern sitzen und um ein bisschen Aufmerksamkeit betteln.
Gesehen werden = Befreiung
Die afroamerikanischen Sklaven sangen in Amerika im 19. Jahrhundert das Lied, das wir im Gottesdienst gehört haben: „Wade in the Water“. Sie wussten, wie es ist, wenn man nicht gesehen oder ernstgenommen wird.
Und sie haben fest darauf vertraut, dass Gott ihr Schicksal sieht und dass sie aus der Sklaverei befreit werden.

Genesis 16: Hagar wird gesehen
Hagar, in deren Lebensgeschichte wir in Genesis/ 1. Mose 16 einsteigen, wusste lange nicht, dass sie überhaupt als Mensch mit eigenen Bedürfnissen und Rechten gesehen wird.
Sie war als Magd bei Abraham und Sara dazu verpflichtet, den beiden gehorsam zu sein und für sie das zu tun, was von ihr erwartet wurde.
So wurde Hagar als Mittel zum Zweck des kinderlosen Ehepaars benutzt, wahrscheinlich gar missbraucht, um den lang ersehnten Erben zur Welt zu bringen.
Zweimal war die verzweifelte Hagar in Zusammenhang mit dieser Schwangerschaft und diesem Kind am Rande des Wahnsinns, in der Wüste. Und wo ist Gott in dieser Geschichte, fragt ihr euch vielleicht?
Zum einen ist da ja Abraham, der gläubige Mensch, der Gott treu ist und immer wieder mit Gott in Verbindung tritt; dem Gott viele Nachfahren versprochen hat und der alles dazu beitragen möchte, damit dieses Versprechen irgendwie auch eintreten kann. Ihn scheint Gott gut zu sehen und ihm antwortet Gott auch.
Aber auch Hagar wird gesehen. Sie merkt es erst, als sie in der Wüste ist und aus eigener Kraft nicht mehr weiterkommt. Am absoluten Tiefpunkt ihres Lebens, da wird ihr bewusst, dass Gott auch bei ihr ist und auch sie sieht.
Jede*r ist sehenswert!
Ich mag diese Bibelgeschichte aus Hagars Perspektive.
Sie, die allzu lange in ihrem Leben nur als Objekt für andere Menschen existiert hat, wird zum Subjekt ihres eigenen Lebens, als sie bemerkt, dass Gott auch zu ihr steht.
Sehen und gesehen werden gehören zusammen.
Wie uns andere Menschen ansehen und wie wir uns selbst sehen oder gern sehen würden, all das beeinflusst auch uns noch heutzutage.
Wünsche und Sehnsüchte
(Anmerkung vorab: Ich zitiere an dieser Stelle ein Buch, dessen Autorin sich momentan leider sehr diskriminierend gegenüber queeren Menschen verhält. Nichtsdestotrotz möchte ich dieses Beispiel hier erwähnen – das Buch ist ja nicht schuld am Verhalten seiner Autorin!)
In den Geschichten von Harry Potter gibt es einen ganz besonderen Spiegel. Der Spiegel „Nerhegeb“ zeigt nicht wie gewöhnliche Spiegel einfach das, was davor steht. Sondern er zeigt das, was die tiefste Sehnsucht, der innerste Herzenswunsch, das größte Begehren der Person ist, die hineinschaut.
Diese tiefsten Wünsche sind für andere nicht sichtbar.
Wer aber die Geschichte von Hagar kennt, weiß: Gott sieht diese tiefen Sehnsüchte. Gott kennt unsere Herzenswünsche. Gott versteht uns, so wir wir sind.
Und in Gottes Sicht sind wir alle wunderbar gemacht!
Für uns Menschen, die wir alle leider nicht Gott oder ein Spiegel Nerhegeb sind, ist das Leben nicht immer so eindeutig oder offensichtlich.
Das Leben ist nicht nur schwarz oder weiß, sondern es ist auch voller bunter Farben.
Unsere Sehnsüchte und Herzenswünsche werden manchmal wahr – und manchmal ändern sie sich auch!
Die Augenhöhe ist die beste Perspektive
Ein gutes Leben in unserer Welt gelingt uns Menschen immer dann, wenn wir einander auf Augenhöhe begegnen. Wenn wir das Gegenüber ernst nehmen und ihm unsere Zeit und Aufmerksamkeit schenken.
Als Pastorin und als Christin versuche ich, meinem Blickfeld so wenige Grenzen wie möglich zu setzen. Wenn Gott, wie es in den biblischen Geschichten deutlich wird, sich allen Menschen zuwendet, dann will ich das auch tun.
Dann muss auch ich immer wieder meine Brille putzen und meinen eingeschränkten Blickwinkel neu anpassen.
Diese Fähigkeit der liebevollen Sicht-Weite Gottes, die wünsche ich uns allen für die Pride-Woche.
Amen.
Copyright aller Fotos: HOSI Salzburg (Bernie Rothauer).
Weiterlesen:
Zum Thema Jesus als "Gott auf Augenhöhe" empfiehlt sich zum Weiterlesen die Predigt von Pastorin Esther Handschin:
https://www.emk.at/de/glaubensimpulse/2025/gott-auf-augenhoehe
Glaubensimpulse