Komm, du lang ersehnter Jesus
Faith Impulse
Pastorin, Erwachsenenbildung
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Was für Evangelische das Lied „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“ (EM 145) zum Beginn der Adventszeit bedeutet, das ist für Methodisten das Lied „Komm, du lang ersehnter Jesus“ / „Come, thou long-expected Jesus“. Es eröffnet den Advent und stimmt mit der fröhlich-beschwingten Melodie auf die besonders geprägte Zeit im Kirchenjahr ein. Mit dem Gesangbuch von 2002 liegt nun auch eine deutsche Übersetzung für dieses Lied von Charles Wesley (1707-1788), dem methodistischen Liederdichter, vor.
Hier zur Einstimmung ein erster Höreindruck mit den „Scottish Festival Singers“:
Die Anfänge der methodistischen Bewegung
Ab 1739 begann die methodistische Bewegung sich nach und nach auszubreiten und zu konsolidieren. Zunächst bildeten sich durch die Predigttätigkeit der beiden Brüder Wesley in Bristol und London Gemeinschaften, die ab 1739 mit dem New Room in Bristol und 1742 mit der Foundery (eine aufgelassene Gießerei) in London über eigene Gebäude verfügten.
Nach und nach bildeten sich die typischen Merkmale der methodistischen Gemeinschaften heraus. 1742 wurden die Klassen als Gruppenzusammenkünfte vor Ort begonnen und dabei auch wöchentlich Geld zusammengelegt, um die hohen Schulden für die beiden Gebäude abzutragen. Im selben Jahr kam Newcastle als drittes Zentrum im Norden dazu. Da es gerade in diesen ersten Jahren auch zu theologischen Abgrenzungen kam, einerseits gegenüber den calvinistisch geprägten Predigern wie George Whitefield (1714-1770) und Howell Harris (1714-1773), andererseits gegenüber den Herrnhutern/Moravians, lud John Wesley ab 1744 seine wichtigsten Mitarbeiter zu jährlichen Konferenzen ein, um sich mit ihnen über die drei Fragen auszutauschen: Was lehren wir? Wie lehren wir? Was tun wir?
Allgemeine Liedsammlungen von John und Charles Wesley
Schon 1739 veröffentlichten die Wesley-Brüder mit „Hymns and Sacred Poems“ eine Sammlung von Liedtexten und Gedichten unter beider Namen, 1740 folgte ein zweiter Band, 1742 ein dritter. Einige der darin befindlichen Texte haben sie dafür aus den beiden schon von ihnen herausgegebenen Sammlungen „Collections of Psalms and Hymns“ von 1737 und von 1738, sowie später auch von 1741 übernommen. Dazu gehörten auch Lieder von anderen Autoren wie George Herbert (1593-1633) oder Samuel Wesley (Vater, 1662-1735). Unter den beiden Brüdern war ausgemacht, dass in den von beiden gemeinsam herausgegebenen Sammlungen nicht gekennzeichnet wird, welche Lieder von Charles und welche Lieder von John stammen. Es ist aber anzunehmen, dass der große Teil der englischen Texte von Charles stammt und John eher redaktionell tätig war. Außerdem sind die Übersetzungen aus dem Deutschen und dem Spanischen mit Sicherheit von John.
Besondere Liedsammlungen
Neben diesen Sammlungen, die Lieder zum Weg des Glaubens, zum Kirchenjahr und zu biblischen Textstellen enthalten, sind in den ersten Jahren des Wirkens einige thematische Sammlungen entstanden. Die „Hymns on God’s Everlasting Love“ (in zwei Teilen, 1741 und 1742) sind als theologische Abgrenzung gegenüber dem z.B. von George Whitefield vertretenen calvinistisch geprägten Gedanken zu verstehen, dass Gottes Gnade und Liebe nicht allen Menschen gilt, sondern nur den dafür bestimmten. Ähnliches gab es auch mit den „Hymns in Difference with Moravians“ (1745) als Abgrenzung gegenüber den Herrnhutern.
Die „Hymns for Condemned Prisoners“ (1742) zeigen das besondere Engagement der beiden Brüder für Gefangene. Die „Hymns in Times of Trouble and Persecution“ (1744) lassen etwas über die nicht immer einfachen Zeiten der frühen methodistischen Erweckungsbewegung erfahren.
Ebenfalls aus den ersten Jahren stammen Sammlungen zu Festen des Kirchenjahres oder zum Abendmahl. So entstehen in kurzer Folge 1744 die „Hymns for Christmas Day“ (kein Exemplar mehr erhalten) und 1745 die „Hymns for the Nativity of our Lord“, sowie „Hymns on the Lord’s Supper“. 1746 ist ein besonders ertragreiches Jahr in diesem Bereich mit „Funeral Hymns“, „Ressurection Hymns“, „Ascension Hymns“ und „Whitsunday Hymns“ – also Lieder zum Begräbnis, zur Auferstehung, zu Himmelfahrt und zu Pfingsten.
Erster Druck von „Come, thou long-expected Jesus“
Das Lied „Come, thou long-expected Jesus“ ist in der Sammlung der „Hymns for the Nativity of our Lord“ als Nr. X enthalten. Ob es schon im Jahr davor entstanden ist und in der Sammlung „Hymns for Christmas Day“ zu finden war, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ist aber möglich. So wird in den Herkunftsangaben zum Liedtext manchmal das Jahr 1744 und manchmal 1745 angegeben. Die Sammlung mit den „Liedern zur Geburt unseres Herrn“ umfasst insgesamt 18 Lieder, die selbst schon 14 verschiedene Versmaße aufweisen, manche davon recht ausgefallen. Die Sammlung war sehr beliebt und wurde immer wieder aufgelegt. Bis zum Tod von Charles Wesley im Jahr 1788 gab es mindestens 25 Auflagen und Nachdrucke davon.
Einzelne Aspekte der beiden Strophen
Gerade Weihnachtslieder eignen sich besonders gut dazu, den Gedankeninhalt dieses Festes mit Widersprüchlichkeiten auszusagen und darüber zu staunen: Wie kann Gott ein Mensch werden? Es ist das Kind in der Krippe, das zugleich ein König ist. Der Himmel berührt die Erde. So formuliert Charles Wesley in der zweiten Strophe die Zeile: „Born a Child and yet a King“.
Diesen Gedanken versucht Meredith Andrews zu vertiefen, indem sie nach den beiden Strophen des Liedes noch einen eigens getexteten Teil einfügt:
Der Text der beiden Strophen weist weitere enge Verbindungen auf und arbeitet mit Wortwiederholungen oder mit der Wiederaufnahme von Gedanken. Die erste Strophe beginnt mit der Zeile „Come, thou long-expected Jesus“ und endet mit „Joy of every longing heart“. So wird mit „long“ die Sehnsucht in doppelter Weise ausgedrückt, einerseits durch die schon lange andauernde Erwartung und andererseits durch die sehnsüchtigen Herzen.
Um den englischen Text einmal vor Augen zu haben, hier eine Version von Red Mountain Music. Weil die beiden Strophen von Charles Wesley wohl zu wenig waren, hat Mark E. Hunt zwei weitere Strophen dazwischengefügt, die vom Text her an den lateinischen Hymnus „Veni, veni Emanuel“ und dessen Übersetzung von John Mason Neale (1818-1866) „O come, o come Emanuel“ ins Englische (vgl. EM 144) angelehnt sind.
Auch das Wort „born“ spielt eine wichtige Rolle. Es eröffnet die zweite Zeile der ersten Strophe „born to set thy people free“. Besonders eindringlich sind dann die ersten drei Zeilen der zweiten Strophe: „Born thy people to deliver, / born a child and yet a King, / born to reign in us forever“. Dreimal beginnt die Zeile mit „born“. Die erste Zeile greift noch einmal den Inhalt der Befreiung aus der ersten Strophe auf, die zweite Zeile erklärt, wer dieses neugeborene Kind ist und die dritte Zeile erläutert, wozu das Kind geboren wurde: um in uns zu regieren. Der Rest der zweiten Strophe erläutert dann, was dieses Regieren in uns Menschen bedeutet: „now thy gracious kingdom bring.“ Es geht um das Reich Gottes, das in uns anbricht.
Regiert werden wir durch Gottes Geist: „By thine own eternal spirit / rule in all our hearts alone“. Diese Rolle ist dem Geist nur gegeben, weil er sich auf das Verdienst Christi gründen kann, das allein genügt: „by thine all sufficient merit“. Schließlich werden wir zum Schluss – was ein beliebtes Motiv in den Liedern von Charles Wesley ist – vor Gottes Thron stehen: „raise us to thy glorious throne“.
Hier der Versuch der Skit Guys, die in dem Lied enthaltene Heilsgeschichte mit Pinsel und Farbe darzustellen:
Ein ebenfalls bei Charles Wesley häufig vorkommendes Wort ist das anfängliche „Come“. Dies ist üblicherweise die Anrufung an den Heiligen Geist und kommt daher häufig in Pfingstliedern vor, so bei „Komm, Geist des Glaubens, komm“ (EM 252), aber auch bei „Komm, Heilger Geist, der Leben schafft“ (EM 249) oder „Komm, o komm, du Geist des Lebens“ (EM 258). Charles Wesley verwendet dieses Wort allerdings auch bei einem Lied zur Einladung zum Abendmahl „Kommt, alle, kommt zu Gottes Fest“ / „Come, sinners, to the gospel feast“ (EM 522) oder zur Bundeserneuerung „Kommt, nehmt die Gnade Gottes an“ / „Come, let us use the grace divine“ (EM 263). Im Adventslied klingt mit dem „Come“ die Sehnsucht nach Veränderung an, ähnlich wie auch in „O komm, o komm, du Morgenstern“ / „O come, o come, Emanuel“ (EM 144).
Zwei Themen dominieren die erste Strophe. Im ersten Teil ist es der Aspekt der Befreiung und Erlösung, die erhofft und erwartet wird. Sie wird ausgedrückt in den Zeilen zwei und drei: „born to set thy people free; / from our fears and sins release us“. Wer Befreiung und Erlösung erfahren hat, findet seine Ruhe in Jesus „let us find our rest in thee“, wie es in Matthäus 11,29 vonJesus verheißen ist: „so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.
Gerade dieser Aspekt der Befreiung hat das Lied in der afro-amerikanischen Tradition beliebt gemacht, wie der Kirchenmusiker William Farley Smith (1941-1997) bemerkt hat, der für das United Methodist Hymnal von 1989 sämtliche Liedsätze zu Spirituals und Gospels geschrieben hat. Charles Wesley selbst hat bei seinem Aufenthalt 1736 in Amerika miterlebt, wie unmenschlich mit Sklaven und Sklavinnen umgegangen wurde, wie sein Tagebucheintrag vom 2. August 1736 beschreibt.
Die a-cappella-Version von Chris Tomlin drückt für mich diese Sehnsucht nach Befreiung sehr gut aus:
Das andere Thema greift prophetische Motive auf und verbindet im zweiten Strophenteil Israels Hoffnung mit der Hoffnung der ganzen Welt: „Israel’s strength and consolation, / hope of all the earth thou art; / dear desire of every nation“. So werden wie schon bei „Kind und König“ noch einmal zwei getrennte Größen zusammengebracht: Die Hoffnung auf den Messias, die für Israel Stärke und Trost bedeutet, sie gilt der ganzen Erde und für alle Völker, nicht nur für das Volk Israel. Es kommt wieder zu einer Wortdoppelung: Was für alle Völker („every nation“) gilt, das gilt auch für jedes einzelne Herz („every heart“).
Dass das Lied schon bei vielen Völkern Eingang gefunden hat, zeigt diese Aufnahme aus dem Harding Theological College aus Tura, Indien:
Insgesamt verbindet dieses Lied zwei Gedanken, die in den biblischen Lesungen des Advents zusammenkommen. Die sehnsüchtige Erwartung des Erlösers, der in einem Kind zur Welt kommt, kann gleichgesetzt werden mit der Erwartung des wiederkommenden Christus am Ende der Zeit. So ist das Reich Gottes schon in uns zu finden, wenn Christus in uns regiert. Und gleichzeitig erwarten wir das Kommen des Reiches und bitten in jedem Vaterunser-Gebet darum.
Späte Aufnahme in Gesangbücher
Es ist erstaunlich, dass dieses Lied, das aus einer Sammlung von Weihnachtsliedern stammt, die zu Lebzeiten der Wesley-Brüder sehr beliebt war, erst ab Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts in den englischsprachigen methodistischen Gesangbüchern wieder auftaucht, so ab 1876 in den Gesangbüchern des britischen Methodismus und ab 1847 in den USA. Ein deutlicher Anstieg an Erscheinungen in englischsprachigen Gesangbüchern ist dann ab den 1970er Jahren festzustellen. Heute erfreut sich das Lied großer Beliebtheit und wird gerne in verschiedenen Bearbeitungen für Weihnachts-CDs aufgenommen.
Hier eine Neukomposition von Bethany Fehr im Country-Stil, aufgeführt vom Familienensemble Fehr:
Weitere Melodien
Mit zwei Strophen ist es ein für Charles Wesley eher kurzes Lied. In der amerikanischen Tradition hat sich der Liedtext mit der Melodie HYFRYDOL des walisischen Komponisten für Kinderlieder, Rowland H. Prichard (1811-1887) verbunden. HYFRYDOL bedeutet in der walisischen Sprache soviel wie „fröhlich“. Prichard dürfte die Melodie schon in seinen jungen Erwachsenenjahren geschrieben haben, hat sie aber erst 1844 in „Cyfaill y Cantorion“ (Der Sängerfreund), einem Kinderliederbuch, publiziert. Die Melodie HYFRYDOL wird im englischsprachigen Raum auch zum Text von „Liebe, komm herab zur Erde“ / „Love divine, all loves excelling“ (EM 323) gesungen.
Hier die Melodie HYFRYDOL gespielt von einem Dudelsack im atemberaubenden Ambiente von Cathedral Rock, Sedona, Arizona:
Da die beiden langen Strophen zu 8 Zeilen sich auch gut auf vier Strophen zu 4 Zeilen aufteilen lassen, wird das Lied – eher in Großbritannien – auch zu vierzeiligen Melodien gesungen. Die eine Melodie trägt den Namen STUTTGART, nach dem vermutlichen Entstehungsort. Sie stammt von Christian Friedrich Witt (* vor 1665-1717). Er hat seine musikalische Ausbildung unter anderem in Salzburg und Wien genossen und war später in Gotha und Nürnberg als Organist und Kapelldirektor tätig. Die Melodie STUTTGART ist in der Sammlung „Psalmodia Sacra“ zu finden, die Witt 1715 herausgegeben hat.
Zunächst einmal gesungen in der anglikanischen St. David-Kirche in Edmonton, Alberta, Kanada:
Und hier noch ein Arrangement dieser Melodie von MacDonald/Wood für Harfe:
Eine andere in England gebräuchliche Melodie heißt CROSS OF JESUS und stammt von John Stainer (1840-1901). Die Melodie wurde aus Stainers Passionswerk „The Crucifixion“ übernommen, das er 1887 komponierte. Zusammen mit Henry Ramsden Bramley (1833-1917) gab Stainer 1871 die Sammlung „Christmas Carols New and Old“ heraus, was in England die Tradition des Carol Singing in der Advents- und Weihnachtszeit wieder belebt hat.
CROSS OF JESUS klingt folgendermaßen, gesungen vom Chor des St. John’s College, Cambridge und ist ganz nach britischer Tradition mit einer Oberstimme in der letzten Strophe versehen:
Woher die folgende Aufnahme stammt, lässt sich nur vermuten. Ursprungsort dürfte Nesamo sein, eine Insel Mikronesiens, nördlich von Papua-Neuguinea gelegen. Auch hier dient die vierzeilige Strophe als Grundlage. Dazwischen erklingt jeweils ein Refrain in dem die Glocken läuten, um den neugeborenen König willkommen zu heißen.
Deutsche Übersetzung
Die deutsche Übersetzung der ersten Strophe stammt von Lothar Pöll (1951-2020), Pastor der Evangelisch-methodistischen Kirche in Österreich. Er legte dem Gesangbuchausschuss zunächst eine Übersetzung beider Strophen vor. Während bei der ersten Strophe nur zwei Formulierungen geändert wurden, um sie noch mehr dem Originaltext anzunähern, wies Pölls Version der zweiten Strophe einige sprachliche Mängel auf: eher unbedeutende Wortsilben kamen auf betonte Zählzeiten zu liegen, eine unbetonte Endsilbe liegt auf dem Schlusston einer Zeile, womit sie ein zu starkes Gewicht bekam. Außerdem war die Übersetzung von „all sufficient merit“ mit „allgenugsam Opfer“ zwar sehr genau, aber von der dahinter stehenden theologischen Tradition her zu schwer verständlich.
Annegret Klaiber (1938-2022) legte eine andere – wörtlich weniger genaue – Übersetzung der zweiten Strophe vor. Im ersten Teil gelang es nicht, die drei prägnanten Zeilenanfänge mit „born“ zu übersetzen. Die deutsche Sprache braucht dafür mehr Silben. Auch der Gedanke des Regierens Jesu in den Herzen der Menschen wurde eher allgemein formuliert mit „Recht und Friede wird regieren“. Auf der anderen Seite hat Annegret Klaiber den schon von Lothar Pöll formulierten Gedanken übernommen, dass wir von dem Geist geleitet werden, „der uns vertritt“ vor Gott (Römer 8,26). Damit wird zwar gegenüber dem Original ein neuer Gedanke aufgenommen. Er ist aber biblisch gut verankert. Die schwierige Wendung von „all sufficient merit“ ist nun mit „erlöst durch deine Liebe“ umschreibend-allgemein wiedergegeben. Den Abschluss der zweiten Strophe bildet – wieder näher beim Original – die Begegnung vor Gottes Thron.
Hier die bisher einzige Produktion in deutscher Sprache in einer musikalisch etwas freieren Fassung von Alex Meinhardt:
Aus urheberrechtlichen Gründen können hier keine Texte aus dem Gesangbuch der Evangelisch-methodistischen Kirche 2002 abgedruckt werden. Dieses kann jedoch bei blessings4you bestellt werden.
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