Jetzt ist es Zeit

Faith Impulse

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Esther Handschin

Pastorin, Erwachsenenbildung


Predigt zu Lukas 13,1-9

Die Frage nach dem Leid

Das Evangelium des heutigen Sonntags berührt eine der großen Fragen der Menschheit: „Warum gibt es so viel Leid auf dieser Welt und warum widerfährt dieses Leid ausgerechnet den Menschen, die eigentlich nichts dafür können?“ Immer ist diese Frage auch mit der Frage nach Gott verbunden, ob sie nun offen ausgesprochen wird oder nur mitgemeint ist: „Wenn es einen Gott gibt, warum lässt er dieses Leid dann zu? Wenn dieser Gott ein gütiger Gott ist, warum sorgt er dann nicht dafür, dass die Menschen weniger leiden müssen? Und wenn es einen gerechten Gott geben soll, warum trifft das Leid meist die Unschuldigen, die, die nichts dafür können, die, die sowieso schon unter der Ungerechtigkeit dieser Welt leiden?“

Wer ist schuld?

Die Frage nach dem Leid in der Welt ist in der Regel eng verknüpft mit der Frage nach der Schuld. Das lässt auch unser Evangelium durchblicken. So steht die Frage im Raum, ob diese Galiläer, die der brutale Statthalter Pilatus im Tempel hat umbringen lassen, sich etwas haben zu Schulden kommen lassen, sodass sie jetzt mit ihrem Leben dafür bezahlen müssen. Und wenn ja, ist diese Strafe angemessen oder ist ihr Tod nicht ein zu hoher Preis dafür? Oder diejenigen, die beim Einsturz des Turmes von Siloah erschlagen wurden, haben sie sich etwa in besonderem Maß versündigt? Dann geschähe ihnen diese Strafe zu recht. Jesus weist eine solch enge Verknüpfung von menschlichem Ergehen und der Frage nach Schuld und Strafe vehement zurück. Es sind weder diese Galiläer im Tempel besondere Sünder, die für ein Vergehen bestraft werden müssen, noch gibt es einen Unterschied zwischen den Erschlagenen und allen anderen Bürgern von Jerusalem. Vor Gott stehen alle Menschen in gleicher Weise in seiner Schuld. Oder mit Worten Martin Luthers gesagt: „Wir sind allzumal Sünder:“

Der Blick zurück

Auch wenn ich gerade gesagt habe, dass Strafe und Schuld nicht automatisch in einem Zusammenhang stehen, so nagt doch die Frage nach der Ursache und unserem eigenen Verschulden in uns, wenn es uns selbst trifft. Warum muss ausgerechnet ich diesen Hexenschuss einfangen? Was habe ich wieder falsch gemacht? Warum liege ich mit einer Grippe im Bett oder bin mit Corona in Quarantäne? Wo liegt die Ursache dafür? Wo habe ich nicht aufgepasst und mich angesteckt? Warum habe ich immer mit der gleichen Geschichte zu kämpfen, stolpere stets über dasselbe und tu mir damit weh? Ginge es nur um einen Hexenschuss oder eine Grippe, so wäre das noch leicht zu bewältigen. Aber da gibt es Krankheiten, die uns unumgänglich mit der Endlichkeit unseres eigenen Lebens konfrontieren. Da gibt es Situationen, die mir deutlich werden lassen, dass auch meine Ehe, meine Familie nicht die heile Welt sind, nach der ich mich sehne, sondern dass auch diese Beziehungen zerbrechlich sind. Da erlebe ich Demütigungen und Niederlagen, die mich an den Rand meiner Existenz bringen, die mir jegliche Lebenskraft rauben und mich fragen lassen, ob mein Leben auf diese Weise noch Sinn macht. Ja, ich frage, was das alles mit mir zu tun hat. Wo muss ich erkennen, dass auch ich meinen Teil dazu beigetragen habe, dass die Situation jetzt so ist, wie sie ist?

Der Blick nach vorne

Jesus ist dieses Grübeln, das uns Menschen eigen ist, nicht unbekannt. Er weiß auch, wie zerstörend das Fragen nach der Ursache, nach dem Grund einer Krankheit, eines Leidens, eines unvorhersehbaren Todes sein kann. Und so spricht er zu seinen Zuhörerinnen und Zuhörern, indem er nicht in der Vergangenheit gräbt, sondern auf das aufmerksam macht, was eine neue Zukunft eröffnet. Seine Antwort auf die Frage nach dem Warum des Leidens ist nicht ein allgemeines Lamentieren über die Schlechtigkeit der Welt. Was er zu sagen hat, das spricht er den Menschen direkt zu: „Ihr alle werdet genau so umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt.“ Dass es Leid gibt in dieser Welt, dass uns Schlimmes widerfährt, dass Menschen sterben müssen für etwas, was sie nicht verschuldet haben, das lässt sich nicht ändern. Aber was sich ändern lässt, das ist eure Einstellung gegenüber Gott, das ist euer Umgang mit euch selbst und das ist euer Verhalten zu euren Mitmenschen. Und in einer solchen Veränderung, wie sie eine Umkehr mit sich bringt, ist Leben verheißen. Lasst mich den dreifachen Aspekt der Umkehr entfalten.

Welchen Gott möchte ich?

Jetzt ist es Zeit, die Einstellung Gott gegenüber zu ändern. Die Frage, die ich zu Beginn gestellt habe: Warum gibt es Leid? Warum kann ein gütiger und gerechter Gott, das nicht verhindern?, diese Frage führt immer zu einer Anklage gegen Gott. Wie kann er so etwas zulassen? Warum greift er nicht ein? Warum erweist er sich nicht als allmächtiger Gott, der seine Welt im Griff hat? Aber, so frage ich, ist dieser allmächtige Weltenlenker der Gott, den wir aus der Bibel kennen?

Ist das der gleiche Gott, der bereit ist von seinen Plänen mit den Städten Sodom und Gomorrha abzuweichen, nur weil Abraham ihn darum bittet, die Gerechten am Leben zu lassen? Ist das der gleiche Gott, der leidenschaftlich um die Gunst seines Volkes Israel wirbt und trotz Eigenwilligkeit und Widerspruch dieses Volks an seinem einst geschlossenen Bund festhält? Ist das der gleiche Gott, der sich von der Buße und Umkehr der nichtjüdischen Einwohner von Ninive anrühren lässt und darum die Stadt verschont, obwohl ihr Jona den Untergang angedroht hat?

Es war der französische Philosoph Blaise Pascal, der erkannt hat, dass der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs nicht der gleiche Gott ist wie der Gott der Philosophen und Gelehrten. Dieser Gott hat sich uns in Jesus Christus als ein Gott geoffenbart, der nicht davor zurückscheut, selbst das Leiden der Menschen zu erfahren. Er selbst hat ausgehalten und bis zum letzten erlitten, was uns widerfährt. So ist es jetzt an der Zeit, in diesem Gott nicht den weit entfernten Potentaten zu sehen, sondern den Gott, der in Liebe und mit Leidenschaft um mich wirbt. Es gilt, ihm zu vertrauen und seiner Liebe, mit der er mir entgegenkommt zu antworten.

Bin ich bereit, mich zu verändern?

Jetzt ist es Zeit, den Umgang mit mir selbst zu ändern. Umkehren heißt immer auch, den Weg in eine andere Richtung zu lenken und neu anzufangen. Obwohl wir durch Jesus vernommen haben, dass eine Krankheit nie als eine Bestrafung durch Gott zu verstehen ist, so wissen wir doch von unseren Ärztinnen und Ärzten, dass unser Lebensstil zu einer Erkrankung beitragen kann. Und leider lernen wir oft genug erst durch eine ernsthafte Erkrankung und über die Erfahrung von Schmerzen, dass es an der Zeit ist, sorgsamer mit unserem Körper, mit unseren Kräften oder mit unserer Umwelt umzugehen. Es gehört zu den erstaunlichen Erfahrungen, die manche auf den Tod hin kranke Menschen machen, dass sie gerade durch die Bedrohung ihres Lebens ganz neu auch den Wert ihres Lebens schätzen lernen. Nun ist ihnen kostbar, was sie vorher für selbstverständlich hingenommen haben. Nun hat selbst Unspektakuläres seine Bedeutung. Die Dankbarkeit für Kleinigkeiten tritt an die Stelle des Wunsches nach Großartigem und Besonderem. Diese Menschen haben die Chance des Jetzt ergriffen und entdecken in neuer Hinwendung, was Leben heißt. Sie haben erfasst, was es heißt, einen anderen Umgang mit sich selbst zuhaben.

Jetzt ist es Zeit, das Verhalten zu den Mitmenschen zu ändern. Umkehr kann nicht nur in Bezug auf Gott oder sich selbst geübt werden. Umkehr kann auch heißen, sein Verhältnis zu anderen Menschen zu ändern. Ähnlich einer Krankheit, die uns darauf aufmerksam macht, wie wir mit unserem Kräften und unserem Körper umgehen, so gibt es kranke Beziehungen, die uns auf Störungen mit unseren Mitmenschen hinweisen. Und genauso wie bei einer Krankheit ein Teil des Verschuldens bei uns selbst liegen kann, so wissen wir, dass ein vergiftetes Klima in einer Beziehung oder in der Familie auch mit unserem eigenen Verhalten zu tun hat. Vieles sammelt sich im Lauf der Zeit an. Wenn es ständig beiseite geschoben wird, so entsteht daraus eine explosive Mischung. Jetzt aber ist die Zeit es anzusprechen und nicht länger aufzuschieben. Jetzt ist die Zeit einen neuen Anfang zu wagen.

Die Chance nutzen

Jetzt ist es Zeit, ergreife die Chance, die sich dir bietet jetzt. Jesus hat seinen Hörern diese Aufforderung mit dem Gleichnis vom Feigenbaum erläutert. Ein unfruchtbarer Feigenbaum steht inmitten eines Weinberges. Sein Besitzer macht eine saubere Kosten-Nutzen-Rechnung. Es sind nun schon drei Jahre, dass dieser Baum keine Früchte trägt, ja, er laugt dazu noch den Boden aus und gefährdet dadurch den Ertrag des Weinberges. Also höchste Zeit diesen Baum umzuhauen. Es ist nichts mehr von ihm zu erwarten. Doch der Weingärtner, dem er den Auftrag zur Beseitigung erteilt, macht sich zum Anwalt des Feigenbaums. Er bittet um ein Jahr Geduld. Noch ein Jahr will er diesem Baum alle Pflege angedeihen lassen, die ihm zur Verfügung steht. Er will den Boden umgraben und düngen. Wer weiß wie mühevoll diese Arbeit ist, der erahnt die Liebe, mit der der Weingärtner seine Pflanzen pflegt. Der Weingärtner ist bereit, einen hohen Einsatz zu zahlen, ohne zu wissen, welches Ergebnis er erwarten kann. Wird der Baum seine Chance nutzen? Wird der zusätzliche Arbeitsaufwand von Erfolg, also von einer Ernte mit süßen Feigen gekrönt sein? Oder ist die Mühe des Weingärtners umsonst und muss er schließlich den Baum umhauen?

Trotz aller Schuld von Christus getragen

Das Gleichnis, das Jesus erzählt, hat ein offenes Ende. Wir erfahren nichts über die Ernte oder darüber, ob der Baum umgehauen wurde oder ob er stehenblieb. In manchem erinnert mich dieses Gleichnis, gerade auch in der Verbindung mit der Frage nach dem Leid und der Schuld angesichts einer Krankheit, die zum Tode führt, an eine Aussage meines Lehrers für Griechisch. Er litt an einem bösartigen Lungentumor. Er war sich bewusst, dass seine Krankheit zum Tod führen wird. Und er war sich auch bewusst, dass die Ursache dieser Krankheit in seinem exzessiven Zigarettenkonsum in Kombination mit Alkohol lag. Er musste seine Erkrankung seinem eigenen Verhalten und der rücksichtslosen Ausbeutung seines Körpers zuschreiben. Und trotz dieser Schuld, deren er sich bewusst war, strahlte er, als ich ihn im Krankenhaus besuchte, eine enorme Zuversicht aus. Eine Zuversicht, die in seinem tiefen Vertrauen in Christus begründet war, sodass er sagen konnte: „Ich weiß, dass ich einen wesentlichen Teil meiner Krankheit mir selbst zuzuschreiben habe. Es ist mein Versagen und meine Schuld, dass ich so schwer erkrankt bin. Aber ich weiß auch, dass es Christus ist, der für mich einstehen wird. Er ist mein Anwalt, der mich vertritt und ich bin gewiss, dass er mich durch die Zeiten der Anfechtung und des Leidens hindurchtragen wird.“

Die Chance eines neuen Anfangs

Im Weingärtner des Gleichnisses vom Feigenbaum erkenne ich diesen Anwalt wieder. Gegenüber dem Besitzer des Weingartens plädiert er dafür, dass dem Feigenbaum nochmals eine Chance gegeben wird. Der Weingärtner setzt sich dafür ein, dass der Baum das erhält, was er zum Wachstum braucht: lockere und gedüngte Erde, Erholung und Stärkung. So hat der Baum noch eine Chance. Er kann sie nutzen oder er kann sie vertun. Es liegt am Baum selbst, ob er seine Chance nutzt oder ob er sie verstreichen lässt. Aber durch den Weingärtner hat er die Chance eines neuen Anfangs. Sein Ergehen ist nicht mehr von der Vergangenheit bestimmt, sondern es liegt eine neue Zukunft vor ihm. Dazu hat ihn der Weingärtner frei gemacht. Und so spricht uns Christus als unser Anwalt frei. Er eröffnet in unserem Leben immer wieder die Chance einer neuen Zukunft. Es liegt an uns, ob wir uns weiterhin von der Vergangenheit bestimmen lassen oder ob wir diese Gelegenheit ergreifen.

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