Nun kommt das große Blühen

Faith Impulse

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Esther Handschin

Pastorin, Erwachsenenbildung


Liedbetrachtung zu EM 112 "Den blomstertid nu kommer" 
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So wie für viele ein Gottesdienst im Sommer ohne Paul Gerhardts Sommerlied kaum vorstellbar ist, so ist es im skandinavischen Raum das Sommerlied „Den blomstertid nu kommer“, das sich unabdingbar mit Blütenduft und Sommerwärme verbindet. Außerdem wird in Schweden und auch in Finnland dieses Lied zum Schulschluss und Sommerferienbeginn gesungen. So ist es nicht nur von der Melodie her, sondern auch von seiner Rezeption her ein richtiges Volkslied, das breite Bevölkerungskreise kennen und gerne singen. Als in der ersten Corona-Welle das Lied nicht wie sonst üblich zum Schuljahresende erklingen konnte, sind eine Reihe von Youtube-Fassungen entstanden, um dem etwas abzuhelfen. Hier eine Fassung der ersten beiden Strophen, gesungen von den vierten Klassen aus Norra Ängby, Stockholm mit den besten Wünschen des Schulteams für einen schönen Sommer.

Die Autorin und ihre deutsche Übersetzung

Die deutsche Übersetzung stammt von Maria Lohuus (1925-1996) und wurde aus dem Reformierten Gesangbuch der Schweiz, Nr. 539 ins methodistische Gesangbuch übernommen. Maria Lohuus ist das Pseudonym für Marguerite Jenny, geb. Loeliger, die mit dem Schweizer Pfarrer und Hymnologen Markus Jenny (1924-2001) verheiratet und Mutter von sieben Kindern war. Um nicht über ihren Mann definiert zu werden, verwendete sie für ihre Gedichte und Publikationen das Pseudonym Maria Lohuus. Als Musikpädagogin und Chorleiterin steuerte sie auch zwei Melodien zum Reformierten Gesangbuch der Schweiz bei. 

Die vier Strophen der deutschen Fassung erzählen von der Freude über den Sommer und seiner Wärme (Str. 1), von der Güte Gottes, die sich im Blühen und Reifen zeigt (Str. 2), vom Gesang der Vögel, die uns zum Gotteslob einladen (Str. 3). Die letzte Strophe schließt mit der Bitte um Gottes Segen für die Saat und für das, was uns durch See und Strand (das Lied kommt aus Schweden!) zugute kommt. Ebenso möge die Abendstunde gesegnet sein, wo wir uns Gottes Wort zuwenden, das uns zur Lebensquelle wird. 

Mit den vielen Bezügen zur Natur, zum Sommer mit seinem Wachstum, zur Sonne und ihrer Wärme, zu Blumenwiesen, Äckern, Kräutern, Wäldern und zu den Vögeln mit ihrem Lobgesang gehört es in die Zeit des Frühlings und des neu Erwachens der Natur. Mit der ersten Strophe, wo die Sonne weckt, was im Winter verloren schien und alles zu neuem Leben erwacht, hat das Lied auch einen Bezug zur Auferstehung und zu Ostern.

Die vier Strophen weisen es als ein Lied aus, das auch in einer säkularer werdenden Gesellschaft (noch) gesungen werden kann. Die Bilder aus dem Bereich der Schöpfung und das Erzählen von Gottes Güte und Segen können viele „gottgläubige“ Menschen durchaus nachvollziehen. Die wenigen Anspielungen, die darüber hinausgehen, z.B. der Verweis auf Gottes Gnade in Str. 2 und 3, sind zart und werden leicht übersehen und übersungen.

Hier eine deutsche Fassung dieser vier Strophen, schnell gesungen von Judith Kamphues und David Menge, der auch an der Orgel mitspielt:

Weitere Strophen

Es gibt im schwedischen Originaltext allerdings noch zwei weitere Strophen, die nach der dritten Strophe erklingen. Die original vierte Strophe hat Maria Lohuus übersetzt. Sie wurde allerdings nicht ins Reformierte Gesangbuch der Schweiz aufgenommen und daher auch nicht ins methodistische Gesangbuch übernommen. 

O Jesus, Schild der Schwachen, / für uns hast du gebüßt,

kannst Herzen wärmer machen; / sei, Freudensonn, gegrüßt.

Gieß Lieb in unsre Herzen, / nimm unsrer Schuld dich an;

wend ab all Sorg und Schmerzen, / du Freund, der alles kann.

Maria Lohuus
Liedübersetzerin

Maria Lohuus hat diese fünfstrophige Fassung im Gesangbuch Schwedens von 1986 vorgefunden, dem Land, wohin eines ihrer Kinder ausgewandert ist. Diese weitere Strophe macht aus dem allgemein-religiösen Lied mit sommerlicher Naturbetrachtung ein Lied mit einem innigen Jesusbezug, wie er in der Zeit des Pietismus üblich war. So wie die Sommersonne nach dem Winter die Pflanzenwelt zum neuen Leben erweckt, so ist es die Liebe Jesu, die uns wärmt und mit der uns die Schuld vergeben wird. Mit dem Bild der Buße wird daran erinnert, dass Jesus für uns gestorben ist.

Der Autor des schwedischen Originals

Nun ist es höchste Zeit, den Autor des schwedischen Originaltextes vorzustellen. Israel Kolmodin (1643-1709) war ein schwedischer Pfarrer der lutherischen Kirche, Theologieprofessor und später Superintendent von Visby (auf der Insel Gotland, die erst 1645 zu Schweden kam). Seine Lebensdaten weisen damit in die Zeit des Pietismus. Kolmodin übersetzte einige Lieder aus dem Deutschen ins Schwedische und er schrieb selbst einige Kirchenlieder. Er war für das schwedische Gesangbuch von 1694/95 verantwortlich. Sein bekanntestes Lied ist unser Sommerlied „Den blomstertid nu kommer“, das mit seinen fünf Strophen so klingt, aufgenommen in der Kirche von Öjaby:

Diese Textfassung ist in einem neueren Schwedisch. Eine erste Stufe der Überarbeitung bildet die Fassung aus dem „Wallinschen“ Gesangbuch von 1819, das vom späteren Erzbischof von Uppsala Johan Olof Wallin (1779-1839) verantwortet und sprachlich modernisiert wurde und 1819 erschienen ist. Eine zweite Überarbeitung/Modernisierung hat Britt Gerda Hallqvist (1914-1997) im Jahr 1979 vorgenommen. Hier findet sich der ursprüngliche schwedische Text von 1695.

Wer sich mit einer englischen Übersetzung leichter tut, findet sie hier.

Hier ist auch die original fünfte Strophe zu finden. Sie knüpft in ihrer Anrede an der vorangehenden Strophe an. Angesprochen wird Jesus und zwar mit Bezug auf Hohelied 2,1, wo es heißt: „Ich bin eine Blume in Scharon und eine Lilie im Tal.“ Es wird darum gebeten, dass Gottes Gnade wie ein leichter Regen fallen möge, um die menschliche Seele zum Erblühen von guten Taten zu bringen und dass diese so süß duften mögen wie die Rosen des Libanon. Damit wird nebst dem Motiv der wärmenden Sonne auch das Blumenmotiv aus den vorangehenden Strophen auf Jesus bezogen.

In der dänischen und in der finnischen Übersetzung ist diese fünfte Strophe erhalten geblieben. Die dänische Übersetzung ist erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Gebrauch, gesungen von Kaya und begleitet von Ole.

Die lutherische Kirche in Finnland stand lange Zeit unter dem Einfluss und teils auch in Abhängigkeit von der Kirche Schwedens. An den Küsten Finnlands nach Schweden hin lebt bis heute eine schwedisch-sprachige Minderheit und das Gesangbuch der Lutherischen Kirche Finnlands gibt es in einer finnischen und in einer schwedischen Fassung. Hier eine finnisch-schwedische Fassung mit den uns bekannten vier Strophen, aufgenommen unter Corona-Bedingungen von den Kindern und Jugendlichen der Matthäus-Gemeinde in Helsinki:

Schon 1700 gab es eine finnische Übersetzung aller sechs Strophen und das Lied wird in Finnland einfach „Suvivirsi – Sommerweise“ genannt. Allerdings hat die Melodie am Ende der ersten Zeile eine leichte Veränderung erfahren, wie man in der Aufnahme mit der finnischen Opernsängerin Soile Isokoski (*1957) hören kann.

Zur Melodie

Dass das Lied sich als Volkslied erweist und bewährt, hängt auch mit der Form zusammen. Es gibt viele Kirchenliedmelodien, die nach der Form A–A–B gestaltet sind. Ein erster Teil wird wiederholt, während danach ein anderer Teil folgt, der manchmal gewisse Teile aus dem ersten Teil wieder aufgreift. Man nennt dieses „Schema“ in der musikalischen Fachsprache „Barform“. Teil A wird auch „Stollen“ oder „Aufgesang“ genannt, Teil B ist der „Abgesang“. Die Barform hat sich aus der mittelalterlichen Kanzonenstrophe entwickelt. 

Das eine Gestaltungselement der Melodie von „Nun kommt das große Blühen“ ist die absteigende Tonfolge innerhalb des Intervalls einer Quarte. Wir finden diese Tonfolge zu Beginn des Stollens, sowie in der ersten und dritten Melodiezeile des Abgesangs, wobei hier die Quarte auf eine Quinte erweitert wurde. Im Stollen und im zweiten Teil des Abgesangs beginnt sie auf derselben Tonhöhe, zu Beginn des Abgesangs erklingt sie um eine Quart höher. Das andere Gestaltungselement sind zwei Tonwiederholungen in der zweiten Stollenhälfte und der zweiten Melodiezeile des Abgesangs. So viele Elemente, die sich wiederholen, machen eine Melodie leicht erlernbar. Kein Wunder, dass diese Melodie also im Kontext der Schule erklingt.

Ein Lied, mit dem in Schweden und Finnland das Schuljahr ausklingt

Wie volkstümlich und weit verbreitet die Melodie in Schweden und Finnland ist, kann man an den folgenden Beispielen erkennen. Von den Schulklassen (und ihren Lehrer*innen) werden selten mehr als die ersten drei Strophen gesungen, manchmal in einem erstaunlich langsamen Tempo.

Hier mit einer interessanten musikalischen Einleitung und den zunächst wenig motiviert wirkenden Sängerinnen aus Lund.

Eine Fassung von musikalischen Profis mit einem feinem Chorsatz:

Bei der Schulschlussfeier der Kärrdarskola sind nicht alle Kinder textsicher:

In Finnland kommen zum Schulschluss auch mal 6.000 Menschen im Stadion zusammen und manche Eltern singen mit:

Für den Gruß zum Ende des ersten Corona-Schuljahres haben sich die Lehrkräfte etwas einfallen lassen und verwenden die Schultafeln dazu. Gesungen wird vom Profiensemble "Club for Five".

Oder von den Lehrkräften selbst gesungen (manche mit Schummelzettel), mit Covid19-Abstand und Einblick in finnische Schulhausarchitektur:

Wer sich hymnologisch weiterbilden möchte, findet hier weitere Angaben zum Lied vom Kirchenhistoriker Esko M. Laine, Finnischkenntnisse sind von Vorteil. Bei 1:04 gibt es ein Bild des Dichters Israel Kolmodin zu sehen:

Esko Laine erwähnt dabei den zeitgeschichtlichen Hintergrund des Liedes. In Schweden kam es ab 1688 zu einer Reihe von harten Wintern infolge der Kleinen Eiszeit, die sich im Norden zwischen 1675 und 1715 deutlich bemerkbar machte. Im Jahr 1695 gab es den kältesten Frost seit 1658, im darauffolgenden Sommer waren die Ernten so schlecht, sodass man auf manchen Bauernhöfen aus dem Roggen nur einen Laib Brot backen konnte. Israel Kolmodin wollte mit seinem Liedtext die Hoffnung auf bessere Zeiten wecken.

Ein letztes sei hier noch erwähnt. Im Jahr 2018 kam der Thriller „The Unthinkable“ in die Kinos. Im Schwedischen trägt der Film den Titel „Den blomstertid nu kommer“, da dieses Lied eine spezielle Rolle im Film spielt. Hier der Soundtrack zum Film:

Aus urheberrechtlichen Gründen können hier keine Texte aus dem Gesangbuch der Evangelisch-methodistischen Kirche 2002 abgedruckt werden. Dieses kann jedoch bei blessings4you bestellt werden.

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