Wie kommen Menschen zum Glauben?
Faith Impulse
Pastorin, Erwachsenenbildung
Wie kommen Menschen zum Glauben an Jesus Christus?
Das ist eine Frage, die so manche Verantwortliche in den Kirchen beschäftigt. Wer möchte nicht andere Menschen für den Glauben gewinnen, für das, was einem selbst wichtig ist und Halt gibt! Wie kommen Menschen zum Glauben an Jesus Christus? So fragen auch Missionsstrategen, Gemeindeentwickler und Evangelisationsvisionäre. Geraten sie unter Erfolgsdruck, so verändert sich die Frage nach dem Glauben um ein kleines aber entscheidendes Etwas: Was muss ich tun, damit auch andere Menschen glauben? Damit die Gemeinde wächst? Damit das Christentum an Boden gewinnt? Leider geht mit dieser Ausrichtung der Blick auf den einzelnen Menschen leicht verloren. Es besteht die Gefahr, dass es nur noch um die Rettung einer Institution, einer Organisation oder einer Idee geht. Aus der Frage nach den Bedingungen des Glaubens: Wie kommt ein Mensch zum Glauben? wird die Frage nach der Machbarkeit des Glaubens: Was muss ich tun, damit ein anderer Mensch zum Glauben findet? Wie kann ich es machen, dass andere auch glauben?
Wie kommen Menschen zum Glauben an Jesus Christus? Für den Evangelisten Johannes steht die erste Frage im Zentrum seines Evangeliums. Darum hat er die Geschichten rund um Jesus von Nazareth gesammelt. Darum erzählt er uns von Menschen, die mit Jesus, dem Auferstandenen, in Berührung gekommen sind. Es geht zunächst um Menschen, die Jesus nahe gestanden sind, z.B. Maria Magdalena oder ein Jünger wie Thomas. Durch die Erzählungen des Evangeliums lässt uns Johannes daran teilhaben, was Jesus getan hat. Er lädt uns ein, dass auch wir uns auf den Glauben einlassen. Denn das ist das Ziel, das sich Johannes gesetzt hat. Er benennt es am Schluss unseres Textabschnitts: „Damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen.“ (Joh 20,31)
Was überzeugt?
Eine Geschichte, die uns Johannes erzählt, das ist die Begegnung von Thomas mit dem Auferstandenen. Diese Geschichte führt uns den Unterschied zwischen den eingangs genannten Fragen deutlich vor Augen: Geht es darum, dass Menschen zum Glauben finden? Oder wie kann ich es machen, dass Menschen glauben? Die Geschichte beginnt zunächst mit einem Misserfolg. Die Jünger sind in Jerusalem versammelt. Trotz verschlossener Tür erscheint ihnen Jesus. Das bewegt sie so, dass sie auch Thomas, der diese Begegnung verpasst hat, zu überzeugen versuchen von dem, was sie erlebt haben. Sie sagen: „Wir haben den Herrn gesehen.“ So versuchen sie auch Thomas für die Osterfreude zu gewinnen. Eine Erscheinung des Herrn, das müsste doch Grund genug zum Glauben sein. Das muss doch Thomas selbst einleuchten!
Die Jünger tun, was zunächst jeder tut, der eine gute Nachricht weiter zu geben hat. Sie erzählen von dem, was sie bewegt und beschäftigt. Doch ihr Missionseifer, er führt nicht zum erwünschten Erfolg. Thomas lässt sich nicht beeindrucken von ihren Erfahrungen. Er bleibt skeptisch und zurückhaltend. Er will Tatsachen sehen: „Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe“, so beginnt er. Und die Fortsetzung verlangt noch Konkreteres: „Wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht.“ Thomas will mit seinen Sinnen selbst begreifen, ob der Auferstandene tatsächlich derjenige ist, dessen Kreuzigung ihm nahe gegangen ist.
Skeptiker und Zweiflerinnen
Dieser Thomas gleicht so manchem Schüler oder so mancher Schülerin, die ich im Religionsunterricht begleitet habe. Skepsis und Zurückhaltung haben diese jungen Menschen an den Tag gelegt, wenn es um religiöse Fragen ging. Und doch hat es sie interessiert, hatten sie ihre Fragen, wollten sie mehr wissen. Sie wollten von einem Menschen, der glaubt, aus erster Hand erfahren, was denn es denn diesem Glauben an Gott auf sich hat, was denn an diesem Jesus dran ist. Und so haben sie mich geprüft, getestet, befragt. Sie wollten wissen, wo ich stehe, wie ich das sehe, warum mich das überzeugt. Sie haben jemanden gebraucht, der in dieser Hinsicht „angreifbar“ war: „Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe, … wenn ich meinen Finger hineinlege, … wenn ich nicht meine Fragen stellen kann und eine glaubhafte Antwort erhalte …“
Da helfen keine Überredungskünste. Da hilft kein Missionseifer. Da helfen keine Strategien und keine Konzepte und seien sie noch so gut erdacht und klug aufgebaut. Glaube lässt sich nicht erzwingen. Zweifel braucht ein hörendes Herz und bleibende Zugewandtheit und nicht einfache oder gar stereotype, immer gleiche Antworten. Es ist nicht leicht, dem allem Stand zu halten. Und darum ist es kein Wunder, dass Zweifler wie ein Thomas nicht überall gerne gesehen sind. Sie bringen einen selbst ins Fragen. Sie decken die eigenen Unsicherheiten auf, die man doch so gerne vor den anderen verbergen möchte. Kein Wunder, dass man denen lieber ausweicht, die unangenehme Fragen stellen. Da könnte offenbar werden, dass man auch kein Glaubensheld ist oder dass man so manches selbst in Frage stellt. Kein Wunder, dass man den Skeptikern und kritischen Geistern lieber ausweicht. Sie lassen einen erfahren, dass der Glaube eines Menschen etwas ist, das man nicht machen oder beeinflussen kann. Sie lassen einen bewusst werden, dass man als Gemeinde und Kirche zwar viel tun kann, um einladend und offen zu sein, um Menschen willkommen zu heißen — und das ist auch gut so. Aber letztlich ist der Glaube ein Geschenk. Er lässt sich nicht machen. Er lebt aus der persönlichen Begegnung mit Jesus und davon, dass Gottes Geist das Herz eines Menschen verändert.
Wie begegnet nun Jesus diesem Thomas? Wie führt er ihn zum Glauben? Wie begegnet er ihm so, dass er seinen Zweifel überwinden kann?
Begegnung durch ein zugewandtes Ja
Jesus sagt Ja zu Thomas, indem er ihm Zeit lässt. Da ist zunächst die Rede davon, dass acht Tage vergehen. Auf die Forderung nach einem handfesten und greifbaren Beweis steigt Jesus nicht sofort ein. Er tritt nicht unmittelbar auf und erscheint auf der Stelle. Er setzt nicht alle Hebel in Bewegung, damit er Thomas zum Glauben bringen kann. Jesus lässt sich Zeit. Und Jesus lässt Thomas seine Zeit. Die Dinge nehmen ihren Lauf. Nach einer Woche versammeln sich die Jünger wieder. Sie verschließen die Türen als rechneten sie damit, dass ihnen Verfolgung droht. Jetzt ist die Zeit der Begegnung mit Thomas.
Jesus sagt Ja zu Thomas und zu den anderen Jüngern, indem er ihnen den Frieden wünscht: „Friede sei mit euch!“ Das mag die normale Begrüßungsformel von damals gewesen sein. Für mich schwingt da aber noch etwas anderes mit. Zu zweifeln wie Thomas, das kann mitunter sehr anstrengend sein. Wer alles in Frage stellen muss, der spürt in sich selbst eine große Unruhe. Manchmal ist sie mehr im Vordergrund, manchmal lässt sich diese Unruhe in den Hintergrund verbannen. Aber ein Fragen, Erwägen, Bedenken, Bezweifeln, das kann einem mitunter ganz schön die Kraft rauben. Wer fragt und keine Ruhe gibt, bis ihn die Antwort befriedigt, der sehnt sich oft nach Frieden und Ruhe, nach Frieden mit sich selbst. Jesus bringt diesen Frieden mit. Jesus spricht Thomas diesen Frieden zu: „Friede sei mit dir!“ Nimm diesen Frieden entgegen. Er ist mein Geschenk an dich. Das ist mein Ja, mein Angebot der Versöhnung an dich, dass ich dir den Frieden schenke, den du selbst nötig hast.
Jesus sagt Ja zu Thomas, indem er ihm ein konkretes Angebot macht. Er bietet Thomas an, das auszuführen, was er sich wünscht. „Strecke deinen Finger aus, leg deine Hand in meine Seite!“ Probiere aus, was du gerne prüfen möchtest. Ich nehme deine Skepsis ernst. Ich nehme deinen Zweifel ernst. Ich bin für dich da. Ich halte es aus, dass du ein Skeptiker bist. Ich halte es aus, dass du deine Finger in meine Wunden legen willst. Ich mache dir den handfesten Beweis möglich. Ich ziehe mich nicht vor dir zurück, sondern ich setze mich dir aus. Nimm dir von mir, was du brauchst, damit du glauben kannst. Probiere aus, was du testen möchtest. „Strecke deine Finger aus, lege deine Hand in meine Seite!“
Jesus sagt Ja zu Thomas, indem er ihn herausfordert: „Sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“ Wie so mancher Zweifler braucht Thomas die Herausforderung, den Sprung zu wagen, das Fragen hinter sich zu lassen, vom Zweifler zum Glaubenden zu werden. „Sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“ Das mag für die einen Ohren zunächst wie ein Tadel klingen, als ob nicht zu glauben ein Makel sei. So habe ich diesen Satz lange Zeit verstanden. Aber kann das nicht auch eine Ermutigung sein? „Sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“ Wage den Schritt, finde dein eigenes Ja, zu dem Ja, das ich dir gebe. Schlag ein in die Hand, die ich dir entgegenstrecke. Finde den Mut, um dein Leben in Gottes Hand zu legen. Vertraue dich ihm an! Er heißt dich schon längst willkommen. Trau dich! Und wachse über dich hinaus. Denn in dir steckt mehr als du je geahnt hast.
Das eigene Ja finden
In der Begegnung mit Jesus findet Thomas sein eigenes Ja. Es ist ein Bekenntnis zu Jesus, das er ausspricht: „Mein Herr und mein Gott!“ Auf einmal braucht er gar keinen handfesten Beweis mehr für seinen Glauben. Die Male der Nägel zu sehen und die Finger in die Wunden zu legen, das interessiert Thomas nicht mehr. Die Begegnung mit dem Auferstandenen, das ist das Entscheidende. Die Begegnung mit dem, der in verschiedener Weise Ja sagt zu den Menschen, das ist es, was Menschen ermutigt und was uns ermutigt, uns auf das Wagnis des Glaubens einzulassen.
Wenn einer Ja sagt zu mir, ohne mich zeitlich unter Druck zu setzen und etwas von mir zu erzwingen, dann höre ich von ihm das Ja, das Christus zu mir sagt und ich finde ein Ja zu Christus. Wenn eine mir ihren Frieden anbietet und ich darin Gottes Angebot der Versöhnung wahrnehme, dann wage ich die Aussöhnung mit mir selbst. Dann finde ich in meinem Ja zu Gott auch das Ja zu mir selbst und zu all den schwierigen Seiten, die ich an mir kenne. Wenn einer sich von mir testen lässt, auch wenn es unangenehm ist. Wenn einer mir seine Wunden und verletzten Seiten zeigt und ich darin sehe, wie Gott sich verletzbar gemacht hat, indem er Mensch geworden ist, dann muss ich nicht mehr vor meinen eigenen Verletzungen zurückschrecken und sie vor allen anderen zu verbergen suchen. Dann finde ich im Ja Gottes zu den Schwachen und Verletzten das Ja, durch das ich auch meine eigenen Verwundungen anschauen kann. Wenn eine mich herausfordert zum Glauben, wenn sie mich ermutigt, meinen Weg des Glaubens zu gehen, auch wenn es ein Weg mit Fragen und durch Zweifel hindurch ist, dann weiß ich, dass Gott zu mir Ja sagt, trotz meiner Fragen und Zweifel.