Im Streudienst Gottes tätig
Faith Impulse
Pastorin, Erwachsenenbildung
Das Gleichnis vom Sämann oder vom vierfachen Ackerfeld ist eines der wenigen Gleichnisse, zu dem sich schon im Neuen Testament selbst — einige Verse später — eine Auslegung findet. Ich habe diese Auslegung bewusst weggelassen, obwohl dieser Abschnitt auch zum Evangeliumstext gehört. Denn ich möchte zunächst noch andere Deutungsmöglichkeiten des Gleichnisses zur Geltung kommen lassen als diejenige, die sich in der Bibel findet.
Zunächst jedoch noch eine Bemerkung zur Situation des Gleichnisses. Die wenigsten von uns sind Bauern und haben Felder zu bestellen. Heutige Bauern streuen die Samenkörner nicht einfach aus wie zu Jesu Zeiten. Sie verwenden inzwischen Saatmaschinen, mit denen die Körner ganz gezielt und in Reih und Glied in die Erde gebracht werden. Ob Weizen, Gerste oder Roggen: Jede Art von Getreide wächst anders und braucht ganz bestimmte Abstände, damit die Halme gut wachsen können. Mit der Saatmaschine kann man das genau einstellen. Anders war es zur biblischen Zeit. Da wurden die Samen einfach mit der Hand ausgestreut und es war mehr oder weniger zufällig, welche Samen wohin zu liegen kamen. Am einen Ort waren sie dichter beieinander, am anderen Ort gab es vielleicht auch „Löcher“, wo keine Samenkörner hingefallen sind.
Orte des Misserfolgs
Das Gleichnis nennt uns zunächst drei Orte, wo die Körner so hinfallen, dass sie nicht gut gedeihen können und es so zum Misserfolg kommt: Auf dem festgetretenen Weg haben die Vögel ein leichtes Spiel. Die Samenkörner dringen dort nicht leicht in die Erde ein und so können sie sie aufpicken. Der zweite Ort des Misserfolgs ist der felsige Boden. Da können die Samenkörner keine Wurzeln bilden und die jungen Pflanzen verdorren, so bald die Sonne brennt. Der dritte Ort, das ist dorniges Gestrüpp, das den kleinen Pflanzen Licht und Raum wegnimmt. So können sie sich nicht entfalten.
Es ist etwas eigenartig, dass das gute Land, der fruchtbare Boden, der den Erfolg bringt, erst zum Schluss und vergleichsweise kurz erwähnt wird. Da wächst etwas aus den Samenkörnern, hundertfach, sechzigfach, dreißigfach. Dabei war das ja das Ziel des Sämanns. Es heißt nicht: Ein Sämann ging aus um daneben zu säen. Nein, es geht darum, dass er die Samenkörner aufs Feld, auf den Acker streut. Das macht den größten Teil des Samens aus, alles andere, was danebenfällt, ist im Gegensatz dazu eine verschwindend geringe Menge.
Der erste Versuch, das Gleichnis zu deuten, greift eine zur Zeit Jesu beliebte Deutung des Bilds vom Samen auf. Wer damals das Gleichnis vom Samen gehört hat, hat vermutlich zunächst daran gedacht: Wir Menschen sind der Same und Gott hat uns in die Welt geworfen, damit wir Frucht bringen.
Der Same – das sind wir
Der Same — das sind wir! Wir sind nicht Steine, wir sind nicht Dreck, wir sind auch nicht Luft. Nein, wir sind Same, der Frucht bringen soll. Dazu hat uns Gott geschaffen und dazu hat Gott uns gut geschaffen. In seinen Augen sind wir wertvoll. Doch was das Gleichnis sagt, das kennen wir aus eigener Anschauung. Nicht jeder Same fällt auf guten Boden. Nicht jedes Kind wächst unter Bedingungen auf, unter denen es die in ihm angelegten Fähigkeiten voll entfalten kann. Mancher Same findet keinen Boden, in dem er Wurzeln schlagen kann. Manches Korn geht im Gestrüpp und in den Dornen verloren. Manches Korn wird vom Unkraut erstickt.
In diesem Jahr feiert die Gemeinde Salzburg ihr 75-jähriges Bestehen. Das lädt natürlich dazu ein zu fragen: Wie ist denn der Boden dieser Gemeinde beschaffen? War es ein Boden, auf dem Menschen wachsen und sich entfalten konnten? Oder war es manchmal hart und steinig? Oder war viel Gestrüpp und Dornengewächs da? Die Fotos vom alten Saal in der Neutorstraße mit dem dunklen Teppichboden und den zugezogenen Vorhängen lassen mich vermuten, dass es bisweilen etwas wenig Licht gab und dass man das Licht der Öffentlichkeit gescheut hat. Was den einen Geborgenheit geschenkt hat — und das war wohl für die erste Flüchtlingsgeneration wichtig — das hat andere womöglich abgeschreckt, wenn sie im Hinterhof suchen und die Treppe in den Untergrund hinabsteigen mussten, um in den Gemeindesaal zu gelangen.
Man kann gut und gerne über schlechte äußere Bedingungen jammern, die das Wachstum verhindern: Das Gebäude ist nicht geeignet. Man findet uns nicht. Wir finden keine Beachtung. Doch wenn wir beim Gleichnis bleiben und bei der Auslegung, dass wir Menschen der gute Samen und nicht Steine oder Dreck sind, dann gilt: Auch die Menschen, die nicht Wurzeln schlagen konnten, die zu ersticken drohten, auch sie sind guter Same. Auch in ihnen hat Gott Gutes angelegt. Sie haben vielleicht in dieser Gemeinde keinen Boden gefunden, in dem sie Wurzeln schlagen und Frucht bringen konnten. Aber in ihnen ist Gutes angelegt, das womöglich an einem anderen Ort aufgehen konnte.
Eine zweite Möglichkeit das Gleichnis zu deuten ist eine, die auch sonst gern in der Bibel verwendet wird. Sie erzählt uns vom Zusammenhang unseres Tuns und dem, was daraus wird. So heißt es zum Beispiel in Psalm 126: „Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.“ Und der Apostel Paulus weiß den Korinthern über das Geben, z.B. von Geld zu sagen: „Wer kärglich sät, wird auch kärglich ernten; wer sät im Segen, der wird ernten im Segen.“ (2. Kor 9,6)
Der Same – das sind unsere Taten
Diese zweite Möglichkeit sagt: Der Same — das sind unsere Taten. Wir können mit unserem Tun diese Welt verändern. Wir haben die Möglichkeit, den Boden zu verbessern; wir können die Bedingungen, unter denen Kinder aufwachsen, verändern; wir können uns für Benachteiligte und für Flüchtlinge einsetzen. Die Verhältnisse, in denen Menschen leben, müssen nicht immer und ewig die gleichen bleiben.
Gerade eine Gemeinde kann ein guter Ort sein, um Räume zu schaffen, wo Menschen sich entfalten und wachsen können. Es gibt die Möglichkeit sich zu beteiligen, musikalisch, kulinarisch oder mit anderen Begabungen. Es gibt die Möglichkeit, für andere Menschen und wichtige Anliegen einzustehen: für Alleinerzieherinnen, für die Umwelt und das Klima auf die Straße zu gehen, sich für Menschenrecht stark zu machen.
Doch bei allem guten Willen und mit aller Energie und Tatkraft, mit der wir uns einsetzen: Manchmal bleibt der Boden hart und steinig. Die Dornen oder auch der Amtsschimmel ersticken schon bald das eine oder andere Vorhaben. Es geht nicht lange, da verhärtet sich unser Herz. Die Miene wird verbissen von den vielen Anstrengungen. Wir sehen nur noch den Misserfolg, vom Erfolg spüren wir nichts. Es braucht so viel Zeit bis der Same aufgeht und wächst und Frucht bringt. Haben wir die Geduld so lange zu warten?
Was sagt uns das Gleichnis in dieser Situation? Der Same geht auf und bringt viel Frucht, hundertfach, sechzigfach, dreißigfach. Es gibt zwar Misserfolg, aber der Erfolg überwiegt. Um einen Gewinn zu haben, geht es nicht ohne Verluste. Ein Samenkorn muss verloren gehen, damit andere Körner daraus hervorgehen. Aber die Ernte ist um vieles größer, als das, was ich zunächst preisgebe. Ein Stück von mir, etwas Zeit oder Kraft, die ich habe, sie müssen verloren gehen, damit Neues daraus entstehen kann. Aber ich erhalte ein Vielfaches von dem zurück, was ich investiert habe. Ich habe die große Möglichkeit, etwas in dieser Welt und für die Menschen zu verändern. Und trotz all dem Mangelhaften, das passiert: Es gibt auch Frucht, die daraus gedeiht.
Der Same – das ist das Wort
An dieser Stelle möchte ich nun diejenige Deutung des Gleichnisses aufgreifen, die das Matthäusevangelium anbietet: Der Same — das ist das Wort, das ist Gottes Botschaft von seiner Liebe zu den Menschen. Dieses Wort wird auf unterschiedlichste Weise und an viele Orte hingestreut — gerade auch im Zusammenhang einer Gemeinde. Es ist ein Wort, das uns herausfordert: Wir sollen dafür sorgen, dass Menschen nicht verloren gehen. Es ist ein Wort, das uns in Frage stellt: Tun wir das wirklich? Oder verschließen wir die Augen vor dem, was uns misslingt? Wollen wir möglichst nichts davon hören, dass gewisse Samenkörner daneben gestreut werden, dass sie nicht aufgehen, dass es Misserfolg gibt?
Letztlich ist es aber auch ein Wort, das uns vor allem aufrichtet: Wir dürfen auch daneben streuen und trotzdem behält uns Gott in seinem Streudienst. Wenn wir versagen, dann bucht uns Gott trotzdem auf der Erfolgsseite. Gott weiß zu trennen zwischen unserer Schuld und uns als Personen. Die Schuld, die wirft er ins Meer, aber wir sind von ihm nicht verworfen.
Drei Deutungen dieses Gleichnisses, drei Möglichkeiten es zu verstehen.
Die erste: Der Same — das sind wir Menschen. Wir sind nicht Dreck und nicht Steine. Als Same hat uns Gott in die Welt geworfen. Einige fallen auf guten Boden und können Frucht bringen, aber es gibt auch welche, die keine guten Bedingungen haben, unter denen sie gedeihen können. Sie gehen verloren.
Gut, dass es da die zweite Deutung gibt: Der Same — das sind unsere Handlungen. Mit unserem Tun können wir den Verlorenen beistehen und ihnen helfen, dass auch sie wachsen können. Aber wir wissen auch, dass wir dabei versagen und dass dadurch die Verluste oft größer werden.
Gut, dass es daher die dritte Deutung gibt: Der Same — das ist das Wort. Das ist die Zusage Gottes, dass er uns aufrichtet, wenn wir versagen; dass er uns die Schuld vergibt, wenn wir Fehler machen.
Das Weizenkorn
Trotz allem bleibt ein Unbehagen: Immer geht auch etwas verloren. Selbst das Wort Gottes geht verloren. Es wird nicht gehört. Es erreicht nicht jeden, der etwas von Gottes Liebe spüren sollte. Vielleicht braucht es noch eine vierte Deutung, damit wir verstehen, wie Gottes Botschaft der Liebe uns erreicht. Wir finden diese Deutung im Johannesevangelium, wo es von Jesus heißt: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, trägt es viel Frucht.“ (Joh 12,24) Dann müsste man das Gleichnis noch etwas anders erzählen:
Ein Sämann ging aus zu säen. Aber unter dem Samen war ein Weizenkorn, mit dem sich der Sämann besonders identifizierte. Gerade dieses eine Weizenkorn ging verloren. Es fiel auf harten Weg, es ging ein auf dem felsigen Boden, es erstickte im Dornengestrüpp. Dieses Samenkorn starb in der Erde. Durch seinen Tod aber brachte es viel Frucht: dreißig-, sechzig-, hundertfach.
Das ist wohl das Geheimnis der christlichen Botschaft, das Geheimnis des Samens, den wir ausstreuen dürfen: Dass Gott sich selbst wie ein Weizenkorn ausliefert. Dass er selbst verloren geht auf dem Weg, auf felsigem Grund, in den Dornen. Und dass er sich in die Erde legt und stirbt, damit wir und die vielen Verlorenen das Leben gewinnen. Amen.