Lass es nur zu

Faith Impulse

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Esther Handschin

Pastorin, Erwachsenenbildung


Predigt zum Sonntag der Taufe Jesu, Matthäus 3,13-17

Johannes und Jesus begegnen einander

Johannes der Täufer und Jesus begegnen einander. Diese Begegnung geschieht nicht nur in der Erzählung des heutigen Evangeliums. In den ersten beiden Kapiteln des Lukasevangeliums treffen die beiden schon einmal aufeinander. Allerdings war das eine etwas andere Art der Begegnung. Johannes war noch im Bauch seiner Mutter Elisabeth. Und Maria ist gerade erst mit Jesus schwanger geworden. Als Maria ihre Verwandte Elisabeth besucht und sie über die Schwelle des Hauses tritt, da bewegt sich das Kind von Elisabeth im Mutterleib. Sie deutet diese Bewegung als eine Art Gruß des Johannes an seinen zukünftigen Herrn.

Heute haben wir die beiden, Johannes der Täufer und Jesus, als erwachsene Männer vor uns. Von Johannes heißt es zu Beginn des Kapitels, dass er in der Wüste von Judäa als Prediger aufgetreten sei. Jesus kommt extra von Galiläa im Norden des Landes herunter in den Süden und an den Jordan, um sich von Johannes taufen zu lassen. Das löst bei Johannes eine Irritation aus. Als würde er sich an diese vorgeburtliche Begegnung erinnern, so ist er der Überzeugung, dass Jesus ihm überlegen und höher gestellt ist. Eigentlich müsste es gerade umgekehrt sein. Nicht er sollte Jesus taufen, sondern Jesus sollte ihn taufen. Nicht Jesus sollte zu ihm kommen, sondern er, Johannes, sollte Jesus aufsuchen und von ihm lernen, was es heißt, ein Gesandter Gottes zu sein und seine Botschaft zu verkündigen.

Im Abschnitt zuvor hat es Johannes den Menschen, die ihn aufgesucht haben, schon vorausgesagt: "Ich taufe euch mit Wasser als ein Zeichen, dass ihr umkehrt. Nach mir kommt aber einer, der wird euch mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen. Er ist stärker als ich und ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe auszuziehen." Und jetzt steht dieser andere vor ihm und will sich taufen lassen, so wie alle anderen. Was hat das zu bedeuten?

Eine Störung der Ordnungen

Nach allem, was Johannes bisher verkündigt hat, hat er so ziemlich alles erwartet, doch nur nicht das. Da tritt er nun endlich auf, dieser Jesus, aber er hält sich an keine Hierarchie und an keine Rangordnung. Die Position, die ihm zustehen würde, nimmt er nicht ein. Das irritiert. Das bringt Johannes aus dem Konzept. Das hält er nicht aus. Das kann er nicht zulassen. Dagegen muss er protestieren. „Ich müsste von dir getauft werden, und du kommst zu mir?“ Halte dich bitte an die gegebenen Strukturen und Ordnungen! Bring mich bitte nicht durcheinander! Störe doch bitte nicht mein Weltbild!

Schon das erste Auftreten Jesu stört die gewohnten Ordnungen und Rangfolgen. Schon sein erstes Ansinnen stellt alles auf den Kopf. Schon die erste Geste lässt uns fragen, ob es denn eine andere Ordnung ist, der Jesus folgt. Was Matthäus in seiner ersten Schilderung des Auftretens Jesu nur indirekt anklingen lässt, das wird er durch sein ganzes Evangelium hindurch genauer erläutern. Für ihn ist Jesus derjenige, der wie kein anderer Gottes Willen erfüllt, der sich seinem himmlischen Vater unterstellt und ihm gehorcht.

Die neue Ordnung: Gottes Willen tun

Den Willen des Vaters im Himmel zu tun, das ist es, was der Jesus des Matthäusevangeliums den Menschen und damit auch uns nahelegt. Dein Wille geschehe, so lehrt es uns Jesus im Vaterunser, so betet er selbst im Garten Gethsemane: Nicht wie ich will, sondern wie du willst, soll es geschehen. Das ist also diese andere Ordnung, der Jesus folgt: den Willen Gottes zu erfüllen, nicht den Ordnungen und Hierarchien dieser Welt zu folgen.

Das ist tatsächlich ein Lebenskonzept, das Jesus immer wieder in Konfliktsituationen und Auseinandersetzungen bringt, letztlich sogar ans Kreuz. Und mit seiner Geste der Demut hat er nicht wenige Theologen in Schwierigkeiten gebracht. Warum nimmt ausgerechnet der Sündlose für sich die Taufe zur Vergebung der Sünden für sich in Anspruch? Was ist das für ein erhabener Gottessohn, der die Taufe der Geringen auf sich nimmt?

Nicht nur Johannes der Täufer entsetzt sich über das Verhalten Jesu. Auch wir haben allen Grund dazu, uns über diesen Gott zu wundern, der den Weg der Demut, der Solidarität mit den Sündern und die Nähe zu den Geringen und Schwachen sucht. Nicht nur Johannes der Täufer nimmt Anstoß daran, dass seine Erwartungen nicht erfüllt werden. Auch wir ärgern uns immer wieder darüber, dass Gott das Törichte und Schwache, das Niedrige und Verachtete erwählt.

Lass es nur zu

Jesu Antwort auf die Verweigerung und die verwunderte Frage des Johannes bringt diesen zum Einlenken. Es sind die ersten Worte, die Jesus nach der Schilderung des Matthäus spricht. Er sagt: „Lass es nur zu! Denn nur so können wir die Gerechtigkeit ganz erfüllen.“ Lass es nur zu, damit trifft Jesus einen wunden Punkt vieler Menschen. Etwas zuzulassen, was nicht in unser System passt. Etwas geschehen zu lassen, was wir gerne selbst in die Hand nehmen würden. Etwas loszulassen, was wir gerne fest im Griff hätten. Dagegen wehren wir uns mit allen Mitteln. Lieber alles dafür tun, dass es mir nicht entgleitet. Lieber das bekannte Unglück als das unbekannte Glück, sagen wir uns. Lieber festhalten an dem, was ich kenne. 

Doch was kann das bedeuten, wenn Jesus sagt: „Lass es nur zu.“? Ich höre hier Jesus sagen: „Lass es nur zu.“ Ich gewähre dir einen Raum der Freiheit. Da gibt es Platz so zu sein, wie du bist. Darin kann etwas Neues wachsen, da kannst du etwas ausprobieren. „Lass es nur zu“, das heißt auch: Ich spiele dir einen Ball zu. Mit dem kannst du andere Spiele spielen als die altbewährten und erprobten. Ich, Jesus, begegne dir mit Liebe. Das wird dich verändern, wenn du dich davon bewegen lässt. „Lass es nur zu“, das ist das erste, was Jesus sagt. Er wird noch ganz anderes sagen im Lauf seines Lebens. Dinge, die ich gerne höre und Dinge, die mir schwer fallen zu akzeptieren. Aber zunächst will er mein Vertrauen gewinnen. Durch sein „Lass es nur zu“ zeigt mir Jesus, dass ihm die Beziehung wichtig ist und das bedeutet: Ohne dich geht es nicht. Darum lass es zu. Ich gebe dir Raum. Ich lasse dir Platz, damit du dich entfalten kannst.

Die Gerechtigkeit erfüllen

Jesu Antwort an Johannes geht aber noch weiter. Er fügt hinzu: „Nur so können wir die Gerechtigkeit ganz erfüllen.“ Was mir auffällt, das ist das „Wir“. Jesus spricht in der Mehrzahl. Das ist eine Einladung an Johannes. Jesus kann die Gerechtigkeit nicht alleine erfüllen. Es ist nicht ein absolut in die Welt gesetztes Heil, mit dem wir durch Jesus konfrontiert werden. Als nähme es unabhängig von uns den Lauf, als würde es sich wie von selbst abwickeln wie ein Schicksal, das uns zugeteilt ist.

Bei der Verwirklichung seiner Gerechtigkeit und seines Heils, bindet sich Gott an uns Menschen. Das ist das Vertrauen, das er uns entgegenbringt. Damit wird er uns gerecht. Damit spricht er uns frei. Das müsste genauso Anstoß erregen und irritieren wie die Demut Jesu. Ein Gott, der sich an menschliche Gegebenheiten und Bedingungen bindet. Ein Gott, der von sich aus die Nähe der Menschen sucht. Vielleicht ist uns das von diesem christlichen Gott schon so vertraut, dass wir das Revolutionäre, das darin liegt, kaum mehr erkennen können.

Für die Menschen damals am Ende des ersten Jahrhunderts, für die Menschen, für die Matthäus seine Nacherzählung der Jesus-Geschichte aufschrieb, war das neu. Sie kannten nur Götter, die sich höchstens mit ihresgleichen beschäftigten. Für sie gab es nur die strikte Trennung zwischen der göttlichen und der irdischen Welt. Dass Gott sich aber den Menschen liebevoll zuwendet, in einem ganz konkreten Menschen, das war das Neue und Ungewöhnliche.

Ein himmlisches Echo

Und aus dieser göttlichen Welt vernehmen wir das Echo. Es ist eine himmlische Stimme, mit der der erste Auftritt Jesu unter den Menschen kommentiert wird. „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe.“ sagt die Stimme. Diese Stimme gehört nicht irgendeinem Gott, diese Stimme gehört dem Gott Israels. So hat er schon zu seinen Propheten gesprochen, so hat er sie in seinen Dienst gerufen: „Siehe, das ist mein Knecht, das ist mein Auserwählter, an dem ich Gefallen finde.“ (Jesaja 42,1)

Wir hören, dass diese göttliche Stimme neue Worte gefunden hat. Jesus ist nicht mehr der Knecht Gottes, er ist der geliebte Sohn. Im Matthäusevangelium wird Jesus später eine Geschichte erzählen von einem Gutsbesitzer, der seine Knechte ausschickt, um von seinen Pächtern seinen Anteil holen zu lassen. Die Pächter verprügeln die Knechte oder bringen sie um. Selbst vor dem eigenen Sohn des Gutsbesitzers schrecken sie nicht zurück und bringen auch ihn um. Wir erkennen in dieser Geschichte das Schicksal, das Jesus, der geliebte Sohn Gottes, an seinem Lebensende erfahren wird.

Doch wichtig ist zu Beginn der Schilderung dieser Lebensgeschichte, dass die göttliche Stimme, dass das Echo aus dem Himmel erklingt. Sie sagt Ja zu diesem ersten Auftreten Jesu und bestätigt damit den Weg, den Jesus gewählt hat: Den Weg der Demut und des Gehorsams, den Weg der Solidarität zu den Geringen und Schwachen. Die Stimme Gottes sagt Ja zu dem, was Jesus gesagt hat: „Lass es nur zu“, dass ich dich in die Freiheit führe und dass ich dir mit Liebe begegne. Daran hat Gott sein Wohlgefallen. Das ist Gottes Art selbst, dir Mensch zu begegnen.

Gottes Willen folgen und seine Gerechtigkeit tun

Die Geschichte von der Taufe Jesu, sie spielt nicht nur im Evangelium des Matthäus eine wichtige Rolle. Die Geschichte von Jesu Taufe soll uns Vorbild sein für unser Leben. Vorbild dafür, in Solidarität mit den Geringen und Schwachen zu leben. Vorbild dafür uns an Gottes Willen zu orientieren und an der Erfüllung seiner Gerechtigkeit. Das heißt in der Sprache des Matthäus: Das tun, was gerecht ist. Und wie wir an der Reaktion des Johannes gesehen haben, werden uns manche Menschen mit ähnlichem Entsetzen und mit Irritation begegnen.

Wer wie Jesus keine Scheu hat vor den Sündern, der stört bestehende Ordnungen und Strukturen. Da geraten Weltbilder ins Wanken, und Rangordnungen werden unterwandert. Die Geschichte von der Taufe Jesu soll uns aber auch in anderer Hinsicht ein Vorbild sein. Dass Gott an solchem Tun sein Wohlgefallen hat. Dass er sein Echo, sein Ja gibt zu Söhnen und Töchtern, die tun, was er will. Denn er will seine Gerechtigkeit durch uns und zusammen mit uns zur Vollendung bringen. So wird er uns gerecht. Amen. 

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