Der Richter vor dem Richter

Faith Impulse

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Esther Handschin

Pastorin, Erwachsenenbildung


Predigt am Sonntag Christkönig zu Johannes 18,33-37

Sonntag Christkönig

Heute ist der letzte Sonntag im Kirchenjahr. Mit dem nächsten Sonntag, dem 1. Advent beginnen wir ein neues Jahr, indem wir uns in den vier Wochen bis Weihnachten auf die Geburt Jesu vorbereiten. Heute aber geht es aufs Ende zu. Und das heißt im christlichen Glauben: Wir schauen auf das, was nachher noch kommt, wenn das Leben auf dieser Erde zu Ende ist. Wir schauen auf die Ewigkeit. Wir schauen — so gut es geht — in die Welt, wo Gott derjenige ist, der in seinem Reich alles bestimmen wird. Wer wird dort regieren?

Christus ist dieser König. Und so wird der letzte Sonntag im Kirchenjahr auch Sonntag Christkönig genannt. Wir feiern, dass Christus der König über Zeit und Ewigkeit ist. Das ist eine eher junge Entwicklung. Ich kenne diese Tradition aus der Schweiz nicht. Ich musste erst einmal nachforschen, woher dieses kirchliche Fest kommt und seinen Ursprung hat. Es wurde vor 99 Jahren, im Jahr 1925 in der Römisch-katholischen Kirche eingeführt. Damals wurden 1.600 Jahre seit dem ersten Konzil der christlichen Kirche im römischen Reich gefeiert, das im Jahr 325 in Nicäa stattgefunden hat.

Was in Nicäa beschlossen wurde

Nächstes Jahr wird das wieder ein Anlass zum Feiern sein, dann sind es 1.700 Jahre. Bei diesem Konzil in Nicäa — in der heutigen Westtürkei gelegen — wurden einige wichtige Dinge eingeführt, die die christliche Feierkultur bis heute prägen. Es wurde festgelegt, wie genau das Datum berechnet wird, an dem Christen ihr Osterfest feiern. Der Sonntag wurde als ein Tag eingeführt, an dem nicht gearbeitet wird. Seither können wir am Sonntagvormittag Gottesdienste feiern und viele können daran teilnehmen. Und es wurde in Nicäa ein erstes Glaubensbekenntnis formuliert, das wir — mit gewissen Erweiterungen — bis heute verwenden.

Glauben in  Zeiten des Widerstands

Doch zurück zum Sonntag Christkönig. Er hat seine Bedeutung einige Jahre später bekommen. In den 1930er Jahren kamen mehr und mehr faschistische Regime in den Ländern Europas an die Macht. Insbesondere die katholische Kirche wurde vor die Frage gestellt: Wer ist der eigentliche Herr und König der Kirche? Welchem Führer sollen die Menschen vertrauen, Hitler, Mussolini, Franco oder Jesus Christus? Die Christinnen und Christen der damaligen Zeit waren gefordert, ihren Glauben zu bekennen und klare Kante zu zeigen.

Der Richter vor dem Richter

Die biblischen Texte, die wir am Ende des Kirchenjahres im Gottesdienst hören, beschäftigen sich mit Jesus als dem Richter über diese Welt. Heute haben wir auf einen Abschnitt aus der Passionsgeschichte nach dem Johannesevangelium gehört. Jesus steht vor Pilatus, der über ihn das Urteil sprechen wird. Aber man fragt sich, wer von den beiden vor dem Richter steht. Politisch gesehen ist es Pilatus, der über Jesus zu richten hat. Aber so, wie es Johannes darstellt, steht vielmehr Pilatus vor seinem endgültigen Richter und muss sich von Jesus belehren lassen.

Manchmal hat man geradezu das Gefühl, die beiden führen ein Gespräch, das auf zwei verschiedenen Ebenen verläuft. Oder anders gesagt: Sie reden aneinander vorbei. Pilatus will wissen, ob Jesus von sich behauptet hat, er sei der König der Juden. Erst dann kann er seine Urteilsentscheidung treffen. Jesus aber spricht von etwas ganz anderem. Ihm geht es nicht darum, die irdische Macht an sich zu reißen und Pilatus oder seinem Vorgesetzten, dem römischen Kaiser, Konkurrenz zu machen. Das Reich, in dem Jesus König ist, stammt nicht von dieser Welt. Es funktioniert nach ganz anderen Maßstäben als es sich Pilatus vorstellt.

Der König eines Friedensreiches

Wie anders dieses Reich ist, kann man aus zwei, drei kleinen Details aus dem weiteren Zusammenhang der Leidensgeschichte Jesu erkennen. Im 12. Kapitel des Johannesevangeliums wird uns erzählt, wie Jesus in Jerusalem einzieht. Er kommt auf einem Esel geritten. Ein richtiger König und Kriegsheld wäre damals auf einem Pferd in die Hauptstadt eingezogen.

Das Volk begrüßt Jesus mit den Worten: „Hosianna! Gesegnet sei, wer im Namen des Herrn kommt! Er ist der König Israels!“ Mit Israel ist etwas Größeres gemeint, als eine politische Größe oder das damalige Volk der Juden. Mit Israel sind all die Hoffnungen auf eine heilsame Gemeinschaft verbunden, die über einen irdischen Staat hinausgehen. So begrüßt das Volk den einziehenden Jesus als den König des Heils. Pilatus aber macht aus dem König von Israel den König der Juden. Er hat Angst vor einem politischen Konkurrenten. Den muss er ausschalten, damit er sich seines Postens sicher sein kann. Wer von sich behauptet der König der Juden zu sein, der wird von einem Beamten des römischen Reiches kalt gestellt.

Bist du der König der Juden?

Jesus sagt weder Ja noch Nein zu der Frage, ob er der König der Juden sei. Würde er Ja sagen, so würde er die politische Einstellung von Pilatus bestätigen. Würde er Nein sagen, so würde er sich selbst verleugnen. Mit seiner Rückfrage aber stellt er die Glaubwürdigkeit von Pilatus in Frage: „Fragst du das von dir aus oder haben andere dir das über mich gesagt?“ (V34) Woher beziehst du deine Informationen? Machst du dir selber ein Bild von einem Sachverhalt oder lässt du dir deine Meinung von anderen einreden? Setzt du dich mit einer Situation auseinander, gehst du einer Sache auf den Grund oder folgst du dem, was man dir unterbreitet und was so dahergeredet wird?

Es ist unangenehm, wenn man so auf den Prüfstand gestellt wird. Kein Wunder, dass Pilatus genervt reagiert und versucht die Schuld auf andere abzuwälzen: „Bin ich etwa ein Jude? Dein Volk und die führenden Priester haben dich mir gebracht“, gibt er zur Antwort. (V35)

Ein anderes Reich

Zunächst lehnt es Jesus ab, die Sichtweise von Pilatus zu übernehmen. Er erklärt, dass sein Reich nicht von dieser Welt stammt. Denn unter den Bedingungen dieser Welt und Zeit hätten sich die Jünger für ihn stark gemacht und ihn verteidigt. Ja, Petrus hat das bei der Gefangennahme Jesu auch getan. Er hat zum Schwert gegriffen und dem Knecht Malchus ein Ohr abgeschlagen, so wird es im Johannesevangelium erzählt. Jesus aber hat Petrus daraufhin zurecht gewiesen. Eine Verteidigung mit Mitteln der Gewalt hat bei ihm nichts zu suchen. Er ist ein König des Friedens.

Erst jetzt erklärt Jesus wie er seine Art des Königseins versteht: „Ich bin ein König! Das ist der Grund, warum ich geboren wurde und in die Welt gekommen bin: Ich soll als Zeuge für die Wahrheit eintreten. Jeder, der selbst von der Wahrheit ergriffen ist, hört auf das, was ich sage.“ (V37) Seine Aufgabe ist es nicht zu herrschen wie ein weltlicher König, sondern die Wahrheit zu bezeugen. Was meint er damit?

Eine andere Wahrheit

Unsere Vorstellung von dem, was Wahrheit ist, ist geprägt von unserer Alltagssprache. Da unterscheiden wir, ob etwas wahr oder falsch ist. Und wer falsche Dinge behauptet, der lügt. Wir meinen, auf diese Weise Klarheit zu schaffen, bei den Dingen, die uns tagtäglich erzählt und uns manchmal vorgegaukelt werden. Aber gerade was Menschen betrifft, so ist es manchmal gar nicht so leicht zu unterscheiden, was wahr und was falsch ist.

Es gibt immer wieder Menschen, die mir zumindest einen Teil ihrer Lebensgeschichte erzählen. Bei manchen Dingen habe ich manchmal den Eindruck, dass da einiges nicht ganz zusammenpasst. Aber je länger ich zuhöre, desto mehr spüre ich: Das ist die Lebenswahrheit dieses einzelnen Menschen. In manchem stellt er sich besser dar, als er wirklich ist. Vielleicht, weil er die bittere Wahrheit sonst nicht aushalten würde. Vielleicht, weil sie sich schämt, für das, was geschehen ist. Und so entsteht eine Lebensgeschichte, die zu einem passt und den Halt gibt, den man braucht.

Wahrheit als Treue und Beständigkeit

Je länger ich das Johannesevangelium lese, desto deutlicher wird mir, dass — obwohl dieses Evangelium in griechischer Sprache geschrieben wurde — die Welt des Denkens und mancher Begriffe tief in der hebräischen Sprache wurzeln. Wahrheit hat im Hebräischen einen anderen Klang als im Deutschen. Da geht es nicht um wahr oder falsch. Wahrheit bedeutet hier, ob eine Beziehung von Treue und Beständigkeit geprägt ist.

Wem die Gnade geschenkt ist, in einer Beziehung zu leben oder eine Freundschaft zu pflegen, wo diese Qualität der Treue und Beständigkeit zum Vorschein kommt, wird spüren, dass es dabei um diese Art von Wahrheit geht. Eine solche Beziehung ist verbindlich. Man kann sich aufeinander verlassen. Die Übersetzung der Basisbibel verweist auf diese Qualität der Wahrheit mit den Worten: „wer selbst von der Wahrheit ergriffen ist.“

Welche Wahrheit aber soll nun Jesus bezeugen? Warum ist er als König in diese Welt gekommen? Auf dem eben erläuterten Hintergrund verstehe ich es so: Jesus bezeugt uns Menschen, dass Gott uns treu ist. Gott ist an einer Beziehung zu uns Menschen interessiert, die von Beständigkeit geprägt ist. Er hält zu uns über alle Höhen und Tiefen hinweg. Er lässt nicht locker, bis wir seine Stimme hören und uns von seiner Treue und Beständigkeit tragen und begleiten lassen. Sein Ja zu uns Menschen ist gewiss. Daran gibt es nichts zu rütteln.

Gott erweist uns Treue und Beständigkeit

Dieses Ja zu uns Menschen finden wir in Jesus bestätigt. Er hat dieses Ja Gottes zu den Menschen gelebt und konkret werden lassen. Es ist ein Ja, das uns nicht nur in guten Zeiten gilt. Gottes Ja der Treue gilt auch dann, wenn es turbulent wird im Leben. Gott hält an seiner Treue zu den Menschen fest, auch wenn sie ihn verraten und seine Anweisungen zum Leben mit Füßen treten. Gottes Ja zu uns Menschen geht bis in den Tod und durch den Tod hindurch. Denn das größte Ja zum Leben, das Gott uns gegeben hat, die größte Treue, die uns Gott zeigen konnte, das ist die Auferstehung Jesu.

Im Johannesevangelium lernen wir Jesus als einen König kennen, der seine Herrschaft anders lebt als die Herrscher dieser Welt: ein Esel statt eines Kriegspferdes, Gewaltlosigkeit anstelle des Schwertes, nicht die Konkurrenz im Blick, sondern das Heil für alle Menschen. Dieser König klopft an die Tür unseres Herzens und bittet um Einlass. Denn er möchte unser König sein. Er will uns mit Gottes Treue und Beständigkeit bekannt machen. Er ist Gottes Zusage für uns Menschen. Er bietet uns die Wahrheit einer Beziehung an, die nicht nach richtig oder falsch unterteilt, sondern die uns immer wieder neu aufrichtet, weil sie ein bedingungsloses Ja der Liebe ist. Bist du bereit diesem König deine Tür zu öffnen? Willst du dich im neuen Kirchenjahr unter seine Herrschaft stellen? Amen.

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