Umkehr er­mög­licht neues Leben

Faith Impulse

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Esther Handschin

Pastorin, Erwachsenenbildung


Predigt über Ezechiel 33,11 zum Tag des Judentums, gehalten am 17. Jänner 2024 in der Pfarre St. Josef-Weinhaus, 18. Wiener Gemeindebezirk
Mitwirkende, von links nach recht: Dr. Georg (Koptische Kirche), Rev. Patrick Curran (Anglikanische Kirche), Pater Athanasius Buk (Griechisch-orthodoxe Kirche), Pastorin Esther Handschin (Evangelisch-methodistische Kirche), Bischof Tiran Petrosyan (Armenisch-apostolische Kirche), Kaplan Pater Matthias Cepielik CM (Röm.-kath. Pfarre St. Josef-Weinhaus), Landessuperintendent Thomas Hennefeld (Evang. H.B.), Oberkirchenrätin Ingrid Bachler (Evang. A.B.), Bischofsvikar Nicolae Dura (Rumänisch-orthodoxe Kirche), Chorepiskopus Emanuel Aydin (Syrisch-orthodoxe Kirche), Diakon Walter Fürsatz (Altkatholische Kirche)

In einer Bibelrunde haben wir versucht, den Begriff der Umkehr etwas näher zu fassen. Es ging dabei auch um Bekehrung, das Wort, das Umkehr im Rahmen des christlichen Heilswegs beschreibt. Eine Frau, Hauswartin und mit der christlichen Sprache etwas weniger vertraut, deutete das Wort so: „Da nimmt man einen Besen und kehrt das Haus einmal tüchtig aus, sodass aller Dreck und Staub weggeschafft werden.“ Sie verwendete das Wort Kehren also nicht im Sinn eines Richtungswechsels, sondern in der Bedeutung von Putzen oder Reinigen, z.B. eines Fußbodens oder einer Treppe.

Wenn wir heute den Tag des Judentums feiern, so hat das auch etwas mit Kehren im Sinn von Reinigen zu tun. Es gilt, für einmal vor der eigenen Tür zu kehren und nicht vor den Türen anderer Menschen, Völker oder Religionsgemeinschaften. Es geht darum zu schauen, was sich im christlichen Haus an Dreck und Staub angesammelt hat und was davon wegzuschaffen ist. Wie wir es vom Frühjahrsputz her wissen, so kann das mitunter anstrengend sein, Kraft und Zeit kosten oder auch Schweiß und Tränen. Danach aber atmen wir freier. All die Anstrengung steht unter der Verheißung, die der Prophet Ezechiel an das Volk Israel auszurichten hatte: „So wahr ich lebe, spricht Gott der HERR: Ich habe kein Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern dass der Gottlose umkehre von seinem Wege und lebe.“ (Ezechiel 33,11)

Ezechiels Aufgabe

Vergegenwärtigen wir uns zunächst, in welche Situation hinein der Prophet dieses Wort gesprochen hat. Ezechiel ist der Prophet, der ab dem Jahr 597 vor Christus in Babylon aufgetreten ist. Er kam mit einer ersten Gruppe von Exilierten an diesen Ort. Er hat miterlebt, wie die Eigenstaatlichkeit verloren gegangen ist. Mit ihm wurden wichtige Teile der Bevölkerung, führende Personen und Beamte nach Babylon deportiert. Die gegnerischen Mächte hatten gesiegt und auch das geistliche Zentrum mit dem Tempel in Jerusalem war nicht mehr vorhanden. Da werden sich viele gefragt haben: Was haben wir falsch gemacht? Wie können wir noch leben, wenn Sünden und Missetaten so offensichtlich zu Tage getreten sind?

Es war die Aufgabe des Propheten, das Volk aufzurichten, zu trösten und einen neuen Weg aufzuzeigen, den sie gehen können. Er machte ihnen dazu den Willen Gottes kund: „Ich habe kein Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern dass der Gottlose umkehre von seinem Wege und lebe.“ Er ruft sie auf, von ihren bösen Wegen umzukehren. Im hebräischen Text wird dieser Aufruf wiederholt und klingt daher noch intensiver: Schubu, schubu, kehrt um, kehrt um! Es gibt eine Möglichkeit, die euch ins Leben und in eine neue Lebendigkeit führt. Aber es liegt in eurer Verantwortung, ob ihr das Leben wählt oder den Tod.

Wer ist gottlos?

Wer aber sind diese Gottlosen, von denen Gott spricht? Schlägt man in verschiedenen Bibelübersetzungen nach, so entfaltet sich eine Bedeutungsvielfalt dieses Wortes: Gottloser, Frevler, Schuldiger, Ungerechter oder auch Böser. Es ist ein Wort, das sich besser umschreiben lässt, als mit einem Begriff zu übersetzen ist. Die BasisBibel schreibt in ihren Erläuterungen: „Menschen, die Gottes Gebote missachten und ihre eigenen Interessen gewaltsam durchsetzen.“

Als gottlos, frevlerisch, schuldig oder ungerecht, lässt man sich – auch in der christlichen Tradition – nicht gerne beschreiben. Dennoch ist dies gerade im Blick auf die Beziehung zum Judentum als Volk Gottes geschehen. Dass Gottes Zusage und sein Bund mit Israel unverbrüchlich gilt, wurde nicht nur ignoriert, sondern verneint. Das wurde nicht nur in verschiedenen Schriften niedergeschrieben. Es wurde auch mit Gewalt durchgesetzt. Dadurch missachteten Christinnen und Christen Gottes Gebote und das Wort, das sie zum Leben führt.

Das Beispiel  der Pfarre St. Josef-Weinhaus

Wir haben zu Beginn dieses Gottesdienstes gehört, welches Ausmaß eine solche Verneinung hier an diesem Ort und in dieser Kirche in der Pfarre St. Josef-Weinhaus im 18. Bezirk in Wien angenommen hat. Pfarrer Joseph Deckert, der von 1874 bis 1901 in dieser Pfarrgemeinde tätig war und unter dem diese Kirche erbaut wurde, hat viele antisemitische Predigten gehalten. Er nannte sie „Conferenzreden“. Inhaltliche Details erspare ich Ihnen, sie sind an anderer Stelle nachzulesen. Er war damit in Wien nicht der einzige Priester, aber ein durchaus wirkmächtiger.

Vor gut zehn Jahren haben sich die Verantwortlichen dieser Pfarre mit ihrer Gemeinde auf einen Weg gemacht. Sie haben sich mit ihrer Pfarrgeschichte befasst. Sie haben sich bewusst gemacht, dass Hetzreden an dem Ort erklungen sind, wo sie heute das Wort Gottes hören. Sie haben ihren Willen bekundet, umzukehren und einen neuen Weg zu beschreiten. Dann wurden dazu am Vorplatz der Kirche Tafeln errichtet, die diesen Willen bekunden und öffentlich machen. Denn das gehört zum Bekenntnis von Schuld und Umkehr. Sie geschieht nicht im stillen Kämmerlein, sondern es geschieht vor Gott und in der Öffentlichkeit.

Grundlage zu diesen Schritten war die vom Zweiten Vatikanischen Konzil im Jahr 1965 verabschiedete Erklärung „Nostra Aetate“. Damit hat die Römisch-katholische Kirche auf höchster Ebene Schritte auf einem neuen Weg ermöglicht für eine neue Beziehung zum Judentum. Es liegt in der Folge an den Diözesen, Pfarrgemeinden und einzelnen Personen dies auf regionaler und lokaler Ebene umzusetzen.

"Zeit zur Umkehr"

Unsere Kirchen sind unterschiedlich verfasst. Wo die einen auf Weltebene einen neuen Weg einschlagen, gibt es bei anderen Gremien, die auf nationaler Ebene die Verantwortung tragen und verbindliche Beschlüsse fassen und Erklärungen abgeben können. Auf evangelischer Seite in Österreich war es die Generalsynode, die vor 25 Jahren eine solche Erklärung abgegeben hat: „Zeit zur Umkehr – die Evangelischen Kirchen in Österreich und die Juden“.

Da heißt es unter anderem: „Uns evangelische Christen belasten in diesem Zusammenhang die Spätschriften Luthers und ihre Forderung nach Vertreibung und Verfolgung der Juden. Wir verwerfen den Inhalt dieser Schriften. … Diese unsere belastete Vergangenheit verlangt nach einer Umkehr, die die Auslegung der Heiligen Schrift, die Theologie, die Lehre und die Praxis der Kirche umfaßt.“

Eine Gesprächsgrundlage für den Religionsunterricht

In meiner früheren Tätigkeit als Lehrerin im evangelischen Religionsunterricht habe ich diese Bemühungen nach einem neuen Weg des Verständnisses versucht umzusetzen. Mit jeder Gruppe habe ich Auszüge aus dieser Erklärung gelesen. An mancher Stelle musste ich den Schülerinnen und Schülern auch erläutern, was damit gemeint ist, z.B. dass die Formulierung „wir verwerfen“ eine der deutlichsten und stärksten Aussagen ist, die man in der Sprache kirchlicher Dokumente verwenden kann.

Ich habe dabei nicht nur die evangelische und katholische Seite zu Wort kommen lassen. Wir haben auch die zentralen Aussagen aus dem Dokument „Dabru Emet – Redet Wahrheit“ von jüdischer Seite aus dem Jahr 2000 gelesen. So konnten die Schülerinnen und Schüler wahrnehmen, dass Erklärungen auf der einen Seite von anderer Seite gehört und beantwortet werden.

Aus reichen Quellen schöpfen

Auf diese Weise werden neue Wege beschritten und es wird das Leben gesucht. Das geschieht vielleicht nicht in dem Tempo, in dem junge Menschen unterwegs sind. Aber es bewegt sich in den vergangenen 60 Jahren mehr als in den vielen Jahrhunderten davor. So sind wir miteinander auf einem Weg des Lernens, der Verständigung und der Versöhnung.

Für dieses Lernen dürfen wir aus dem immensen Schatz der biblischen Tradition und auch der Traditionen des Judentums und des Christentums schöpfen. Das möchte ich mit einer Geschichte verdeutlichen, die uns von Martin Buber in den Erzählungen der Chassidim überliefert wurde und die die Überschrift trägt „Wie man einen Menschen bekehrt“.

Ein Vater brachte seinen Sohn zum Rabbi und klagte, dass der im Lernen keine Ausdauer habe. „Lass ihn mir eine Weile hier“, sagte der Rabbi. Als er mit dem Jungen allein war, legte er sich hin und bettete das Kind an sein Herz. Schweigend hielt er es am Herzen, bis der Vater kam. „Ich habe ihm ins Gewissen geredet“, sagte er, „in Zukunft wird es ihm an Ausdauer nicht fehlen.“

Der Junge wurde Rabbi – und wenn er diese Begebenheit erzählte, fügte er hinzu: „Damals habe ich gelernt, wie man einen Menschen bekehrt.“

Martin Buber
Erzählungen der Chassidim

Ob aus Einsicht über eigenes Verfehlen oder am Herzen eines Rabbi, Umkehr ist möglich und ermöglicht neues Leben.

Amen.

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