Der Duft des Lebens

Faith Impulse

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Esther Handschin

Pastorin, Erwachsenenbildung


Predigt über die Salbung in Betanien zu Johannes 12,1-8

Ein Festessen im Dorf Betanien

Heute geht es um Maria. Sie ist die Schwester von Martha und Lazarus. Die drei Geschwister leben im Dorf Betanien, das knapp drei Kilometer von Jerusalem entfernt liegt, also einen guten Spaziergang weit. Es sind noch sechs Tage bis in dieser Stadt das Passafest gefeiert wird. Dazu ist Jesus ist mit seinen Jüngern nach Jerusalem gekommen. Aber zuvor macht er bei den drei Geschwistern Halt. Jesus und seine Jünger sind bei ihnen zum Essen eingeladen. Martha übernimmt die Bewirtung und Lazarus sitzt mit am Tisch.

Es muss ein Festessen gewesen sein. Denn dass Lazarus mit am Tisch sitzt, ist nicht selbstverständlich. Im Johannesevangeliums wird im vorhergehenden 11. Kapitel erzählt, wie Jesus den verstorbenen Lazarus, der schon vier Tage im Grab gelegen hat, wieder zum Leben erweckt. Es war ein Wunder, das viele Menschen zum Glauben führte. Es gibt also genug Gründe, um im Haus der drei Geschwister ein Fest zu feiern.

Vorwürfe gegenüber Jesus

Beide Schwestern hatten Jesus bittere Vorwürfe gemacht. Als Lazarus schwer krank war, hatten sie Jesus darüber verständigen lassen. Er möge kommen und Lazarus heilen. Doch Jesus hat getrödelt. Er kam zu spät. Beide Frauen warfen unabhängig voneinander Jesus vor: „Herr, wenn du hier gewesen wärst, dann wäre mein Bruder nicht verstorben.“ (Johannes 11,21 und 32) Sie mussten erst lernen, dass Jesus mit Gottes Möglichkeiten rechnet. Und dazu gehören die Auferstehung und das Leben.

Vielleicht ist es ein verspätetes Zeichen des Dankes, das Maria nun Jesus machen möchte. Sie nimmt eine Flasche von dem kostbaren Nardenöl und salbt Jesus die Füße. Das ist mehr als der übliche Dienst, den man einem Gast gegenüber tut. Denn es ist so viel Öl, dass nicht nur die Füße von Jesus duften und das Haar von Maria, mit dem sie die Füße trocknet. Es ist so viel, dass das ganze Haus zu duften beginnt. Was für eine Verschwendung!

Eine bessere Verwendung statt Verschwendung

Judas Iskariot, einer der anwesenden Jünger, macht das zum Thema. Er spricht aus, was viele denken: Warum nicht das kostbare Öl um einen guten Preis verkaufen und den erzielten Erlös an die Armen weitergeben? Würde das nicht viel mehr Gottes Willen entsprechen? Warum ist Jesus nicht empfänglich für diesen guten Vorschlag?

Auch wenn es die Bemerkung gibt, dass Judas ein Dieb gewesen sei und dass er das durch den Verkauf erworbene Geld wohl für sich auf die Seite gelegt hätte, sein Vorschlag ist nicht schlecht. Ein guter Preis und mit dem Geld wäre nicht nur einem geholfen, sondern viele Arme hätten etwas davon gehabt. Und sie wären sicher auf Jesus und seine Wohltaten aufmerksam geworden. Also wieder einige Menschen mehr, die sich Jesus und seiner Bewegung anschließen: klug gerechnet, doppelt gewonnen!

Verschwendung aus Liebe

Das Handeln der Maria, die Verschwendung dieses kostbaren Nardenöls, dessen Duft das ganze Haus erfüllt, sie bleibt irgendwie anstößig und unverständlich. Denn dieses Handeln sperrt sich gegen jedes praktische und rationelle Denken, gegen jede kühle Berechnung und gegen jedes Argument, das die Nützlichkeit in den Vordergrund stellt. Die Tat Marias, sie bleibt reine Verschwendung und ist so gesehen unnütz. Sie ist ein Ausdruck der Liebe und Hingabe, bei der nicht gerechnet und berechnet wird, bei der sich Zählen und Wägen nicht auszahlt.

Was Maria tut, das lässt sich nur verstehen, wenn man ihre Liebe versteht, ihre Liebe zu Jesus, ihre Liebe zu dem Menschen, von dem sie viel empfangen hat. Da ist ihr Bruder Lazarus, den Jesus vom Tod auferweckt und ins Leben zurückgeholt hat. Da ist die Freundschaft, die die drei Geschwister Martha, Maria und Lazarus mit Jesus verbindet. Da ist die Botschaft vom Reich Gottes, von der Jesus Maria erzählt hat als sie ihm zu seinen Füßen sitzend aufmerksam zugehört hat.

So ist ihre Tat ein Zeichen der Liebe und der Dankbarkeit. So drückt sie ihre Liebe aus. So macht sie Jesus ein Geschenk. So zeigt sie ihm ihre Hingabe. In ihrer Sprache ohne Worte gibt sie Jesus, sich selbst und den Gästen im Haus zu verstehen: Dieser Jesus ist mein Herr und Meister. Ihm will ich dienen. So bekennt sich Maria zu Jesus als ihrem Herrn.

Martha als Bekennerin durch Worte

Das ist durchaus bemerkenswert, wenn wir auf den größeren Zusammenhang des Evangeliums schauen. Anlässlich der Auferweckung des Lazarus hat Martha zuvor schon Jesus zur Rede gestellt und ihm sein zu spätes Erscheinen vorgehalten. Im Gespräch, in das sie in der Folge verwickelt wird, spricht sie selbst aus, wer Jesus für sie ist: „Ja, Herr, ich glaube fest: Du bist der Christus, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll!“ (Joh 11,27)

Sie, Martha, eine Frau, spricht aus, was damals nur Männer ausgesprochen haben: ein Bekenntnis des Glaubens. Martha, die für ihre praktischen Fähigkeiten bekannt war, sie wird im Gespräch zur großen Bekennerin. Sie wird zur Frau, die sich mit Fragen des Glaubens auseinandersetzt.

Maria als Bekennerin durch die Tat

Maria, die wir als die aufmerksame Hörerin zu Jesu Füßen kennen, sie äußert Jesus gegenüber zwar denselben Vorwurf der Verspätung. Aber dann wird sie zu derjenigen, die ihr Bekenntnis zu Jesus nicht mit Worten ablegt. Sie salbt Jesus die Füße. Das ist – zumindest für Judas – eine Handlung, die wider alle Vernunft ist.

Beide Schwestern zeigen in ihrer je eigenen Sprache ihre Liebe und Anerkennung Jesus gegenüber. Die eine tut es mit Worten, die andere tut es mit einer Geste des Dienstes. Das eine ist eine Sprache, die klar benennt, worum es geht. Worten tragen in sich die Möglichkeit jegliche Zweideutigkeit aus dem Weg zu räumen: „Du bist es, den ich meine. Du bist der Christus und kein anderer.“ Eine solche Klarheit tut gut, denn sie beugt Missverständnissen vor.

Doch nicht immer sind Worte und Klarheit passend. Darum ist es gut, dass es auch noch andere Sprachen gibt, die das Gleiche ausdrücken. Maria spricht die Sprache der sanften Berührung, die Sprache der Hingabe, des Schenkens. Sie sagt auf ihre Weise: „Du bist gemeint. Dir gilt meine Zuwendung. Dich anerkenne ich als meinen Herrn.“ Und diese Sprache wird auch dann noch verstanden, wenn das Gehör seinen Dienst versagt. Eine Berührung versteht man auch dann, wenn die Augen keine Botschaften mehr lesen können.

Liebe ist Verschwendung

Als Sprache der Hingabe wird uns Marias unsinnige Verschwendung des Öls auf einmal verständlich. Das Öl ist ein Zeichen ihrer Liebe. Und erlaubt mir die Frage: Ist die Liebe nicht die reinste Verschwendung? Denn oft steht die Liebe gegen jede praktische Vernunft, gegen jedes rationelle Denken.

Nüchtern besehen macht die Liebe vieles komplizierter als es eigentlich schon ist. Da finden sich zwei Menschen, die hunderte von Kilometern voneinander entfernt wohnen und viele Mühen auf sich nehmen müssen, um Distanzen zu überwinden. Hätten sie sich nicht in jemand anderen verlieben können, der näher wohnt und leichter zu erreichen ist?

Da finden sich zwei Menschen, die aus völlig gegensätzlichen Herkunftsfamilien oder Kulturen kommen. Dauernd müssen sie Missverständnisse, Fettnäpfchen und Hindernisse der Kommunikation überwinden. Wäre es nicht anders leichter gegangen? Die Liebe hält sich eben nicht an das, was ökonomisch sinnvoll wäre oder was sich gerade so gut ergibt. Die Liebe geht ihre eigenen Wege und die sind oft verschlungen und kompliziert, wenig nützlich und schon gar nicht mit einem guten Preis berechenbar.

Duftendes  Öl gegen den Gestank des Todes

Und manchmal nimmt die Liebe Dinge vorweg, die sie selbst noch nicht im Blick hat. Maria salbt Jesus mit Nardenöl, das sie sonst wohl dafür verwendet hätte, um ihren verstorbenen Bruder oder sonst einen Leichnam damit einzubalsamieren. Das Öl dient in diesem Fall dazu, den Gestank des Todes zu vertreiben.

Doch jetzt verbreitet das Öl den Duft des Lebens. Das Öl wird am lebenden Menschen verwendet, als Hinweis dafür, dass der Tod dieses Menschen Leben bringen wird. Nicht nur durch die Berührung spricht Maria ihr Bekenntnis aus. Was sie sagt, das liegt geradezu in der Luft: „Dieser, den ich gesalbt habe, er wird nicht dem Geruch des Todes preisgegeben werden, sondern von ihm geht Leben aus, endgültige Lebendigkeit.“

So wirft Marias Tat der Liebe ein Licht auf den größeren Zusammenhang, in den diese Begebenheit eingebettet ist. Jesus selbst gibt Marias Handeln durch seine Auslegung eine Bedeutung: „Lass sie! Sie hat es aufbewahrt, um mich damit schon heute für mein Begräbnis zu salben.“ (V7) Er stellt den Bezug her zwischen ihrer Tat der Liebe und seinem Tod.

Der Tod  Jesu als eine Verschwendung

Das lässt mich den Tod Jesu neu verstehen. Das Bekenntnis der Maria, ihr Bekenntnis ohne Worte, es gilt nicht einem Todgeweihten, an dem man noch einen letzten Liebesbeweis erfüllt. Maria gibt nicht einem, der bald den Tod schmecken wird, die letzte Ölung, damit er in Ruhe sterben kann. Maria weist mit ihrer Tat der Verschwendung auf den hin, von dem der Duft des Lebens ausgeht, ja, dessen Tod eigentlich die reinste Verschwendung ist.

So deutet der Evangelist Johannes den Tod Jesu in seinem Evangelium: „Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn für sie hingab. Jeder, der an ihn glaubt, soll nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.“ (Joh 3,16) Dieser Tod ist aus Liebe geschehen. Er ist die reinste Verschwendung. Denn der Glaube der Menschen, er lässt sich nicht berechnen und nicht erzwingen. Um den Glauben, um das Vertrauen lässt sich nur bitten. Gott tut das auf seine Weise, mit einem Liebesbeweis, indem er sich selbst in die Hand der Menschen gibt.

Der Tod Jesu als Bekenntnis Gottes zu den Menschen

Nicht nur die Tat der Maria ist ein Bekenntnis. Auch der Tod Jesu ist ein Bekenntnis, eine Sprache der Liebe, wo Gott ohne große Worte die Menschen wissen lässt: „Du bist gemeint. Das tue ich für dich. Dir gilt meine Zuwendung und mein Handeln.“ Gott spricht eine Sprache der Liebe und der Zuwendung, die über Worte hinausgeht. Er beschenkt und berührt uns auf seine Weise. Die Fülle der Gaben und Güter, mit der er uns beschenkt, sie sagt uns immer wieder neu: Du bist gemeint, dir gilt meine Zuwendung.

Die sanfte Berührung des Windes oder die wohltuende Wärme der Sonne, sie sagen uns: Das habe ich für dich gemacht. Die dringende Unterstützung in einer Notsituation lässt uns wissen: Das kommt dir zugut. Für dich habe ich das vorgesehen. So spricht Gott verschiedene Sprachen. Um uns anzusprechen braucht er nicht nur Worte, z.B. Worte in der Heiligen Schrift. Er spricht auch Sprachen, die wie der Duft des Öls in der Luft liegen oder die wie eine Massage unter die Haut geht. Amen.

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