Wenn Gott an unsere Herztür klopft …
Faith Impulse

Pastorin, Erwachsenenbildung

Die Einleitung zu diesem Gleichnis, das Jesus hier seinen Jüngern erzählt, weist uns darauf hin, dass es in dieser Geschichte um das Gebet geht. Jesus vergleicht betende Menschen mit einer hartnäckigen Witwe, die um ihr Recht kämpft. Es ist der Kampf einer Verzweifelten und Rechtlosen, denn Witwen hatten zur Zeit Jesu nicht viele Rechte. Das einzige, was die Frau hat und womit sie sich bemerkbar machen kann, das ist ihre Hartnäckigkeit. Sie ist dem ungerechten Richter so lästig, dass er ihrem Drängen nachgibt, aus Furcht, sie könnte noch lästiger oder gar ausfällig werden.
Was ist der Vergleichspunkt?
Wenn wir genauer auf dieses Gleichnis schauen, dann merken wir, dass die Vergleichspunkte nur bedingt übertragen werden können. Wenn die Witwe zum Richter geht und ihn darum bittet, dass er ihr zu ihrem Recht verhilft, dann wären betende Menschen wie diese Witwe und Gott wäre der Richter. Doch gleicht Gott einem ungerechten Richter? Das kann nicht sein! Gerade von Gott erwarten wir uns Gerechtigkeit, wenn wir sie hier auf Erden nicht erleben. Aber auf keinen Fall ein herzloses und korruptes Verhalten wie bei diesem Richter.
Der Vergleichspunkt liegt daher nicht auf den handelnden Personen. Es geht Jesus um etwas anderes. Er greift hier einen Argumentationsstil auf, wie er auch im rabbinischen Judentum üblich geworden ist. Etwa so: Wenn schon ein Richter nachgibt, der doch – wie damals oft der Fall – ungerecht ist, um wie viel mehr wird Gott sich bewegen lassen und denen, die sich zu ihm halten, Recht verhelfen. Es geht also um das Größere, das bei Gott so viel mehr vorhanden ist als bei allem, was wir auf Erden kennen.
Gott hört unser Gebet
Was sagt uns dieses Gleichnis? Ganz einfach: Gott erhört unser Gebet und zwar schon bald. Er schiebt es nicht vor sich her, wie wir es so gerne tun, wenn wir Dinge erledigen sollten. Die zeitliche Dimension wird extra erwähnt: „Schon bald“, in Kürze, unverzüglich hilft Gott dazu, dass wir Recht erfahren. Gott duldet keinen Aufschub, wenn es um etwas Wesentliches geht.
Machen wir diese Erfahrung auch mit unseren Gebeten? Ehrlich gesagt: Unverzügliche und sofortige Gebetserhörungen sind – zumindest in meinem Gebetsleben – eine eher seltene Erfahrung. Viel öfter meine ich das andere zu erleben: Bis sich Gebete erfüllen, kann es lange dauern. Es gibt Menschen, deren Herzenswunsch sich nicht mehr zu Lebzeiten erfüllt. Und es gibt Menschen, denen im Leben mehr zugemutet wird als sie zu tragen vermögen.
Kann ein Gebet "erfolgreich" sein?
Die Frage nach dem „Erfolg“ oder „Misserfolg“ von Gebeten betrifft nicht nur die Randsiedler des Glaubens und die seltenen Kirchgänger. Nein, es gehört auch zu den Anfechtungen tiefgläubiger Menschen. Ich denke da an eine Familie, wo ein Enkelkind erwartet wurde. Plötzlich wurde es sehr kritisch in der Schwangerschaft. Die ganze Familie stand im Gebet hinter den werdenden Eltern. Doch nur das Leben der Mutter konnte gerettet werden. Das Enkelkind verstarb bei der Geburt. Hat Gott die Gebete nicht erhört? Stimmt dieses Gleichnis, das Jesus erzählt doch nicht?
Für mich ist die Frage nach dem „Erfolg“ oder dem „Misserfolg“ von Gebeten weniger eine Frage, nach dem Wie des Betens und ob es genug war. Es geht auch darum, wie ich mir Gott in seinem Wirken in dieser Welt vorstelle.
Ist er für die Erfüllung all meiner Wünsche zuständig? Quasi ein Automat, wo ich eingebe, was ich gerne hätte und einen Betrag zahle – sei es in Form von Geld, Gebet oder von persönlichem Engagement – und dann bekomme ich, was ich gerne hätte?
Stelle ich mir Gott als einen vor, der die Schalthebel in der Hand hält und sie je nach dem, was gerade sein Wille ist, in die eine oder andere Richtung umlegt? Dieser eine wird noch etwas am Leben gelassen und der andere da, der wird abberufen?
Ist Gott wie ein Marionettenspieler und wir hängen an seinen Fäden und sind von ihm willenlos abhängig?
Gottes Gegenwart ist wie Wasser
Vielleicht müssen wir Gott ganz anders vorstellen, um dem Geheimnis des Betens auf die Spur zu kommen. Ich entfalte hier einige Gedanken der amerikanischen Theologin Marjorie Suchocki.
Stellen wir uns einmal vor, Gottes Gegenwart ist so wie das Wasser. Es kann alles umgeben, umspülen und durchdringen, was sich im Wasser befindet. Aber etwas ist nicht möglich: nämlich dass sich das Wasser nur auf einen bestimmten Punkt hin fokussiert oder konzentriert. So ähnlich wäre auch Gottes Gegenwart und Wirken zu denken.
Gottes Gegenwart sammelt sich nicht an einem bestimmten Ort. Gottes Wirken und seine Macht geschieht durch seine ununterbrochene Gegenwart, die allen Dingen gleichzeitig und in gleicher Weise gilt — ohne dass Gott sich dabei nur auf eine Sache gleichzeitig konzentriert. Wenn wir beten, so geschieht das eben angesichts dieser Allgegenwart Gottes, die uns umgibt, umspült, durchdringt wie das Wasser.
Gott wirkt durch seine Allgegenwart ständig auf die Schöpfung und die Geschöpfe ein. Diese werden dazu angeregt, sich auf eine seiner Liebe entsprechenden Weise weiterzuentwickeln. Dabei nimmt aber Gott die weltlichen Gegebenheiten ernst: Gott kann nur zu einer Zukunft anregen, die unter den weltlichen Gegebenheiten und Bedingungen in diesem Moment tatsächlich möglich ist. Gottes Einfluss ist ein Anstoß, der aber nicht auf etwas Bestimmtes festlegt. Wir Menschen sind frei, diesem Anstoß zu folgen oder auch nicht.
Gott verändert sich, aber er bleibt in seinem Wesen gleich
Mit dieser Vorstellung ist die absolute Allmacht Gottes relativ geworden. Gott selbst ist nicht immer ewig derselbe. Das ist er nur in seinem Wesen als Liebe. Nein, Gott verändert sich und geht auf die Gegebenheiten dieser Welt ein.
Das ergibt eine neue Sicht auf das Gebet. Es ist ein Weg, durch den sich Menschen bewusst der Leitung Gottes öffnen und sich von Gott verändern lassen. Durch das Gebet werden wir offen zu Gott und seiner kreativen Energie hin. Und mit dieser Öffnung zu Gott hin werden wir selbst zur Gabe an Gott. Indem sich Menschen im Gebet für Gottes Leitung öffnen, ändern sie auch die Voraussetzungen, die Gott in der Welt vorfindet.
Menschen verändern die Bedingungen für Gottes Wirken
Gott gewinnt auf einmal neue Möglichkeiten durch Menschen, die zu ihm hin offen sind. Damit ändern sich die Bedingungen, zu welcher Zukunft Gott die Welt führen kann. Jeder einzelne Beter und jede einzelne Beterin kann zwar nur einen relativ kleinen Einfluss auf die Welt ausüben – Gott selbst aber „verwebt“ diese vielen kleinen Möglichkeiten zu einem großen Ganzen.
Das Gebet verändert also einerseits die Betenden selbst. Sie werden offen für Gottes Wirken. Und gleichzeitig verändert das Gebet die Bedingungen, unter denen Gott wirken kann. Jedes Gebet, das gebetet wird, verändert die Voraussetzungen, die Gott in dieser Welt vorfindet. Gott, der der gesamten Schöpfung durch seine Gegenwart verbunden ist, kann diese veränderten Voraussetzungen auch in Zusammenhängen nutzen, die dem Betenden selbst nicht unmittelbar zugänglich sind.
Das Gebet freigeben
Eines ist jedoch eine wichtige Voraussetzung: Wer betet, muss bereit sein, seine Gebete „freizugeben“. Wenn wir beten, geht es nicht darum, Gott genau vorzuschreiben, was er zu tun hat. Vielmehr geht es darum, unsere Bitten und uns selbst in Gottes Hand zu legen und darauf zu vertrauen, dass Gott besser weiß als wir, was gut und was möglich ist. Das lässt sich am besten mit der einen Bitte aus dem Vaterunser sagen: „Dein Wille geschehe.“
Gott klopft an unsere Herztür
Ich versuche, diese Gedanken von Marjorie Suchocki über das Gebet auf meine Weise und etwas einfacher auszudrücken. Nehmen wir noch einmal das Gleichnis von der hartnäckig bittenden Witwe und stellen wir dabei alles auf den Kopf. Nicht wir sind in der Situation der bittstellenden Witwe, sondern Gott klopft hartnäckig an die Tür unseres Herzens. Und wir finden uns in der Rolle des rücksichtslosen Richters, der Gott nicht fürchtet und keinen Menschen scheut.
So etwas hören wir nicht gerne, denn wer ist schon gern ungerecht. Aber was heißt das, wenn Gott unablässig an die Tür unseres Herzens klopft und an unsere Barmherzigkeit appelliert? Wenn Gott von uns Gerechtigkeit einfordert für die Menschen, denen niemand Recht schafft? Wenn Gott seine Stimme erhebt für diejenigen, die mundtot gemacht werden? Sind wir dann bereit, die Türen unseres Herzens zu öffnen und barmherzig zu handeln?
Vielleicht wirken wir mit unserer Barmherzigkeit gerade dann an einem der Gebete mit, die jemand anderes auf seinen Lippen hat. Vielleicht sind wir gerade dann einer dieser kleinen Bausteine, die Gott braucht, um diese Welt zu verändern. Vielleicht sorgen wir mit unserer Barmherzigkeit dafür, dass Gott handeln kann. Vielleicht sind wir mit unserem offenen Ohr für die Sorgen und Nöte eines Menschen ein Ort der Gegenwart Gottes, wo er wirken kann, zum Heil und zur Heilung dieses einen Menschen. Und vielleicht findet dann der Menschensohn Glauben auf dieser Erde, wenn er wiederkommt. Amen.