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Predigtsammlung aus Graz

Palmson­ntag

Predigt vom 24. März 2024: Predigthelferin Karin Erhard zum Palmsonntag und ihrer Israelreise


Liebe Gemeinde, 

heute ist Palmsonntag. Dies ist der sechste und letzte Sonntag der Fastenzeit und somit auch der Sonntag vor Ostern. Mit dem Palmsonntag beginnt die Karwoche.

Am Palmsonntag wird an den Einzug von Jesus Christus in Jerusalem gedacht. Zum Zeichen seines Königtums jubelte das Volk ihm zu und streute auf den Weg verschiedene Zweige u. a. Palmzweige.

 

 

 

So liegen dieser Predigt die Verse aus dem Markusevangelium Kap. 11, 1-11 zugrunde, die wir in der heutigen Lesung gehört haben. Miteinfließen wird auch die zweite Lesung aus Phil. 2, 5-11 und der Psalm 118, den wir in Auszügen gemeinsam gelesen haben.

 

Einige von euch wissen, dass wir als Familie die letzten zwei Sonntag in Israel waren, da unsere Tochter Maria dort geheiratet hat. Wir hatten eine wunderschöne Zeit in Jerusalem und ebenfalls auf den Golanhöhen. Auch davon möchte ich euch ein bisschen erzählen. 

 

Die Hochzeit in Jerusalem und die Nachfeier am Golan waren gänzlich jüdische Feste. Wahrscheinlich waren Johannes, ich und unsere beiden Söhne David und Jakob die einzigen Christen, abgesehen von ein paar Gästen, die auf dem Weg der Konversion ins Judentum sind und einer Nachbarin, die auf Wunsch und Druck ihres Mannes Christin wurde, sich aber innerlich wieder davon distanziert hat und derzeit getrennt von ihrem Mann lebt.

 

So waren wir als Familie gänzlich eingehüllt in jüdisches Brauchtum und konnten viel von dieser besonderen Stimmung aufnehmen. An der jüdischen Kultur liebe ich die Dynamik, die Buntheit und auch die Lautstärke. Es fühlt sich wie Leben an und stiftet Identität und Zugehörigkeit. Das „Wir“ und das „Miteinander“ kommen in den Vordergrund. Der einzelne erlebt sich als Teil von etwas Größerem.

 

Der Tag der Hochzeit war auch der Geburtstag unserer Tochter, er war zufällig auch der Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan, der zweite Tag des jüdischen Monats Adar, wo man sich wie im Fasching verkleidet. Und an diesem Tag fand auch der Wechsel der jüdischen Soldaten statt, die in Gaza kämpften und sich genau an diesem Tag nahe der Klagemauer trafen. So gingen beim Aufbauen des Hochzeitszeltes genannt hunderte Soldaten und Soldatinnen mit Maschinengewehren an uns vorbei und fast jeder rief erfreut „Masel Tov“, das bedeutet „Glückwunsch“. Von der Mauer hinter dem Hochzeitszelt sah man auf die Klagemauer mit den betenden Menschen und links davon glänzte der muslimische Felsendom.

Die Hochzeit selbst war eingebettet in viele Gebete, Brauchtum und Lieder. Noch viel mehr von diesen Gebeten und Liedern durften wir bei der Hochzeits-Nachfeier am Golan genießen. Wir waren dort bei einer jüdischen Bibelschule zu Gast, wo Eliezer, Marias Mann früher mehrere Jahre gelebt hatte. 

Ganz besonders war für mich bei dieser Feier jener Zeitpunkt als wir als ca. 50-köpfige Hochzeitsgesellschaft feiernd zusammensaßen, ein Mann sich für eine Rede erhoben hatte und plötzlich die Tür des Raumes aufging. Es kamen ca. 100 laut singende und tanzende Männer herein und wir waren geschätzt 20 Minuten mittendrin in diesem lauten und fröhlichen Treiben. 

 

Liebe Gemeinde, genau so stelle ich mir den Einzug Jesu in Jerusalem vor. Singend, tanzend und jubelnd. 

 

In allen vier Evangelien steht, dass die Menschen rund um Jesus ungefähr Folgendes sangen: 

„Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!

 

Natürlich wurden nicht nur diese wenigen Worte gesungen, sondern ziemlich sicher die gesamten sogenannten „Hallel-Psalmen“. So wurden die Psalmen 113-118 genannt, die bei mehreren Festlichkeiten und u.a. auch an den zwei Tagen vor dem Passahfest gesungen wurden. 

 

Ich hab auf Youtube ein Video von den Hallel-Psalmen gefunden. Etwas mehr als 20 Minuten dauert das Vorsingen (mit Tanzen) dieser Psalmen, wobei normalerweise nur die Männer singen und dies ohne Begleitung von Instrumenten. Damit ihr euch etwas darunter vorstellen könnt, spiele ich euch einen kurzen Moment daraus vor und ihr werdet sehen, es ist ein deutlich lebendiger als wir vorher den Psalm 118 gebetet haben.

https://www.youtube.com/watch?v=EAGvxRTCLLg

Ich gehe nun tiefer auf die Geschichte des Einzugs Jesu in Jerusalem ein.

Im Johannesevangelium wird berichtet, dass kurz davor Jesus den Lazerus nach 3 Tagen Tod wieder zum Leben erweckt hat.

Die vorangegangene Auferweckung des Lazerus hatte die Menschen zutiefst berührt und begeistert. Die Auferweckung eines Toten, der bereits 3 Tage im Grab gelegen hatte, ist und war menschlich unmöglich. Unmögliches vollbringen, deutete somit auf den erwarteten Messias hin und die Menschen waren sicher in totaler Erwartungsstimmung, vielleicht auch Euphorie.

Und diese Vorstellung, dass der Messias gekommen sein könnte, bewegte und erregte die Menschen so sehr, dass sie Jesus aus Jerusalem in Richtung Osten entgegen gingen.

In der Zwischenzeit organisierte Jesus durch seine Jünger ein Reittier und zwar einen jungen Esel. Dies war in Anlehnung an ein Wort vom Propheten Sacharja: „Freue dich, du Zionsstadt! Jubelt laut, ihr Leute von Jerusalem! Seht, euer König kommt zu euch! Er ist gerecht vor Gott, und er bringt die Rettung. Er ist demütig und reitet auf einem Fohlen, dem männlichen Jungtier einer Eselin.“

 

Im Philipperbrief haben wir bei der Lesung gehört, 

  • dass Jesus genauso war wie Gott. Die Göttlichkeit war also ein Teil der Identität Jesu.
  • Trotzdem war Jesus bereit, durch und durch Mensch zu werden. 
    im Philipperbrief steht, dass Jesus die Göttlichkeit nicht als Raub ansah – gemeint ist hier als Beutestück, das man festklammert, damit es einem nicht weggenommen wird. Nein, die Göttlichkeit war Teil des Wesens Jesu, deshalb konnte er Mensch sein, ohne seine Göttlichkeit zu verlieren.
  • Und in diesem Menschsein konnte Jesus sich erniedrigen und dienen. Es war für Jesus sogar möglich, einen grausamen und schrecklichen Tod am Kreuz zu sterben, ohne seine Würde und Identität als Gott zu verlieren.
  • Man könnte hier sogar noch etwas draufsetzen: Gerade in der Demut, Hingabe und im „Sich verschenken“ wurde das liebende Wesen Gottes offenbar. Göttlichkeit bedeutet eben nicht, nur oben auf Wolke 7 in Abgehobenheit und Unantastbarkeit zu schweben, sondern Göttlichkeit bedeutet hingebungsvolle Liebe.

 

Das Ablegen seiner Göttlichkeit, das Reiten auf einem Esel war daher kein Scheitern einer Mission, es war kein Hoppala, ebenso wenig wie der Tod Jesu am Kreuz kein Scheitern und kein Hoppala waren. Sondern beides war zutiefst eine Offenbarung vom Wesens Gottes.

 

So spanne ich nochmals den Bogen zurück zu unserem Aufenthalt in Israel. Uns war es wichtig, dort als Licht zu scheinen. Im Rahmen der Hochzeitszeremonie haben Johannes und ich für das Brautpaar den Psalm 103 vorgelesen. Die Nachbarin, von der ich oben berichtet habe, hat davon ein Video gedreht und es ihrem Mann geschickt. Dieser war davon so berührt, dass er beschlossen hat, zu seiner Frau zurück zu kommen. Inzwischen haben die beiden Bedingungen für einen Neustart ausgehandelt und möchten es wieder miteinander versuchen.

Für mehrere Tage durften wir bei dieser Nachbarin wohnen. Ich hatte ihr angeboten, als Dank dafür ihren mit Brennnesseln überwucherten Garten auszumisten, was David, Jakob und ich gemeinsam in ca. 3 Stunden Arbeit geschafft haben. Danach war der Garten nicht wiederzuerkennen und die Nachbarin betrat nach ca. 2 1/2 Jahren erstmals ihren Garten.

Auf den Golanhöhen brachten wir dem Rabbi Nathanael, der uns eingeladen hatte, mehrere Geschenke mit und es berührte mich, dass er sich früher nicht hätte vorstellen können, dass es Christen gibt, die in vielen Punkten seine Werte teilen. 

 

Somit fasse ich die Predigt zum heutigen Palmsonntag zusammen:

  1. Die Menge wollte Jesus als König feiern. Jesus holt sie auf den Boden göttlicher Realität zurück. Nicht Menschen machen Jesus zum König, sondern Gott selbst macht Jesus zum König – nach seinen Prinzipien und gemäß seinem Wesen.
  2. Papst Benedikt XVI. deutete den Einzug Jesu auf dem Reittier der Armen als Gegenbild zu den Kriegswagen, die Jesus abschafft: Jesus ist „ein armer König, einer, der nicht durch politische und militärische Macht herrscht. Sein innerstes Wesen ist Demut, Sanftmut Gott und den Menschen gegenüber“. Als „Friedenskönig“ stehe Jesus im Gegensatz zu den Königen der Welt.
  3. Und wir, du und ich, als Menschen in der Nachfolge Jesu möchten in diese Identität hineinwachsen und lernen, wie Demut und Sanftmut Gott und den Menschen gegenüber aussehen soll und kann.

Amen

Befreiung

Predigt vom 17. März 2024: Pastor Frank Moritz-Jauk zu Johannes 12, 20-33


Liebe Gemeinde, im Rückblick auf meine letzten Predigten, die vielleicht etwas kopflastig waren, habe ich mir heute vorgenommen, euch eine federleichte, erfrischende, befreiende und ermutigende Predigt zu schenken.

Aber wie soll das gehen? Mitten in der Passionszeit? Wo wir auf den Leidensweg von Jesus schauen? Wo Zweifel, Angst, Grausamkeit und Schmerzen im Vordergrund stehen?

Wie soll das gehen in einer Zeit des Umbruchs? In einer Zeit, in der ihr als Gemeinde erfahren habt, dass ein Pastorenwechsel bevorsteht? In einer Zeit, wo das Thema Mitbestimmung und Umgang mit Menschen in den Vordergrund gerückt ist? Wo Enttäuschung bis hin zu Wut und Ärger in der Gemeinde vorhanden sind?

Ja - das sind die Fragen. Gute Fragen. Und ich will es dennoch versuchen. Ich möchte euch etwas von der Leichtigkeit und Freude weitergeben, die ich in mir spüre. Ich möchte Zeugnis geben, von einem Glauben der trägt. Und ich möchte euch drei Hintergründe schildern, warum ich glaube, dass leichte Predigten wichtig sind.

Der erste Hintergrund ist, dass wir eine internationale Gemeinde sind und sein wollen. Und das bedeutet, dass predigende Menschen - wie ich - darauf Rücksicht nehmen sollen, dass nicht alle deutsch als Muttersprache haben. Dass nicht alle gleich gut deutsch können und deshalb gleich gut verstehen, was gesagt wird. Deshalb braucht es kurze Sätze, möglichst ohne lateinische Fremdworte. Ist ja schon deutsch schwierig genug. Und es ist selbst mit deutschen Worten schwierig, die nicht mehr zum allgemeinen Sprachschatz gehören. Wie Sünde, Schuld, Sühne oder dergleichen. Selbst wenn ich in meiner letzten Predigt versucht habe, das möglichst gut zu erklären, ist mir bewusst geworden, wie schwierig diese Predigt zu verstehen war. Das soll heute anders sein.

Und was ich bei diesem ersten Hintergrund ganz deutlich und unmißverständlich sagen möchte: Wer nicht deutsch als Muttersprache hat, braucht sich dafür bitte nicht zu schämen. Oder zu entschuldigen. Ich kann dafür kein chinesisch. Oder koreanisch. Oder Tri.

Der zweite Hintergrund ist, dass ich in den vergangenen zwei Wochen, also seit der Pastorenwechsel bekannt gegeben wurde, begonnen habe, mich zu verabschieden. Also in all den Gruppen in denen ich außerhalb der Gemeinde mitarbeite, bekannt zu geben, dass ich nur mehr bis zum Sommer in Graz sein werde. Ob das jetzt das Ökumenische Forum ist. Oder das Christlich-jüdische Komitee. Oder der Ökumenekreis im Seelsorgeraum Kaiserwald. Oder die muslimisch-christliche Dialoggruppe. Überall habe ich so viel Wertschätzung und Liebe erlebt, dass ich diese Liebe einfach weitergeben möchte. Das ist doch ein unglaubliches Geschenk! So viele positive Rückmeldungen. 

„Denn wes das Herz voll ist, des geht der Mund über“. Ich dachte erst, das sei ein Sprichwort. Tatsächlich ist es eine Bibelstelle aus Lukas 6, Vers 45. Sie bedeutet, begeistert von etwas zu erzählen, das man besonders stark erlebt hat oder das man für wichtig hält. Ja, diese erfahrene Liebe und Wertschätzung habe ich besonders stark erlebt. Auch von ganz vielen Menschen aus der Gemeinde, also von euch, habe ich das erlebt. Und dafür bin ich unglaublich dankbar. Diese Liebe und diese Dankbarkeit lässt mich gelassen in die Zukunft blicken. Wovor sollte ich mich fürchten, wenn das die Früchte meines Wirkens hier in Graz sind?

Und der dritte Hintergrund ist, dass man die Passionszeit als eine unheimlich schwere und bedrückende und schmerzhafte Zeit erleben kann. Kann man. Muss man aber nicht.

Ich finde, die heute gehörte Evangeliumsstelle hat auch etwas Befreiendes. Etwas das Mut macht und Hoffnung gibt. Jesus selbst ist es, der das sieht. Durch sein Leiden und seinen Tod hindurchsieht, wenn er sagt: „Mein Herz ist jetzt voller Angst und Unruhe. Soll ich sagen: Vater, rette mich vor dem, was auf mich zukommt? Nein, denn jetzt ist die Zeit da; jetzt geschieht das, wofür ich gekommen bin.“

Ich bin überzeugt, dass diese Haltung ganz wichtig für uns Menschen ist.

Es geht um Sinn. Um Bedeutung. Um „purpose“, wie man im englischen sagt.

Wenn wir einen Sinn in unserem Tun erkennen können, dann hilft uns das auch in schweren Zeiten.

Jesus sieht diesen Sinn: „Jetzt geschieht das, wofür ich gekommen bin.“

Und was ist das?

Auch hier gibt uns Jesus selbst die Antwort: „Jetzt wird der Herrscher dieser Welt hinaus geworfen werden.“ 

Und wer ist damit gemeint?

Ich denke, wenn der Herrscher dieser Welt hinaus geworfen wird, dann meint Jesus damit den großen Versucher. 

Also nicht den wirklichen Herrscher dieser Welt, denn das ist und bleibt Gott, sondern den Versucher der Jesus in der Wüste auf die Probe stellt. Und von dem es heißt, dass ihm die Reiche der Erde unterstellt sind.

Wenn jetzt der Teufel, ein Name für diesen großen Versucher, hinausgeworfen wird, dann bedeutet das, dass seine Macht gebrochen wird. Und dass damit auch die versklavende Macht der Sünde gebrochen wird. Das führe ich heute nicht noch einmal aus. Heute sage ich es ganz einfach: Es ist ein Sieg über das Böse. Es ist ein Sieg über alles, was uns von Gott trennen will. Es ist ein Sieg, eine Befreiung, mit der neues Leben möglich wird.

Jesus hat das gesehen und angekündigt. Für diesen Sinn, war er bereit ans Kreuz zu gehen. Das war es ihm wert.

Und das Schöne ist, dass Gott das bestätigt: „Ich habe es getan und werde es auch jetzt wieder tun.“ Gott bestätigt diesen Weg, den Jesus geht.

Ich sehe meinen Weg noch nicht. Aber das ist nicht so schlimm, denn ich vertraue darauf, dass Gott ihn schon kennt. Wie hat meine Bezirkslaienreferentin Ute Frühwirth so schön gesagt: „Frank, wer weiß für was es gut ist.“ Das zaubert mir schon heute ein Schmunzeln ins Gesicht.

Vielleicht ist es dafür gut, dass die Gemeinden und Leitungsverantwortlichen in Österreich einen besseren Weg miteinander finden. Dass es in Zukunft mehr Offenheit gibt. Dass weniger einseitige Entscheidungen gefällt werden. Dass alle daraus lernen können.

Das kann ich für mich schon heute sagen: Ich habe unheimlich viel gelernt. Ich habe selten in so kurzer Zeit soviel über mich selbst gelernt. Ich kann bestätigen, dass wir in Krisen am ehesten bereit sind, über uns selbst nachzudenken. Ohne Leiden, keine Veränderung.

All das sehen wir in der Passionszeit. Ohne Karfreitag, kein Ostern. Ohne Leiden und Tod, gibt es keine Auferstehung. Oder wie hat es Jesus so schön gesagt: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es ein einzelnes Korn. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.“

Man kann in Veränderungen eine Bedrohung sehen. Kann man. Muss man aber nicht.

Jede Veränderung kann auch eine Chance sein. Jede Veränderung kann Sinn machen. Das Problem das wir im Vergleich zu Jesus haben, ist, dass wir es jetzt noch nicht sehen. Oder noch nicht wissen.

Meistens erkennen wir erst im Nachhinein, wozu etwas gut war. Was für einen Sinn es hatte. 

Aber Wachsen im Sinne von reifer werden, geschieht in den Brüchen des Lebens. Das ist zumindest meine Erfahrung. Der ich dann auch etwas Gutes abgewinnen kann. So schmerzhaft es auch sein mag. Aber wenn alles glatt läuft und seinen gewohnten Gang geht, dann passiert meistens nichts Bahnbrechendes. Das aber ist der Tod von Jesus.

Es ist etwas wirklich Bahnbrechendes, etwas ganz Neues, etwas wirklich Befreiendes.

Und dann kommt noch dazu, dass der Tod Jesus nicht festhalten konnte. Jesus hat auch die Macht des Todes gebrochen. Nichts ist mehr wie es war. 

Die Auferstehungsbotschaft schimmert immer durch die Passion von Jesus hindurch. Zumindest im heutigen Evangelium ist das ganz deutlich. Da sieht Jesus den Sinn seines Kommens.

Lassen auch wir uns einladen, diesen Sinn zu erkennen. Diese Befreiung anzunehmen. Und die Freude zuzulassen, die damit einher geht.

Amen.

Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe

Predigt vom 03. März 2024: Superintendent Stefan Schröckenfuchs zur Jahreslosung 1. Kor. 16, 14


Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!         1. Korinther 16,14

Liebe Gemeinde in Graz, seit Jahresbeginn begleiten mich die Worte der Jahreslosung: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!“ Ich möchte auch heute gerne nochmals über die Bedeutung dieser Wortenachdenken. 

Und ich will sie mit der Zusage verbinden, die Jesus bei seiner Taufe zu hören bekommen hat: du bist mein geliebtes Kind! 

Zunächst aber zur Jahreslosung: Alles was ihr tut, geschehe in Liebe!

Das klingt im ersten Moment nach einer Aufforderung. Oder vielleicht sogar nach einer Überforderung. 

 Alles, was ihr tut… - das ist ja ziemlich viel. 

Ich tue ja ständig irgendwas. 

Schlafen, essen, reden, einkaufen, arbeiten, Spaß haben, mich ärgern, streiten, etwas entscheiden, etwas erdulden, und so weiter… Kann man wirklich alles in Liebe tun? Wer entscheidet eigentlich, ob das was ich tue, tatsächlich „in Liebe geschehen“ ist? Muss ich mich ständig selbst kontrollieren? Werde ich ständig überprüft? Gar nicht so einfach. 

1) Ich möchte in einem ersten Schritt den Text etwas genauer anschauen.  

Paulus hat seine Briefe auf Griechisch geschrieben.

Bei Übersetzungen in andere Sprachen geht oft etwas verloren, weil Sprachen sehr unterschiedlich funktionieren. 

In unserer deutschen Übersetzung finden wir einen Satz, der zwei Verben, zwei Tun-Wörter, hat: tun und geschehen. Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe! 

Paulus verwendet im Griechischen aber nur ein Verb. Interessanterweise ist es nicht das Wort „tun“ (poieo), das im Deutschen prominent an erster Stelle steht. Er verwendet das Verb ginomai, das bedeutet, dass etwas geschieht, oder ganz einfach passiert. Alles zwischen euch geschehe in Liebe. 

Das klingt auf deutsch ein bisschen holprig, darum haben die Übersetzer ein zweites Verb eingefügt: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“.Ich denke aber, dass dabei die Aufmerksamkeit viel zu stark auf das Tun gelenkt wird. Der Fokus von Paulus liegt nicht darauf, dass wir etwas tun sollen. Es geht ihm vielmehr darum, dass da etwas da ist, was wir ernst nehmen sollen - bei allem, was so zwischen uns Menschen passiert. Ich will es noch konkreter und deutlicher sagen: 

Paulus sagt nicht: „tut dies und lasst jenes – seid immer lieb und nett; reißt euch zusammen; kehrt alle Konflikte und was euch ärgert unter den Tisch. Denn bei einer Christin oder einem Christen muss man bei allem, was er macht, sagen können: ‚Na, das war aber lieb.‘ Das ist nicht gemeint, und zwar gar nicht. Paulus geht es vielmehr darum, dass wir etwas ernst nehmen sollen, was schon da ist. Etwas, was wir selbst gar nicht machen oder herstellen können - sondern höchstens ablehnen oder ignorieren. Dieses „etwas“ ist eben die Liebe, und zwar genauer: die Liebe Gottes.

Diese Liebe (das ist wichtig) kommt nämlich nicht aus uns heraus. Sondern sie kommt von Gott, der sie uns schenkt. 

Gott schenkt uns seine Liebe. Deshalb ist die Liebe schon da. 

Unser Anteil ist der, sie tatsächlich ernst zu nehmen - bei allem, was so zwischen uns passiert. 

2) Ich will versuchen, noch deutlicher zu machen, was ich damit meine. Dazu muss ich jetzt einen Sprung machen - zu unserem Evangelium von der Taufe Jesu, das wir vorhin gehört haben. 

Der Evangelist Markus erzählt ganz am Anfang seines Evangeliums, dass Jesus sich von Johannes dem Täufer im Jordan taufen lässt. Kaum steigt Jesus dann wieder aus Wasser des Jordanflusses, heißt es: 

„In diesem Moment sah er, wie der Himmel aufriss. Der Geist Gottes kam auf ihn herab wie eine Taube. Dazu erklang eine Stimme aus dem Himmel: »Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Freude.«“

Der Himmel reißt auf. Das ist ein ziemlich faszinierendes Bild. Man kann sogar übersetzen: den Himmel zerreißt es. Der Himmel geht nicht nur für einen Moment auf, sodass man ihn auch wieder zumachen könnte. Sondern der ist im Grunde kaputt - er bleibt endgültig offen, den kriegt man nicht wieder zu. Aus diesem zerrissenen Himmel ist die Stimme Gottes zu hören: Du bist mein geliebter Sohn. Ich liebe dich. Das ist die Botschaft, die aus dem zerrissenen Himmel kommt. Das Bild vom zerrissenen Himmelszelt soll deutlich machen: 

Gott nimmt das nicht wieder zurück. Er kann es garnicht zurückziehen. Der Himmel, in dem diese Botschaft bisher eingesperrt war, ist zerrissen. Es gibt kein zurück mehr für die Liebe Gottes. Die ist jetzt unwiderruflich da. Du bist mein geliebtes Kind, egal, was kommt. Egal, was andere zu dir sagen. Egal wie man dich behandelt. Egal was du tust - ob du Erfolg hast oder scheiterst. Du kannst meine Liebe nicht mehr verlieren. Und du brauchst auch erst gar nicht versuchen, sie dir zu verdienen. Das wäre ja ein Hohn. Meine Liebe verdienen zu wollen heißt ja eigentlich, ein Geschenk abzulehnen. Nein, meine Liebe ist schon längst da, und sie gilt: ICH LIEBE DICH. Punkt aus. 

3) Diese uns bedingungslos geschenkte Liebe ist es, in der alles, was so unter uns passiert, eben „geschehen“ soll. 

Es sind nicht wir, die sich abmühen müssten, bei wirklich allem was wir tun, noch irgendwie ein Fünkchen Liebe aus uns heraus zu quetschen. 

Nein, die Liebe ist längst da. 

Wie ein warmer Regen an einem Sommertag die Erde erfrischt, so regnet die Liebe Gottes beständig aus dem zerrissenen Himmel auf uns und will alles durchdringen, was unser Leben betrifft.

Diese Liebe ist nämlich nicht nur Jesus zugesagt.

Sie gilt jedem von uns! In der Taufe wurde sie uns allen ganz persönlich zugesagt. 

Du bist mein geliebtes Kind. Ich habe dich lieb. Ohne jede Vorbedingung. Und unwiderruflich. 

Interessanterweise fällt es uns Menschen aber gar nicht so leicht, dieser Liebe zu trauen, und zuzulassen, dass sie unser Leben bestimmt. 

Diese Erfahrung kennt sogar Jesus. Unmittelbar nach seiner Taufe heißt es, dass es ihn in die Wüste treibt, wo er versucht wird. Solche Versuchungen kennen auch wir. Eine davon ist der Zweifel: „Stimmt denn das überhaupt - dass ich wirklich geliebt bin? Und zwar „einfach so“? Muss ich mir Liebe nicht doch erst verdienen? Und was ist,  wenn ich mich daneben benehme - werde ich sie dann nicht doch wieder verlieren?“ Nein - DU BIST GELIEBT. Punkt, Aus, Ende! Lass dir das gesagt sein. Versuch nicht, dir diese Liebe zu verdienen; damit lehnst du nur ab, was Gott dir schenk: dass dich nämlich liebt, einfach weil er dich liebt. 

Eine andere Versuchung ist so ziemlich das Gegenteil davon. Es ist der Hochmut, der uns sagt: „Na, ich muss ja offensichtlich ein ganz besonders toller Hecht sein, dass Gott mich so sehr liebt. Gottes Sohn, Gottes Kind - wow, dann bin ich ja wohl der Größte! Und verlieren kann ich sie auch nicht mehr? Na, was kann mir dann schon passieren? Jetzt kann ich mir alles erlauben und herausnehmen was ich will. Mir passiert ja eh nichts. Und die anderen sind mir egal. “ 

Auch das wäre eine Versuchung, die am Ziel dessen vorbei geht, was Gottes Liebe bewirken will. 

Jesus widersteht beiden Versuchungen. 

Sein ganzes Leben ist ein großartiges Beispiel dafür geworden, was es heißt, sich einfach gesagt sein zu lassen: Ich bin geliebt. Das genügt. Ich muss mir nicht erst verdienen, geliebt zu werden. Gottes Liebe fällt mir unverdient zu. Das genügt. 

Das Wunderbare an der Geschichte Jesu ist, dass wir sehen können: 

Die Liebe macht Jesus frei. 

Frei, sich nicht mehr um sich selbst drehen zu müssen. Frei, andere lieben zu können. Frei, das beste für andere zu wollen – und zu tun. Frei - weil, er sich beschenkt fühlt und bedingungslos geliebt weiß. Frei, alles was zwischen ihm und anderen passiert, von dieser Liebe bestimmt sein zu lassen.Was Jesus dann „getan“ hat (und das kann man gar nicht klar genug sagen) war gewiss nicht immer einfach nur „lieb und nett“. Im Gegenteil. 

Jesus ist keinem Konflikt ausgewichen, den er im Sinne der Liebe für nötig gehalten hat. Als er gesehen hat, dass es den Händlern und Geldwechslern im Tempel nur um Geschäfte und nicht um Gott geht, hat er sie aus dem Tempel geworfen. 

Als er im Gespräch mit Pharisäern und Schriftgelehrten gemerkt hat, dass es ihnen um Macht, Ansehen oder Selbstgerechtigkeit, hat er vehement mit ihnen gestritten. Und als er bei seinen Jüngern gemerkt hat, dass sie sich darum streiten, wer von ihnen der Größte ist, hat er ihnen gehörig den Kopf gewaschen. Am Schluss hat man ihn dafür umgebracht, weil er so kompromisslos der Liebe Gottes treu und in seinem Handeln frei geblieben ist, und sich von niemandem verbiegen hat lassen. Jesus war durch die Liebe frei. Aber er war gewiss nicht einfach nur lieb und nett. Ich weiß nicht einmal, ob wir ihn besonders sympathisch gefunden hätten. Was ich aber weiß ist, dass er sein ganzes Leben und Handeln bestimmt sein hat lassen von der Zusage, die Gott ihm gemacht hat: „Du bist mein geliebtes Kind, an dir habe ich Wohlgefallen“. So konnte er sogar am Kreuz sagen: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“. 

4) Und wir?

Können wir das auch? 

Können wir unser Leben so bestimmt sein lassen von der Zusage Gottes: „Du bist mein geliebtes Kind.“? 

Ich möchte wenigstens sagen: Bitte, lasst es uns versuchen. Denn die uns geschenkte Liebe ist ein wahrhaft tragender Grund! Es ist die bestmögliche Basis für alles, was so zwischen uns passiert! 

Lasst uns bei allem, was wir tun, und bei allem was so zwischen uns passiert, eins nie vergessen: wir sind geliebt. Bedingungslos. Unwiderruflich. Der Himmel ist offen, der geht nicht mehr zu.

Wenn wir das im Blick behalten, macht das einen unfassbaren Unterschied. Es wird zwar nicht alles leichter, was wir zu tun haben. 

Es verhindert auch nicht, dass es manchmal zu Konflikten, zu Trennungen, ja vielleicht sogar zu Brüchen kommt. Manches fällt uns leicht und macht uns Freude, und anderes fordert uns heraus oder schmerzt. Dennoch: es ändert alles, ob wir verzweifelt denken: „Hilfe, ich hab nur mich! Wie schaff ich das? Was ist, wenn ich überfordert bin, abgewiesen werde oder scheitere? Fall ich dann ins Nichts?“ 

Oder ob wir uns daran erinnern, was Paulus an anderer Stelle sagt: 

Was kann uns von Christus und seiner Liebe trennen?Etwa Leid, Angst oder Verfolgung, oder Kälte, Gefahr oder gar die Hinrichtung? Ich bin zutiefst überzeugt: Nichts kann uns von der Liebe Gottes trennen – nicht der Tod und auch nicht das Leben, keine Engel und keine weltlichen Mächte, nichts Gegenwärtiges und nichts Zukünftiges und auch keine andere gottfeindliche Kraft. Nichts Über- oder Unterirdisches und auch nicht irgendetwas anderes, das Gott geschaffen hat – nichts von alledem kann uns von der Liebe Gottes trennen. In Christus Jesus, unserem Herrn, hat Gott uns diese Liebe geschenkt.

Ich kann es aus eigener Erfahrung sagen: gerade in herausfordernden Situationen macht es einen unfassbaren Unterschied, wenn wir uns darauf einlassen, uns selbst und alles, was so passiert von der Liebe Gottes getragen sein zu lassen. 

Denn solange die Liebe Gottes der tragfähige Grund ist, auf dem wir Halt finden, werden wir auch schwierige Situationen so bewältigt können, dass Gott noch Gutes daraus entstehen lassen kann. 

Ich habe das immer wieder erlebt. Und vielleicht sind wir gerade jetzt in einer Situation, in der wir das gemeinsam erfahren können. Gott schenke es - durch seine Liebe - dass alles, was zwischen uns geschieht, im Licht der bedingungslosen Liebe Gottes steht. 

Amen

Welche Bedeutung hat Jesu Tod für uns?

Predigt vom 18. Feber 2024: Pastor Frank Moritz-Jauk zu 1. Petrusbrief 3,18-22


Einleitung

Liebe Schwestern und Brüder, nach vielen Predigten zu Texten aus dem Markusevangelium habe ich mich heute für den Text aus dem 1. Petrusbrief entschieden. Es ist ein Text, der vielleicht nicht so bekannt ist wie die Texte aus den vier Evangelien. Der aber geschrieben wurde, um den jungen Gemeinden eine Hilfestellung zum Verständnis des Glaubens zu geben. 
Und ich denke das darf man auch von einer Predigt erwarten: 
Dass man Hilfestellung zum Verständnis bekommt. 

Oder dass ein bestimmter Gedanke oder ein bestimmter Inhalt vertieft wird. 
Welche Bedeutung hat Jesu Tod für uns?
Das soll heute die zentrale Frage sein, die ich vertiefen möchte.

Und um das Ganze vielleicht noch ein wenig mehr im hier und jetzt, also in der Welt in der wir leben, zu verankern, erweitere ich diese Frage um folgende Aussage: 
„Jesus am Kreuz? 
Nein, also ich brauch das gar nicht, dass jemand für mich sterben muss.“

Ich weiß nicht, ob ihr das schon in Gesprächen gehört habt. 
Ob ihr das schon einmal gefragt worden seid. 
Aber unabhängig davon ist es auch für unseren eigenen Glauben von Bedeutung, wie wir diese Frage beantworten.

Und natürlich muss jede und jeder diese Frage selbst beantworten. Ich möchte heute eine Reihe von Hilfestellungen dazu geben mit denen man sich dann selbst eine Meinung bilden kann.

Bibelstelle

Und um dieses Thema in unserem heute gehörten Text sichtbar zu machen, lese ich die entscheidende Stelle nochmal vor: 
„Christus hat ja selbst gelitten, als er, der Gerechte, für die Schuldigen starb. Er hat mit seinem Tod ein für allemal die Sünden der Menschen gesühnt und hat damit auch euch den Zugang zu Gott eröffnet.“

Sühne

In diesen zwei Sätzen sind jetzt mehrere Aussagen von Bedeutung. 
Was mir als erstes aufgefallen ist war das Wort „gesühnt“.

Jetzt ist „gesühnt“ oder das Hauptwort „Sühne“ ja nicht eines der Worte, die wir außerhalb der Kirche, wenn nicht sogar außerhalb der Theologie, in den Mund nehmen würden. Für viele ist es ein ganz fremdes, ungewohntes, altertümliches Wort. Sühne. Was bedeutet Sühne denn eigentlich?

"Sühne ist etwas, was jemand als Ausgleich für eine Schuld oder für ein Verbrechen auf sich nimmt oder nehmen muss."

So und mit dieser Worterklärung sind wir ganz unmittelbar in einer hochtheologischen Auseinandersetzung angekommen. Hier werden ganz viele Fragen aufgeworfen:

Was ist mit Ausgleich gemeint? Ausgleich für was? 
Um welche Schuld geht es? Kann man diese Schuld mit einem Verbrechen, also einer strafwürdigen Handlung gleichsetzen?
Hat Jesus das jetzt freiwillig auf sich genommen? Oder hat er es auf sich nehmen müssen?

Opfer, Sühnopfer oder Hingabe

Ich weiß, da schwirrt einem schon mal ganz ordentlich der Kopf. Das sind alles keine leichten Fragen. Aber was ich euch heute etwas näher bringen möchte ist die Auseinandersetzung mit der Frage ob Jesus Tod jetzt eher Opfer oder Sühnopfer oder eher Hingabe oder alles zusammen war. 

Und was das für uns - oder die Menschen, wie es in der heutigen Lesung hieß - bedeutet.

Wer jetzt an dieser Stelle denkt, das sind doch theologische Spitzfindigkeiten, den möchte ich an meine Aussage erinnern „Jesus am Kreuz? Nein, also ich brauch das gar nicht, dass jemand für mich sterben muss.“
Ich denke für diese Anfrage an unseren Glauben brauchen wir Antworten.

Und ich denke wir müssen uns hier an dieser Stelle auch noch einmal vergegenwärtigen, was mit Schuld, was mit Sünde und was mit Opfer verbunden oder gemeint ist.

Sünde

Darin habe ich die Sünde als eine Macht beschrieben. 
Eine Macht der wir Menschen ausgeliefert sind. 
Eine Macht, von der wir erlöst werden müssen.

Schuld

Schuld ist die einzelne, konkret gewordene Tat. Schuld ist das Zurückbleiben hinter Gottes Forderungen. Also zum Beispiel seine Nächste oder seinen Nächsten zu lieben oder das Gute zu tun. 
Und andererseits ist Schuld die Verantwortlichkeit im Sinne der Zurechnung. 
Also ich habe gelogen – und nicht jemand anderes. 

Schuld - und ich glaube das ist in unserem heutigen Zusammenhang wichtig - ist etwas was wir getan haben und das nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. 

Selbst wenn ich etwas zurück bringe, was ich vorher gestohlen habe, dann habe ich dennoch gestohlen. 
Schuld kann also nicht ungeschehen gemacht werden. 
Sondern sie kann nur gesühnt, bestraft oder vergeben werden. 

Opfer

Wenn wir uns jetzt noch kurz in Erinnerung rufen, was der Grund für ein Opfer ist, dann haben wir die Grundlagen, um vielleicht einige Antworten zu finden.

Das Opfer ist ein von Gott gegebenes Ritual mit dem Menschen wieder frei werden können. Wie sie wieder neu beginnen können. 
Denn die Schuld kann nicht ungeschehen gemacht werden. Sie würde ewig bleiben. Das Opfer ist also ein Ritual der Vergebung. 

Das wird besonders deutlich, wenn wir an den Sündenbock denken. 
Diesem Bock, also dieser männlichen Ziege, wurden die Sünden des Volkes Israel in einer Symbolhandlung aufgeladen. Und dann wurde er in die Wüste geschickt. Eine symbolische, stellvertretende Handlung, die klar machen sollte, dass die Sünden jetzt weg sind. Weg, sie sind in die Wüste getrieben worden. Das Volk Israel ist wieder frei von Schuld.

Deutung

Ich denke man wird den Tod von Jesu in diese Richtung hin deuten müssen. 
Die Bedeutung von Jesu Tod für uns liegt darin, dass wir frei werden von unserer Schuld. Jesus befreit uns von der Last aller offenen und verdeckten Schuld, damit wir wieder frei atmen können und dankbarer Jubel unsere Herzen erfüllt. So steht es in unserer Abendmahlsliturgie. Ich glaube darum geht es.

Gott hat noch nie ein Opfer gebraucht. 
Wir Menschen haben ein Opfer gebraucht. 

Gott braucht auch keinen Ausgleich. 
Diejenigen denen Gewalt und Ungerechtigkeit angetan wurde brauchen einen Ausgleich.

Jesus - und damit Gott selbst - musste nicht ans Kreuz gehen. 
Er hat es freiwillig getan, damit wir Menschen ein Zeichen für seine Liebe und Versöhnungsbereitschaft haben.

So würde ich es einmal auf den Punkt bringen.

 

War das jetzt zu schnell?

Noch einmal von vorn

Anfangs habe ich gefragt, was mit Sühne gemeint ist. 
"Sühne ist etwas, was jemand als Ausgleich für eine Schuld oder für ein Verbrechen auf sich nimmt oder nehmen muss."

Ausgleich

Dann habe ich gefragt: Was ist mit Ausgleich gemeint? Ausgleich für was?

Wenn überhaupt, dann braucht es einen Ausgleich für diejenigen denen Gewalt, Leid, Ausgrenzung und Ungerechtigkeit angetan wurde. Was bedeutet es sonst, dass Gott die Gerechtigkeit wieder herstellen wird? Gott selbst braucht meiner Ansicht nach keinen Ausgleich. Selbst bei der Satisfaktionslehre ging es nie um eine Ehrverletzung Gottes, sondern um die Herstellung der von Gott geschaffenen Ordnung. 
Also nein. Gott braucht keinen Ausgleich.

Schuld

Als nächstes ging es um die Frage der Schuld. Um welche Schuld geht es? 
Kann man diese Schuld mit einem Verbrechen, also einer strafwürdigen Handlung, gleichsetzen?

Immer und überall, ob im Alten oder im Neuen Testament geht es um unsere Schuld. Um die Schuld der Menschen. 

Und ob Gott das bestraft? 
Ich würde sagen, ja, dazu gibt es viele Stellen in der Bibel. 

Aber unabhängig davon, wie man diese Stellen gewichtet und sie mit der Liebe Gottes zu uns in ein Verhältnis setzt, würde ich gegenfragen:
Ist die Trennung von Gott, die unsere Schuld bewirkt, nicht Strafe genug? 
Was gibt es Schmerzvolleres als von Gott getrennt zu sein?

Freiwillig

Und schließlich habe ich nach der Freiwilligkeit gefragt. Hat Jesus das jetzt freiwillig auf sich genommen? Oder hat er es auf sich nehmen müssen?

Im Zusammenhang mit Gott von "müssen" zu sprechen halte ich für einen schweren Denkfehler. 
Wer will dem Schöpfer des Universums etwas anschaffen? 
Wer sollte Gott richten können, wenn er es nicht tut? 
Von müssen kann also nicht die Rede sein.

Also war es natürlich freiwillig. 
So schmerzhaft und grausam es auch war. 

Und so sehr der Mensch Jesu damit gerungen hat. 
Aber mit der Trinität kann man durchaus sagen, dass Gott selbst, in der Person von Jesus, ans Kreuz geht.

Fazit

Auf meine provokante Aussage „Jesus am Kreuz? Nein, also ich brauch das gar nicht, dass jemand für mich sterben muss.“ kann man also ganz ruhig und freundlich antworten.

Nein, Jesus musste es nicht. 
Er hat es freiwillig getan. 
Um deiner Sünden willen. Damit du wieder frei wirst von deiner Schuld. 
Damit auch dir wieder der Zugang zu Gott eröffnet ist.

Amen.

Christus ist das Zentrum

Predigt vom 11. Feber 2024: Pastor Frank Moritz-Jauk zu Markus 9, 2-9 und die bekennende Mitgliedschaft


Einleitung

Liebe Gemeinde, ich möchte mit meiner heutigen Predigt etwas zum Thema Mitgliedschaft in unserer Kirche sagen. Denn wir werden nachher ja zwei Menschen, in die bekennende Mitgliedschaft unserer Kirche aufnehmen. 

Gleichzeitig möchte ich den Evangeliumstext nicht vollständig ignorieren, weil er eine ganz wichtige Botschaft hat, die auch für die Mitgliedschaft entscheidend ist: 
Im Zentrum steht Christus.

Bibelverständnis

Man kann diese Erzählung von der Verklärung Jesu bezüglich ihrer Geschichtlichkeit in Frage stellen. Also ob sich das alles genau so abgespielt hat und wie realistisch das denn ist. 

Kann man. 
Muss man aber nicht. 

Ich persönlich kann die Erzählung auch als besonderes Wunder ganz genau so und wörtlich annehmen. Aber selbst wenn man das nicht kann - und darauf möchte ich an dieser Stelle hinaus - selbst wenn man es nicht kann, ist der theologische Inhalt, der hier vermittelt wird von entscheidender Bedeutung: 

Jesus ist der geliebte Sohn. Auf ihn sollen wir hören.

Und um diesen Inhalt geht es. 
Alles was darum herum erzählt wird, dient dieser Aussage.

Die weißen Kleider

Warum verändert sich das Aussehen von Jesus? 
Warum werden seine Kleider so leuchtend weiß, wie es kein Färber auf der Erde hätte machen können? 
Weil diese besonders weißen Kleider das Bild für das Himmelreich sind. 

Und auch wenn es mir schwer fällt zu glauben, dass wir alle nach unserem Tod einmal im Himmel in ebensolchen weißen Kleidern herum laufen werden, so sehr kann ich dieses Bild als Zeichen annehmen. 
Ein Zeichen für das Himmelreich. 
Ein Zeichen, dass wir zum Beispiel in der Offenbarung ganz oft finden können. 
Jesus wird hier in seiner himmlischen Herrlichkeit gezeigt. 
Darum geht es.

Mose und Elia

In einer ähnlichen Weise können wir die Begegnung mit Mose und Elia verstehen. 
Elia gilt als einer der wichtigsten Propheten des Alten Testaments.

Auch hier kann man fragen, ob sich das wohl genau so abgespielt hat. 

Kann man. 
Muss man aber nicht. 

Wichtig ist auch hier die Aussage. Was will uns das biblische Wort damit sagen? 
Dass Elia ein ganz besonderer Prophet war.

Gleiches gilt für Mose. Mose, der für das Gesetz steht aber von dem es am Ende seines Lebens auch heißt: „Niemals wieder ist in Israel ein Prophet wie Mose aufgetreten.“ (5. Mose 34, 10a)

Wenn also diese beiden bedeutsamen Personen mit Jesus reden, dann unterstreicht das die Bedeutung von Jesus. 
Wenn nach der himmlischen Offenbarung, der Stimme aus der Wolke, nur Jesus da ist, als sie um sich sahen, dann unterstreicht das die Bedeutung von Jesus. 
In Wirklichkeit unterstreicht alles in dieser Erzählung von der Verklärung Jesu die Bedeutung von Jesus. 
Er ist das Zentrum. Er ist der geliebte Sohn. Auf ihn sollen wir hören.

Mitgliedschaft

Und ich denke an dieser Stelle kann ich die Brücke zur bekennenden Mitgliedschaft schlagen. Im Rahmen der Aufnahme werden eine Reihe von Fragen gestellt auf die ich jetzt gleich eingehen werde. Sie beginnen mit einem Bekenntnis. 
Und im Zentrum dieses Bekenntnisses steht Christus. 
Denn im Zentrum unseres Glaubens steht Jesus. 
Er ist unser Erlöser und wir vertrauen auf seine Gnade.

Zweig

Ich habe es immer sehr schön und angemessen gefunden, dass unsere Kirche das bei der Aufnahme in die bekennende Mitgliedschaft auch ganz deutlich macht. Indem sie sich selbst als einen Zweig der einen Kirche Christi bezeichnet.
 Die evangelisch-methodistische Kirche ist ein Zweig, sie ist nicht das Zentrum. 
Das Zentrum ist Christus. 
Diese Haltung gefällt mir. Sie lässt meine Geschwister aus anderen Kirchen ganz eigenständig und wertschätzend neben mir stehen. 
Und betont damit auch den regionalen Charakter einer Kirche. 
Ich bin mir nicht sicher, ob ich im Süden der USA auch so gerne Methodist geworden wäre, wie hier in Graz. Hier in Graz war es stimmig. 

Bibel

Was uns als evangelisch-methodistische Kirche auch wichtig ist, ist die Anerkennung der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments. Als von Gott gegebene Richtschnur unseres Glaubens und Lebens. 

Ich denke, die Bibel ist ein ganz wichtiger Anker in unserem Leben. 

Manche Aussagen können wir ganz direkt übernehmen. 
Wie die Verheißungen Gottes zum Beispiel. 

Manche Aussagen müssen wir in die heutige Zeit übertragen. 
Weil das biblische Wort aus einer ganz anderen Zeit und aus einem ganz anderen Hintergrund kommt, den wir verstehen müssen. 
Das hat mit Willkür überhaupt nichts zu tun, sondern bedeutet, dass wir das Wort Gottes ganz ernst nehmen. 
Und ich persönlich werde wohl nicht aufhören über die Bedeutung des Alten Testaments zu predigen. Das Alte Testament birgt einen Reichtum in sich, den ich für unverzichtbar halte. 
Auch wenn Christus das Zentrum ist und bleiben soll.

Nachfolge

Weiters betonen wir mit der Mitgliedschaft unseren Willen zur Nachfolge. 
Ganz konkret indem wir versuchen, das Böse zu lassen und das Gute zu tun. 
Das ist ein lebenslanger Lernprozess. 
An dessen Ende wir immer noch der Gnade bedürfen werden. 

Und schließlich sind wir als Mitglieder dieser Kirche bereit, die Kirche durch unser Gebet, unsere Mitarbeit und regelmäßige Gaben zu unterstützen. 

Gebet

Das Gebet ist unverzichtbar für unsere persönliche Beziehung zu Jesus. 
Und das Gebet ist auch unverzichtbar für das Leben einer Gemeinde.

 Im Lob, in der Fürbitte und im Dank verbinden wir uns mit Gott und vertrauen uns somit ihm an. Ihm, dem wir unser Leben verdanken und aus dessen Gnade wir unsere Hoffnung gewinnen. 

Darüber hinaus ist das Gebet meiner Meinung nach der beste Umgang oder die beste Form, mit der wir dem Leid und der Ohnmacht um uns herum begegnen können. Oder unseren eigenen Verfehlungen begegnen können.

Mitarbeit

Beim Stichwort Mitarbeit möchte ich heute einmal betonen, dass Mitarbeit ganz unterschiedlich aussehen kann und darf. 
Nicht jede und jeder muss dasselbe tun. 
Nicht jede und jeder kann dasselbe tun. 

Und dafür kann es ganz unterschiedliche Gründe geben, die wir meistens nicht oder nur zu einem Teil kennen. 

Natürlich braucht es Mitarbeit in einer Gemeinde. 
Und ich kann nur Danke sagen, für alles was hier in dieser Gemeinde getan wird. 
Das hält uns als Gemeinde lebendig. 

Aber - und das wird mir beim Blick in so manch andere Kirche in letzter Zeit besonders deutlich - auch den Besuch des Gottesdienstes könnte man als Mitarbeit bezeichnen. Durch euer Kommen stärkt ihr eure Schwester und euern Bruder. 
Weil wir ein Körper, ein Leib, sind, wenn wir gemeinsam singen. 

Oder weil jede und jeder zum Segen für den anderen werden kann.

Gaben

So und als letztes darf ich auch die regelmäßigen Gaben ansprechen. 
Natürlich ist damit der Kirchenbeitrag gemeint. 
Auch andere Gaben sind herzlich willkommen aber natürlich braucht es Geld, damit wir hier in Graz Kirche sein können. 

Und als evangelisch-methodistische Kirche hier in Graz empfehlen wir den Zehnten. Also 10% meines Einkommens als Kirchenbeitrag. 

Aber wir halten auch an der Freiwilligkeit fest. 
Jede und jeder entscheidet selbst und freiwillig wieviel er oder sie geben kann oder will. 

Das heißt wir erwarten eine regelmäßige Gabe aber die Höhe kann jede und jeder selbst entscheiden. So hat es auch der Staat Österreich als Bedingung für die Rückerstattung bei der Steuererklärung definiert. 
Und deshalb darf der Kirchenbeitrag nicht Null sein. 
Wenn ein Mitglied null Kirchenbeitrag zahlt, dann muss ich als Pastor eigentlich anrufen und meine Unterstützung anbieten. 
Denn nur von null Einkommen sind wieviel Prozent auch immer null. Wenn du auch nur €300,00 im Monat hast, dann ist selbst 1 Prozent gleichbedeutend mit €3,00. 
Null bedeutet du hast gar kein Einkommen und dann darf man sich vom Pastor oder von der Gemeinde auf alle Fälle Hilfe erwarten.

Abschluss

Damit komme ich zum Ende meiner heutigen Predigt. 
Man muss nicht Mitglied der evangelisch-methodistischen Kirche sein, um Christus als Zentrum des eigenen Glaubens anzunehmen. 
Aber die Erinnerung daran ist wichtig. 
Christus ist das Zentrum.

Petrus, Jakobus und Johannes haben die Stimme aus der Wolke gehört. Und sich zunächst einmal voller Furcht in einem verschlossenen Raum eingeschlossen, nachdem Jesus gestorben war. 

Wunder allein verändern noch nichts. 

Oder anders gesagt: 
Selbst das größte Wunder oder die eindeutigste Bestätigung hilft nur für eine gewisse Zeit. 

Wir müssen uns erinnern. 
Und am Zentrum unseres Glaubens - an Jesus Christus - festhalten.

Amen.

Dein Glaube hat dir geholfen

Predigt vom 28. Jänner 2024: Predigthelferin Sonja Herler zu Markus 5, 21-43


21 Jesus fuhr wieder ans andere Ufer hinüber und eine große Menschenmenge versammelte sich um ihn. Während er noch am See war,
22 kam einer der Synagogenvorsteher namens Jaïrus zu ihm. Als er Jesus sah, fiel er ihm zu Füßen
23 und flehte ihn um Hilfe an; er sagte: Meine Tochter liegt im Sterben. Komm und leg ihr die Hände auf, damit sie geheilt wird und am Leben bleibt!
24 Da ging Jesus mit ihm. Viele Menschen folgten ihm und drängten sich um ihn.
25 Darunter war eine Frau, die schon zwölf Jahre an Blutfluss litt.
26 Sie war von vielen Ärzten behandelt worden und hatte dabei sehr zu leiden; ihr ganzes Vermögen hatte sie ausgegeben, aber es hatte ihr nichts genutzt, sondern ihr Zustand war immer schlimmer geworden.
27 Sie hatte von Jesus gehört. Nun drängte sie sich in der Menge von hinten heran und berührte sein Gewand.
28 Denn sie sagte sich: Wenn ich auch nur sein Gewand berühre, werde ich geheilt.
29 Und sofort versiegte die Quelle des Blutes und sie spürte in ihrem Leib, dass sie von ihrem Leiden geheilt war.
30 Im selben Augenblick fühlte Jesus, dass eine Kraft von ihm ausgeströmt war, und er wandte sich in dem Gedränge um und fragte: Wer hat mein Gewand berührt?
31 Seine Jünger sagten zu ihm: Du siehst doch, wie sich die Leute um dich drängen, und da fragst du: Wer hat mich berührt?
32 Er blickte umher, um zu sehen, wer es getan hatte.
33 Da kam die Frau, zitternd vor Furcht, weil sie wusste, was mit ihr geschehen war; sie fiel vor ihm nieder und sagte ihm die ganze Wahrheit.
34 Er aber sagte zu ihr: Meine Tochter, dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden! Du sollst von deinem Leiden geheilt sein.
35 Während Jesus noch redete, kamen Leute, die zum Haus des Synagogenvorstehers gehörten, und sagten: Deine Tochter ist gestorben. Warum bemühst du den Meister noch länger?
36 Jesus, der diese Worte gehört hatte, sagte zu dem Synagogenvorsteher: Fürchte dich nicht! Glaube nur!
37 Und er ließ keinen mitkommen außer Petrus, Jakobus und Johannes, den Bruder des Jakobus.
38 Sie gingen zum Haus des Synagogenvorstehers. Als Jesus den Tumult sah und wie sie heftig weinten und klagten,
39 trat er ein und sagte zu ihnen: Warum schreit und weint ihr? Das Kind ist nicht gestorben, es schläft nur.
40 Da lachten sie ihn aus. Er aber warf alle hinaus und nahm den Vater des Kindes und die Mutter und die, die mit ihm waren, und ging in den Raum, in dem das Kind lag.
41 Er fasste das Kind an der Hand und sagte zu ihm: Talita kum!, das heißt übersetzt: Mädchen, ich sage dir, steh auf!
42 Sofort stand das Mädchen auf und ging umher. Es war zwölf Jahre alt. Die Leute waren ganz fassungslos vor Entsetzen.
43 Doch er schärfte ihnen ein, niemand dürfe etwas davon erfahren; dann sagte er, man solle dem Mädchen etwas zu essen geben.

Liebe Gemeinde!

Wir hörten soeben eine Erzählung aus dem Markusevangelium. Zwei Begebenheiten, die sich auf einem Weg ereignen. Auf dem Weg von Galiläa nach Jerusalem.

Im Markusevangelium ist einer der Schlüsselmotive der Weg. Jesus macht sich mit den Jüngern oder auch mit anderen Menschen auf den Weg. Auf dem Weg von einem Ort zum anderen geschehen Wunder und oftmals auch Ereignisse, wodurch das Vertrauen der Menschen, die Jesus bewundert haben, auf die Probe gestellt wird. Dieses Motiv des Weges bewegt mich persönlich sehr, da es mich an meinen eigenen Lebensweg erinnert. Ein Weg mit Höhen und Tiefen, mit Begeisterung und Ernüchterung, mit Glauben und Zweifel.

Und hier kommt nun die heutige Lesung ins Spiel. Die Erzählung über Jairus und seine Tochter und der chronisch kranken Frau. Das Interessante an dieser Erzählung ist, dass  hier zwei Ereignisse in einer Geschichte geschildert werden. Das Ereignis der Auferweckung der Tochter aus dem Tod und das Ereignis der Heilung der kranken Frau. Und diese Ereignisse geschehen auf einem Weg. Nämlich auf dem Weg,  den Jesus mit Jairus geht. Von Galiläa aus zu dem Haus von Jairus, in dem sich seine schwer kranke Tochter befindet.

Ich möchte nun diese Erzählung zuerst aus dem Blickwinkel des Jairus betrachten, danach aus dem Blickwinkel von Jesus bzw. dem Evangelium selbst.

Jairus, ein reicher Mann der Öffentlichkeit - er ist Synagogenvorsteher - kommt zu Jesus und bittet ihn flehend um die Heilung seiner 12jährigen Tochter. Sie ist schwer erkrankt und liegt im Sterben. Er vertraut voll und ganz darauf, dass, wenn Jesus seiner Tochter die Hände auflegt, sie geheilt wird. Sein Glaube ist groß.

Jesus zögert nicht und macht sich mit ihm auf den Weg. Wie man sich vorstellen kann, ist es Jairus wichtig, so schnell als möglich zu seiner Tochter zu kommen. Umso schlimmer ist es nun, dass sie in eine Menschenmenge geraten. Hindernisse stellen sich ihnen in den Weg. Ich denke, man kann sich vorstellen, wie es dem Vater dabei geht. Gerade dann, wenn es besonders eilig ist, kommt eine  kranke unbekannte Frau, die Jesus aufhält und ihn berührt. Und was macht Jesus? Er lässt sich aufhalten und bleibt stehen. Wie muss es in dieser Situation dem Jairus gegangen sein. Ich denke nur an Situationen in meinem eigenen Leben, wo ich spät dran war, es besonders eilig hatte zu einem Termin zu kommen, der einmalig war und ich durch einen Stau auf der Straße aufgehalten wurde. Wer kennt diesen Stress nicht. Herzrasen, Schweißausbruch, Stress und Ärger stellen sich ein. Und erst Jairus, dessen Tochter im Sterben lag und voll und ganz auf Jesus angewiesen war.

Jesus lässt sich aufhalten. Er wendet sich einer unbekannten chronisch kranken Frau zu, die 12 Jahre lang unter Blutfluss litt. Jairus war ein bekannter reicher Synagogenvorsteher, die Frau hingegen war unbekannt und noch dazu dürfte sie sich gar nicht in die Öffentlichkeit begeben, da nach damaligem jüdischen Recht eine Frau in der Zeit ihrer Menstruation das Haus nicht verlassen darf. Jesus ist ihre letzte Hoffnung – kein Arzt konnte ihr bisher helfen. Als sie durch Jesus geheilt wurde, hatte sie Angst und wollte im ersten Moment untertauchen, doch Jesus wendet sich ihr zu, er lässt sich aufhalten. Es heißt, die Frau erzählte Jesus die ganze Wahrheit  – und Jesus hört ihr zu -  und sagt ihr am Ende: Dein Glaube hat dir geholfen. In diesem Augenblick kommen die  Boten des Jairus, um ihm mitzuteilen, dass seine Tochter soeben gestorben ist. Genau zu dem Zeitpunkt, als die Frau geheilt wurde.

Ich kann mir vorstellen, dass nun die  ganze Hoffnung des Vaters zunichte gemacht wurde. Ich wäre vermutlich enttäuscht und zornig gewesen, dass Jesus sich hat aufhalten lassen. Ein großes Hindernis auf dem Weg mit Jesus zur sterbenden Tochter. Ein Hindernis, das das Vertrauen von Jairus auf eine große Probe gestellt hat. Seine Hoffnung, dass seine Tochter gesund wird, ist zunichte gemacht worden. Nun ist sie gestorben. Es ist alles vorbei... Jesus hat sich Zeit gelassen... Die Verzweiflung muss groß gewesen sein. Jairus weiß in dieser Situation nicht, wie es weitergeht. Er kann nicht wissen, was Jesus vor hat. Er sieht nur, dass sein Kind tot ist. Und wie hat Jesus reagiert?  Er wandte sich Jairus zu und sagte ihm ganz einfach:  Fürchte dich nicht. Glaube nur! Und er ging den Weg mit Jairus und einigen wenigen Jüngern zu seinem Haus weiter. Dort erwartete Jairus bereits das nächste Hindernis. Es ist das Klagegeschrei der  Menschen um das Kind. Und als Jesus sagte, warum schreit und weint ihr, das Kind schläft nur, es ist nicht gestorben, lachten sie ihn aus. Sie lachten Jesus und somit Jairus aus – erkennt er denn nicht den Ernst der Lage? Es heißt weiter: Jesus warf alle Menschen aus dem Haus und nahm lediglich die Eltern und seine Jünger mit in das Zimmer des Mädchens. Und im Verborgenen, im kleinen Kreis, erweckte Jesus das Kind aus dem Tode. Er fasste es an der Hand und sagte zu ihm: Talita kum! Mädchen, ich sage dir, steh auf! Und das Mädchen stand auf.

Ich denke, die Perspektive des Jairus in dieser Geschichte, seinen Zorn, seine Verzweiflung auf seinem Weg mit Jesus zu seiner Tochter können wir alle gut nachvollziehen. Hindernisse auf unserem  Lebensweg können unseren Glauben, unser Vertrauen darauf, dass Gott mit uns ist, hart auf die Probe stellen. Wenn dann auch noch unsere Wunschvorstellungen, auf die man gehofft hat,  nicht eintreten, bröckelt der Glaube und der Zweifel wächst.  In dieser Erzählung geht es in erster Linie um Glaubenstiefe, um das Vertrauen in Gott, dass er uns begleitet in jeder Lebenslage und noch Größeres tut, als wir uns vorstellen können.

Und dazu möchte ich nun auf die Perspektive von Jesus, vom Evangelium selbst eingehen. Dazu ist es gut, die Geschichte aus der Vogelperspektive aus zu betrachten, sozusagen den gesamten Weg des Jairus mit Jesus zu sehen. Jairus macht sich mit Jesus auf dem Weg zu seiner kranken Tochter im festen Vertrauen darauf, dass Jesus sie heilt. Auf diesem Weg heilt Jesus eine  Kranke Frau, die am Rande der Gesellschaft steht. Jesus lässt sich Zeit. Er wendet sich dieser Frau liebevoll zu. Das Kind von Jairus stirbt in dieser Zeit. Doch Jesus geht den Weg mit Jairus weiter und erweckt das Mädchen am Ende aus dem Tod.

Ist es nicht so, dass wir zumeist nur das sehen, was wir unmittelbar vor Augen haben, was unsere Vorstellungen unsere Ziele stört und was uns zur Verzweiflung bringen kann? Diese Erzählung über Jairus sagt uns unter anderem: Gott sieht mehr, er sieht weiter, lässt oft Größeres geschehen, das wir nicht erwartet haben. Jairus' Hoffnung auf die Heilung seiner Tochter wird zunichte gemacht, da sich ihm ein Hindernis in den Weg gestellt hat, wodurch sie gestorben ist. Doch genau dieses Hindernis könnte ihm eigentlich auch als Ermutigung dienen. Da ist jemand, der die Vollmacht hat, zu heilen.  Gott wirkt auf seinem Weg, aber anders als er es sich erhofft hat. Jesus lässt sich Zeit - Jairus Tochter stirbt. Aber am Ende erhält er ein noch größeres Geschenk als das, was er sich erwartet hatte. Was er sich erhofft hatte, ist die Genesung seiner Tochter, was er aber am Ende erlebt hat, ist eine Auferweckung. Jesus hat etwas Größeres geschehen lassen, als Jairus sich je erwartet hätte.

Über die Bedeutung dieser Geschichte, die das Markusevangelium eigentlich im Kleinen darstellt, könnte man noch viel nachdenken, z. B. über den Tod und die Auferstehung Jesu, die hier angesprochen werden, über seinen Leidensweg und über die Zweifel und das Unverständnis der Menschen, die ihn begleiteten. Doch am erwähnenswertesten  finde ich, dass sie uns darin ermutigt, an der Liebe und Zuwendung Gottes festzuhalten, auch wenn das Leben eine Wendung annimmt, mit der wir nicht gerechnet haben und die uns den Boden unter den Füßen wegzieht. Gott geht mit uns weiter. Er sagt, fürchte dich nicht, vertraue mir. Ich kann aus Hindernissen etwas Gutes entstehen lassen, das dir zum Segen sein wird.

Amen

Keine Zeit verlieren - tu es!

Predigt vom 21. Jänner 2024: Predigthelferin Ute Frühwirth zu Markus 1,14-20


Jahresanfang

Der Anfang eines neuen Jahres ist immer mit neuen und gutgemeinten Vorsätzen gepflastert. Raus aus dem Altbewährtem, das uns an Dingen hindert, die uns vielleicht besser tun würden. Raus aus der Faulheit und mehr Bewegung machen. Weg vom ungesunden Essen, weil danach fühlen wir uns eh nicht wohl, usw. … Vielleicht brauchen wir Menschen immer einen Schnitt, damit wir uns in Bewegung setzten – so wie eben den Beginn eines neuen Jahres. Von so einem „Schnitt“ hören wir heute im Markusevangelium. Jesus verändert das Leben von Menschen, er führt eine Wende herbei. Ob man diese Wende zulässt, ist jedermanns eigene Sache. Die vier Jünger, die Jesus sich „angelt“, haben es zugelassen. 

Wir befinden uns am Anfang des Markusevangeliums. Und entgegen den beiden anderen Evangelien von Matthäus und Lukas überspringt Markus die Geburt und die ersten Jahre von Jesus. Bereits im 1. Kapitel bei Vers 14 begibt er sich in die Öffentlichkeit und macht auf Gottes Reich aufmerksam. „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt diese gute Botschaft!“ Diese Worte spricht Jesus zu unterschiedlichen Menschen in Galiläa. Und dann sah er zwei Fischer, die auf dem See ihre Netze auswarfen. Simon und seinen Bruder Andreas. Ob Jesus zu diesem Zeitpunkt bereits gewusst hatte, dass aus Simon Petrus wird und er auf ihn einmal seine Kirche bauen wird? Auf alle Fälle ruft Jesus die beiden zu sich und fordert sie auf, ihm zu folgen. „Kommt, folgt mir nach! Ich will euch zu Menschenfischern machen!“ Und das gleiche tut er auch mit Jakobus und seinem Bruder Johannes. Und was machen diese vier Männer? Sie zögern keine Sekunde. „Sofort ließen sie ihre Netzte fallen und folgten ihm!“ Da wir nicht gefragt: „Wo gehen wir hin?“ Oder „Warte, ich muss noch schnell mein Netz fertig flicken.“  Oder „Kann ich dir morgen Bescheid geben?“ Mich beeindruckt dieses Verhalten richtig. Alles stehen und liegen lassen, was man gerade tut, und Jesus bedingungslos nachfolgen. 

Dieses Verhalten der zukünftigen Jünger fordert mich aber auch unglaublich heraus. Ich bin nicht wirklich eine spontane Person, was das angeht. Ich will auf der sicheren Seite bleiben und hinterfrage die Dinge, bevor ich etwas in meinem Leben ändere. Ich stell mir vor, Jesus kommt zu mir in die Schule, steht in meiner Klasse und sagt: „Ute, lass deine Kinder Kinder sein. Ich zeige dir, wie du in der Welt draußen den Menschen wirklich etwas weitergeben kannst. Ich lege dir die richtigen Worte in den Mund, damit du vom Reich Gottes und Gottes Liebe erzählen kannst.“. Na bum! Was tun? Alles liegen und stehen lassen und mit diesem Jesus mitgehen? Oder auf der sicheren Seite bleiben. Das Für und Wider abwägen. Vor und Nachteile anschauen? Eine Plus- und Minusliste schreiben. Was steht für das Mitgehen. Was spricht gegen das Mitgehen?  

Wenn ich an die vier Jünger denke, die haben ein sicheres Leben aufgegeben. Sie hatten ein Haus mit einem Bett, eine Familie, sie hatten zu essen und eine Arbeit. Sie haben das alles hinter sich gelassen.

In der heutigen Zeit und meinem Leben denke ich nicht, dass Jesus diesen Schritt von mir in dieser Weise verlangen würde. Aber er sagt auch ganz klar zu mir: „Folge mir nach!“ Und ich bin mir sicher: ein Jeder und eine Jede, die heute hier ist, hat dieses „Folge mir nach“ gehört. Sonst wärt ihr nicht hier! Vielleicht ist die Berufung von Jesus bei einigen von euch schon sehr lange her. Vielleicht haben einige „diese Aufforderung“ aber erst vor kurzem gehört. Das Wichtige aber ist, dass man darauf reagiert. Ich muss nicht meine Klasse verlassen und meinen Beruf aufgeben. Aber ich soll in die Gänge kommen! Meine Komfortzone verlassen, raus aus meinem Hamsterrad, das sich immer nur um die gleichen Dinge dreht. Mit Jesus zu gehen, heißt hier für mich, jemanden an meiner Seite zu haben, der mir hilft, mein Leben mit allen Zwängen und Herausforderungen zu leben. Er lässt mich Dinge aus einem anderen Blickwinkel sehen. Ängste, schlechte Gedanken und Gewohnheiten, lange dunkle Nächte hilft er zu bewältigen und durchzustehen. Was es für diese Entscheidung braucht? Ein „Ja“ für ihn.

Keine Zeit zu verlieren! In einer Welt, die sich so schnell dreht, dass neue Dinge morgen schon wieder alt sind, finde ich es besonders wichtig, keine Zeit zu verlieren. Am Anfang sprach ich über Neujahrsvorsätze. Warum brauche ich einen Zeitpunkt, damit ich eine Veränderung in meinem Leben herbei führe? 

JETZT ist die Zeit. Du willst das Auto öfter stehenlassen? Dann tu es! Fahr mit den Öffis oder mit dem Rad!  Du willst mehr Sport machen? Dann beweg dich jetzt und nicht erst morgen! Gesündere Ernährung? Ab wann? Ab jetzt oder vielleicht doch erst ab nächster Woche? Du willst nachhaltiger leben? Dann geh es an! Informiere dich und starte los! Du möchtest Jesus besser kennenlernen und mehr über ihn erfahren? Kauf dir eine Bibel und bau den Gottesdienst fix in deinen Sonntag ein. Alle guten Vorsätze, die man in die Zukunft legt, haben meistens weniger gute Erfolgschancen als die, die man sofort anpackt.  

Genau an dieser Stelle ist mir beim Schreiben der Predigt der Gedanke gekommen: Reden darüber ist so einfach: Tu es! Aber wie schauts bei mir mit dem Tun aus. Wein predigen und Wasser trinken?  Wie viele Ausreden habe ich, wenn es z.B. um das Lesen der Bibel geht. Keine Zeit, zu müde, hab grad keine Ruhe dafür. Oder ich nehme den Gebetsabend. Am Samstagabend noch einmal aus dem Haus gehen? Ma, es ist gerade so gemütlich daheim. Aber nachdem ich beim Gebetsabend schon öfters dabei war, weiß ich auch, wie es mir danach geht. Ich fühle mich ruhiger und gestärkt. 

Es gibt so viele verschiedene Dinge, die man angehen kann (ich habe vorher ein paar aufgezählt). Für mich persönlich gehört die Beziehungspflege zu Christus an die erste Stelle. Wenn ich diese Beziehung pflege, bin ich ausgeglichener, ruhiger, zufriedener. Und das hilft mir in weiterer Folge, Dinge in meinem Leben anzugehen, für die ich noch nicht die Energie hatte.

Liebe Brüder und Schwestern, ich spreche hier rein von mir und was die Beziehung mit unserem Gott mit mir macht. Jeder von euch muss selbst herausfinden, wie sein oder ihr Weg ist. Ich appelliere auch nicht an euch: Ihr müsst etwas ändern! Sondern wählt das Tempo der Veränderung so, dass es für euch passt. 

Um euch jetzt ein wenig aufzurütteln und frisch für das Ende meiner Predigt zu machen, habe ich euch ein Lied mitgebracht.  Es ist von Lemo, einem österreichischen Interpreten. Das Lied hat mir von Anfang an richtig gut gefallen mit diesem coolen Rhythmus und es nimmt einen richtig mit. Es heißt „Tu es!“ Es geht darin um Bequemlichkeit, Ausreden, Dinge aufschieben und die Aufforderung, Dinge neu zu machen und anzugehen. Seine Wortwahl ist recht herausfordernd, denn Ausreden, etwas neu zu machen, lässt er nicht gelten. Ihr findet die erste Textzeile auf der Rückseite eurer GD-Blätter. Seid ihr bereit?!

Warum ich euch dieses Lied vorspiele, ist vor allem dieser Rhythmus – der nimmt so mit, dass man sich einfach bewegen muss. Und da ist mir der Gedanke gekommen - Jesus kann, will und soll der Rhythmus unseres Lebens sein. Er reißt uns mit, begeistert uns. Bei ihm können wir nicht still stehen, weil er uns einfach bewegt! Wir brauchen uns nur mit ihm mitbewegen!

Am Ende möchte ich noch eine Einladung bzw. Aufforderung aussprechen. Am 2.März findet unsere diesjährige Bezirksversammlung unter dem Vorsitz des Superintendenten statt. Es werden die Geschehnisse des vergangenen Jahres in Form von Berichten reflektiert. Und wir wollen auch immer einen Blick in die Zukunft des neuen Jahres werfen. Ich lade euch herzlich dazu ein, an diesem Nachmitttag teilzunehmen und  einmal einen Blick „hinter die Kulissen“ der Gemeindearbeit zu werfen. Wenn ihr im Vorfeld schon Ideen, Wünsche oder Anregungen für unsere Gemeinde habt, kommt zum Pastor oder zu mir. In meiner Funktion als Bezirkslaienreferentin freue ich mich sehr über Anregungen und Gedanken unser Gemeindeleben betreffend. Auch für uns als Gemeinde ist es sehr wichtig, in Bewegung zu bleiben. Wir haben viele Gewohnheiten und Aktivitäten, die sehr gut funktionieren, und mit denen wir uns sehr wohlfühlen. Trotzdem dürfen wir nicht in die Schiene kommen und sagen: Das bedarf keiner Veränderung, denn das haben wir immer schon so gemacht. Wir brauchen immer wieder auch neue Gedanken, Formen und Ideen. Und vielleicht braucht es irgendwo einen neuen Rahmen, damit wir uns neu entfalten und weiterentwickeln können.  Herzliche Einladung zur Bezirksversammlung am 2.März.

Wenn Gott ruft, so wie er seine ersten Jünger gerufen hat, verlangt er nicht von uns alles liegen und stehen zu lassen. Jedoch möchte er, dass wir auf ihn reagieren. Unsere Gaben und Fähigkeiten in seinem Sinne einsetzten für eine Welt, die, meiner Meinung nach, viel besser und schöner ist, als es manchmal scheint.

Amen

Ute Frühwirth

Vertrauen

Predigt vom 14. Jänner 2024: Pastor Frank Moritz-Jauk anlässlich des Bundeserneuerungsgottesdienstes


Liebe Gemeinde, wie bereits angekündigt möchte ich ein paar Zugänge zur heutigen Liturgie und zur Erneuerung des Bundes mit Gott öffnen.
Vor allem für diejenigen unter uns, die diese Liturgie noch nicht so oft oder vielleicht zum ersten Mal hören und an ihr teilnehmen.
Diejenigen, die kein Gesangbuch zu Hause zur Vorbereitung haben und nicht wussten, was sie heute hier erwartet.

Vielen von euch wird aufgefallen sein, dass wir es mit einer besonderen Sprache zu tun haben. Die Teile, die ich bis hierher gesprochen habe und eure Antworten sind anders, als wir das normalerweise oder von anderen Gottesdiensten gewohnt sind.

Wie soll man das beschreiben, die Sprache ist einerseits klarer aber auch absoluter. Sie wirkt streng, feierlich und ernst. Sie setzt Erlebnisse und vor allem die Bewertung von persönlichen Erlebnissen oder des eigenen Lebens voraus, die - sagen wir es einmal vorsichtig - überfordernd sein können.

Und nachdem ich weiß, was jetzt nach der Predigt noch kommen wird sage ich es ganz offen:
Ja, ich denke das ist durchaus möglich.
Ich denke man kann von dieser Art der Sprache, den Formulierungen und der Selbstverpflichtung überfordert werden.

Damit alle wissen, wovon ich spreche zitiere ich jetzt die Schlußantwort bei der Erneuerung des Bundes:
„Ich gehöre nicht mehr mir, sondern dir. Stelle mich wohin du willst. Geselle mich zu wem du willst. Lass mich wirken, lass mich dulden. Brauche mich für dich, oder stelle mich für dich beiseite. Erhöhe mich für dich, erniedrige mich für dich. Lass mich erfüllt sein, lass mich leer sein. Lass mich alles haben, lass mich nichts haben. In freier Entscheidung und von ganzem Herzen überlasse ich alles deinem Willen und Wohlgefallen“

Ich kann mich an Zeiten in meinem Leben und als Mitglied dieser Kirche erinnern, da war ich mit dieser Selbstverpflichtung überfordert.
Da habe ich sie in Teilen schlicht und einfach abgelehnt.
Da habe ich meinen Mund gehalten und gewisse Passagen nicht mitgesprochen.
Da war mir diese Liturgie zu extrem.
Ich konnte und / oder wollte das nicht versprechen.

Deshalb - weil ich es selbst erlebt habe - kann ich euch alle nur darin ermutigen ehrlich und vor allem gnädig mit euch selbst umzugehen.
Niemand muss alle Passagen dieser Liturgie mitsprechen.
Und ihr seid deswegen keine schlechteren Christinnen und Christen als eure Geschwister, die heute diese Liturgie und diese Selbstverpflichtung mitsprechen können.

Das heute ist für mich ganz entscheidend. 
Das heute kann den Unterschied machen.

Denn um was geht es im Kern dieser Selbstverpflichtung, die so viele Extreme bemüht? Alles oder nichts. Erhöht oder erniedrigt. Erfüllt oder leer.

Im Kern geht es um das Vertrauen.
Im Kern sage ich: Ich vertraue dir, Gott.
Ich vertraue dir, Gott, dass du besser weißt was gut für mich ist. 
Und was gerade dran ist.

Vieles wird uns ja oft erst im Nachhinein klar.
Im Rückblick erkennen wir das Gute, dass uns manch schwierige Situation ermöglicht hat.

Ich kann euch zwei Beispiele aus meinem Leben erzählen.
Ich musste meinen Job als Architekt kündigen, um ein Haus bauen zu können. Erst mit der Kündigung hatte ich die Zeit, um dieses riesengroße Projekt machen zu können.

Oder es war sicher kein Nachteil arbeitslos zu sein, um ein offenes, gutes Ja zu meiner Berufung im Jahr 2016 als damaliger Laienpastor zu finden. Da musste ich nicht lange überlegen - ich hatte ja nichts zu verlieren.

Im Nachhinein kann man also dankbar sein, für die Zeiten, in denen die Hände leer waren. Das ist für mich ein gutes Bild.  Mit Händen die zu Fäusten geballt sind und die möglicherweise damit beschäftigt sind, etwas festzuhalten, kann man nicht empfangen. Also auch nichts Neues empfangen. Das Neue, das Gott dir geben möchte.

Und anderseits gibt es Phasen im Leben, wo wir am Ende sind.
Deshalb meine ich das ganz ernst, wenn ich sage, dass es auf das heute ankommt.

Wenn deine Freundin oder deine Frau dich gestern verlassen hat und es dir das Herz zerreisst.
Oder wenn du die hundertste Absage auf deine Bewerbung um eine Arbeitsstelle bekommen hast und deine Miete nicht mehr zahlen kannst.
Oder wenn du seit Wochen nur mehr Schmerzen hast und nicht mehr weißt, wie du den morgigen Tag überleben sollst.

Dann muss ich als Christin oder Christ doch auch einmal schreien dürfen!
Gott - hilf mir! 
Ich halte das nicht aus! 
Rette mich!

Dann kann ich eben nicht leer sein oder noch weiter erniedrigt werden!

Ich glaube wir dürfen Gott sagen, wenn wir unzufrieden sind. 
Oder Angst haben. 
Oder leiden.

Und Gott ist unser Vater oder unsere Mutter und wird uns sehen.

Wenn wir aber in dieser Selbstverpflichtung das Urvertrauen sehen können, dass wir zu Gott haben dürfen - dann kann ich mein Ja zu Gott so aussprechen.
Dann ist es eine Formulierung mit der ich ausdrücke, dass ich bereit bin mich fallen zu lassenDann lasse ich mich in Gottes Arme fallen. Wissend, dass Gott mich auffangen wird.
Er wird mich auffangen.

Wer dieses Urvertrauen in dieser etwas altertümlichen und extremen Antwort sehen kann, den lade ich ein, das auch nachher mitzusprechen.

Dann wird ganz sicher etwas von der Freude spürbar werden, die im abschließenden Reim liegt:

Du bist mein.
Und ich bin dein.
So soll es sein.

Amen.

Dank

Predigt vom 07. Jänner 2024: Pastor Frank Moritz-Jauk über Dank, Danken und Dankbarkeit


Liebe Schwestern und Brüder!

Am Beginn des neuen Jahres möchte ich über ein, meines Erachtens, zentrales Thema christlicher Praxis sprechen. 
Ein Thema das ich als richtungsweisend erfahre. 
Und ein Thema, welches das Leben verändern kann.

Das Thema ist Dank, Danken oder Dankbarkeit. 

Damit man dieser Predigt gut folgen kann, habe ich die einzelnen Punkte einfach dem Wort DANKE zugeordnet. 
Ich hoffe das hilft als Gedankenstütze, um das Gesagte gut aufnehmen zu können.

Beginnen wir mit dem ersten Buchstaben „D“ und der steht für mich für Demut.

Und bevor jetzt einige innerlich abschalten und sich denken „Demut, wie verstaubt ist das denn…“ sage ich es ganz frank – wie mein Name und der bedeutet ja auch frei, also offen heraus: Ich finde Demut cool. 

Vor vielen Jahren hatte ein Mitglied aus meiner Gemeinde ein T-Shirt mit dem Schriftzug „Demut“. Fand ich wahnsinnig cool. Bin leider nie auch zu so einem T-Shirt gekommen. 

Demut hat für mich rein gar nichts mit Unterwürfigkeit zu tun. 
Sondern mit einer realistischen Betrachtungsweise meiner selbst. 
Meiner selbst im Angesicht Gottes.

Und Gott ist niemand, der mich erniedrigt, sondern mir im Gegenteil meine Würde gibt. Demut ist für mich eines der besten Wörter um das Verhältnis zwischen Geschöpf und Schöpfer auszudrücken. 
Immer in dem Wissen, dass dieser Schöpfer mich liebt und es gut mit mir meint.

So und im Kontext des Dankens kann Demut uns in der Geschichte verankern. 
Was heißt das? 
Das heißt, wir – du und ich – sind geworden. 

Wir sind nicht einfach so, wie wir jetzt und heute sind, vom Himmel gefallen. 
Nein, sondern wir sind geworden. 

Und dass wir so geworden sind, verdanken wir ganz Vielem außerhalb unserer selbst. Deshalb Demut.

Du hast heute einen tollen Job und bist angesehen und erfolgreich. 
Das sei dir gegönnt, aber das verdankst du doch nicht ausschließlich dir selbst. 
Sondern zu großen Teilen deinen Eltern. 
Deinen Lehrerinnen und allen, von denen du etwas lernen konntest. 

Deinem Umfeld oder noch grundlegender dem Zeitpunkt und dem Ort deiner Geburt.

Dieses erste „D“, die Demut, hilft uns in stiller Bescheidenheit dankbar zu sein für all die Dinge, die wir nicht selbst gemacht haben. 
Sondern die uns zu Teil geworden sind.
Die wir empfangen haben.

Der zweite Buchstabe, das „A“, steht für mich für Anteilnahme oder Anerkennung.

Wer „Danke“ sagen kann, sieht die Andere oder den Anderen. 
Wenn wir jemandem danken, dann sehen wir, was er oder sie tut. 
Entweder für uns tut. 
Oder für jemand anderen tut. 
Für die Gemeinde tut. 
Für das gemeinsame Miteinander tut. 

Und genau so wichtig wie das Sehen ist auch das Gesehen werden. 

Klar, in christlichen Kreisen wird das von den Betroffenen gerne herunter gespielt. „Nein, keine Ursache“. 
„Nein, das wäre jetzt doch nicht nötig gewesen.“ 
„Nein, das war doch selbstverständlich.“ 

Mag ja alles sein, aber jetzt einmal ganz ehrlich: 
So ein Lob tut schon gut, oder? 
Wenn jemand sieht, wo wir uns angestrengt oder eingesetzt haben, ist schon nice, oder? 

So ein Dank – das wärmt die Seele und das ist gut so!

Einander zu sehen und einander zu danken wärmt die Seele und tut uns gut. 
Das Gegenteil, nicht gesehen zu werden und unbedankt zu bleiben, tut uns auf Dauer gar nicht gut, aber bleiben wir heute einmal beim Positiven: 

Danken heißt Anteilnahme und Anerkennung.

Damit komme ich jetzt zum dritten Buchstaben und das ist das „N“. 

Und diesem „N“ ordne ich jetzt einmal die Begriffe Nachdenken oder Nachsinnen zu. Was ich unter diesem Stichwort „Nachdenken“ ansprechen möchte, ist der unterbelichtete Bereich der Bewahrung. Unterbelichtet, das meine ich hier ganz wörtlich: kein Licht – wir sehen es viel zu wenig. 

Dankbar zu sein für die guten Dinge, die geschehen sind, ist auch ein aktiver Vorgang, aber relativ leicht. 
Dankbar zu sein für die Dinge, die wir selbstverständlich hinnehmen, die aber nicht selbstverständlich sind, ist eine ganz andere Übung. 

Nehmen wir das Beispiel Straßenverkehr. 
Einmal ganz grundsätzlich sind da tonnenschwere Geräte mit sehr hohen Geschwindigkeiten auf unseren Straßen unterwegs, die uns mit Leichtigkeit töten können. Laut Google ist das im letzten Jahr 384 mal passiert – also täglich. 
Täglich stirbt ein Mensch in Österreich im Straßenverkehr.

Das soll euch jetzt nicht davon abhalten auf die Straße zu gehen, aber was ich sagen möchte ist: 
Gott bewahrt uns auch. Und dafür können wir dankbar sein.

Oder anders gesagt: 
Nicht jedes Leid, das uns geschieht oder das wir ertragen müssen, ist das Schlimmste und Ungerechteste, das man sich vorstellen kann.

Das Bewusstsein der Bewahrung kann uns helfen, das eigene Leid oder Unglück einzugrenzen. Es nicht zu groß werden zu lassen. 

Oder noch einmal anders gesagt: 
Bewahrung hilft uns Gott im Blick zu behalten. Gott ist und bleibt derjenige, der uns erhält und für uns da ist.

Mit dem vierten Buchstaben „K“ – „K“ für Kraft – möchte ich uns daran erinnern, wieviel Kraft, wieviel positive Lebensenergie, im Danken steckt. 
Danken, so erlebe ich das im eigenen Leben, ist der Schlüssel zum Glücklichsein.

Danken ist der Schlüssel zum Glücklichsein.

Denn im Danken sehe ich nicht den Mangel, sondern die Fülle. 
Ich danke ja meistens für das, was ich empfangen habe, und nicht für das, was mir fehlt. Danken öffnet mir die Augen für all das Gute, das Schöne, das Wertvolle, das Lebenswerte, das mir geschieht. 

Und sei es, wie an einem der letzten, vergangenen Tage, wo ich mich einfach für die wundervollen Sonnenstrahlen bedankt habe. Auf meiner kleinen Fahrradtour bin ich unterwegs stehen geblieben, habe mit geschlossenen Augen das Gesicht der Sonne zugewandt und leise Danke gesagt. 

Danke, Gott, dass ich das erleben kann. 
Dass ich mich an dieser Wärme freuen kann. 
Danke, dass du, Gott, mir nahe bist.

Das ist doch etwas vom Schönsten und Großartigsten, was wir Menschen erfahren können: dass Gott uns nahe ist. 

Und mir kommt vor – ganz absolut setzen möchte ich es nicht – aber mir kommt vor, dass wir Gott im Dank am nächsten kommen können.

Jedenfalls bringt mich das zum letzten Punkt, zum letzten Buchstaben. Und das ist das „E“ welches ich mit Einsicht oder Erfahrung in Verbindung bringen möchte. 

Es ähnelt ein wenig dem vorigen Punkt vom Glücklichsein, wenn ich Danken mit der Erfahrung der Weite in Verbindung bringe. 
Danken öffnet. 
Danken macht frei. 
Danken lässt einem das Herz aufgehen.

Und in Wirklichkeit ist das eine Körpererfahrung. 
Das ist nichts, was wir uns ausdenken oder was vom Kopf gesteuert wird. Beobachtet euch einmal selbst beim Danken: Da bist du nicht in dich selbst verknautscht. Da beißt du nicht mit voller Kraft auf die Zähne oder ballst die Fäuste. Da legst du deine Stirn nicht in Falten.

Unwillkürlich öffnet uns der Dank und so glaube ich, dass ich nicht zu weit gehe, wenn ich behaupte, dass der Dank wirklich ein Geschenk Gottes ist.

Das Lied "Danke für diesen guten Morgen" bringt es meinem Gefühl nach mit der letzten Strophe wirklich auf den Punkt:

„Danke, ach Herr ich will dir danken, dass ich danken kann!“

Glaubensimpulse

More faith impulses

Am Anfang war das Wort

Predigt vom 25. Dezember 2023: Pastor Frank Moritz-Jauk zu der ersten vier Sätzen des Johannesevangeliums. (Joh 1, 1-2)


Berühmter Anfang

Liebe Gemeinde, heute haben wir einen sehr berühmten oder zumindest unter Christinnen und Christen sehr bekannten Text gehört. 
Den Anfang des Johannesevangeliums. 

Und dieser Anfang ist in sofern von besonderer Bedeutung, weil sich hier die grundsätzliche Absicht desjenigen zeigt, der das Evangelium geschrieben hat.

Anfänge bei den Evangelisten

Matthäus zum Beispiel beginnt sein Evangelium mit einer Genealogie, also einer Familienabstammung. Abraham zeugte Isaak, Isaak zeugte Jakob, Jakob zeugte Juda und so weiter. Matthäus möchte damit zeigen, dass Jesus ein Jude war. Nicht nur einfach ein Jude, sondern, dass er der Nachfahre der größten Gestalten des jüdischen Volkes ist. Ein direkter Nachfahre von Stammvater Abraham oder von König David.

Lukas beginnt sein Evangelium mit einer Einleitung, die ihn, Lukas, als gewissenhaften, sorgfältigen Zeugen vorstellt. Geschliffen und wortgewandt.

Markus ist sehr direkt und pragmatisch: „Dies ist der Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes.“ Hier bleiben keine Fragen offen.

Und Johannes?

Johannes beginnt sein Evangelium mit einem kunstvollen Gebilde, dass genau genommen aus vier Einzelsätzen besteht. Und irgendwie strahlen diese vier Sätze eine Souveränität und etwas sehr Archaisches aus, dass jede hörende Person berührt. Ich möchte sie noch einmal vorlesematin:

„Am Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott. Und Gott war das Wort. Dieses war im Anfang bei Gott.“

Man spürt etwas Feierliches, etwas Erhabenes. Und deswegen möchte ich mich in der heutigen Predigt ausschließlich auf diese 4 Sätze konzentrieren.

Grammatikalische Analyse

Wenn wir der Frage nachzugehen, woher diese Sätze ihre besondere Kraft bekommen, dann müssen wir sie uns genauer anschauen. Und ich werde jetzt in der Folge vier grammatikalische Merkmale aufzählen, die uns vielleicht eine Ahnung davon geben können, warum das so ist. Grammatische Merkmale: damit meine ich, wie sind diese Sätze geschrieben worden? Wie sind sie aufgebaut?

Was macht diese vier Sätze so besonders? 

Was zunächst auffällt ist die Schlichtheit dieser vier Sätze. Der erste Satz hat fünf Wörter, der zweite sechs Wörter. Der dritte Satz hat wieder fünf Wörter und der letzte Satz schließt wieder mit sechs Wörtern. Insgesamt also nur 22 Wörter. Arg viel kürzer kann man eigentlich keine Sätze machen.

Und von diesen 22 Wörtern ist kein einziges ein Adjektiv, also ein beschreibendes Wort wie beispielsweise gut, schön, wertvoll oder erhaben. Nein, diese vier Sätze bestehen ausschließlich aus drei Hauptwörtern und nur einem Prädikat.

Das ist schon etwas sehr Besonderes.

Drei Hauptwörter für vier Sätze und das sind die Hauptwörter „Anfang“, „Wort“ und „Gott“. Als einziges Prädikat, also konjugiertes Verb, finden wir das Wort „war“.

„Am Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott. Und Gott war das Wort. Dieses war im Anfang bei Gott.“

Was jetzt als drittes Merkmal auffällt ist die Tatsache, dass die einzelnen Sätze nicht einfach irgenwie aneinander gereiht worden sind. Nein, sie sind miteinander verkettet. Verkettet, das bedeutet, dass das jeweils letzte Hauptwort eines Satzes im Anfang des nächsten Satzes wiederholt wird.

Eine Technik, die ja auch Matthäus anwendet, wenn er schreibt „Abraham zeugte Isaak, Isaak zeugte Jakob, Jakob zeugte Juda“ und so weiter. Bei einer Verkettung wird jedem Satz sein ganz bestimmter Platz zugewiesen. Sie sind nicht beliebig austauschbar. Das eine folgt aus dem anderen. Und so landet Matthäus mit seiner ersten Folge von verketteten Sätzen bei David. Und in der nächsten Folge bei Jesus.

Anders als bei Matthäus aber verbindet Johannes seine Verkettungsfolge schon im vierten Satz mit dem Anfang. Er schließt den Kreis, er bildet einen Ring. Und der Ring ist eine der stabilsten Formen, die wir Menschen kennen. Der Ring ist ein in sich abgeschlossenes Gebilde.

Damit komme ich zum letzten Merkmal dieser vier Sätze und das ist ihre besondere Zuordnung. „Am Anfang war das Wort“ ist eine zeitliche Zuordnung. „Und das Wort war bei Gott“ ist eine räumliche Zuordnung. „Und Gott war das Wort.“ schließlich, sagt etwas über die Qualität aus.

Zusammenfassung

Die vier Sätze sind sehr schlicht. 
Sie kommen mit ganz wenig verschiedenen Worten aus. 
Sie bilden ein festes Gefüge, einen Ring, und sie behandeln die Dimension Zeit, Raum und Qualität.

Das Wort

Wenn wir uns jetzt diese Sätze auf ihre Aussagen hin anschauen, müssen wir zunächst klären, was mit „Wort“ gemeint ist. Viele wissen es bereits - mit „Wort“ ist Jesus gemeint.

Das macht der Vers 14 ganz unmißverständlich klar, den wir je bereits in der Lesung gehört haben: „Er, der das Wort ist, wurde ein Mensch von Fleisch und Blut und lebte unter uns.“

Für einen frommen Juden ist also der erste Satz ein Paukenschlag: „Am Anfang war das Wort.“ Denn natürlich erinnert er oder sie sich an den Anfang der Bibel, den Anfang der Thora: „Am Anfang erschuf Gott Himmel und Erde.“ Jetzt gibt es aber doch nur einen Gott, oder? Wie können wir das also verstehen?

Und hier merken wir, wie wichtig es ist, wahrzunehmen, dass diese vier Sätze in einer ganz bestimmten Weise miteinander verknüpft sind. Warum jeder Satz genau da steht, wo er steht und nicht woanders im Gefüge sein kann.

Ohne die Sätze zwei und vier wären wir versucht, mit dem Satz drei Jesus und Gott gleichzusetzen. 
Und das Wort war bei Gott. Und Gott war das Wort. Dieses war im Anfang bei Gott.“
Aber das geht eben nicht, denn das Wort kann ja nicht bei Gott sein, wenn es gleichzeitig Gott selbst ist. 

Was Johannes sagen möchte, ist, dass Jesus wie Gott aber dennoch nicht Gott selbst ist.

Das ist natürlich nicht so einfach zu verstehen aber in Wirklichkeit drückt sich hier eben die Erfahrung der ersten Christen aus. Dieser Jesus hat eine Bedeutung für das eigene Leben, die angemessen beschrieben werden muss. Er macht den Unterschied. Er ist der Retter und Erlöser.

Und um hier Worte für diese ganz real erlebte Erfahrung zu finden benutzt Johannes am Anfang seines Evangeliums diese besondere Formulierung: „das Wort“. 
Er sagt nicht einfach Jesus, sondern er sagt „das Wort“. 
Was ist ein Wort?

Ich denke in diesem Zusammenhang müssen wir davon ausgehen, dass es nicht um das geschriebene sondern um das gesprochene Wort geht. 
Und wer soll dieses Wort sprechen, wenn nicht Gott?

Auf eine sehr klare aber eben auch sehr feine Weise wird hier das Verhältnis von Gott und Jesus beschrieben. Jesus ist wie Gott aber eben nicht Gott.

Mit dem Stichwort „Gottes Wort“ komme ich zum letzten Teil meiner heutigen Predigt.

Was bedeutet es, dass Gott spricht? 
Dass Gott ein Wort formt und dieses Wort Fleisch wird?

Gott spricht

Nun, das bedeutet, dass Gott uns etwas mitteilen möchte. Dass er selbst sich mitteilen will. Dass er ein Interesse an uns hat und uns klar und unmißverständlich seine Botschaft, seine Weihnachtsbotschaft, nahe bringen möchte.

Es gibt im Deutschen ein Sprichwort das lautet „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.“ Nun gibt es tatsächlich Situationen, wo es besser ist zu schweigen, als unangemessene Worte auszusprechen.

Wie bei einem unerwarteten Todesfall zum Beispiel. Da macht dieses Sprichwort Sinn. Aber auf das Evangelium bezogen müsste man doch auch sagen „wovon wir nicht schweigen können, darüber müssen wir doch reden!“

Stellt euch einmal vor, Gott hätte zu Weihnachten geschwiegen!

Dann würde es im Lukasevangelium folgendermaßen heißen:
„In jener Nacht, als die Hirten draußen bei ihrer Herde waren, erschien auf einmal der Engel des Herrn. Und die Herrlichkeit und Klarheit des Herrn umstrahlte sie alle und sie fürchteten sich sehr. Da trat der Engel mitten unter sie, setzte sich, bereitete die Hände aus und schwieg. Sie waren tief ergriffen von dieser bedeutsamen Stille und fühlten, wie es ruhig wurde in ihnen. Da erhob sich der Engel, bedankte sich für das gemeinsame Schweigen und kehrte in den Himmel zurück.“

Keine Freude, keine Verheißung des Retters, kein Hinweis auf Jesus. 
Eine tote, in eine Sackgasse geratene Geschichte. 
Wohl kaum der Überlieferung wert.

Nein, es braucht das Wort. 
Das Wort ist von entscheidender, alles verändernder Bedeutung:

„Siehe ich verkündige euch große Freude, die allem Volk zuteil werden soll. Denn heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren. Als da ist Christus, der Herr.“

Gott will sich uns mitteilen. 
Er will uns erreichen. 
Und er hat es im Fleisch gewordenen Wort getan.

Amen.

Schaf oder Ziege?

Predigt vom 26. November 2023: Predigthelferin Ute Frühwirth zum Gericht über die Völker (Matthäus 25, 31-46)


Liebe Schwestern und Brüder!

Das Kapitel 25 des Matthäusevangeliums beinhaltet 3 Endzeitreden Jesu. Vor zwei Wochen hörten wir von den klugen und den törichten Jungfrauen, letzte Woche predigte Pastor Frank Moritz-Jauk über das Gleichnis vom anvertrauten Geld und heute geht es über das Gericht über die Völker. 

Gericht

Das letzte Gericht! Sollten wir uns wirklich mit diesem Thema schon beschäftigen? Wir wissen ja eh nicht, wann es so weit sein wird. Also warum darüber nachdenken. Es wird schon irgenwann kommen. Das waren meine ersten Gedanken zum heutigen Predigttext. Aber ab Anfang:

Vielen von uns sind diese Worte Jesu am Ende des Matthäusevangeliums vertraut. Wir haben sie schon oft gehört und zur Kenntnis genommen. Diese Aussagen von Jesus: „…denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben, ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben,…“ und gleichzeitig die Fragen der Menschen: „…wann haben wir dir zu essen gegeben, wann haben wir dir zu trinken gegeben, usw..“ Wir kennen diesen Text. 

Aber haben wir auch schon zur Kenntnis genommen, dass es dem Ende zugeht? Jesus spricht hier nämlich vom jüngsten Gericht, dass der Menschensohn über alle Völker halten wird. Er wird die Menschen in zwei Gruppen teilen. Im Text sind sie als Schafe und Ziegen bezeichnet. Schafe werden in der Bibel immer als die sanftmütigen Tiere dargestellt. Hingegen werden die Ziegen oder die Ziegenböcke als die Schuldigen herangezogen. Im 3.Buch Mose liest man über zwei Ziegenböcke; der eine wird als Sündopfer geopfert werden und der andere wird als Sündenbock in die Wüste geschickt. Beide sind dem Tode geweiht.

Gut und Böse

Jesus verwendet diese beiden Tierarten, um den Menschen zu zeigen: wer bist du? Bist du ein Schaf oder eine Ziege? Bist du gut oder bist du böse? Bis jetzt war es eine Durchmischung. Gut und Böse haben nebeneinander und miteinander gelebt. Und nun kommt es zu einer klaren Trennung. „Die Schafe wird er rechts von sich aufstellen und die Ziegen links.“

Es ist Gottes letztes Gericht. Aber wie kommt es zustande? Nach welchem Maßstab wird gemessen und nach welchen Kriterien geurteilt? Wann fällt eigentlich die Entscheidung, auf welcher Seite man einmal stehen wird?

Am Anfang habe ich die Frage gestellt, ob wir uns wirklich mit dem letzten Gericht schon auseindersetzten müssen. Jetzt hier die klare Antwort: JA!: Denn die Entscheidung, auf welcher Seite man einmal stehen kann, trifft man jeden Tag selbst aufs Neue.

Der erste Aspekt 

Das Gericht hat bereits stattgefunden. Jetzt wird nur sichtbar gemacht, was eigentlich schon die ganze Zeit entschieden ist. Entschieden hat sich alles dort, wo wir es am wenigsten erwartet haben. Nämlich im Miteinander zu unserem Nächsten und zu unserer Nächsten. 

Jesus spricht von sechs Situationen, die Not beschreiben: die Hungrigen, die Durstigen, die Fremden, die Nackten, die Kranken und die Gefangenen.  Und er spricht darüber, dass es nicht egal ist, wie man lebt und wie man handelt. Viele Situationen lassen uns hilflos erscheinen. Sie machen uns mutlos und wir fragen uns: was kann ich schon ausrichten? 2€ in die Hand eines Hungrigen legen? Was soll der mit 2€? Da behalte ich es lieber. 

Einmal für die kranke Nachbarin einkaufen gehen? Eigentlich müsste ich das dann jede Woche machen, damit es Sinn macht. 

Nein, ich möchte mich zu nichts verpflichten – da mach ich es lieber gar nicht. Wir sollten nicht die Entscheidung treffen, was gut oder sinnvoll ist. Besser einmal tun als garnicht! 

Der zweite Aspekt 

Ist der, wo Jesus mir das größte Vorbild sein sollte: im Umgang mit den Menschen. Er solidarisiert sich mit den Schwachen der Gesellschaft. Er hat die Hungernden und Kranken immer im Blick, und er lässt die Reichen und Wichtigen links liegen. Jesus identifiziert sich mit allen Notleidenden. Wer sie beachtet, findet ihn. Wer ihnen Gutes tut, tut es auch ihm. Auf die erstaunte Frage der Zuhörer: Wann haben wir dich gesehen und dir geholfen?“ , gibt Jesus die entscheidende Antwort: „Was ihr einen meiner Brüder oder Schwester getan habt, das habt ihr mir getan.“

Was vor Gott zählt ist die selbstlose, selbstverständliche Zuwendung zu unseren Mitmenschen. John Wesley spricht von der soziale Heiligung. Er sagt: „Ein Christ oder eine Christin ist voller Liebe zu seinem Nächsten oder seiner Nächsten. Diese Liebe ist umfassend, nicht beschränkt auf eine Konfession oder Gruppe. Sie ist nicht begrenzt auf Menschen, die mit ihm oder ihr einer Meinung sind oder in einem engen Verhältnis zu einem steht. Die Liebe gibt sich nicht damit zufrieden, dass dem Nächsten kein Leid zugefügt wird. Sie spornt uns aunaufhörlich an, Gutes zu tun, wo immer wir Zeit und Gelegenheit dafür haben, und allen Menschen auf jede nur erdenkliche Art und Weise und in jedem möglichen Umfang Gutes zu tun.“ Soweit John Wesley

So treffen wir jeden Tag selbst und vielleicht auch unbewusst, die Entscheidung, auf welcher Seite wir einmal stehen möchten. Als Christen und Christinnen tragen wir die Liebe Gottes in uns. Die Liebe, die uns fähig macht, über den Tellerrand zu blicken und unsere Mitmenschen mit den Augen Gottes zu sehen. Und wieviel bekommen wir zurück, wenn wir einen Menschen unsere Aufmerksamkeit schenken. Wenn wir uns die Zeit nehmen, Kranke zu besuchen, für jemanden einkaufen zu gehen, einem Bettler 2 € zu geben oder einfach nur mal zuhören. Wir bekommen ein Lächeln, ein Danke, ein Strahlen in den Augen zurück. Und das wärmt unser Innerstes und macht uns zu liebenden Geschöpfen Gottes. 

Das Schlimmste, das uns in diesen Situationen passieren kann ist, dass wir gleichgültig werden. Das uns das Sein eines anderen Menschen nicht mehr interessiert. Das Gegenteil von Liebe ist nicht der Hass. Es ist die Gleichgültigkeit. Wenn uns Menschen gleichgültig werden, uns nicht mehr interessiert, wie es ihnen geht, dann haben wir ein Problem. 

Fazit

Am Ende komme ich noch einmal zurück zu Jesu Rede. Jesus spricht von den Ziegen bzw. in manchen Übersetzungen sind es Böcke, die er links von sich aufstellen wird. Und da kommt mir der Gedanke. Wie groß ist die Gefahr, an Gott vorbei zu leben, der in unseren Mitmenschen wartet. Übersehen wir die Notleidenden, übersehen wir Gott.

Ich fasse zusammen: Sehen wir Jesus in unseren Mitmenschen und zeigen wir uns als liebende Christen und Christinnen? Oder „übersehen“ wir ihn und die Gleichgültigkeit gegenüber den Anderen gewinnt die Oberhand in uns. Beim letzten Gericht wird offenbart, was wir in unserem Leben gemacht haben. Dann wird sich herausstellen, ob wir ein Schaf oder eine Ziege sind. Aber – und Gott sei Dank dafür – liegt die letzte Entscheidung noch immer bei ihm. Und daran wollen wir uns festhalten.

Amen

Geht hin zu den Ver­loren­en

Predigt vom 17. Dezember 2023: Laienprediger Gerhard Weissenbrunner zum Thema "Geht hin zu den Verlorenen" (Jesaja 61 und Johannes 1)


Traditioneller Weise tritt am 3. Adventssonntag Johannes der Täufer in Erscheinung. Als Wegbereiter Jesu.
Und in der Lesung aus Jesaja 61 haben wir über die frohe Botschaft des kommenden Gottesknechtes gehört - Befreiung, Freiheit, Rettung, Erlösung ist angesagt. Und Jesus bezieht in seiner ersten Predigt in Nazareth diesen Text auf sich.
Beide Lesungen sollen Gegenstand unserer heutigen Betrachtung sein.

Wüste

Bemerkenswert ist der Start bei Johannes dem Täufer. Er geht in die Wüste!
Die Wüste ist ein ungastlicher Ort - geringe Vegetation, große Hitze oder Kälte und Wassermangel durch wenig oder gar keinen Regen, voller Entbehrungen, lebensfeindlich.
Die Wüste kann auch eine Metapher für menschliche Not sein.
Jemand ist in finanzieller Not. Aus welchen Gründen auch immer. Es reicht nicht! Weder für die Kinder noch für sich selbst. Er ist angewiesen auf Hilfe. Er muss betteln!
Jemand ist in seelischer Not. Die Seele singt nicht mehr! Sie fühlt sich an, wie leer und ausgetrocknet. Allein gelassen - Kaum ein nettes Wort - Keine Umarmung - Liebesentzug!
Jemand sorgt sich um seine Zukunft. Die Zweifel sind groß! - auf der ganzen Welt jede Menge von Krisen - viele Verantwortliche reagieren kontraproduktiv und einzeln ist man machtlos, ohnmächtig, verloren - no future!

Johannes erkennt in seinem Wüstendasein diese Zustände. Er wird aufmerksam auf die Verlorenen. Und er setzt sich für sie ein. 

Jordan

Er geht zum Jordan. Er ruft die Menschen, sie sollen umkehren. Er macht die Wohlhabenden auf die Not der Bedürftigen aufmerksam. Er ruft zur Aufmerksamkeit und zur Hilfe auf. Diejenigen, die sich rufen lassen, lassen sich auch taufen - mit Wasser. Und sie nehmen sich die Mahnung zu Herzen: „Was sollen wir tun?“ ist ihre Frage. Johannes antwortete; „wer zwei Hemden hat, soll dem eins geben, der keines hat. Und wer etwas zu essen hat, soll es mit dem teilen, der nichts hat.“ Zu den Zöllnern sprach er, „Verlangt nicht mehr von den Leuten, als festgesetzt ist!“ Und zu den Soldaten: „Beraubt und erpresst niemand, sondern gebt euch mit eurem Sold zufrieden.“

Johannes verweist hier nicht auf die Macht Gottes. Sozusagen, betet für die Bedürftigen und Gott wird ihnen helfen. Nein, er verweist auf die Notwendigkeit, einfach den anderen gegenüber „Mensch“ zu sein.

Lessing

Der Dichter Gotthold Ephraim Lessing drückt das in der Novelle „Nathan der Weise“ so aus: »der verarmte Tempelritter spricht zu Nathan: „Ich weiß wie gute Menschen denken und weiß, dass überall die Erde gute Menschen trägt. Sind Juden oder Christen erst Juden oder Christen und dann Menschen? Wohl mir, dass ich in dir noch einen anderen gefunden, dem es genügt ein Mensch zu sein!“
Johannes der Täufers geht mit dieser Frage nicht zimperlich um. »Denkt doch nicht, sagt er, ihr könntet sagen, wir sind gerettet, weil wir Kinder Abrahams sind. Aus diesen Steinen hier kann Gott Kinder Abrahams erschaffen.« 
Und im 21. Jhdt. soll das heißen, es ist vor Gott absolut gleichgültig welcher Religion jemand angehört. Das einzige, was Gott in diesem Sinne interessiert, ist, wie man mit Menschen als Mensch umgeht.

In dasselbe Horn stösst auch Jesus. Nur mit etwas mehr Kompetenz, als Johannes.
Als er in seiner Heimatstadt Nazareth in der Synagoge aus Jesaja liest, bezieht er diese Verheissung auf sich selbst (Lk.4,18-20): „heute hat sich diese Prophetie erfüllt! Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt mit dem Auftrag, den Armen gute Botschaft zu bringen, den Gefangenen zu verkünden, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen werden, den Unterdrückten die Freiheit zu bringen«

Die Evangelien sind voll von Beispielen, wie Jesus diesem Auftrag nachkommt. 
Jesus geht dem Verlorenen nach! 
Das ist das wirkliche Programm des Jesus von Nazareth. Seine Frage lautet: „wer ist so bedürftig, dass er meine Gegenwart am meisten benötigt?“ Und er erzählt im 15.Kapitel des Lukasevangeliums die Geschichte vom verlorenen Schaf. In der Hirtensprache bedeutet „verloren gehen“, abgetrennt sein von der Herde. Das ist soviel wie Verlorenheit oder sagen wir Verzweiflung.

Drewermann

Der Psychotherapeut und Theologe Eugen Drewermann nimmt das Gleichnis vom verlorenen Schaf zum Vergleich: „Man fragt mitunter worin die Differenz liege zwischen dem Christentum und den anderen Religionen. Sie liegt nicht im dogmatischen (das will heißen, nicht in den Lehrmeinungen oder Ideologien). Sie liegt in der Aufhebung des moralischen Prinzips (d.h. auch nicht die allgemein gültigen ethisch-sittlichen Normen, Grundsätze und Werte, stehen im Vordergrund. Sondern der Mensch).« 

Und er zitiert Immanuel Kant: »Handle so, dass ein „Mensch“ stets betrachtet wird als Zweck an sich selber und niemals als Mittel zum Zweck.« Mit einem Wort, verbiete dir im Umgang mit Menschen die Fragen „wozu bist du mir nützlich“? „was kann ich mit dir machen“? 
So fragt eine Gesellschaft, die erbarmungslos zugeschnitten ist auf Egoismus, Konkurrenz und Leistungsvergleich. 
Doch die einzige Frage an den Menschen soll sein: „wer bist du denn selber?“ Nicht, was kann ich mit dir machen, sondern, was hat man mit dir gemacht? Nicht, wie hast du jetzt vorzugehen, sondern, was geht in dir vor sich, wenn du so fühlst und denkst?«

Und weiter meint Drewermann: »Sie müssen die Programme des Jesus von Nazareth nur einmal hören und sie begreifen, dass zu ihrer Erfüllung nichts anderes nötig ist, aber auch nicht weniger sein darf, als eine Geduld und die Bereitschaft mitzugehen auf allen Wegen. So wie es in der Bergpredigt von Jesus formuliert wird: wenn dich jemand nötigt eine Meile mit ihm zu gehen dann geh freiwillig zwei. Denn immer wird die Bedürftigkeit des anderen doppelt so groß noch sein als er selber je einzufordern wagt.«


Das ist. was wir an Jesus lernen können - Mitgefühl, Mitleid und Barmherzigkeit für die Menschen in seiner Nähe.

Praxis

Was heißt das jetzt für mich? Ich bin ja nicht Jesus!

Für mich heißt das in erster Linie aufmerksam zu sein auf die Menschen um mich herum. Und dazu eventuell eine bestimmte Sache liegen zu lassen, weil ich erkenne, dass ich gebraucht werde. Und ich weiß, ich muss nicht mehr geben, als mir möglich ist. 
Auf jeden Fall kann ich beten. Das Gebet für die betroffene Person kommt zuerst. Und Gott wird darauf eingehen, in der Weise, wie es gut sein wird. Das Gebet hat eine unglaubliche Kraft - es ist die Kraft des Lebens. 
Dann ist die Frage, wie kann mein Beistand noch sein? Wie kann ich mich nach meinen Möglichkeiten einbringen? Nicht was brauche ich, sondern was braucht der oder die andere?

Ich weiß, das klingt sehr selbstlos - ist es aber nicht! 
Ich handle ja nicht in meinem Auftrag. Sondern auf die Bitte meines Heilandes. Und es kommt unglaublich viel zurück. Ein gedrücktes, gestopftes, gerütteltes, überfließendes Maß ist mir versprochen. Mehr, als erwartet!

Könnte es sein, dass uns Gott die Armen und die Bedürftigen vor die Haustüre bringt, damit wir erkennen, was zum Leben gehört? 
Könnte es sein, dass uns Gott die Benachteiligten, die Verzweifelten, die Verlorenen ins Gedächtnis ruft, damit wir erkennen, was Leben bedeutet?
Könnte es sein, dass uns Gott diese Menschen nahe bringt, damit wir erst ins Leben hineinwachsen?
Könnte es sein, dass wir ohne diese Menschen nicht einmal eine Ahnung haben, was wirkliches Leben ist?
Könnte es sein, dass wir diese Menschen brauchen, um das Leben zu gewinnen?

Jesus hat gesagt: „Ich bin bei euch, alle Tage bis ans Ende der Welt.“ Er hat gesagt, er ist da! Aber ich habe ihn noch nie gesehen! Außerdem ist er in den Himmel aufgefahren. Also kann er nicht mehr da sein. Und Ich kenne sein Gesicht nicht! 
Oder doch?
Da klingelt ein Roma an meiner Hausklocke und bittet um 70,- € damit er nach Hause fahren kann. 
Nächsten Tag klingelt eine Romna um 300,- € damit sie die Miete bezahlen kann. 
Einen Tag später kommt ein anderer Roma und klagt, dass er mit seiner Familie nicht durch den Winter kommen wird. Er bittet um 1.000,- €.

Das ist schwer auszuhalten. Und ich hadere mit Christus. 
Warum schickst du die Leute alle zu mir? 
Und ich höre seine Antwort: „Gib was dir möglich ist, mehr brauchst du nicht!“

Und ich sehe in das Gesicht der Armen. Und ich sehe das Gesicht Jesu. Und ich freue mich, dass ich ihnen ein Stück helfen kann.

Weihnachten liegt vor uns. Gott kommt als bedürftiges Baby zu uns. Babies sind lieb und man kümmert sich gerne um sie. 
Aber wer kümmert sich um die Armen, die Bedürftigen, die Verzweifelten, die Verlorenen?

Amen

Einsatz

Predigt vom 19. November 2023: Pastor Frank Moritz-Jauk zum Gleichnis vom anvertrauten Geld (Matthäus 25, 14-30)


Schwierig

Liebe Gemeinde, heute haben wir wieder einen „schwierigen“ Text gehört. 
Was uns Matthäus in seinem 25. Kapitel zumutet, ist nicht einfach. 
Letzten Sonntag haben wir von den klugen und törichten Jungfrauen gehört. 
Heute ist es das Gleichnis vom anvertrauten Geld. 
Nächsten Sonntag ist es das Gericht über die Völker.

Es sind drei in sich abgeschlossene Geschichten mit jeweils endzeitlichem, endgültigem Ende. 
Bei den törichten Brautjungfern ist die Tür zu. 
Heute wird der dritte Diener in die Finsternis geworfen. 
Beim Gericht über die Völker ist vom Ort der ewigen Strafe die Rede.

Hört sich nicht besonders kuschelig an, oder?

Darum auch heute wieder die Anfangsfrage: 
Was will uns Jesus mit diesem Gleichnis sagen? 
Auf was will er uns aufmerksam machen? 
Was sollen wir tun oder worauf sollen wir achten?

Abgrenzung

Um es gleich zu Beginn zu sagen: Ich glaube nicht, dass es in unserem heutigen Gleichnis um Geld geht. Auch wenn das von manchen Fernsehpredigern in den USA so gepredigt wird. Wer hat, der wird im Überfluss leben und wer nichts hat dem wird auch das noch genommen werden. Nein, das glaube ich nicht. Es geht nicht um Geld und Gewinnmaximierung. Auch nicht darum, dass jemand besonders gesegnet ist, nur weil er reich ist. Reich sein hat oft ganz andere Gründe. 

Wer so etwas behauptet, den würde ich dann gerne zum Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg befragen. Wo jeder einen Denar erhält. Einen Denar - unabhängig davon, wie lange er gearbeitet hat.

Annäherung

Nehmen wir an, dass mit dem reichen Mann der weggeht, Jesus gemeint ist. Nehmen wir weiter an, dass mit den Dienern wir Menschen gemeint sind. Was sind dann die Talente? Das ist eine gute Frage. Ich bin mir selbst nicht so sicher. Ich vermute, dass wir mehrere Dinge für die Talente einsetzten könnten.

Wie bei einer mathematischen Formel. Vielleicht erinnern sich manche noch an die mathematischen Gleichungen mit Variablen. Variabeln, also Platzhalter, die dann a oder b, manchmal auch x,y oder z heißen. Und es gibt Gleichungen mit mehreren Lösungen. Die Gleichung 2a + 3b = 0 zum Beispiel. Wenn ich für a = 12 und für b = -8 einsetze, dann kommt 0 raus. Ich kann aber auch a = 6 und b = -4 einsetzten. Auch dann ist die Gleichung richtig. 

Aber so stelle ich mir das mit den Talenten vor. Ich glaube, es gibt nicht nur eine richtige Antwort, sondern mehrere richtige Antworten.

Talente

Die Talente könnten Gaben sein, die wir von Gott bekommen haben. Also zum Beispiel, dass jemand gut rechnen kann. Oder dass jemand gut zuhören kann. Oder dass jemand besonders gut backen kann.

Es könnte aber auch sein, dass mit den Talenten das Evangelium gemeint ist. Die gute Nachricht von Jesus und was er für unser Leben bedeutet. Auch das habe ich schon gehört.

Aber unabhängig davon, was wir jetzt für die Talente einsetzen geht es auf alle Fälle darum, dass jede und jeder das verwalten muss, was ihr oder ihm anvertraut ist.

Das heißt wir sollen mit dem, was uns anvertraut ist, etwas tun. Wir sollen damit arbeiten. Wir sollen unsere Talente einsetzen und sie benutzen.

Wir sollen sie nicht wegsperren oder verschütten. Oder eben wie der Diener im Gleichnis: unser Talent vergraben.

Warum tut er das? Warum vergräbt er das Geld und bringt es nicht zur Bank, so wie es der Herr ihm vorhält?

Diese Frage lässt sich nicht beantworten. 

Es ist ein Gleichnis

Aber wir können versuchen, diese Geschichte ganz grundsätzlich anders zu betrachten. Der dritte Diener tut, was Jesus von ihm erzählt. 

Jesus hat sich das alles ausgedacht und er erzählt die Geschichte seinen Jüngerinnen und Jüngern. Jesus erzählt diese Geschichte auch uns. Aber es ist ein Gleichnis und kein Tatsachenbericht. An dieser Geschichte soll etwas deutlich werden.

Ich denke, wir sind gut beraten, wenn wir Gleichnisse nicht mit Tatsachenberichten oder Nachrichten verwechseln. 

Keine einzelne Geschichte kann die Welt erklären. 
Keine Geschichte der Welt kann Gott erklären. 
Gott ist in Wirklichkeit mit nichts - mit absolut gar nichts - auf dieser Welt zu erklären. Jedenfalls nicht von uns Menschen. 

Und deshalb wäre ich sehr vorsichtig mit der Deutung, dass der Herr im Gleichnis, der den Diener in die Finsternis hinauswerfen lässt, der Schöpfer des Universums ist.

Und jetzt nicht, weil es mir nicht in mein Gottesbild passt. 
Und ich gerade biegen möchte, was krumm ist. 
Nein. 
Sondern weil das hier ein Gleichnis ist. Und in meinen Augen ein Gleichnis bleiben sollte.

Genau deshalb habe ich ganz am Anfang gesagt „nehmen wir an“.

Nehmen wir an, dass der reiche Mann im Gleichnis Jesus ist. Das habe ich gesagt. Ich habe nicht gesagt, der reiche Mann, ja das ist doch sonnenklar, das ist Jesus.

Es ist eher so, wie bei der mathematischen Formel, die ich euch vorgestellt habe. Setzen wir einmal etwas ein für die Variabel a. Und für die Variabel b. Und schauen wir dann, was dabei herauskommt. Ob das Sinn machen könnte.

Bekommen

Eine der Grundaussagen dieses Gleichnisses ist für mich dieses Bekommen. Keiner der Diener hat etwas. Sondern alle bekommen ihre Talente von ihrem Herrn. Und auch wenn einer der Diener „nur“ ein Talent bekommt und nicht fünf, dann ist das immer noch sehr viel. Ein Talent, das entspricht 6000 Denaren. Also etwas 20 Jahre Arbeitslohn eines gewöhnlichen Mannes zur Zeit Jesu. Das ist also tatsächlich viel - damit kann man schon was machen.

Das heißt, wenn ich diese Aussage des Bekommens wieder in meine Gleichung Gott und Mensch einsetze und schaue, ob das Sinn machen könnte, dann deckt sich das mit meiner Lebenserfahrung.

Die allerwichtigste und allererste Gabe, die wir von Gott empfangen haben, ist unser Leben.

Niemand hat sich sein Leben verdient. Es ist und bleibt eine unverdiente Gabe Gottes.

Aber das ist schon ziemlich viel, oder? Das ist schon mal mindestens ein Talent. Denn mit dem Leben fängt alles an. Wir sind, wer wir sind, weil wir leben. 

Und das gilt für viele Gaben, die wir empfangen und nicht wirklich selbst gemacht haben. Denken wir zum Beispiel hier einmal an unseren Glauben. Den hat auch niemand von uns gemacht oder verdient.

Man kann viel Bibellesen, man kann oft in die Kirche kommen und ganz viel beten - aber machen tun wir den Glauben nicht. Diese tiefe innere Erfahrung des Angenommenseins bei Gott - all das bleibt immer Geschenk. 

Denkt einmal drüber nach, was ihr alles von Gott bekommen habt. Ich sage euch, das wird eine lange Liste.

Es geht nicht um Zahlen

Was ich auch noch mitnehme aus dem Gleichnis, ist, dass es nicht um Zahlen geht. Vordergründig verdoppeln die beiden treuen Diener das ihnen anvertraute Geld. Und werden dafür belohnt.

Aber die Antwort des Herrn und sein Hinweis auf die Bank, deute ich so, dass es nicht um eine bestimmte Summe ging. Wenn du die dir anvertrauten Gaben nicht verdoppelst dann bist du kein treuer und tüchtiger Diener. Nein.

Wenn du gar nichts mit den dir anvertrauten Gaben machst - wenn du dich dem Arbeitsauftrag Gottes verweigerst - erst dann wird es schwierig. 

Wieviel du machen musst, damit es reicht? 
Wird im Gleichnis nicht gesagt.

Gegen die Angst

Und noch einmal - ich glaube nicht - dass Jesus uns Angst machen möchte.

Angst hat der dritte Diener im Gleichnis. Und er kommt nicht besonders gut weg. Das kann man wohl so stehen lassen. Angst war ein schlechter Ratgeber. Etwas mit dem anvertrauten Geld zu machen, wäre besser gewesen.

Wie jetzt schon mehrfach gesagt: Es ist ein Gleichnis. Und es bleibt ein Gleichnis.

Möge Gott uns viele schöne Variabeln schenken, die wir in seine Gleichung einsetzen können. Damit wir uns an der Vielfalt der Deutungen freuen können.

Amen.

Pro­vokat­ive Therapie

Predigt vom 18. Oktober 2023: Karin Erhard zu Matthäus 22, 1-14.


Kein einfacher Text

In der Bibel begegnen wir immer wieder schwierig scheinenden Texten. Am schwierigsten sind meiner Meinung diejenigen Texte, die bei oberflächlicher Betrachtung ein Widerspruch zu unserem Gottesbild zu sein scheinen. Wichtig ist, dass wir diese Widersprüche zulassen und uns gemeinsam und ehrlich auf die Suche machen.  

Wir müssen uns bewusst werden, dass wir in der Bibel großteils von Jesus nur Worte überliefert haben. Wir sehen nicht sein strahlendes Gesicht, hören nicht das Wohlwollen in seiner Stimme, genießen nicht seine strahlenden Augen und spüren nicht, wie er seine Hand liebevoll auf unsere Schulter legt oder uns umarmt.

Um Jesus herum hatten sich immer wieder Menschen geschart, oft hunderte, oft tausende. Sie wurden davon angezogen, dass Jesus ihnen etwas zu geben hatte, dass er sie verstand, sie zum Umdenken und Nachdenken brachte und ihnen half, sich aufs Wesentliche im Leben zu fokussieren. Und v.a., dass er sie schätzte, liebte und wertschätzte, egal, wie oder was ihre Vergangenheit war und egal, welches Geschlecht sie hatten und egal, ob sie reich oder arm, alt oder unerfahren, sauber oder schmutzig, stark oder krank waren.

Sie fühlten sich wohl in Jesu Nähe.

Aber nicht bei allen war das so. Für manche war Jesus mit seinen Geschichten und seinem Handeln ein großes Problem. Davon haben wir im heutigen Predigttext gehört.

Die Hochzeit

In Matthäus Kapitel 22, in den Versen 1-14 vergleicht Jesus das Himmelreich mit einem König, der für seinen Sohn das Festmahl vorbereitet hatte.

In diesen Kapiteln des Matthäusevangeliums, wo sich auch unser Predigttext befindet, sind wir wenige Kapitel vor dem Leiden und Sterben Jesu. Es spitzt sich der Konflikt mit der damaligen religiösen Führerschaft zu. Diese hätten Gottes Repräsentanten für Gottes Reich sein sollen. Aber stattdessen, dass sie den Menschen geholfen hätten, Gott kennen und lieben zu lernen, wurde ein Konstrukt aus Regeln und Geboten aufgebaut, welche Mauern statt Brücken waren. 

Nun wendet sich Gott in Jesus allen Menschen direkt zu. Jesus geht nicht den Weg über die religiöse Führerschaft, die sich nun übergangen fühlt, anstatt sich zu freuen. 

Die harten Worte dieses Textes spricht Jesus nun genau zu den führenden Priestern und Pharisäern. Aber auch sie gilt es zu gewinnen, auch wenn die Worte Jesu teils mehr als hart wirken. 

Warum ich das so sehe, möchte ich euch jetzt mitteilen. 

Provokative Therapie

Es gibt eine Therapieform, die uns im Verständnis helfen kann. Sie heißt provokative Therapie. Diese Therapieform verwendet widersprüchliche Kommunikationstechniken und auch Humor, um schwierige Klienten auf ihre falschen und selbstzerstörerischen Verhaltensweisen aufmerksam zu machen. Die Zuhörer werden dabei (teils spaßhaft) provoziert, um ihren Widerstand und ihre Abwehr herauszulocken und dadurch Veränderungen in ihnen herbeizuführen und sie zu einer konstruktiven Selbstkritik zu bringen. 

Kernstück der provokativen Therapie ist aber, dass diese teils fast beleidigenden und konfrontativen Äußerungen durch wertschätzende nonverbale Signale begleitet werden. Non-verbal ist jener Teil im Gespräch, den ich ohne Worte ausdrücke, z.B. ob ich zunicke, dass meine Stimme freundlich, traurig oder besorgt klingt, bzw. ob ich meinem Gegenüber wohlwollend in die Augen schaue. 

Vor etwa einem Jahr war ich Teilnehmerin eines Kommunikationsseminars. Der Seminarleiter behandelte dort jeden Teilnehmer in der Runde völlig anders. Aus meiner Sicht behandelte er manche Teilnehmenden sogar verletzend und ich wäre wirklich gekränkt gewesen, wenn er mich so behandelt hätte, wie manch anderen. Aber in der Feedbackrunde am Ende sagte jeder Teilnehmer, dass er sich wertgeschätzt gefühlt hatte. Für mich war das eine absolut neue Erfahrung und auch ein Verständnis für manch bisher unklares Wort Jesu.

Jesus handelte ähnlich. Manche, sozusagen therapieresistente Zuhörer provozierte er im Sinne der provokativen Therapie. 

Alle sind eingeladen

Zum Festmahl in unserem Gleichnis wurden letztendlich alle eingeladen, die dort auf den Straßen angetroffen wurden, Böse und Gute, die Zerbrochenen, die Kranken, die Handwerker, Frauen, Kinder…

Der Festsaal füllte sich und nirgends steht, dass sich ein einziger umziehen ging. Scheinbar kam jeder, so wie er war. 

Dennoch hören wir im Gleichnis, dass einer ohne Festgewand gefunden wurde und der König sagt zu ihm: „Mein Freund, wie bist du ohne Festgewand hier hereingekommen?“ Wir sehen, der Mann wird auf der einen Seite wertschätzend „mein Freund“ genannt, aber auf der anderen Seite wird er auf sein Äußeres angesprochen („Wie bist du ohne Festgewand hier hereingekommen?“). Und stellt es euch bildlich vor: Jesus ist, wie er dieses Gleichnis erzählt, umgeben von vielen Menschen in Alltagskleidung, teils ist deren Kleidung vielleicht kaputt oder schmutzig. Auf der anderen Seite stehen die führenden Priester und Pharisäer vielleicht in den schönsten Kleidern neben ihm. Und gerade diese in den besten Gewändern müssen sich so etwas anhören. („Wie bist du ohne Festgewand hier hereingekommen?“)

Es kann also nicht darum gehen, dass mein Gewand, meine Leistung, mein Auftreten oder mein Ansehen nicht gut genug sind. Noch dazu, wo ja gesagt wurde, dass unter den Gästen Gute und Böse waren. 

Der Versuch einer Deutung

Aus diesem Grund versuche ich eine Auslegung, bei der diese Widersprüche vielleicht zusammenpassen:

  • Ein Festkleid zu haben, könnte bedeuten, so zu sein, wie ich bin. Nichts vorzumachen, sondern mit dem zu Gott zu kommen, was mich ausmacht bzw. was ich habe oder eben nicht habe. Gott kennt mich ja sowieso und genau so komme ich zu ihm. Das Festkleid ist sozusagen mein „wahres Ich“.
  • Kein Festkleid zu haben, könnte bedeuten, ich verstecke mein „wahres Ich“, oft im guten Glauben, dass Gott das so möchte.

Aber wie kann ich mich lieben, wenn ich mein Ich verstecken muss und wie kann ich Gott lieben, wenn ich nicht Ich sein darf?

Dass in diesem Gleichnis die Person ohne Festkleid rausgeschmissen wird, heißt nicht, dass Jesus das wirklich tut. Er zeigt nur, dass Dinge manchmal nicht vereinbar sind. Um ins Himmelreich zu kommen, muss man werden wie die Kinder. Und wer das jetzt noch nicht ist, kann es ja noch werden. Gottes Liebe ist geduldig in Zeit und Ewigkeit.

Alle sind geliebt

Und zu guter Letzt noch Gedanken zum schwierigen Vers 14, wo es heißt: „Denn viele sind gerufen, aber nur wenige sind auserwählt.“

Ich weiß, dass dieser Vers und ähnliche Verse oft verwendet wurden, um Druck auf andere auszuüben. Denn, wenn nur wenige auserwählt sind und man möchte dabei sein, dann muss man zu den Besten gehören, zu den Frömmsten und zu den Fleißigsten. Aber, das sehen wir nicht im Leben Jesu. Er war umgeben von vielen Menschen, und gerade auch Gescheiterte und Zerbrochene waren dabei. 

Somit ist meine These, dass Jesus mit diesem Vers die führenden Priester und Pharisäer „nachspielt“. 
Er imitiert deren Worte und Sichtweise und hält ihnen auch hier einen Spiegel vor. 
Die gelebte Praxis im Leben Jesu zeigt: Alle sind eingeladen, alle sind angesprochen, alle sind angenommen, wie sie sind. Lauf nicht länger davon!

Dieses absolute Bewusstsein, dass Gott vollkommene Liebe ist, ist Basis und Grundlage, wenn wir uns schwierigen Texten nähern. 
Bibelstellen müssen uns nicht beweisen, dass Gott gut ist und wir müssen nicht detektivisch bedacht sein, dass wir Gott bei etwas Bösem erwischen. 
Sondern in der Gewissheit der absoluten, ewig geltenden Liebe Gottes machen wir uns auf die Suche, Texte und Inhalte zu verstehen, wie Menschen, die in einem Acker einen Schatz oder in einem Bergwerk Gold oder Edelsteine suchen. 
Amen

Sünde, Schuld und Vergebung

Predigt vom 17. September 2023: Pastor Frank Moritz-Jauk zu Matthäus 18,21-35 mit einer Klärung der Begriffe: Was ist Sünde? Was ist Schuld? Und was bedeutet Vergebung?


Liebe Leserinnen und Leser!

Der heute gehörte Text aus dem Matthäusevangelium lädt uns ein, über grundlegende christliche Themen nachzudenken: Sünde, Schuld und Vergebung. 

Wie oft sollen wir vergeben?

Dazu haben wir die Frage des Petrus gehört: Wie oft soll ich meinem Bruder – heute natürlich auch meiner Schwester – vergeben? 
Jesus antwortet: Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzig Mal. 
Siebenundsiebzig Mal, ich denke dieses Bildwort kann man heute mit „immer“ übersetzen. Du sollst deinem Bruder oder deiner Schwester immer vergeben, egal, wie oft sie gegen dich sündigt.

Das Gleichnis vom Schuldner

Und außerdem haben wir das Gleichnis vom Schuldner gehört. Jemand, der selbst Vergebung erfährt, diese aber nicht demjenigen gewährt, der ihm etwas schuldet. 

Damit sind die Themen Sünde, Schuld und Vergebung angesprochen. Aber bevor ich auf diese einzelnen, schwergewichtigen Begriffe unseres christlichen Glaubens zu sprechen komme, möchte ich noch kurz auf ein paar Besonderheiten hinweisen.

Vorbemerkungen

Zunächst möchte ich uns die Zahlen verdeutlichen, die im Text angesprochen werden. Ein Denar ist der Tageslohn eines einfachen Arbeiters. Beim Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg bekommt jeder Arbeiter einen Denar. Ein Talent, das sind ca. 6.000 Denare. Mit ein wenig Urlaub oder krankheitsbedingten Ausfällen muss ein Tagelöhner also ungefähr 17 Jahre für ein Talent arbeiten. 
Wenn es also heißt, man brachte einen vor ihn, der ihm zehntausend Talente schuldete, dann entspricht das siebzehntausend Jahre Tagelöhnerarbeit – sprich: Es ist eine unfassbar große Summe. 
Dem gegenüber sind 600 Denare, wie wir schon gehört haben, also eine nicht unwesentliche aber doch machbare Summe, die man noch zurück zahlen könnte.

Die zweite Besonderheit, auf die ich uns aufmerksam machen möchte, ist die eigenartige Form der Vergebung; die uns bei unseren Gedanken zur Vergebung im Kopf bleiben soll. 
Erst werden dem Diener die zehntausend Talente erlassen und dann, nach dessen Fehlverhalten, heißt es: „Und voller Zorn übergab ihn der Herr den Folterknechten, bis er ihm alles zurückgezahlt hätte, was er ihm schuldig war.“ 
Immerhin sind jetzt Frau, Kinder und Besitz aus dem Spiel, aber die Frage bleibt natürlich deutlich im Raum stehen:  Kann man sich auf die Vergebung des Herrn verlassen? Erst vergibt er und dann wird er zornig und die Vergebung gilt nicht mehr?

Insbesondere – und das ist die letzte Besonderheit, die ich an den Anfang der Predigt stelle – insbesondere, wenn es als letzter Satz heißt: „So wird auch mein Vater im Himmel jeden von euch behandeln…“ 

Also auch dazu werde ich noch etwas sagen. 
Sagen müssen, denke ich.

Beginnen wir jetzt einmal mit dem ersten zentralen Begriff, und das ist der Begriff „Sünde“. Sünde, was ist damit eigentlich gemeint?

Ich denke, die meisten werden bei Sünde irgendwie an Fehlverhalten denken. Wenn ich absichtlich oder nicht absichtlich etwas tue, das Gott nicht gefällt, dann ist das Sünde. Wer lügt, der sündigt. Wer etwas stiehlt, der hat ebenfalls eine Sünde begangen. 
Und ich möchte heute an dieser Stelle einmal deutlich sagen: Das ist nicht falsch.

Sünde als Macht

Es ist nicht falsch, aber in Wirklichkeit ist Sünde eben viel mehr als das. Sünde wird im Neuen Testament und hier vor allem in den Paulusbriefen als Macht beschrieben. 
Wenn Paulus davon redet, dass er „unter die Sünde verkauft ist“ (Römer 7,14) oder „nicht das Gute tut, das er tun will, sondern das Böse, das er nicht tun will“ (Römer 7,19), dann wird etwas von der Verzweiflung spürbar, die eben mehr ist als ein Fehlverhalten.

Sünde als Zielverfehlung

Heute wird Sünde daher gerne mit „Zielverfehlung“ übersetzt oder beschrieben. Zielverfehlung, das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass das eigene Leben auch scheitern könnte. Daher ist Sünde also eher Scheitern, Misslingen oder Verloren Sein, als dass Sünde Rebellion, Ungehorsam oder eine Absage an Gott ist.

Sünde viel mehr als Klage denn als Anklage

Sünde als Schuld und Verhängnis, als Macht, der der Mensch ausgeliefert ist – das wird deutlich, wenn wir an Aussprüche von Jesus denken, wo es heißt: „Es jammerte ihn.“ Dieses „Jammern“ macht deutlich, dass es bei Sünde eher um die Klage – und nicht um die Anklage – geht.

Sünde braucht Erlösung

Wenn wir uns also diese viel weiter reichende Dimension von Sünde bewusst machen, dann wird uns klarer, warum wir von dieser Sünde erlöst werden müssen; warum es ein Eingreifen Gottes braucht; warum Jesus für unsere Sünden gestorben ist.

Weil die Sünde eben nicht harmlos ist, sondern weil sie eine Macht ist, die unser Leben beherrschen kann; oder noch einmal anders gesagt: Weil die Sünde das verkehrte Verhältnis des Menschen zu Gott darstellt, mit dem ein verkehrtes Selbst- und Weltverhältnis einhergeht. Sünde ist eine Störung unserer Beziehung zu Gott. 

Störung in dem Sinn, dass wir nicht erkennen, wer Gott für uns ist. 
Unser Schöpfer, der uns ins Leben gerufen hat, der uns liebt und dem wir vertrauen können.

Wie verhalten sich jetzt Sünde und Schuld zueinander?

Ich würde das jetzt einmal so ausdrücken:
Wenn Sünde die große, ein gelingendes Leben bedrohende Macht ist, dann ist Schuld die einzelne, konkret gewordene Tat. 

Schuld ist einerseits das Zurückbleiben hinter Gottes Forderungen. 
Also zum Beispiel seine Nächste oder seinen Nächsten zu lieben oder das Gute zu tun.

Und andererseits ist Schuld die Verantwortlichkeit im Sinne der Zurechnung. 
Also das war tatsächlich ich, der gelogen hat oder ich der hartherzig war – und nicht jemand anderes. 
Schuldig werden wir durch das, was wir tun und durch das, was wir unterlassen. 
So beschreibt es eine unserer methodistischen Abendmahlsliturgien.

Und deshalb bekennen wir unsere Schuld und bitten um Vergebung.

Was also ist jetzt Vergebung?

Vergebung ist die lebensbefreiende, lebensspendende Kraft, die uns aus dem Herrschaftsbereich der Sünde und der Schuld herausholt. 

Auch hier finden wir eine meiner Meinung nach sehr gute Beschreibung in einer anderen Abendmahlsliturgie. Dort heißt es: 
„Wir bekennen jetzt unsere Schuld. Gott will uns nicht bloßstellen oder demütigen. Er befreit uns von der Last aller offenen und verdeckten Schuld, damit wir wieder frei atmen können und dankbarer Jubel unsere Herzen erfüllt.“

Oder denken wir an das Lied: „Du hast Erbarmen und zertrittst all meine Schuld."
Weiter heißt es dann:"Du hilfst mir auf in deiner Treue und Geduld. Du nimmst mir meine Last, nichts ist für dich zu schwer. Du wirfst all meine Sünde tief hinab ins Meer."

Das beschreibt Vergebung glaube ich sehr treffend und sehr eindrucksvoll.

Nachbe­merkun­gen

Und mit dem zweiten Teil dieses Liedes "Du hast Erbarmen" leite ich jetzt meine Reaktion auf die eingangs angedeuteten Besonderheiten hinsichtlich der eigenartigen Form der Vergebung im Evangeliumstext ein: 
„Wer ist ein Gott wie du, der die Sünde verzeiht und das Unrecht vergibt? Wer ist ein Gott wie du? Nicht für immer bleibt dein Zorn bestehn, denn du liebst es, gnädig zu sein.“

Woher nimmt der Verfasser und Komponist dieses Liedes diese Gewissheit, die ich ja auch gerne predigen möchte? 
Eine Gewissheit die ich selbst von Herzen glaube. 
Und die so gut tut!

Vergebung mit Bedingungen?

Immer wieder musste ich beim Lesen des Evangeliumstextes an Menschen denken, die einem Bettler auf der Straße Geld geben mit den Worten: „Aber nicht für Alkohol verwenden!“

Die Gabe des Geldes wird an eine Bedingung geknüpft. 
Geld ja aber nur, wenn du keinen Alkohol damit kaufst. 

Und auf den Evangeliumstext bezogen, finde ich das schwierig. 
Die Vergebung ist an eine Bedingung geknüpft ?!?

Ich vergebe dir. 
Aber nur, wenn du anderen auch vergibst. 

Anfrage

Und wenn Jesus dieses Verhalten mit seinem Vater im Himmel vergleicht und sagt, dass jeder von uns einmal so behandelt wird, der seinem Bruder oder seiner Schwester nicht von Herzen vergibt dann…

Dann glaube ich das nicht.

Ja, aber es steht doch so geschrieben. 
Schwarz auf weiß. 
Ein Wort Jesu. 
Im Evangelium nach Matthäus. 

Wie willst du dich denn da rausreden?
Ich will mich gar nicht rausreden – ich glaube es trotzdem nicht. 

Begründung

Und ich kann auch sagen, warum nicht. 
Weil es nicht zum Gesamteindruck von Gott passt, den ich durch das Lesen der ganzen Bibel – und eben nicht einer Einzelstelle – von Gott gewonnen habe. 

Mag sein, dass ich mich täusche, das will ich damit nicht in Abrede stellen. 
Es kann natürlich einmal so sein am Ende der Zeiten. 
Ich kann und will nicht Gottes Handeln bestimmen. 
Das wäre anmaßend und lächerlich. 
Aber ich kann mir das nicht vorstellen.

Vergebung mit Gottes Hilfe

Auch deshalb nicht, weil Vergebung manchmal erst durch Gott ermöglicht wird. 
Das sagt meine eigene Erfahrung. 

Wirklich schlimmes Leid oder große Schuld kann manchmal nicht so einfach vergeben werden. Wenn mich jemand wirklich gekränkt hat oder wirklich getroffen hat, dann ist Vergebung zwar wünschenswert, aber nicht so einfach. Da legst du nicht einfach den Schalter um und die Vergebung ist da. So funktioniert das nicht. 

Ich habe das selbst erlebt. Als mein Vater meine Mutter verlassen hat und ich das Elend erlebt habe, das dann über uns als Familie hereingebrochen ist – da konnte ich meinem Vater nicht vergeben. Es hat Jahre gedauert. Gott sei Dank ist es gelungen!

Andere Lesart

Daher bin ich geneigt, die heute gehörte Stelle zu übersetzen. Wissend, dass ich das begründen muss. 

Aber ich würde es eben so übersetzen, dass deutlich herauskommen soll, dass der hartherzige Diener nicht mit seinem brutalen Fehlverhalten davonkommen soll. 
Er, der über die Maßen beschenkt und begnadigt worden ist mit seinen zehntausend Talenten. 

Er oder in Wirklichkeit die Hörer und Hörerinnen und wir alle, sollen deutlich vor Augen geführt bekommen, dass es bei der Vergebung der Schuld, bei der Erlösung von der Macht der Sünde, um etwas wirklich Großes geht.

Gottes Handeln an uns ist so bedeutend und so lebensverändernd, dass auch wir so handeln sollen. 

So stark „sollen“, dass sich der Verfasser des Textes zu einem „müssen“ verleiten hat lassen. 

Unsere Schuld wird uns immer wieder von Gott vergeben. 
Und weil das wirklich befreiend ist, sollen wir uns darum bemühen einander zu vergeben. Wo jemand an uns schuldig geworden ist, da gilt es zu vergeben. 

Gott helfe uns dabei. 

Amen.

Friede braucht Kirche

Predigt vom 3. September 2023: Pastor Frank Moritz-Jauk zum Thema der diesjährigen Pfarrer*innentagung der evangelischen Kirchen in Österreich.


Frieden braucht Kirche

Nachdem die vergangenen drei Tage in Rust am Neusiedler See eine Tagung der drei evangelischen Kirchen in Österreich war, werde ich das Thema einmal auf diese evangelischen Kirchen beschränken.

Denn dann kann ich etwas vom Verlauf der Gespräche und der Vorträge wiedergeben. 
Jedenfalls hoffe ich, dass ich mit dieser Predigt oder diesen Gedanken zum Thema zum Nachdenken anregen kann. Über vielleicht schon lange gehegte oder verschiedentlich schon ausgesprochene oder noch offene, unbeantwortete Fragen.

Problematik von einzelnen Bibelzitaten

Im Laufe dieser Predigt zum Thema werde ich einige einzelne Bibelstellen zitieren. 
Normalerweise dürfte jede und jeder sofort „Kontext, Kontext, Kontext“ schreien. 
Es ist nicht unproblematisch, Bibelstellen als einzelne Stellen und nicht in ihrem Zusammenhang – ihrem Kontext – zu verwenden. 

Was ich aber mit dieser Vorgangsweise stärken möchte, das ist die Verwurzelung der Fragestellung im biblischen Wort. 
Was sagt die Bibel zum Thema Frieden und - darauf komme ich auch noch - was sagt die Bibel zum Thema Gerechtigkeit und Freiheit?
Wenn ich das Thema Frieden hier in der Predigt behandle, dann frage ich ja nach einem Verhalten von einem jeden Christen und einer jeden Christin. 

WWJD – What would Jesus do? 

So schwierig es auch sein wird, darauf eine gute Antwort zu geben – ich denke, das ist für mich wichtig: Was würde Jesus tun? 
Was würde er sagen und raten?
Oder ist Jesus mit einem so klar umrissenen Auftrag und einer ganz bestimmten Vorgangsweise (Stichwort Leidensweg) hier auf der Erde gewesen, dass er zum Krieg in der Ukraine rein gar nichts sagen könnte? 
Oder würde er ähnlich wie der Römerbrief (Römer 12,19) argumentieren: 
„Das Unrecht zu rächen ist meine Sache, sagt der Herr, ich werde Vergeltung üben?“

Definition von Frieden

Fakt ist, dass der biblische Friede immer viel mehr ist als die Abwesenheit von Krieg. Ich denke, das merken wir daran, wie Jesus das Wort Friede verwendet, wenn er es an seine Jünger adressiert. Besonders nach seiner Auferstehung. 
„Friede sei mit euch“ (Johannes 20,19), so werden die Jüngerinnen und Jünger angesprochen.

Oder denken wir an die Verheißung im Johannesevangelium: 
„Was ich euch zurücklasse, ist Frieden: Ich gebe euch meinen Frieden – einen Frieden, wie ihn die Welt nicht geben kann.“ (Johannes 14,27) 
Jesus sagt das im Zusammenhang mit der Sendung oder der Gabe des Heiligen Geistes.

Und zum Thema Friede in der Bibel möchte ich hier noch Paulus zu Wort kommen lassen: 
„Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christo Jesu!“ 
Auch das deutet an, dass biblischer Friede viel mehr ist als das Schweigen der Waffen.

 

Praktische Umsetzung

Dennoch – und hier wird es jetzt ganz konkret und ganz praktisch: 
Was antworte ich als Christ auf die Frage: Waffenlieferung, ja oder nein? 

Soll der Westen jetzt weiter Waffen liefern und die Ukraine in ihrem militärischen Kampf gegen Russland unterstützen? 
Oder sollen diese Waffenlieferungen eingestellt werden, damit nicht jeden Tag Menschen sterben? 

Hat nicht die Ukraine, als von Russland überfallenes Volk, ein Recht darauf sich zu verteidigen und ihre Gebiete zurückerobern zu wollen? 
Oder wird damit ausschließlich eine Waffenlobby unterstützt, die jetzt fette Gewinne macht und die Friedensverhandlungen nur verzögert?

Erweiterung der Diskussion

An dieser Stelle wird man die Diskussion wohl um die Begriffe Gerechtigkeit und Freiheit erweitern müssen. 
Wie schaut ein gerechter Friede aus? 
Kann man den Ukrainerinnen und Ukrainern einen Frieden zumuten, der ihre Freiheit beschneidet oder gefährdet? 
Kann man Russland überhaupt noch vertrauen?

Inhaltlicher Input von der Pfarrer*innentagung

An dieser Stelle möchte ich eine Referentin der Pfarrer*innentagung zu Wort kommen lassen. 
Frau Professorin Angelika Dörfler-Dierken hat in ihrem Vortrag auf die Krisen in Europa seit 1990 im Kontext mit Russland hingewiesen. 
Vor allem hat sie auf das Budapester Memorandum 1994 hingewiesen, bei dem die Ukraine die Atomwaffen an Russland zurückgegeben hat. Russland hat im Gegenzug der Ukraine dafür die volle staatliche Souveränität garantiert. 1997 wurde in Kiew der russisch-ukrainische Freundschaftsvertrag unterzeichnet. Mit der Besetzung der Krim 2014 wurde dieser von der Ukraine nach 2019 nicht verlängert. Im Februar 2022 erfolgte der Einmarsch russischer Truppen und der Beginn des Angriffskrieges. Russland hat also alle völkerrechtlichen Abkommen und Verträge mit der Ukraine gebrochen. 

Konsequenzen aus der Geschichte

Kann man so einem Land also noch vertrauen? 
Wie soll dann ein verlässlicher, gerechter Friede ausschauen? 
Welche Bedingungen braucht es dafür?
Ist die Rückgabe oder die Rückeroberung der von Russland besetzten Gebiete dafür die Bedingung? 
Ist eine solche Forderung realistisch? 
Wie sehen das eigentlich die unmittelbar Betroffenen, sprich die Ukrainerinnen und Ukrainer? 
Und welche Auswirkungen hat das für Europa? 
Insbesondere für die an Russland angrenzenden Länder wie Estland, Lettland oder Finnland?

Zwischenfazit

Unabhängig davon, dass ich alle diese Fragen nicht beantworten kann, war ich hier versucht, die Waffenlieferungen gut zu heißen. 

Also um der Freiheit und um der Gerechtigkeit willen, Waffenlieferung ja. 

Und natürlich ist mir Bonhoeffer eingefallen. 
Dietrich Bonhoeffer war ein evangelischer Pfarrer im Zweiten Weltkrieg, der sich an einem Attentat an Hitler beteiligt hat und dafür von den Nationalsozialisten kurz vor Ende des Krieges hingerichtet wurde. 

Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.

Bert Brecht
deutscher Dramatiker

Reflexionen eines Zivildieners

In der folgenden Nacht habe ich dann noch einmal nachgedacht. 
Und festgestellt, dass es für mich als Zivildiener doch nicht so einfach oder so eindeutig ist. 

Als Zivildiener habe ich den Dienst an der Waffe aus Gewissensgründen verweigert. 
Ich bringe damit zum Ausdruck, dass ich nicht gewillt bin, Konflikte mit Waffengewalt zu lösen. 

In den Verhandlungen ist man dann früher manchmal gefragt worden: 
„Nehmen wir an ihre Freundin wird gerade vergewaltigt und zufällig liegt eine Pistole neben ihnen – wie würden sie jetzt handeln?“ 
Die richtige Antwort, die wahrscheinlich den wenigsten jungen Männern in dieser Situation eingefallen ist lautet: 
„Gerade deshalb verweigere ich hier gerade, damit da keine Waffe – zufällig – liegt. Nein, ich möchte, was das betrifft, nicht in den USA leben.“

Waffengewalt?

Was ich jedenfalls zum Ausdruck bringen möchte, ist mein Zweifel an dieser Form der Konfliktlösung, Freiheit hin oder her. 
Warum sollte ich jetzt der Logik des Waffeneinsatzes folgen, die ich doch mit meinem Zivildienst abgelehnt habe? 

Noch dazu, wenn ich davon ausgehe, dass die Gewaltbereitschaft nach oben hin offen ist? Sprich, dass wenn Russland dabei ist zu verlieren, es ja auch noch Atomwaffen einsetzen könnte? Oder dafür Sorge trägt, dass das Atomkraftwerk Saporischschja nicht mehr gekühlt wird?

Umgang mit der Bergpredigt und anderen biblischen Stellen

Auch frage ich mich, was ich mit den beiden Bibelstellen aus der Bergpredigt anfangen soll? 
Was bedeutet es, die andere Wange hinzuhalten oder die zusätzliche Meile mit zu gehen? 

Wie gehe ich mit der Feindesliebe um, die uns ja nicht nur in der Bergpredigt, sondern auch beispielsweise im Römerbrief Kapitel 12 begegnet?

Freiheit und Freiwilligkeit

Und eine letzte Frage noch zur Freiheit oder besser Freiwilligkeit, die ich bei der Pfarrer*innentagung auch öffentlich ausgesprochen habe: 
Wir liefern Waffen, damit sich die Ukraine verteidigen kann, weil sie das will. 
Weil die Menschen ihre Freiheit verteidigen wollen.

Warum dürfen dann Männer das Land nur mehr mit Sondergenehmigungen verlassen? Wie freiwillig ist das denn? 

Man hört immer nur den Präsidenten Selenski – ja, der Mann sitzt im Trockenen. 
Immer sitzen die Befehlshaber im Trockenen, sprich sie sind sicher. 
In jedem Krieg sterben die einfachen Soldaten – nicht die Befehlshaber und damit Auftraggeber. 

Was bedeutet also freiwillig?

Schlussfolgerungen

Nicht weil schon alles gesagt ist. 
Sondern weil ich euch nur einen Anfang und einen Einblick in das Thema der Pfarrer*innentagung mit dem Thema „Friede braucht Kirche“ geben wollte. 

  • Von einer einheitlichen Stellungnahme als evangelische Kirchen zum Thema Waffenlieferungen sind wir noch meilenweit entfernt.
  • Positionen zum Frieden und einen guten Austausch untereinander brauchen wir tatsächlich notwendiger denn je.
  • Und was wir als Kirchen zur aktuellen Situation und zum Frieden beitragen können – das muss jede und jeder von euch erst einmal selbst und sehr individuell herausfinden.

Ich selbst habe gemerkt, wie schwer es ist, in dieser Situation zu einer eindeutigen, überzeugend „christlichen“ Antwort zu kommen.

Wahrscheinlich gibt es auch nicht die „eine“ Antwort, aber mehrere, verschiedene Wege, wie wir uns in dieser Situation hilfreich verhalten können.

Möge Gott uns dabei helfen. 
Und uns durch seinen Heiligen Geist an seiner Weisheit teilhaben lassen. 

Amen

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