Gegen die Eng­stirnigkeit

Faith Impulse

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Esther Handschin

Pastorin, Erwachsenenbildung


Eine Predigt zu Markus 6,38-48: Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns.

„Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns."

Das sagt Jesus und nicht etwa der Wahlstratege einer Partei oder jemand aus dem Team für eine bald anstehende Koalitionsverhandlung. Was wir aus der politischen Welt und aus der Gesellschaft kennen — mit wem kann man guten Gewissens zusammenarbeiten —, das spielt auch in der religiösen Welt eine Rolle, heute wie damals.

Für den Jünger Johannes ist klar: Man muss klare Grenzen ziehen. Einer, der Dämonen im Namen Jesu austreibt, aber nicht bereit ist Jesus auch nachzufolgen, den muss man in die Schranken weisen. Heute würden wir vielleicht sagen: Was hier passiert, das ist eine Urheberrechtsverletzung. Da klaut einer die Idee, nämlich Dämonen auszutreiben, und macht sein eigenes Geschäft damit.

Jesus wehrt diese Haltung des Misstrauens ab und gibt zu bedenken: Öffnet euren Horizont. Denkt nicht zu klein. Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns. Schaut auf das Resultat. Ist es nicht besser, wenn Menschen Befreiung erfahren von bösen Geistern? Ist es nicht besser, wenn Veränderung geschieht? Ist es nicht besser, wenn das Evangelium verkündet wird und das Reich Gottes hier in dieser Welt Raum gewinnt? Wir wollen doch nicht kleinlich sein: „Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns.“

„Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich."

Allerdings kennen wir von Jesus eine ähnliche Aussage, die gerade das Gegenteil aussagt. Im Matthäusevangelium, Kapitel 12, Vers 30 heißt es ebenfalls im Zusammenhang mit einer Geschichte, wo ein Dämon ausgetrieben wird: „Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich. Und wer nicht mit mir sammelt, der treibt auseinander.“ Was gilt jetzt? Was sollen wir tun, wenn es einen derart offenen Widerspruch gibt in dem, was Jesus sagt? Kann man Jesus noch Glauben schenken?

Zunächst müssen wir uns bewusst machen: Alles, was wir von Jesus überliefert bekommen haben, das wurde von seinen Jüngern und von weiteren Menschen, die ihm nachgefolgt sind, weitererzählt. Wir können uns nie auf die lebendige Stimme Jesu und seinen genauen Wortlaut berufen. Alles, was Jesus gesagt hat, vernehmen wir stets durch den Filter der Menschen, die uns seine Worte überliefert haben.

Darum finden wir in den Worten Jesu auch die Sichtweise seiner Nachfolgerinnen und Nachfolger wieder. Und die waren sicher so verschieden wie wir heute. Es gab die Zuversichtlichen, Menschen für die das Glas stets halbvoll ist. Sie konnten sich eine Zusammenarbeit mit allen vorstellen, die auch nur halbwegs das vertreten haben, was Jesus wichtig war. Und es gab die Ängstlich-Vorsichtigen, Menschen für die das Glas stets halbleer ist. Sie wollten sich nicht auf Abenteuer einlassen, deren Ende nicht abzusehen war. Für sie brauchte es Klarheit, was geht und was nicht geht.

Wie denken Methodisten über diese Frage?

Mit wem können wir zusammenarbeiten und mit wem nicht? Ich bin am letzten Sonntag, wo es in Graz den Tag der Religionen gab, von verschiedenen Personen gefragt worden: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen den Evangelischen und den Evangelisch-methodistischen Christen? Auf diese Frage gebe ich gerne die Antwort: Wir sind ungefähr 200 Jahre nach der Reformation entstanden. Wir sind nicht die Kinder der Reformation, sondern eher die Enkelkinder. Und in jener Zeit im 18. Jahrhundert in England spielte schon die Aufklärung eine Rolle.

So formuliert John Wesley, der am Anfang der methodistischen Bewegung stand, in einer Predigt mit dem Titel „Eine Warnung vor religiöser Engstirnigkeit“ (A Caution against Bigotry) einige bedenkenswerte Gedanken zu der Textstelle des heutigen Evangeliums. Sie lassen uns etwas von dem frischen Wind der Aufklärung spüren, der uns heute manchmal gut tun würde. John Wesley plädiert zunächst dafür, dass auch Laien, die keine theologische Ausbildung haben, das Evangelium verkünden können. Das ist ja bei uns bis heute üblich.

Wenn wir einem direkt oder indirekt seine Arbeit verbieten,

,weil er uns nicht nachfolgt‘, dann sind wir engstirnig. …

(2.) Hüte du dich davor! Gib acht, erstens, dass du dich nicht selbst

der Engstirnigkeit schuldigt machst, weil du nicht bereit bist zu glauben,

dass jemand Teufel austreibt, der sich von dir unterscheidet.

 

(3.) Zweitens: Prüfe dich selbst:

,Verbiete ich es ihm nicht zumindest indirekt

aus einem der genannten Gründe?

Bin ich nicht traurig darüber, dass Gott sich zu so einem Mann bekennt

und ihn segnet, der so irrige Meinungen vertritt?

Entmutige ich ihn nicht, weil er nicht zu meiner Kirche gehört,

indem ich mit ihm streite, Einwände erhebe

und seinen Sinn mit fern liegenden Konsequenzen verwirre? 

Zeige ich nicht Ärger, Verachtung oder irgendeine Unfreundlichkeit

in meinen Worten und Taten?

Rede ich nicht hinter seinem Rücken über seine

(wirklichen oder vermeintlichen) Fehler, Mängel und Schwächen?

Halte ich nicht Sünder davon ab, sein Wort zu hören?‘

Wenn du eins von diesen Dingen tust, dann bist du heute religiös engstirnig.

 

(5.) Meide Engstirnigkeit! Aber gib dich nicht damit zufrieden,

dass du niemandem verbietest, Teufel auszutreiben.

Es ist gut, soweit zu gehen, aber bleib nicht dabei stehen.

Wenn du alle Engstirnigkeit vermeiden willst, dann geh noch weiter.

Erkenne in jedem solchen Fall den Finger Gottes,

wer immer auch Sein Werkzeug ist.

Erkenne Sein Werk nicht nur an,

sondern freue dich darüber und preise Seinen Namen mit Danksagung. Ermuntere jeden, den Gott nach Seinem Wohlgefallen gebrauchen will, 

ich Seinem Dienst völlig zu widmen.

Sprich gut von ihm, wo immer du bist,

verteidige seinen Charakter und seine Sendung.

Erweitere seinen Wirkungskreis, so weit du nur kannst.

Erweise ihm jede Freundlichkeit in Wort und Tat.

Höre nicht auf, seinetwegen Gott anzurufen,

dass er sich rette und auch die, die ihn hören.

John Wesley
Predigt 38 IV. 1.-5. Eine Warnung vor religiöser Engstirnigkeit

Von der Herzensweite in die Enge

Nach diesem brennenden Plädoyer zu mehr Herzensweite ist die Fortsetzung des heutigen Evangeliums schwer zu verdauen. Plötzlich scheint die Weitherzigkeit Jesu ins Gegenteil zu kippen. Wenn es um die sogenannt „Kleinen“ geht, also Menschen, die in ihrem Glauben leicht verunsichert werden, dann kennt Jesus kein Pardon. Wer sie in Schwierigkeiten bringt, sodass sie im Glauben verunsichert werden und nichts mehr vom Glauben an Jesus Christus wissen wollen, der sollte so im Meer versenkt werden, dass er niemals wieder auftaucht, nämlich mit einem Mühlstein um den Hals.

Genau so drastisch geht es weiter: Bringt dich die Hand, der Fuß, das Auge zum so genannten Abfall, dann hacke sie ab und wirf sie weg. Es ist besser verletzt, lahm oder einäugig in Gottes Reich zu gehen, als gar nicht, weil man vom Glauben abgefallen ist. Das ist natürlich alles eine Übertreibung und sollte nicht wortwörtlich genommen werden. Aber wie gesagt, wenn es um diejenigen geht, die nicht so stark im Glauben sind, dann gibt es keine Entschuldigung: Sie müssen geschützt werden. Mit ihnen darf man nicht leichtfertig umgehen.

Was soll gelten?

Es tut sich ein Gegensatz auf, wenn man die beiden Teile — die Worte Jesu gegen die Engstirnigkeit und sein kompromissloses Eintreten für die Kleinen — miteinander in Verbindung zu bringen versucht. Und was ich nun beschreibe, ist besonders in kirchlichen Kreisen anzutreffen oder dort, wo es um Diskussionen von Werten und ethische Grundlagen geht: Es sind gerne die Kleinen, die Ängstlichen und Zögernden wie ein Jünger Johannes, die auf die Bremse steigen, wenn es darum geht mit denen zusammenzuarbeiten, die Jesus nicht nachfolgen, aber dennoch Gutes tun.

Als Beispiel möchte ich die seit über zwanzig Jahren bestehende Allianz für den freien Sonntag nennen. Durch die Liberalisierung des Arbeitszeitgesetzes ist der Sonntag als gemeinsamer arbeitsfreier Tag zunehmend bedroht. In den Tourismusgebieten und an den Bahnhöfen haben die Geschäfte inzwischen auch an Sonn- und Feiertagen geöffnet.

Der so genannten Sonntagsallianz gehören in Österreich so gut wie alle christlichen Kirchen und der österreichische Gewerkschaftsbund mit seinen Teilgewerkschaften an. Aber auch der Alpenverein und der Blasmusikverband sind dabei. Auch sie halten den Sonntag für schützenswert, aber wohl kaum, um sonntags in die Kirche zu gehen. Sie bieten eher das Konkurrenzprogramm zum Sonntagsgottesdienst an oder um es mit den Worten von Johannes zu sagen: „sie gehören nicht zu uns“.

Ist es für uns als Kirche daher sinnvoll, Mitglied in dieser Sonntagsallianz zu sein und den jährlichen Mitgliedsbeitrag zu zahlen? Was wiegt schwerer: eine Zusammenarbeit, weil hier Verbündete sind, die sich ebenfalls für den Schutz des Sonntags einsetzen? Oder ist das problematisch, weil das Mittun in der Blasmusik und im Alpenverein dazu führt, dass Menschen dem Gottesdienst fernbleiben und so den einen oder anderen von den „Kleinen“ zum „Abfall“ vom Glauben verleiten? Sollen wir engstirnig oder mit Herzensweite entscheiden?

Sich den Ängsten stellen statt dämonisieren

Für mich selbst ist es hilfreich danach zu fragen, was denn dahintersteckt, dass manche Menschen ihr Herz und ihren Sinn eng machen müssen, um nicht verunsichert zu werden. In der Regel sind es die eigenen Ängste, die uns dahin bringen. Sie sind eine besondere Form von bösen Geistern oder Dämonen. Da ist die Angst, zu wenig beachtet zu werden. Wenn jetzt plötzlich andere auch anfangen zu heilen und böse Geister auszutreiben, was ist dann noch das Besondere, das uns ausmacht?

Ein Beispiel dazu: In meiner Zeit als Religionslehrerin diskutierte ich mit einer Gruppe die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Einer der Schüler war strikt dagegen. Diese dauernde Bevorzugung der Frauen sei einfach ungerecht. Der Jugendliche war in seinem Mannsein noch alles andere als gefestigt. Seine Angst auf der Verliererseite zu stehen, war deutlich spürbar. So liegen manchmal die Dämonen in unserer eigenen Lebensgeschichte. Es sind Familienkonstellationen, Erfahrungen, Verletzungen, die uns in die Engstirnigkeit treiben und eine Haltung der Herzensweite verhindern. Gegen solche Ängste lässt sich nicht argumentieren. Sie müssen vielmehr behutsam angeschaut und wahrgenommen werden, damit man sie hinter sich lassen kann.

Was den Umgang mit Menschen betrifft, die unter Engstirnigkeit leiden, so folgen wir am besten den Empfehlungen von John Wesley:

Dass ein anderer die Anweisung unseres Herrn nicht befolgt,

ist kein Grund für dich, sie zu missachten.

Im Gegenteil, überlasse ihm die ganze Engstirnigkeit.

Wenn er es dir verbietet, verbiete du es ihm nicht!

Arbeite, wache und bete um so mehr, dass du deine Liebe an ihm beweist. Wenn er allerlei Übles von dir redet, so rede du allerlei Gutes von ihm.

Befolge hierin den Ausspruch eines großen Mannes — 

gemeint ist der Reformator Johannes Calvin,

ein Theologe dessen Meinungen John Wesley nicht unbedingt teilte —:

,Mag Luther mich hundertmal einen Teufel nennen,

will ich ihn trotzdem als einen Boten Gottes verehren.‘

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