Das alte Lied von der Liebe Gottes

Glaubensimpuls

Bild von Esther Handschin
Esther Handschin

Pastorin, Erwachsenenbildung


Predigt zu Psalm 98

Zum Psalm 98

„Singt dem Herrn ein neues Lied!“

In den Zeiten einer Pandemie, wo das Singen zu einem gefährlichen Akt geworden ist, weil sich auf diesem Weg das Corona-Virus besonders gut verbreitet, ist diese Aufforderung geradezu gefährlich. Dass Singen etwas Gefährliches geworden ist, macht nicht nur den begeisterten Chorsängerinnen und Chorsängern Mühe. Auch für viele Menschen, die methodistische Gottesdienste besuchen, ist es schwer auszuhalten, dass sie nicht singen dürfen. Denn Singen ist für sie ein Ausdruck ihres Glaubens. Nicht umsonst sagt man, dass der Methodismus im Lied geboren worden sei. Denn Charles Wesley, einer der Begründer der methodistischen Bewegung hat Tausende von Liedern geschrieben. Zu singen, darum ist man in methodistischen Kreisen nie verlegen. Ich habe es schon in einer Gemeinde erlebt, dass sich der Pastor verspätet hat, weil er zuvor noch an einem anderen Ort im Einsatz war. Und was hat die Gemeinde gemacht? Es wurde einfach gesungen, bis er da war. Genug Lieder waren ja im Gesangbuch vorhanden und jeder und jede durfte sich ein Lied wünschen.

„Singt dem Herrn ein neues Lied!“ Und was machen diejenigen Menschen mit dieser Aufforderung, die nicht gerne singen oder von sich sagen, dass sie nicht singen können? Man hat es ja nicht leicht, mitten unter sangesfreudigen Menschen zu sitzen und bei jedem Lied zu schweigen. Oft ist es gar nicht so, dass man nicht gern mitsingen würde. Aber irgendwann einmal im Lauf der Schulkarriere ist einem gesagt worden: Schweig lieber, du kannst nicht singen. Und dann sind diese Menschen verstummt, für immer. Dabei gibt es nur ganz wenige Menschen, die aufgrund ihrer Stimmbänder tatsächlich nicht singen können. Viel öfter ist es so, dass sie nicht genug Gelegenheit zum Hören, Nachahmen und Üben hatten oder dass die Geduld und das pädagogische Geschick der Lehrkräfte nicht ausgereicht hat, um ihnen die Freude am Singen zu vermitteln. So trauen sie sich höchstens noch in der Dusche oder wenn sie allein im Auto unterwegs sind und gerade der Lieblingssong im Radio läuft.

Welches Lied ist neu?

Ein neues Lied also sollen wir singen. Aber welches? Was zeichnet ein neues Lied aus? Darf es höchstens fünfzehn Jahre alt sein? Dann dürften wir kein Lied mehr aus dem Gesangbuch singen, denn diese Lieder sind inzwischen alle mindestens zwanzig Jahre alt. Zeichnet sich ein neues Lied gar dadurch aus, dass es in keinem Buch oder Liederheft zu finden ist, sondern nur noch im Internet verfügbar ist? Ist es der Text, der ein Lied neu macht? Oder ist es die musikalische Gestalt, das Schlagzeug und die E-Gitarre, die ein Lied neu sein lassen?

 Vielleicht wäre es einfacher nur diejenigen Lieder zu singen, die man kennt und die einem vertraut sind. Dann müssten wir uns nicht die Mühe machen immer wieder neue Lieder zu lernen. Im Zusammenhang mit der Entstehung des Gesangbuches vor zwanzig Jahren habe ich oft genug beide Argumente gehört. Auf der einen Seite waren die, die möglichst viel des alten Bestandes bewahren wollten, damit ihnen viele Lieder vertraut sind. Neues zu lernen, das war ihnen zu anstrengend. Und auf der anderen Seite waren diejenigen, die gesagt haben: Alles, was vor 1980 entstanden ist, kann man nicht singen. Das ist alt und verzopft.

Das neue Lied singt vom Wunder

Das Neue am neuen Lied ist wohl weniger das Entstehungsdatum als vielmehr das, wovon das Lied singt. Und da hilft uns die Fortsetzung des Psalmverses und des ganzen Psalms 98 weiter. In den ersten drei Versen beschreibt der Psalm, was diese Wunder sind, von denen am Anfang die Rede ist.

1Singet dem HERRN ein neues Lied, denn er tut Wunder.

Er schafft Heil mit seiner Rechten

und mit seinem heiligen Arm.

2Der HERR lässt sein Heil kundwerden;

vor den Völkern macht er seine Gerechtigkeit offenbar.

3Er gedenkt an seine Gnade und Treue für das Haus Israel,

aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes.

 Der Grundtenor lautet hier: Gott schaut auf sein Volk. Er sorgt für Gerechtigkeit und das vor der Öffentlichkeit der anderen Völker. Gott stellt sich an die Seite der Menschen, die sich zu ihm zählen. Das darf man ruhig allen weitersagen. Das dürfen gerne alle wissen, auch wenn sie am Ende der Welt wohnen.

 „… denn er tut Wunder!“ Dieser Psalm passt gut in die Osterzeit. Denn Gott hat seinen Kreis erweitert. Er schaut nicht nur auf sein Volk. Alle Menschen sollen von dem Heil und Guten profitieren, das er uns zukommen lässt. Davon erzählt die Osterbotschaft, ja, es gibt nichts Offensichtlicheres: Wenn Gott etwas Neues geschaffen hat, dann ist es das, dass er Jesus vom Tod auferweckt hat. Mehr Neues kann man nicht machen. Und sollten wir da nicht singen und Gott loben dafür? Der Frühling ist eine Zeit, wo wir das Neuwerden und Neuschaffen leicht an uns selbst erfahren können. Wie viele Menschen können ein Lied davon singen, dass sie nach einer schwierigen Zeit wieder neuen Mut schöpfen und Kraft gewinnen; dass sie Rettung erfahren aus Schwierigkeiten und Ängsten; dass sie heil werden nach einer Zeit der Krankheit oder der Niedergeschlagenheit; dass sie Gottes Nähe erleben, mitten in der Einsamkeit, Trauer, Hilflosigkeit. Und in Zeiten wie diesen haben mir manche Menschen nach ihrer Impfung bestätigt, dass sie neue Kräfte in sich gespürt haben, weil die Hoffnung auf das Ende der Pandemie und eine Normalisierung des Lebens für sie realistisch geworden sind. Sie und wir alle stimmen das neue Lied an von den Wundern, die Gott tut.

Manchmal ist dieses neue Lied ein altes Lied. Denn oft sind es gerade alte Worte und alte Lieder, die zu uns sprechen. Worte, die einem vertraut sind wie alte Kleider, in die man hineinschlüpft, sich einschmiegen und wärmen lassen kann. Worte, wo man sich vielleicht erinnert, dass sie schon einmal zu einem gesprochen und einen getröstet haben. Oder Worte, die den Mut gegeben haben, einen ersten Schritt in eine neue Zukunft zu setzen. Ja, Worte und Lieder können Heimat sein, wo man sich zu Hause fühlt. Oder sie sind Wegweiser, sodass man sich neu orientieren kann. Wer mit alten Menschen zu tun hat, die schon im Land des Vergessens unterwegs sind, weiß von der Kraft der vertrauten Lieder, die entweder beruhigen oder auch aus der Lethargie herausreißen. Dass abwesende, vor sich hin dämmernde Menschen plötzlich wieder wach werden, ihnen ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert wird, die einen oder anderen Erinnerungsfetzen auftauchen und ganze Strophen auswendig mitgesungen werden. Da werden auf einmal alte Lieder zu neuen Liedern, weil sie vom Wunder singen, das Gott sie erfahren lässt.

 Alles soll Gott loben

4Jauchzet dem HERRN, alle Welt,

singet, rühmet und lobet!

5Lobet den HERRN mit Harfen,

mit Harfen und mit Saitenspiel!

6Mit Trompeten und Posaunen

jauchzet vor dem HERRN, dem König!

7Das Meer brause und was darinnen ist,

der Erdkreis und die darauf wohnen.

8Die Ströme sollen frohlocken,

und alle Berge seien fröhlich

9vor dem HERRN; denn er kommt, das Erdreich zu richten.

Er wird den Erdkreis richten mit Gerechtigkeit und die Völker, wie es recht ist.

 Unser Psalm setzt noch einmal ein mit der Aufforderung zum Lob. Aber dieses Mal ist das Lob umfassender. Es geschieht nicht allein durch die menschliche Stimme. Alle Welt soll mit einstimmen. Die Instrumente werden ausgepackt: Harfen und Zithern, Trompeten und Posaunen. Und das Lob Gottes geht noch weiter. Auch die Schöpfung stimmt mit ein: das Meer, die Fische, die Erde und ihre Bewohner, die Flüsse und Berge, alle sind eingeladen Gott zu loben. Wenn schon das Meer, die Flüsse und Berge Gott rühmen, dann muss das wohl etwas anderes sein als wenn ausgebildete Instrumentalisten in einer Art Hochleistungssport auf ihren Instrumenten zu spielen beginnen. Beim Gotteslob liegt der Akzent an einem etwas anderen Ort: Es geht um eine Lebenshaltung, die hier eingenommen wird und die nicht von der musikalischen Begabung abhängt. Gott zu loben, das heißt: Ihm antworten auf das, was er tut. Diese Art von Gotteslob kann mit der Stimme genauso geschehen, wie mit Füßen und Händen oder mit einem Körper, der tanzt und sich bewegt. Alles, was Gott erschaffen hat, kann gar nicht anders als in dieses Lob einzustimmen.

 

Unser Psalm endet mit einem etwas ungewohnten Ausblick. Es ist von einem Gericht die Rede. Der Herr wird kommen, um als Richter über diese Erde zu urteilen und Gerechtigkeit zu schaffen. Ist es nicht gerade dieses Wunder, das das neue Lied besingt: Dass da ein Gott ist, der für Gerechtigkeit sorgt, gerade gegenüber einem Volk, das seinen Ausgangspunkt in der Gefangenschaft und Unterdrückung in Ägypten hatte? Wer dieses Wunder der Befreiung erlebt hat, muss ein Loblied anstimmen. Und wer diese Befreiung erlebt hat, sehnt sich für alle Menschen nach Gerechtigkeit und Befreiung, die noch Unterdrückung erleiden müssen. Am Anfang der Beziehung zwischen Gott und seinem Volk Israel steht eine Rettungserfahrung, die Befreiung aus Ägypten.

 Das alte Lied von Gottes Liebe

Eigentlich ist diese Erinnerung an die Gerechtigkeit, die Gott bringen wird, nichts anderes als eine Tat der Beziehung und damit ein Ausdruck der Liebe, die Gott für sein Volk und für die Menschen hat. Die Liebe ist das große Lied, das Gott immer wieder von Neuem anstimmt. Nicht dass das ein neues Lied wäre. Es ist ein altes Lied, das Liebeslied Gottes. Und dennoch muss es immer wieder neu gesungen werden. Jahr für Jahr wird diesem Lied eine neue Strophe hinzugefügt. In seiner Geschichte mit den Menschen hat Gott immer wieder neue Wege gefunden, um seine Zuwendung und Güte so zum Ausdruck zu bringen, dass wir Menschen ihm singend und lobend darauf Antwort geben konnten.

 Und wenn wir in unser eigenes Leben hineinschauen, ist es dann nicht so, dass sich da ebenfalls in unserem Lebenslied Strophe an Strophe fügt, die immer wieder neu singt von der Beziehung, die Gott stiftet und auf die ich ihm in irgendeiner Weise Antwort gebe? Da wird von Wundern erzählt, die wir erlebt haben; da werden Begegnungen mit Menschen erwähnt, die wegweisend für uns waren; wir singen von Ereignissen, die uns Gottes Güte gezeigt haben; wir hören von Rettung oder von Trost. Und immer wieder neu darf ich in diesen Refrain einstimmen, dass Gott Liebe ist und mir das Leben schenkt. Amen.

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