Herr, du hast mich angerührt
Glaubensimpuls
Pastorin, Erwachsenenbildung
Aus rechtlichen Gründen können die Video-Beispiele nur extern aufgerufen werden.
Ein vielfältiger Künstler
Svein Ørnulf Ellingsen wurde am 13. Juli 1929 in Kongsberg/Norwegen geboren. Er erhielt seine Ausbildung in Malerei an der Kunstakademie und an der Staatlichen Lehrerakademie in Oslo/Norwegen und war als Maler, Kunsterzieher und Kunstkritiker tätig. Schon als Kind mit dem Kirchenlied verbunden, schrieb er ab 1950 seine ersten eigenen Liedtexte, zunächst aus eigenem Antrieb, später im kirchlichen Auftrag um markante Lücken im Gesangbuchrepertoire zu schließen. Von 1972 bis 1981 war er Mitglied im Gesangbuchausschuss der norwegischen Kirche für das Gesangbuch, das 1984/85 erschien. Aufgrund seines Engagements erhielt er ab 1976 ein Staatsstipendium auf Lebenszeit. Über lange Zeit war er – besonders in den skandinavischen Ländern, aber auch auf internationaler Ebene – mit anderen hymnologisch tätigen Personen im Kontakt. Am Palmsonntag, den 5. April 2020 ist der norwegische Kirchenlieddichter Svein Ørnulf Ellingsen mit 90 Jahren verstorben.
Breite Rezeption
Im norwegischen Gesangbuch der lutherischen Kirche von 2013 ist er mit 43 Liedern und 15 Übersetzungen aus dem Englischen, Deutschen, Dänischen und Schwedischen vertreten. Umgekehrt gibt es Übersetzungen seiner Lieder ins Dänische, Deutsche, Englische, Finnische, Schwedische und Ungarische sowie in die Sprache der in Norwegen ansäßigen Samen.
Ein Lied nach überstandener Krankheit
„Herr, du hast mich angerührt“ ist einem Dankpsalm eines Menschen nachempfunden, der aus der Not der Krankheit errettet wurde. Auf dem Hintergrund der Bibel fallen einem verschiedene Personen dazu ein, die von Jesus geheilt wurden: die blutflüssige Frau, der Gelähmte, die Schwiegermutter des Petrus, der Besessene von Gerasa, der Taubstumme, der blinde Bartimäus. Oft spielt dabei die Berührung eine wichtige Rolle: durch Handauflegen, Finger in die Ohren stecken, in den Mund greifen, um die Zunge zu berühren oder durch das Bestreichen der Augen mit einem Brei. Berührungen sind Wege der Kommunikation, wenn die Möglichkeiten der Sprache schwierig geworden sind.
„Lange lag ich krank darnieder.“ Das ist eine Erfahrung, die an Covid-19 erkrankte Menschen machen. Manchmal dauert es lange, bis die „alten Kräfte wiederkehren“. Manche erzählen, wie schwer für sie die Einsamkeit auszuhalten war, wenn sie nur von vermummtem und verhülltem Pflegepersonal betreut wurden. Von Menschen, die gepflegt werden müssen und denen kaum Mittel der sprachlichen Kommunikation zur Verfügung stehen, können wir erahnen wie schwer es ist, ohne Berührungen auskommen zu müssen.
„Lange lag ich krank darnieder.“ Mit dem Krankheitsbild von Long Covid bekommt diese Liedzeile einen neuen Erfahrungshintergrund. Manche, denen diese Krankheit zu schaffen macht, fragen sich: Wird es überhaupt noch einmal gut?
Svein Ellingsen hat sein Lied nicht aus der Distanz quasi vom Schreibtisch aus geschrieben. Bei ihm war es eine andere Krankheit als Covid-19, die ihn dieses Danklied der Genesung im Alter von 26 Jahren hat schreiben lassen. Es war die Depression, die ihn in so jungen Jahren und später immer wieder erfasst hat. Sie hat ihn aber auch sensibel gemacht für die Kostbarkeit des Lebens und für einen sorgfältigen Umgang mit der Sprache.
Sprachliche Präzisierung
Als Jürgen Henkys das Lied 1981 in die deutsche Sprache übertrug, übersetzte er den Beginn der zweiten Strophe mit „Dank für deinen Trost, o Herr, / Dank selbst für die schlimmen Stunden“. So ist es auch in der Fassung zu hören, wie sie im Evangelischen Gesangbuch, Nr. 383 steht:
Svein Ellingsen hat später von dieser Übersetzung ins Deutsche Kenntnis bekommen und er war darüber sehr irritiert. Für die Zeit der Depression war er nicht bereit Gott zu danken. Auf diesen Protest hin hat Jürgen Henkys seinen Text geändert: „Dank für deinen Trost, o Herr, / Trost selbst in den schlimmen Stunden.“ Danken lässt sich nicht für eine Krankheit wie Depression oder Covid-19. Danken lässt sich für Menschen, die in diesen Zeiten da sind, trösten und aushalten. Die nun geänderte Textfassung ist im Reformierten Gesangbuch der Schweiz von 1998 und im methodistischen Gesangbuch zu finden, zu denen es aber leider keine Tonaufnahme gibt.
Gegensätze: Dunkel – Hell
Das ganze Lied ist durchzogen vom Gegensatz zwischen Finsternis und Licht, Nacht und Tag, dunkel und hell: „neue Tage leuchten mir“ (1,5), „gehst im Dunkeln nicht vorbei“ (2,6), „Aus der Finsternis wird Tag“ (3,1), „Sonne steigt und Lerchenschlag“ (3,3), „Du hast mich ins Licht gestellt“ (3,6), „Langer Nächte Unheilsschritt“ (4,1). In Strophe 2 werden wir durch das aufgewühlte Meer an Jona oder an den sinkenden Petrus erinnert.
Nicht nur durch die starken Bilder von Dunkel und Licht ist dieses Lied auch ein Osterlied, ein Auferstehungslied. In der ersten Zeile des norwegischen Originals heißt es: „Herre, du har reist meg opp – Herr, du hast mich hinaufgezogen.“ Wo Menschen nach einer langen Zeit der Krankheit wieder zu Kräften kommen und aufstehen können, da geschieht Auferstehung. So wird zum Schluss aus dem Dankpsalm ein Lobpsalm. Der Schluss der ersten Strophe „Gott, du lebst. Ich danke dir!“ verändert sich am Ende der vierten Strophe in „Gott, du lebst. Ich lobe dich!“
Die Melodie
Trond Kverno (*1945), ein norwegischer Kirchenmusiker und Komponisten aus Oslo hat dazu eine schwingende Melodie im Dreiertakt geschrieben, die die hellen Seiten des Liedes betont und den Tonraum einer Oktave mehrmals durchschreitet. Sie erinnert an manchen Stellen an ein weihnachtliches Wiegenlied wie „Josef, lieber Josef mein“.
Die Frauenstimmen, die hier auf Norwegisch singen, mögen daran erinnern:
Aus urheberrechtlichen Gründen können hier keine Texte aus dem Gesangbuch der Evangelisch-methodistischen Kirche 2002 abgedruckt werden. Dieses kann jedoch bei blessings4you bestellt werden.