Nicht nur zuhören, sondern tun!
Glaubensimpuls
Laienpredigerin
Zum Schulanfang
Es ist kaum zu glauben – aber der Sommer ist schon fast vorbei. Für Schüler und Schülerinnen (und indirekt auch ihre Eltern) heißt das: „Bye, bye” zur Sorglosigkeit des Sommers und „Hello” und hoffentlich auch „Willkommen!“ zu Arbeit und Lernen – aber auch zu den Freunden und Freundinnen in der Schule!
Eine Frage an die Schüler und Schülerinnen unter euch: Könnt ihr euch noch an alles erinnern, was ihr vor den Sommerferien gelernt habt? Vermutlich nicht. Die Lehrer und Lehrerinnen setzen das auch voraus, und deshalb wird in den ersten Schulwochen hauptsächlich wiederholt. Denn was man nicht verwendet, das vergisst man leicht.
Ich wette, auch ihr Erwachsenen erinnert euch nur noch an einen Bruchteil der vielen Dinge, die euch im Lauf eures Leben beigebracht wurden und noch viel weniger an das, was ihr nur gehört habt. Mir geht das jedenfalls so. Manches, das uns ganz besonders interessiert hat oder das wir noch immer brauchen und anwenden, das ist nach wie vor präsent. Und vieles von dem, was uns besonders glücklich oder besonders traurig gemacht hat.
Wie wir lernen
Manches vergisst man ja nie, zum Beispiel das Schwimmen oder wie man Fahrrad fährt. Das wurde uns allerdings nicht nur langmächtig erklärt – da hätten wir es wohl nie gelernt – sondern wir haben es getan. Denn nur wer auf ein Fahrrad steigt, in die Pedale tritt und fährt, wird es bald können und auch nicht mehr vergessen. Egal wie viele Bücher wir darüber gelesen haben oder wie lang es uns erklärt wurde, das Wissen allein genügt ganz und gar nicht. Das gilt ja für viele Dinge, z.B. auch für das Spielen von Instrumenten. Wenn wir so etwas nicht praktizieren, nicht tun und üben, dann werden wir es niemals beherrschen (es gibt nur ganz, ganz wenige Ausnahmen). Was wir aber getan und geübt haben und dann auch einigermaßen gut können, das bleibt uns in der Regel für den Rest unseres Lebens erhalten.
„Sage es mir, und ich werde es vergessen. Zeige es mir, und ich werde mich daran erinnern. Lass es mich tun, und ich werde es können.“ So soll es schon Konfuzius vor ca. 2500 Jahren formuliert haben. Tatsächlich sollen nur 20% von dem, was wir hören, im Gedächtnis blieben, aber 90% von dem, was wir tun. Es scheint, dass der ganze, komplette Körper das bessere Gedächtnis hat. Und das Goethe-Instituts, das die Kenntnis der deutschen Sprache weltweit fördert, wirbt mit dem Satz: „Lass es mich tun, und ich lerne!“
Jakobus spricht in der heutigen Lesung genau davon. So wichtig es ist, auf Gottes Wort zu hören, so entscheidend ist es dann aber, es zu tun, es anzuwenden. So wie die Dinge, die wir in der Schule oder in unserem weiteren Leben gelernt haben, und die uns vor allem deshalb geblieben sind, weil wir sie auch wirklich getan und praktiziert haben.
Was bleibend ist
Das soll aber natürlich nicht heißen, dass wir etwas tun müssen, damit Gott uns liebt. Er liebt uns bedingungslos, hat uns schon immer geliebt. Gottes Liebe ist immer zuerst da und keine Reaktion auf unser Tun. Er lässt seine Sonne ja sogar über Bösen und Guten aufgehen (Matthäus 5,45).
Und gerade in diesem Sommer haben wir in den Gottesdiensten immer wieder gehört und auch gesungen: „Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht – aus Gnade seid ihr gerettet“ (Epheser 2,4-5).
Martin Luther – ihr wisst, der im 16. Jahrhundert die Bibel ins Deutsche übersetzt hat – war der Ansicht, dass bei Jakobus die Taten zu wichtig sind und er die Gnade zu wenig betont. Für Luther galt: Sola gratia – allein durch die Gnade werde ich selig, ich kann mir das mit nichts erkaufen. Aber auch Luther gab zu, dass man den Glauben eines Menschen an seinen Taten erkennt und daran, wie er lebt. Wie soll man uns glauben, an uns bemerken, dass Gottes Liebe in unseren Herzen Wurzeln geschlagen hat, wenn sich das nicht in dem zeigt, was wir tun und wie wir es tun?
Gottes Wort wächst ins uns
Bevor Jakobus in seinem Brief anregt: „Hört das Wort aber nicht nur, sondern setzt es auch in die Tat um. Sonst betrügt ihr euch selbst“, schreibt er: „Nehmt das Wort bereitwillig an. Es wurde wie ein Samenkorn in euch gepflanzt und hat die Kraft, euch zu retten.“ Mit dem „Wort“ ist natürlich nicht nur das Wort gemeint, das Informationen übermittelt. Welches Wort ist es dann? Die Basisbibel schreibt dazu: „Es ist die Gute Nachricht, dass die Menschen durch Tod und Auferstehung von Jesus mit Gott versöhnt sind.“ Diese Nachricht erzählt uns also von der Liebe Gottes, die durch seine Ruach, seine Geistkraft, in unseren Herzen sorgfältig eingepflanzt wurde und hier mit Gottes Hilfe wächst und gedeiht und Früchte trägt.
Denn wenn Gott sein Wort spricht, dann passiert etwas, in uns und mit uns. Das kann so weit gehen, dass Gottes Wort wie eine Medizin tief in uns eindringt, unsere inneren Verletzungen heilt und uns zu einem veränderten, einem neuen Menschen macht. Das zeigt sich dann auch in allem, was wir tun und wie wir es tun.
Rufen wir uns noch einmal Jakobus’ Worte ins Gedächtnis: „Es war sein Wille, uns durch das Wort der Wahrheit neu zur Welt zu bringen. Dadurch sind wir gleichsam zu Erstgeborenen unter seinen Geschöpfen geworden. Denkt daran, meine lieben Brüder und Schwestern: Jeder Mensch soll schnell bereit sein zuzuhören. Aber er soll sich Zeit lassen, bevor er selbst etwas sagt oder gar in Zorn gerät. Denn der Zorn eines Menschen bewirkt nichts, was vor Gott als Gerechtigkeit gilt. Darum legt alle Verdorbenheit und Bosheit ab und nehmt das Wort bereitwillig an.“ Und ein paar Verse später fügt er noch hinzu „Zu einem frommen Leben gehört: Waisen und Witwen in ihrer Not beizustehen und sich vom Treiben dieser Welt nicht anstecken zu lassen. Ein solches Leben steht vor Gott, unserem Vater, rein und makellos da.“ (Jakobus 1,18-21+27)
Wenn es nun so scheint, als ginge es da nur um unsere Persönlichkeit, so ist es doch sehr eindeutig, dass es hier in erster Linie darum, wie wir mit anderen umgehen und ob durch unser Verhalten Gemeinschaft möglich ist, ob unser Zusammenleben mit anderen Menschen funktionieren kann.
Da schreibt Jakobus zu Recht, dass das Zuhören besonders wichtig ist – ich habe kürzlich einen Artikel darüber gelesen, dass dies unter anderem ein Mittel gegen Demenz ist. Dass wir unseren Mitmenschen mit Respekt und Geduld begegnen, gehört auch dazu, aber ebenso, dass wir uns um die Schwachen und Hilfsbedürftigen kümmern. Und natürlich sollen wir nicht jeden Blödsinn mitmachen, nur weil andere ihn auch tun. Gottes Geist und das in uns gepflanzte Wort helfen uns dabei.
Rabbi Luria: "Braucht Gott unsere Hilfe?"
Erinnern wir uns noch einmal an den Anfang der Lesung, an Vers 17: „Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben: von dem Vater des Lichts.“ Mit diesem Licht der Schöpfung beginnt auch die Geschichte eines gewissen Rabbi Luria, der schon im 16. Jahrhundert traurig feststellen muss, dass in der Welt so einiges nicht in Ordnung zu sein scheint. Menschen leiden unter Hunger, es gibt Krankheiten, Hass und Kriege. Wir kennen das ja bis heute. „Wie kann Gott es erlauben, dass so schreckliche Dinge geschehen?“, fragt sich der Rabbi – und dann denkt er: „Vielleicht braucht Gott unsre Hilfe?“ Und er erzählt folgende Geschichte:
„Als Gott die Welt entwarf, wollte er alles in ein heiliges Licht gießen, um die Dinge Wirklichkeit werden zu lassen. Und er stellte Gefäße her, die das heilige Licht aufnehmen sollten. Aber das Licht war so unglaublich hell, dass die Gefäße in Millionen Stücke zerbrachen. Deswegen ist unsere Welt noch immer voller Bruchstücke. Wenn Menschen nun einander bekämpfen und verletzen, lassen sie es zu, dass die Welt zersplittert bleibt. Dasselbe gilt auch für Menschen, die ihre Scheunen voller Vorräte haben und andere hungern lassen.
Damit wir ihm helfen, diesen kosmischen Haufen von Bruchstücken zu reparieren, hat Gott uns geschaffen. Er zwingt uns aber zu nichts, sondern er gibt uns die Freiheit, mit unserer Welt zu tun, was immer uns gefällt. Wir können zulassen, dass die Dinge zerbrochen bleiben – oder wir können versuchen, das Zerbrochene zu reparieren.“
Für Juden ist es die wichtigste Lebensaufgabe herauszufinden, was in unserer Welt zerbrochen ist und es dann zu reparieren. Sie glauben auch daran, dass die Gebote der Tora, das sind die 5 Bücher Mose, sie nicht nur anweisen, wie man als Jude leben soll, sondern auch, wie sie die Schöpfung reparieren können.“ (“The Book of Miracles“, Lawrence Kushner)
Sollte das nicht auch für uns und für alle gläubigen Menschen gelten? Gottes Wort zu beachten, das geschriebene und das in uns gepflanzte, und sich an der Reparatur der Welt zu beteiligen?
Die Reparatur der Welt
Rabbi Luria jedenfalls empfiehlt dringend:
„Wenn du also etwas siehst, das zerbrochen ist, dann repariere es. Wenn du etwas siehst, das verloren ist, dann bringe es zurück. Wenn du etwas siehst, das getan werden muss, dann tu es. Auf diese Weise gibst du Acht auf deine Welt und reparierst die Schöpfung.
Wenn alle Menschen in der Welt so handeln würden, dann wäre unsere Welt ein Paradies, ein Garten Eden, so wie Gott es wollte. Wenn alles Zerbrochene repariert werden könnte, dann würde aus den Bruchstücken wie bei einem riesigen Puzzle ein wunderschönes Bild werden.
Damit aber die Menschen den Auftrag, die Schöpfung zu reparieren, überhaupt anfangen können und wollen, müssen sie zuerst einmal die Verantwortung übernehmen für das, was sie tun.“ (sh.oben)
„Repairing the World“, die Welt reparieren, ist nach wie vor ein Grundwert des jüdischen Glaubens. So steht es auf der Homepage einer New Yorker Synagoge. Dort kann man auch lesen „Es ist nicht nur eine Möglichkeit, unsere Welt zu einem besseren Ort zu machen, sondern trägt auch dazu bei, Bemühungen zur Reparatur der Welt zu leiten und die Idee der Gerechtigkeit in der jüdischen Tradition zu verstehen. Die Initiativen und Kampagnen werfen einen Blick auf aktuelle Themen wie Einwanderung, Umweltschutz und Rassengerechtigkeit und laden ein, über Fragen nachzudenken, wie wir unsere persönlichen Verpflichtungen mit denen unserer größeren Gemeinschaft in Einklang bringen und weiterhin tieferes Mitgefühl und positive Veränderungen auslösen können.“
Unsere Mitwirkung
Vielleicht sollten wir sehr genau in den Spiegel schauen, von dem Jakobus spricht, in den Spiegel der Selbsterkenntnis, um uns darüber klar zu werden, wie wir sind und was wir tun und was wir alles verursachen. Aber das, was wir da sehen und erkennen, das müssen wir uns dann auch merken, uns zu Herzen nehmen – dort ist ja das Wort der Liebe schon am Wachsen – und vor allem müssen wir entsprechend reagieren und handeln.
Und das betrifft nicht nur den Umgang mit Menschen, sondern mit der ganzen Schöpfung. Schon im 1. Buch Mose im Vers 28 sagt Gott: „Ich setze euch über die Fische im Meer, die Vögel in der Luft und alle Tiere, die auf der Erde leben, und vertraue sie eurer Fürsorge an.“ Wir sollen also für sie sorgen, wir sind für sie verantwortlich. Vielleicht sollten wir uns auch immer wieder vor Augen halten, dass Gott uns zwar alle Freiheiten lässt, sich aber ein abschließendes Urteil darüber, was wir denn mit der schönen, uns anvertrauten Schöpfung gemacht haben, schon vorbehält.
Es gibt übrigens eine sehr interessante Neuübersetzung des bekannten Verses aus Römer 8,28, den wir von Luther so kennen: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.“ Der englische Theologe Dr. Wright hat herausgefunden, dass man aus dem Griechischen auch so übersetzen kann: „In allem arbeitet Gott mit denen zusammen, die ihn lieben, um das Gute zu bewirken.“ Ein besonders schöner Gedanke: Der Schöpfer will mit uns zusammenarbeiten! Auf jeden Fall können wir unsere Verantwortung nicht leugnen.
Jakobus nennt ganz konkrete Dinge, wo und wie wir vom Hören zum Handeln kommen sollen und wie das, was wir z.B. im Gottesdienst gehört haben, in den Alltag hineinwirken kann. Denn erst, wenn auch unser Alltag „Gottes-DIENST“ wird, übernehmen wir die Verantwortung für Gottes Welt glaubwürdig. Wenn wir uns zum Beispiel um Menschen kümmern, die unsere Hilfe brauchen – oder wenn wir für unsere gequälte Erde besser sorgen. Und wenn wir darauf achten, uns vom Chaos der Welt nicht anstecken zu lassen.
Schon in Jesaja 58 lässt Gott ausrichten, dass er mehr davon hält, wenn wir uns um unsere Nächsten kümmern und nicht ums Fasten, also um uns selbst. Er sagt dann Hilfe, Führung und sein Licht zu und verspricht: „Du wirst sein wie ein gut bewässerter Garten, wie eine Quelle, die niemals versiegt.“
Und bei Micha heißt es kurz und bündig, dass Gott nicht Opfer von uns verlangt, sondern: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert: nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“ (Micha 6,6-8. Basisbibel)
Do something!
Matthew West, ein amerikanischer Sänger, hat einen Song dazu geschrieben: “Do something!“
Der Gedanke an Menschen, die in Armut leben, an Kinder, die in die Sklaverei verkauft werden, der widert ihn an und er schreit: „Gott, warum tust du nicht etwas? Und Gott antwortet: „Ich habe etwas getan. Ich habe dich erschaffen.“ Und dann empfiehlt West, gut zuzuhören und fragt:
„Wenn nicht wir, wer dann? Wenn nicht ich und du, wer dann? Wenn nicht jetzt, wann dann? Es ist Zeit für uns, etwas zu tun!“
Jesus sagt es uns unmissverständlich: „Ihr seid das Salz der Erde! ... Ihr seid das Licht der Welt! ... Euer Licht soll vor den Menschen leuchten. Sie sollen eure guten Taten sehen und euren Vater im Himmel preisen!“ (aus Matthäus 5,13-16)
Und Lothar Pöll hätte wohl freudig hinzugefügt: „Und heute fange ich an!“
Amen.