Von Gott befähigt und in den Dienst genommen

Glaubensimpuls

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Esther Handschin

Pastorin, Erwachsenenbildung


Jesaja wird berufen, eine Predigt zu Jesaja 6,1-8

Wenn Engel singen

Wie werden die Serafim Gottes, diese Engelwesen mit sechs Flügeln wohl gesungen haben? Ich weiß es nicht. Aber es war bestimmt wunderbar. Anders kann ich es mir nicht vorstellen. Wenn man schon von Menschen manchmal sagt, sie hätten eine engelsgleiche Stimme, wie müssen erst recht die Engel „engelische“ Stimmen haben! Und wenn sie das „Heilig, heilig, heilig“ anstimmen, das von der Fülle Gottes und seiner Herrlichkeit erzählt, dann muss man wohl vor Glück und Ehrfurcht vergehen, wenn man es zu Ohren bekommt. 

Schon die von irdischen Menschen komponierte Musik zu diesem „Heilig, heilig, heilig“, kann berauschend sein. Das Sanctus gehört zu jeder Vertonung der musikalisch auskomponierten Texte einer Messe. Es erklingt meist in lateinischer Sprache, darum“ Sanctus“ statt „Heilig“. Jedes Mal, wenn ich mir eine solche Messvertonung anhöre, dann warte ich gespannt auf das Sanctus und wie es sich entfalten wird: Kräftig und laut, oder schwebend und berückend? Wuchtig und im 4/4-Takt oder schwingend in einem 6/8-Takt wie bei Johann Sebastian Bachs Messe in H-Moll? Ihm ist es gelungen, eine Musik zu schreiben, die gleichzeitig schwingend-schwebend leicht und majestätisch klingt. Hier kann man sich selbst einen Höreindruck verschaffen: 

 Kein Wunder, dass viele Menschen der Ansicht sind, im Himmel muss wohl die Musik von diesem Bach gespielt werden. Der Schweizer Theologe Karl Barth machte da keine Ausnahme. Aber er hatte dafür seine eigene Auslegung: Wenn die Engel vor Gottvater singen und spielen, dann ist natürlich Bach dran. Aber wenn sie für sich Musik machen, dann spielen sie bestimmt Mozart. Damit gab sich Karl Barth als ein besonderer Fan von Mozart zu erkennen.

 Gott bleibt ein Geheimnis

Es ist eine ganz eigene Stimmung, die uns da in der so genannten Tempelvision des Jesaja geschildert wird. Nicht nur die Anwesenheit der Engel und ihr Gesang machen das aus. Auch Gottes Gegenwart ist hier zu spüren. Schon allein der Saum seines Gewandes füllt den ganzen Tempel aus. Wie viel größer und erhabener muss erst Gott selbst sein! Wenn Gott etwas sagt oder ruft, dann erzittert das ganze Haus und überall gibt es Rauch, sodass man nichts wirklich erkennen kann. Gott verhüllt sich, damit er ein Geheimnis bleibt. Er ist ­– im Gegensatz zu uns Menschen – weder fassbar noch begreifbar.

 Wer wie Jesaja diesem Gott begegnet, dem Herrn Zebaoth – dem Herrn über alle himmlischen Heerscharen, Engel und Geistwesen – der muss über sich selbst erschrecken. Denn da wird einem bewusst, wie ganz anders man selbst als Mensch ist. Ein großer Gegensatz tut sich auf. Wenn Gott so groß ist, wie klein und unscheinbar, ja wie zu vernachlässigen bin ich dann. Den Vergleich mit Gott kann man ja eigentlich gar nicht aufnehmen. Er ist so ganz anders als wir Menschen, dass jedes Ansinnen ihm ähnlich zu sein, scheitern muss. Es genügt schon allein, wenn wir zum Beispiel einem Menschen gegenüber stehen, der uns mit Liebe und Verständnis begegnet. Dann erschrecken wir über uns selbst und müssen schmerzlich feststellen, dass wir dieser Liebe oft nicht entsprechen. Wir können unsere Zunge nicht im Zaum halten und verletzen oder erniedrigen damit andere. Und wie so viele Menschen sind sich erst in der Begegnung mit Gottes Gnade und Liebe bewusst geworden, wie stark ihr Leben von der Sünde geprägt ist, die sie von Gott trennt und der eigenen Unbarmherzigkeit und Unzufriedenheit ausliefert.

 Versagt der Prophet?

Wie sollte man da überhaupt mit Gott in Verbindung treten? Jesaja empfindet diese Erkenntnis als sehr schmerzlich. Ja, eigentlich möchte er nichts anderes als zu vergehen, als ausgelöscht zu werden. Er fühlt sich selbst als unrein, unfähig auch nur ein Wort zu sagen, das passend wäre. Wie sollte er je als Prophet, als Mann Gottes auftreten, wenn er sich selbst in einem so krassen Gegensatz zu Gott empfindet? Wie sollte er je im Namen Gottes sprechen, wenn er nicht einmal seinen Namen aussprechen kann? Diese Nähe Gottes hält er nicht aus. Gott gesehen und erfahren zu haben, das ist ihm zu stark. Er wird seine Aufgabe nie ausführen können.

 Nein, er wird zum Mitarbeiter Gottes

Doch Gott hat anderes im Sinn. Er befähigt die Menschen, die in seinem Dienst stehen auf ganz andere Weise, als sie es sich denken können. Ein Engel berührt die Lippen des angehenden Propheten mit glühender Kohle. Sie kommt direkt vom Altar, von dem Ort, wo die Menschen Gott Dinge hingeben und anvertrauen, um sie ganz ihm zur Verfügung zu stellen und heilig zu machen. Der Altar ist der Ort, an dem im Rahmen der kultischen Verehrung Gottes durch das Darbringen eines Opfers Schuld vergeben wird. Diese Vorstellung ist uns heutzutage fremd geworden, weil wir in Jesus einen anderen Weg kennen gelernt haben, wie Gott Schuld vergibt. Aber in der Zeit des Jesaja wird die Handlung des Engels etwa so verstanden worden sein: Indem die Kohle vom Altar genommen wird, dem Ort, der alles heilig macht, hat sie die Kraft, die unreinen Lippen zu reinigen und heilig zu machen. Was Jesaja nun sagen wird, das geschieht in der Kraft Gottes und in seinem Auftrag. Durch ihn hört das Volk Israel die Stimme Gottes. Jesaja wird so zum Mitarbeiter Gottes.

 Gottes Beziehungsreichtum

Die Vorstellung, wer Gott ist und wie er handelt, hat sich im Lauf der Geschichte verändert. Das schlägt sich auch in der Bibel nieder. An der Bibel ist ja über mehrere Jahrhunderte geschrieben worden. Von diesem einen Gott musste in immer wieder neuer Weise erzählt werden, damit es die Menschen der jeweiligen Zeit verstehen konnten. Und manches wird in der Bibel erst angedeutet und später genauer präzisiert und ausgedrückt. So auch die Lehre von der Dreieinigkeit oder Dreifaltigkeit Gottes. Als Christinnen und Christen bekennen wir Gott als den dreieinen Gott, als Vater, Sohn und Heiligen Geist. Diesem Gedanken ist der heutige Sonntag Trinitatis gewidmet. Es ist die unterschiedliche Art und Weise, wie uns Gott begegnet: Als der gütige Vater, der uns geschaffen hat und uns am Leben erhält. Als der Sohn, den wir in Jesus erkennen und der für uns gestorben ist. Und als der Heilige Geist, eine Kraft, die uns stärkt und tröstet. Für mich drückt dieser Gedanke vor allem eines aus: Gott ist selbst in sich ein beziehungsreiches Wesen, ja Gott ist Beziehung. Und weil er Beziehung ist, will er mit uns in Beziehung sein, auf ganz unterschiedliche Weise.

 Dieser Beziehungsreichtum richtet sich an uns Menschen. Wir sollen nicht allein sein. So heißt es schon am Anfang der biblischen Menschheitsgeschichte: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist. Wir sind auf Beziehung hin ausgerichtet. Das bedeutet aber nicht nur, dass wir als Menschen unter Menschen gehören. Es bedeutet auch, dass wir uns nach einem Gegenüber wie Gott sehnen. Jemandem, dem gegenüber wir antworten und unser Leben verantworten können. Einer, der uns herausfordert und befähigt, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in seinem Werk zu sein. Um es überspitzt zu formulieren: Gott braucht uns, um seine Sache ausführen zu können. Nicht dass er auf unsere Hände und Füße angewiesen wäre, um handlungsfähig zu sein, wie jemand in den 70er Jahren einmal formuliert hat. Dann würden wir Gott nicht mehr alles zutrauen. Vielleicht ist es mehr so, dass er so große Stücke auf uns Menschen hält, dass er uns an seinem Vorhaben teilhaben lässt.

 Wir sind Gottes Mitarbeiter*innen

Und so hören wir wie Jesaja die Stimme Gottes fragen: „Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein?“ Wenn ich diesen Fragen in einer Volksschulklasse stellen würde, so zeigten bald so viele Hände in die Luft, wie Schülerinnen und Schüler anwesend sind. Mittun und Mithelfen, das machen Kinder in der Regel gerne. Später wird das dann anders. Da braucht man alle möglichen Überredungskünste bis jemand bereit ist, eine Aufgabe zu übernehmen. Plötzlich spielen andere Fragen mit hinein: Kann ich das überhaupt? Bringe ich die nötigen Qualifikationen mit? Wird das Ganze nicht zu einer Blamage und würde mein Image beeinträchtigen? Kann ich es mir leisten, da mit zu tun? Bis hin zu: Ich habe keine Lust. Sollen sich doch die anderen da rein hängen. Ich lasse mich nicht ausnützen. Manches spricht da auch von den Erfahrungen, die Menschen gemacht haben. Und wenn wir hören, wie es Jesaja ergehen wird, so geben uns die Verse aus Jesaja 6,9-11 einen Hinweis darauf.

 Ja, wenn wir zu Gottes Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern werden, haben wir nicht schon von vornherein eine Garantie auf Erfolg. Manche Ziele erreicht Gott nur auf Umwegen. Er hat es mit Menschen zu tun, die gerne ihren eigenen Wegen folgen und da braucht es mehr Zeit, viel Geduld und manche Extratour, um mit ihnen ans Ziel zu kommen. Es ist die Besonderheit von Gottes Wirken, dass er sein Ding nicht einfach durchzieht und nicht nach rechts und links schaut, was er dabei anrichtet. Als ein Gott, der auf die Mitwirkung und Teilhabe der Menschen setzt, gibt er uns nicht nur eine Aufgabe. Für mich drückt sich dadurch auch die Wertschätzung und Würde aus, die Gott uns Menschen gibt. Wir werden in ein großartiges Projekt mit einbezogen: Gottes Liebe in dieser Welt bekannt zu machen.

 Singende Engel und mitwirkende Menschen: Für mich gehört beides zusammen. Wir sind eingeladen, bei diesem großen Projekt Gottes mitzuwirken und seine Liebe in dieser Welt bekannt zu machen. Als Menschen, die in Beziehungen leben, sind wir gerufen, mit Gott in Beziehung zu treten und mit ihm in Beziehung zu bleiben. Teilhabe an der Sendung Gottes in diese Welt, Missio Dei, Mission ist das. Und gleichzeitig werden wir immer wieder eingeladen, in das Lob der Engel mit einzustimmen. „Heilig, heilig, heilig“ singen auch wir und tun damit kund, wer Gott ist und wie er ist. Und indem wir in diesen immerwährenden Lobpreis einstimmen, machen wir uns selbst gewiss, in wessen Namen wir unterwegs sind zu den Menschen. Amen.

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