Der nackerte Gott
Glaubensimpuls
Pastor, Kinder- und Jugendwerk
Zum Bibeltext Jesaja 52,7-10
Diese Weihnachtspredigt ist keine Auslegung des Bibeltextes, aber inspiriert vom Bild des Königs.
Die Macht der Mächtigen
Liebe Geschwister!
Es ist Weihnachten. Die alten Geschichten leben wieder auf und wir hören sie neu. Gott, der König, unantastbar, wird als Baby greifbar nah.
Diese alte Geschichte, sie muss uns doch jedes Jahr wieder zum Staunen bringen. Gott vollzieht selbst einen Machtwechsel: Gott wechselt vom Thron in die Krippe, vom purpurnen Königsmantel in die Windeln. Gott kritisiert damit unsere Ordnungen, die von oben nach unten gerichtet sind; unsere Ordnungen und Strukturen von Macht, die auf Gewalt beruhen. Weihnachten ist eine Einladung, immer wieder neu den Blickwinkel zu wechseln, mit dem wir auf die Macht und auf die Mächtigen schauen.
Wir sind ja vertraut mit gewissen Strukturen und Ordnungen: Monarchisch, demokratisch oder gar diktatorisch.
Aber wie immer die Ordnung auch sein mag, letztlich müssen die Menschen akzeptieren, dass jemand an der Macht ist und sein darf. Sonst kommt die Ordnung ins Wanken und es gibt einen Machtwechsel. Davon hören wir nicht selten in den Nachrichten.
Was die Mächtigen daher immer zu fürchten haben: Wenn die Menschen sie nicht mehr ernst nehmen.
Darum gibt es ja in Gesetzen Paragraphen wie diejenigen über „Majestätsbeleidigung“. Es ist bei Strafe verboten, die Macht der Mächtigen zu untergraben.
Dass Menschen eine*n Machthaber*in akzeptieren, hängt letzten Endes oft mit der Furcht vor Gewalt zusammen. Gewalt muss dabei nicht immer offen und brutal sein. Gewalt bedeutet zunächst einfach, dass man in der Lage ist, so zu handeln, wie man es will. Wir sprechen daher zum Beispiel von Staatsgewalt und meinen damit: Ein politisches System muss in der Lage sein, die Einhaltung von Gesetzen auch durchzusetzen.
In allen politischen Systemen gibt es aber auch Kritik an der Macht der Mächtigen und an den Mächtigen selbst.
Ein Instrument für solche Kritik ist die Karikatur. Eine Karikatur überzeichnet die Eigenheiten von Personen und zeigt uns dadurch – oft auf humorvolle Weise – wo in einem System der Schuh drückt.
Ein klassisches Mittel der Karikatur ist es, Mächtige nackt darzustellen. So soll deutlich gemacht werden: Unter den besonderen Kleidern, ist er, ist sie ein Mensch wie wir.
Ein anderes Mittel der Karikatur ist es, mächtige Menschen als kleine Kinder darstellen.
Der Karikaturist Gerhard Haderer zum Beispiel stellt die jeweils aktuellen Politiker*innen als Kinder dar. Die heißen dann: Der tlane Karl oder der tlane Werner.
Warum so eine Karikatur große Wirkung hat? Weil Kinder von Erwachsenen viel zu oft nicht so ernst genommen werden.
Blasphemie und Glaube
Für Viele ist die Grenze von Karikatur im Religiösen erreicht. Wer Gott oder die Religion lächerlich machte, der ging für manche zu weit und musste gestoppt werden. Wenn nötig auch mit Gewalt. „Blasphemie – Gotteslästerung“, hieß es dann.
Stellt euch einmal vor, Gott würde nackt und als Kind dargestellt. Also da muss man doch „Blasphemie – Gotteslästerung“ rufen.
Die Sache ist nur: Gott kann man so nicht lächerlich machen, denn: Gott macht das selbst. Gott stellt sich selbst als tlaner Gott dar. Gott durchbricht damit die gängige Ordnung, die sich auf Gewalt von oben und Furcht von unten gründet.
Was wir zu Weihnachten feiern, ist, dass Gott selbst aller weltlicher Ordnung, die sich auf Gewalt gründet, eine Absage erteilt.
Weihnachten ist nicht heile Welt. Weihnachten geht zur Sache. Weihnachten ist politisch und kritisch.
Wir Christ*innen, die in dem kleinen Jesus-Kind, Gott entdeckt haben, sind gefordert, Machverhältnisse zu enttarnen und klar anzusprechen. Denn wir vertrauen auf einen Gott, der nicht einmal bei sich selbst eine Ausnahme macht. Gott stellt jede Macht in Frage, die auf Furcht von Menschen beruht.
Nur Mut!
Die klare Botschaft zu Weihnachten ist: „Fürchtet euch nicht!“ Habt also Mut, Dinge beim Namen zu nennen und friedlich Widerstand zu leisten, wo auch immer Macht missbraucht wird.
Gott kommt klein, arm, nackt, jüdisch und als Person of Color, die zum Flüchtling wird in die Welt. Gott dreht die Verhältnisse um und entblößt damit die Wahrheit über unser Menschsein: Nicht, dass wir klein und bedürftig sind, ist lächerlich. Sondern im Gegenteil: Lächerlich sind und als lächerlich enttarnt werden müssen die, die sich mit Gewalt an ihre Macht klammern. Diejenigen, die behaupten, eine Wahl wäre ihnen gestohlen worden; oder diejenigen, die verbieten einen Krieg „Krieg“ zu nennen; sie sind Zerrbilder dessen, was es bedeutet, Mensch zu sein.
Die Wahrheit zu entdecken und aufzudecken, gilt es aber nicht nur im Hinblick auf einzelne Mächtige, sondern viel mehr noch in Bezug auf mächtige Systeme und Strukturen des Unrechts:
Die Verfilzungen zwischen „Politik“ und „Wirtschaft“; die menschenfeindlichen Machenschaften mancher Konzerne; die Benachteiligung ganzer Bevölkerungsgruppen aufgrund eines besonderen Merkmals – wir denken derzeit besonders an die Frauen im Iran und Afghanistan; Rassismus, Sexismus und Klassismus – all das müssten wir im Lichte von Weihnachten ganz klar sehen. Und wir müssen es ansprechen. Und daran mitarbeiten dass es anders wird. Und wir sollten denen zu Verbündeten werden, die unter Gewaltsystemen leiden.
Und dann suchen wir uns positive Vorbilder, wie unser Zusammenleben, unsere menschliche Gemeinschaft auch anders organisiert sein kann. Und wir widerstehen der Versuchung, Gewalt anzuwenden, um unsere Ziele durchzusetzen. All das soll Weihnachten auslösen. Erlösen.
Gottes Machtbereich
Gott zeigt – so feiern wir zu Weihnachten – dass ein kleines Kind gar nichts Lächerliches an sich hat, sondern im Lächeln des kleinen Kindes schon die gesamte gute Zukunft liegt, die wir auch Himmelreich, Reich Gottes oder Gottesherrschaft nennen: Eine Welt voller Vertrauen, voller wehrloser Liebe. Eine Welt, in der die unvorstellbaren Entfaltungsmöglichkeiten im Vordergrund stehen, die jedem Menschen in die Wiege gelegt sind.
Gott vollzieht selbst einen Machtwechsel: Gott wechselt vom Thron in die Krippe, vom purpurnen Königsmantel in die Windeln. Gott kritisiert damit unsere Ordnungen, die auf Gewalt beruhen und lädt uns ein, den Blickwinkel zu wechseln, mit dem wir auf die Macht und auf die Mächtigen schauen.
Es ist Weihnachten. Fangen wir heute damit an!