Der rechte Got­tes­dienst

Glaubensimpuls

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Esther Handschin

Pastorin, Erwachsenenbildung


Predigt zu Jesaja 1,1 und 10-17

Gott will nichts mehr hören! Und Gott hat die Nase voll, er mag es nicht mehr riechen, das lässt er seinem Volk durch den Propheten ausrichten. Jetzt sollen sie einmal zuhören und ihre Ohren öffnen für das, was er ihnen zu sagen hat.

Gott hat genug

Es ist keine leichte Botschaft, die der Prophet Jesaja dem Volk Israel auszurichten hat. Gott beschwert sich. All das, was das Volk zu seiner Verehrung aufführt und macht und tut, das hat er satt, richtig satt. Die Aufzählung scheint kein Ende zu nehmen: Brandopfer, wo ganz Tiere verbrannt werden, Widder, Stiere, Lämmer und Mastkälber; Speiseopfer, wo nur ein Teil der Tiere verbrannt wird, nämlich das, was Menschen nicht gerne essen, die Sehnen und das Fett; Räucherwerk, d.h. Pflanzen, die verbrannt werden und einen besonderen Geruch erzeugen; die Feste an Tagen des Neumondes, wo der Mond in der Nacht gar nicht scheint; die Sabbattage, die der Ruhe gelten; die Festversammlungen und Jahresfeste.

Wir bekommen einen Einblick, wie die Menschen damals gefeiert und Gott verehrt haben. Sie schenkten ihm das Kostbarste, was sie hatten. Die Tiere, die sie mit viel Mühe aufgezogen haben. Sie verbrannten das Fleisch, das sie hätte ernähren können. Sie brachten ihre Opfer dar und ließen es sich etwas kosten. Sie taten es, um Gott zu beeindrucken und wohl auch in der Hoffnung, ihn gnädig zu stimmen und damit drohendes Unheil abzuwenden.

Und nun diese Abfuhr. Nichts von all dem will Gott. Er hat es satt. Er ist nicht bereit, diese Art der Huldigung entgegenzunehmen. Viel mehr noch: Er ärgert sich über das Blut, das an den Händen des Volkes klebt. Die Menschen fragen sich: Was ist da bloß in Gott gefahren? Gelten die alten Sitten und Gebräuche nichts mehr? Wie kann man ihm noch eine Freude machen? Was will Gott dann, dass wir Menschen tun, wenn es nicht Gottesdienste und Feste ihm zur Ehre sind?

Opfer sind doch längst vorbei!

Wir könnten uns an dieser Stelle einfach gedanklich ausklinken und sagen: Das sind Probleme, die uns nichts mehr angehen. Mit dem Christentum ist der Opferkult an sein Ende gekommen. Diese Art der Annäherung an Gott braucht es nicht mehr. Der Hebräerbrief erklärt das auf vielfache Weise: Christus ist derjenige, der zwischen uns Menschen und Gott vermittelt, nicht mehr ein Opfer. Er ist für uns gestorben. Mit seinem Tod hat er das letzte Opfer gebracht, ein für allemal. Damit braucht es keine anderen Opfer mehr.

Doch so einfach war es nicht mit der Abschaffung des Opfers und des Opferns. Die Haltung: nur wenn ich Gott etwas gebe – und zwar etwas Wertvolles und für mich Wichtiges – dann gibt er mir auch etwas und ist mir wohl gesonnen, diese Haltung sitzt tief in uns Menschen drin. Wir unterliegen immer wieder der Versuchung, mit Gott einen Deal aushandeln zu wollen: Ich gebe dir etwas und du gibst mir dafür auch etwas. Im Lauf der Jahrhunderte  hat man den christlichen Gottesdienst und die Feier des Abendmahls / der Eucharistie wieder als ein Opfer verstanden, das nur ein Priester – so wie damals im Tempel von Jerusalem – Gott darbringen kann.

An dieser Stelle war es Martin Luther, der aufgestanden ist und den Menschen versucht hat klarzumachen: Beim Gottesdienst geht es nicht darum, Gott durch ein Messopfer gnädig zu stimmen. Er ist uns schon längst gnädig und wohl gesonnen. Es geht nicht darum, dass ich Geld bezahle, damit ein Priester für mich oder jemand Verstorbenen eine Messe liest und damit die Zeit im Fegefeuer verkürzt. Gott schließt uns in seine Arme und nimmt uns an, weil er uns unsere Sünden vergibt, ja schon längst vergeben hat. Er hat mit dem Tod Jesu die Strafe auf sich genommen und bezahlt. Was uns von Gott trennt, das ist alles aus dem Weg geräumt. Seit Jesus kann uns nichts mehr trennen von der Liebe Gottes.

Warum dann noch Gottesdienste?

Wenn all dies also gilt: Warum feiern wir dann noch Gottesdienste? Müssten diese nicht schon längst abgeschafft sein? Und was ist überhaupt ein rechter Gottesdienst? Was gehört dazu? Und was können wir dabei bleiben lassen?

Es ist an dieser Stelle gut, einen Moment innezuhalten und sich bewusst, was denn nun einen Gottesdienst ausmacht. Das kann ja für jeden und jede etwas anderes bedeuten. Ist es die Gemeinschaft und dass wir nicht alleine feiern, sondern gemeinsam Gott die Ehre geben? Ist es eine Predigt, die uns ermutigt oder herausfordert? Ist es die Feier des Abendmahls, wodurch uns Schuld vergeben wird und wir gestärkt werden? Ist es der Segen, der uns in die neue Woche begleitet? Sind es die Lieder, die wir singen? Sind es die Gebete und Fürbitten, die wir sprechen? Oder macht gar eine Kollekte den wahren Gottesdienst aus, mit der wir unsere Dankbarkeit ausdrücken? Oder ist es am Ende der Kirchenkaffee der Gottesdienst zu einem eigentlichen Fest macht?

Der Gottesdienst als Kommunikationsgeschehen

Martin Luther hat es im Jahr 1544 bei der Einweihung der Schlosskapelle von Torgau so formuliert, was für ihn zu einem Gottesdienst gehört: „… dass unser Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir umgekehrt mit ihm reden durch unser Gebet und Lobgesang.“

Wichtig dabei scheint mir zu sein, dass auf beiden Seiten etwas geschieht. Wir Menschen tun etwas und Gott tut etwas. Das drücken auch die Überschriften über die vier Teile des Gottesdienstes aus, die jeweils auf dem Gottesdienstblatt abgedruckt sind. Auf der einen Seite wird beschrieben, was wir Menschen tun: Ankommen, Hören, Teilen, Weitergehen. Aber das ist nicht alles, was im Gottesdienst geschieht. Auf der anderen Seite ist Gott, der etwas bewirkt in unserem Tun: Gott bringt uns zusammen, Gott spricht zu uns, er verbindet uns miteinander und er segnet uns. Der Gottesdienst ist ein Hin und Her zwischen Gott und uns Menschen. Es geht dabei um mehr als darum dazuzusitzen, zuzuhören und sich berieseln zu lassen. Gott kann nur wirken, wenn ich bereit dazu bin, mich für dieses Wirken zu öffnen. Gott kann nur zu mir reden, wenn ich bereit bin, mir etwas sagen zu lassen. Es braucht meine innere Haltung und Einstellung, in der Zeit des Gottesdienstes mich ganz auf Gott einzulassen und in dieser Stunde für ihn dazusein. Und indem ich ganz für Gott da bin, bin ich auch ganz für mich da.

Welchen Gottesdienst möchte Gott?

An dieser Stelle kehre ich wieder zu unserem Bibeltext zurück und lasse den Propheten Jesaja sprechen. Welchen Gottesdienst möchte Gott, wenn es schon keine Opfer und Feste sein sollen?

Nach der Beschwerde, die Gott führt und der Absage an alle Opferhandlungen folgen eine Menge Aufforderungen, die uns sagen, was ein guter Gottesdienst nach Gottes Idee ist: Wascht euch! Reinigt euch! Tut eure bösen Taten aus meinen Augen! Lasst ab vom Bösen! Lernt Gutes zu tun! Trachtet nach dem Recht! Helft den Unterdrückten! Schafft den Waisen Recht! Führt der Witwen Sache!

All das schafft Heil und Schalom, aber nicht die Opfer, die die Menschen darbringen.

Der Gottesdienst im Alltag

Eigentlich lässt sich das sehr einfach in dem zusammenfassen, was John Wesley in seinen Allgemeinen Regeln als Anweisungen für die Methodisten in seinen Gruppen und Kreisen gegeben hat: Meidet das Böse! Tut das Gute! Gebraucht die Gnadenmittel und bleibt damit in einer lebendigen Beziehung mit Gott!

Gottesdienst, so wie ihn Gott versteht, findet nicht nur zu Festzeiten, am Sabbat oder – für uns – am Sonntag statt. Und Gottesdienst, wie ihn Gott versteht, ist nicht auf den Tempel beschränkt. Der richtige Gottesdienst gehört in den Alltag und es geht um mein Verhalten anderen Menschen gegenüber. Bin ich bereit das Böse sein zu lassen, von dem ich weiß, dass es mir und anderen nicht gut tut? Bin ich bereit das Gute zu tun und auf diejenigen zu achten, die schwach sind und keine laute Stimme haben, um sich für ihre Sache zu wehren?

Wenn dieser richtige Gottesdienst im Sinne Gottes am Sonntag um 11:00 Uhr nach dem Kirchgang beginnt und bis zum Beginn des nächsten Gottesdienstes um 9:30 Uhr dauert, wozu gehe ich dann noch in die Kirche? Warum treffen wir uns dann Sonntag für Sonntag um miteinander zu feiern, zu singen und zu beten? Ist das für Gott ebenso sinnloses Geplärr und übertriebener Aktionismus wie der damalige Opferkult zu Jesajas Zeiten?

Ich kenne niemanden, der so viel innere Kraft und Disziplin hat, um diesen Gottesdienst im Sinne Gottes mit dem Einsatz für Entrechtete und Unterdrückte auszuüben und auf Dauer durchzuhalten. Irgendwann gehen einem dafür die Batterien aus. Wir brauchen dazwischen Ermutigungen, dass dieser Einsatz für andere nicht sinnlos ist. Wir brauchen den Zuspruch, dass Gott es gut mit uns meint und uns liebt. Wir brauchen die Erinnerung an all das, was Gott schon Gutes getan hat für uns.

Oft genug fordert die Bewältigung des Alltags mit all dem, was auf uns einstürzt so viel von uns, dass da nicht mehr viel Kräfte sind, die wir für andere einsetzen können. So manches Elend und Leid können wir auch gar nicht beseitigen, sondern es ist einfach auszuhalten. Auch das kostet Kraft, Seelenkraft. Und woher sollen wir die nehmen?

Der Gottesdienst als Quelle für Resilienz

Ihr werdet staunen, was so ein normaler Gottesdienst alles an stärkenden Elementen enthält, die unsere innere Kraft stärken und uns fit machen für die Bewältigung des Alltags. Ich habe selbst gestaunt, als ich das bei einem Vortrag zum Thema „Resilienz“ gehört habe. Resilienz, das ist gerade ein Modewort und wird auch wissenschaftlich untersucht. Es geht um das, was uns hilft, Krisensituationen gut zu bewältigen, sei das so eine Krise wie es die Pandemie ist oder ein Krieg, aber auch der Verlust eines geliebten Menschen oder eine Situation von schwerer Krankheit. Was hilft uns dann?

Zum Beispiel das Beten eines Psalms, wo uns Worte zur Verfügung gestellt werden, die wir selbst nicht haben, um unsere Situation zu beschreiben. Das Hören auf biblische Geschichten, wo all diese Lebenssituationen schon erzählt werden, die uns im Moment fremd und unangenehm vorkommen. Das Singen von Liedern, wo so manches Leid benannt wird, aber auch an Gottes Möglichkeiten erinnert wird, wie er etwas bewirkt, das uns gut tut. Das Feiern des Abendmahls, wo wir Gottes Zuspruch und Nähe schmecken können. Die Erinnerung daran, wofür wir alles dankbar sein können, sodass aus dem Dank ein Tank wird, aus dem wir schöpfen können. Ja, schon allein der Raum, in dem wir feiern und der genau dazu da ist, um anders zu sein als das, was wir im Alltag in Räumen betreten, hat eine Wirkung auf uns und verändert dadurch unsere Wahrnehmung.

Ja, dazu brauchen wir den Gottesdienst und die Gnadenmittel, die John Wesley erwähnt hat. Der Gottesdienst ist die Abgabestelle für Frustration und Leid, aber auch die Möglichkeit unsere Dankbarkeit zu äußern. Und der Gottesdienst ist die Tankstelle für Trost, Hoffnung und Ermutigung.

Der Gottesdienst ist nicht um Gottes willen da, sondern um der Menschen willen. Er ist ein Geschenk an uns, das unseren Alltag unterbricht und uns daran erinnert, dass uns das Leben geschenkt ist und dass wir darum dieses Leben feiern sollen und den, der es uns geschenkt hat. Und nachdem ich heute so viel Werbung in eigener Sache gemacht habe, kann ich zum Schluss nur sagen: Kommt und seht und feiert mit! Amen.

 

Den zum Schluss erwähnten Vortrag kann man nachhören:

Univ.-Prof. Cornelia Richter, gehalten am 3. August 2022 in Bad Goisern

"Hilft der Glaube oder hilft er nicht? Was uns existentielle Krisen bewältigen lässt"

Der eigentliche Vortrag beginnt bei 2:35.

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