Der Traum vom Fei­gen­baum

Glaubensimpuls

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Charlotte Schwarz

Laienpredigerin


Eine Predigt zu Lukas 13,1-9  über Schuld, Strafe, Sünde, Träume, Gnade und Hoffnung

Ich möchte meine Predigt mit einer Begebenheit aus meiner Kindheit beginnen:

Ich bin die Älteste von fünf Geschwistern. Als ich so ungefähr fünfzehn Jahre alt war, machten wir eines Sonntags einen Familienausflug. In einem schönen Wald machten wir eine Rast um zu jausnen, für uns Kinder war es herrlich, hier zu spielen. Besonders viel Spaß machte es uns, auf einen Felsen zu klettern und hinunter zu springen! Nach einiger Zeit sagte mein Vater: „So, Schluss, jetzt wird nicht mehr hinunter gesprungen! Wir müssen weiter gehen.“ Wir gehorchten (natürlich!), alle bis auf meine zweitälteste Schwester. Sie „musste“ noch einmal hinauf und sprang runter vom Felsen … und das war ihr Verhängnis! Mit einem Schrei blieb sie liegen. Mein Vater hatte dann das „Vergnügen“, die 14-jährige auf dem Rücken zum Auto zu tragen, welches doch ein paar Kilometer entfernt war. Diagnose im Krankenhaus: Beinbruch! Einige Wochen Gips, und, wie es damals üblich war, Bettruhe.

Wir besaßen damals ein Tonbandgerät, auf dessen Band sie ihr Erlebnis erzählte. Diese Aufnahme kann ich heute noch nachhören.

Für sie war klar: Weil sie dem Papa ungehorsam war, wurde sie bestraft mit dem gebrochenen Bein! Diese Meinung vertritt sie auch heute noch. Klar, hätte sie gehorcht, hätte sie sich kein Bein gebrochen, folglich, Ungehorsam wird bestraft! Das hat auch ihr Gottesbild geprägt: Denn natürlich hat nicht der Papa ihr den Beinbruch zugefügt, es war die Strafe Gottes für ihren Ungehorsam!

Das war das Erlebnis eines Kindes, ein sehr prägendes Erlebnis: Daraus resultierte die Vorstellung, dass Gott uns bestraft, wenn wir ungehorsam sind, oder böse! Nicht immer sofort, aber auf jeden Fall!

Daran wurde ich erinnert, als ich das heutige Evangelium las. 

Wäre es doch so leicht, wie es sich meine Schwester damals vorgestellt hat: Auf die böse Tat, auf den Ungehorsam folgt die Strafe Gottes! Wenn Gott alle Bösen dieser Welt gleich bestrafen würde … Dann wäre unsere Welt eine bessere … oder?? 

Die Frage, warum greift Gott bei Ungerechtigkeit und Verbrechen nicht ein? Warum bestraft Gott die Bösen, die Ungehorsamen nicht? Diese Frage ist alt. Wir finden sie immer wieder auch in der Bibel: Hören wir dazu auf ein paar Verse aus Psalm 73 – Die Frage des Psalmisten kommt uns doch sehr aktuell vor. Er fragt sich, warum es den Gottlosen so gut geht – und den Frommen nicht!  Da heißt es u.a.:
"… fast wäre ich über meine eigenen Füße gestrauchelt, 
weil ich über die Gottlosen so verbittert wurde.
Weil ich sah, wie gut es den Gottlosen ging.
Für sie gibt’s kein Leid und keine Qual;
die sind gesund und wohl bei Kräften!
Sie haben keine Mühsal wie sonst die Leute …
Siehe, das sind die Gottlosen: die sind glücklich, werden reich und mächtig …"

Ja, das ist eine Frage, die auch uns beschäftigt, so, wie sie die Leute verunsichert hat, die zu Jesus gekommen sind mit ihrem Bericht von der Ermordung der Galiläer. 

Die ganze Menschheitsgeschichte zeugt davon, wie Millionen Menschen unschuldig zu Tode kommen, und ihre Mörder leben unbestraft weiter!

Wir brauchen gar nicht lange nachdenken – täglich wird uns in den Medien ununterbrochen vom Kriegsgeschehen in der Ukraine berichtet, und ich gestehe, dass mir da auch schon recht unchristliche Gedanken gekommen sind, wenn ich an den Urheber dieses Verbrechens denke. Wenn wir dabei nicht vergessen, die unzähligen anderen Kriegsgeschehen auf der Welt, die Zerstörung unserer Umwelt aus Profitgier, der entsetzliche Menschenhandel … ich höre hier auf, die Liste wird zu lang.

Um es gleich vorweg zu sagen: Ich habe keine Antwort auf diese brennende Frage, warum die „Gottlosen“ leben, wie der Psalmist sie nennt. Die Mörder, würden wir sagen angesichts von Kriegen, warum leben die fröhlich (?) weiter, während so viele Unschuldige umkommen? Warum greift Gott nicht ein? Warum bestraft er diese Verbrecher nicht? Wie oft höre ich gerade in dieser Zeit diese Fragen von meinen Mitmenschen. 

Nein, auf dieses „Warum“ habe ich keine Antwort. In aller Demut müssen wir einfach annehmen, dass es Gott allein zusteht, über diese Welt und uns Menschen zu richten.

Auch Jesus hat den Leuten, die ihm die Geschichte der ermordeten Galiläer erzählt haben, keine Antwort auf das im Raum stehende „Warum“ gegeben. Vielleicht beschäftigte sie auch die Frage: Warum lebt dieser Pilatus nach so einem Mord ganz ungeniert weiter? Warum greift da Gott nicht strafend ein? 

Oder – waren sie ganz einfach neugierig, was nun Jesus dazu sagen würde!? 

Wie so oft fasziniert mich, wie Jesus reagiert: Er geht gar nicht auf die Geschichte selber ein. Er stimmt nicht ein in die Entrüstung über diesen Mord. 

Das hat mich zum Nachdenken gebracht: Wie verhalte ich mich, wenn mir z.B. das Neueste aus unserer Siedlung erzählt wird? Wird da meine Neugier geweckt? Wie reagiere ich darauf? 

Da ist mir eine Lehre eines jüdischen Rabbi in den Sinn gekommen, die für uns auch ganz hilfreich sein kann: "Als einer seiner Schüler aufgeregt zu ihm, dem Rabbi, kam, um über einen anderen etwas zu berichten, unterbrach ihn der Lehrer und fragte: 'Ist das, was du sagen willst, auch wichtig?' Als dies bejaht wurde, fragte er: 'Ist das, was du sagen willst, auch wahr?' Nach der Auskunft, dass es dem Schüler glaubhaft erzählt worden sei, fragte der Lehrer nochmals: 'Ist das, was du sagen willst, auch gut?' Daraufhin schwieg der Schüler und ging davon. Wenn wir unsere Rede doch auch durch diese drei Siebe gehen lassen würden, wichtig, wahr und gut, wir würden viel weniger über den anderen reden, sondern vielmehr mit ihm."

Kommen wir zu Jesus zurück:

Wie gesagt, er lässt sich gar nicht auf die Geschichte mit den Galiläern ein, sondern gibt eine Antwort, die zuerst verwirren mag: „Meint ihr, diese Männer hatten größere Schuld auf sich geladen als alle anderen in Galiläa, weil das mit ihnen geschehen ist, alle anderen aber nicht? Und das wäre der Grund, warum sie einen so schrecklichen Tod erlitten haben?“ Nein, sagt Jesus: Nein!  "Im Gegenteil: Wenn ihr euer Leben nicht ändert, werdet ihr alle genauso umkommen."

Und das gleiche sagt er von denen, die vom Turm von Schiloach erschlagen wurden: „...meint ihr, sie hatten größere Schuld auf sich geladen als alle anderen Bewohner von Jerusalem? Bestimmt nicht. Ihr werdet alle genauso umkommen, wenn ihr euer Leben nicht ändert.“ 

Man könnte einwenden, dass die einen vorsätzlich umgebracht worden seien, dazu noch bei einer heiligen Handlung, den anderen aber seien zufälligerweise Ziegel auf den Kopf gefallen.

Auch das spielt für Jesus keine Rolle.

Also kann es sich hier nicht um Bestrafung irgendeiner Schuld der Galiläer handeln, oder warum Pilatus nicht von Gott bestraft wurde für sein Verbrechen. Und doch redet hier Jesus von Sündern und von Schuld. 

Wie ist das nun zu verstehen? Das kann nur eines heißen: Vor Gott sind wir alle schuldig! Wir sind alle Sünder, nicht weniger als alle anderen Menschen. 

Es bedeutet ganz einfach, dass wir nicht dem Menschen entsprechen können, den sich Gott für uns erdacht hat. Wir sind weder vollkommen, noch sind wir heilig oder fehlerlos! Wir können vor Gott ganz einfach nicht bestehen!

All unser Bemühen bleibt nur Stückwerk.

Jesus will uns sagen, dass wir keinen Anlass haben, uns besser zu fühlen als andere. Und das fällt uns wohl sehr schwer! Ich kann mich doch nicht mit einem Putin oder sonst einem Verbrecher auf dieselbe Stufe stellen, da ist doch ein himmelschreiender Unterschied!

Ja, ganz gewiss! Aber wenn ich vor Gott stehe, vergleicht er mich nicht mit x oder y! Vor ihm bin ich der oder die, die ich bin! Ich bin da ganz einfach die Charlotte. Da brauche ich auch keine Ausrede: „Ich bin doch nicht so schlecht wie … oder so gottlos wie …“ Gott kennt mich besser als ich mich selber sehe. Am Schluss dieses Textes droht Jesus ganz klar: „Ihr werdet genauso umkommen! “ Hoffnungslos wäre es, wenn Jesus nur das eine gesagt hätte: „Ihr werdet alle genauso umkommen …"

Doch so ist es nicht! Er sagt weiter: „… wenn ihr euer Leben nicht ändert (Basis Bibel). „… wenn ihr euch nicht bekehrt“ (so die Einheitsübersetzung). Luther übersetzt: „Wenn ihr nicht Buße tut!“. Damit meint Jesus gewiss nicht, dass wir von herabfallendem Gestein erschlagen oder gar umgebracht werden. 

Jesus sagt dieses wichtige, entscheidende Wort der Chance: WENN!! Die Chance noch einmal umzukehren! Wir kennen das: Manchmal weicht man nur einen Schritt zur Seite, und schon stimmt die Richtung nicht mehr – ganz schlimm ist das beim Autofahren! Kurskorrektur ist angesagt! Auch im geistlichen Leben, im Glauben, im Vertrauen in Gott, in der Nächstenliebe, in unserem Tun … die Richtung gibt uns Jesus an.

Wie lange währt diese Chance? Wie oft ist das möglich?

Jesus hat nach dieser Drohung noch das Gleichnis vom Feigenbaum erzählt, der schon drei Jahre lang keine Frucht mehr gebracht hat. Er sollte umgehauen werden, weil er nutzlos war. 

Doch da ist dieser Gärtner, der den Feigenbaum nicht aufgeben will! „ICH will ihn nicht umhauen – ich will ihm noch einmal frische Erde geben, ihn düngen, mich um ihn kümmern … und wenn er dann noch keine Früchte bringt, ja, dann hau DU ihn um … nicht ich!“

So sehr glaubt der Gärtner daran, dass der Feigenbaum doch noch Früchte tragen wird. Ist dieser Gärtner ein Illusionist? Ein Träumer? 

Wenn wir den Gärtner mit Jesus gleichsetzen wollen (was durchaus legitim ist), dann frag ich mich: Ist Jesus eigentlich auch so ein Träumer? Hat er immer diesen Traum vor Augen gehabt: „Ich will die Menschen lieben, ich lebe ihnen die Liebe des Vaters vor, ich heile sie, ich habe Mitleid und Barmherzigkeit für sie, ich gebe mein Leben für sie hin, dann, ja dann werden sie sich zum Vater hinwenden, sich zu ihm bekehren!“ Zeit seines Lebens hat er so gelebt. Und offensichtlich ist er bis heute so, seine Liebe zu uns ist unwandelbar! So wie Martin Luther King sagte: „I have a dream …!“ Anders kann ich diese Langmut nicht verstehen. Denn oft frage ich mich: „Wie lange schaust du noch zu, Herr?“ Auch darauf habe ich keine Antwort.

Ich weiß nur, diese ganze Geschichte, die wir jetzt gehört haben, die geht mich persönlich an. Ich muss immer wieder selber eine Kurskorrektur vornehmen. Nicht aus Angst vor einer Strafe Gottes, davon spricht Jesus hier nicht – sondern weil so sich das Leben wirklich lohnt und ein erfülltes Leben ist! Weil ich es nicht nur weiß, sondern es erlebt habe und immer wieder erfahre, dass Gott mich liebt.

Entgegen allen Fragen und Zweifeln, gegen Hoffnungslosigkeit und Angst: Ich darf auch diesen Traum träumen, dass eines Tages die Feigenbäume dieser Welt Früchte tragen werden! 

Ja, ich kann mithelfen, diesen Traum zu verwirklichen! Der Traum, Menschen den Weg aus der falschen Sicherheit zu zeigen in die Freiheit der Kinder Gottes; Auswege aus der Angst und der Resignation in die Geborgenheit der Liebe Gottes; Versöhnung vorzuleben, weil Gott sich mit mir versöhnt hat; die Menschenfreundlichkeit Gottes Wirklichkeit werden lassen durch mein Leben – dies alles ist möglich, weil ein ganz besonderer Gärtner auch mich, seinen kleinen Feigenbaum, unermüdlich mit allem versorgt, damit auch ich Früchte tragen kann! 

Welch ein Vorrecht, welche Gnade und Freude, auch ein Teil von Jesu Traum zu sein!

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