Eine Ent­schei­dung ist gefragt

Glaubensimpuls

Bild von Esther Handschin
Esther Handschin

Pastorin, Erwachsenenbildung


Eine Erzählpredigt zu Lukas 5,1-11

Da sitzt er nun, Simon, zusammen mit seinem Bruder Andreas und mit den Nachbarn Johannes und Jakobus. Sie sind alle Fischer und reinigen ihre Netze. Eine mühsame Arbeit. Dauernd verheddert man sich in den Schnüren. Und es ist besonders frustrierend, wenn man in der Nacht zuvor damit nichts gefangen hat. Die Finger arbeiten und im Kopf drehen die Gedanken. Sie drehen sich im Kreis: Was wird sein, wenn ich wieder nichts fange in der kommenden Nacht? Keine Fische, das bedeutet nichts zu Essen, weder für mich selbst noch für meine Familie. Keine Fische, das bedeutet nichts zu verkaufen, weder im eigenen Dorf noch in der nächst gelegenen Stadt.

Wenn das so weiter geht, dann muss sich Simon eine neue Arbeit suchen, um sich und seine Familie über die Runden zu bringen. Aber was kann ich schon tun? denkt er. Ich habe ja nichts anderes gelernt als nur das Fischen. Das haben schon mein Vater und mein Großvater getan. Vielleicht sollte ich mein Glück in Caesarea versuchen. Dort wird viel gebaut. Einen starken Mann wie mich können sie sicher brauchen. Aber dann müsste ich meine Familie verlassen, meine Frau, meine Kinder, meine Schwiegermutter. Das geht auch nicht. Also bleibt doch nur das eine. Auch in der nächsten Nacht wieder hinausfahren auf den See. Vielleicht findet sich ja dann ein Fisch, der ins Netz geht.

Jesus erzählt von Gottes Reich

Menschen haben sich am Ufer des Sees von Gennesaret gesammelt, wo die Männer ihre Netze reinigen. Viele Menschen sind es. Sie wollen hören, was Jesus zu sagen hat. Beinahe stoßen sie ihn dabei in den See. Darum bittet er Simon, dass er ihn mit einem der Boote etwas hinaus auf den See fährt. So kann Jesus zu den Menschen sprechen und bekommt keine nassen Füße. Über das Wasser trägt seine Stimme weit. Die Menschen können ihn gut hören. Auch Simon hört zu, zwangsläufig. Er sitzt mit Jesus in einem Boot. So kann er die Menschen am Ufer beobachten. Sie sind sehr aufmerksam, als hätten sie einen großen Hunger nach dem, was ihnen Jesus zu sagen hat. Er erzählt von Gott. Dass er die Menschen lieb hat. Dass er den Menschen nahe sein will. Dass sie keine Angst haben müssen vor Gott. Dass Gott wie ein guter Hirte für sie ist. Er wird sie leiten und für sie sorgen. Gott ist ein gerechter Gott, sagt Jesus. Gerade diejenigen Menschen sollen sich glücklich fühlen, die von anderen Menschen verachtet werden. Bei Gott haben sie ein Ansehen. Bei Gott sollen die Menschen Ruhe finden. Eine solche Botschaft tut den Menschen gut.

Simon kann das verstehen. Erst vor kurzem hat auch er Hilfe gebraucht. Nicht für sich selbst, aber für seine Schwiegermutter. Sie hatte hohes Fieber. Simon und seine Frau wussten nicht mehr, was sie noch tun könnten. Der Tee, den sie gekocht haben, die Umschläge, die sie gemacht haben, die Wickel, die sie angelegt haben: Nichts hat geholfen. Das Fieber wollte nicht zurückgehen. Jesus muss davon gehört haben. Er kam nach dem Gebet in der Synagoge zu ihnen in ihr Haus. Er hat mit der Schwiegermutter gesprochen. Auf einmal ist das Fieber gewichen und sie konnte wieder aufstehen. Das hat sich herumgesprochen. Auch andere Menschen, die Schmerzen hatten, denen etwas weh tat, die Sorgen hatten: Sie kamen alle zu Jesus oder wurden zu ihm gebracht. Und er hat sie geheilt. Ob Simons Sorgen um seine Zukunft sich auch heilen lassen, fragt er sich.

Der erste Auftrag

Jesus hat aufgehört von Gott zu erzählen. Nun bringt ihn Simon wieder zurück ans Ufer. Eigentlich will er nach Hause gehen, mit leeren Händen, ohne Fische. Er hat ja nichts gefangen. Da sagt Jesus zu ihm: „Fahre hinaus. Da, wo das Wasser tief ist. Weiter als wir gerade waren. Werft dort die Netze aus.“ Simon protestiert. Jesus scheint nichts vom Fischfang zu verstehen. Typisch, er ist ja der Sohn eines Zimmermanns, kein Fischer. Dann wüsste er, dass man tagsüber keine Fische fängt. Dann sind sie weit unten im See. So tief, dass sie nicht ins Netz gehen. Darum sagt Simon: „Meister, wir haben die ganze letzte Nacht hart gearbeitet und nichts gefangen.“ Dann überlegt er es sich noch einmal und fügt hinzu: „Aber weil du es sagst, will ich die Netze auswerfen.“ Hat Jesus ihm und seiner Familie nicht schon einmal geholfen? Wer weiß, vielleicht tut er es wieder. Ich will ihm vertrauen, denkt sich Simon. Ich will es probieren, auch wenn ich meine Zweifel habe, dass es funktionieren kann.

Überwältigt von Gottes Güte

So fahren sie noch einmal hinaus auf den See, Simon und Andreas, Johannes und Jakobus. Weit draußen auf dem See werfen sie ihre Netze aus. So wie sie es in der Nacht auch schon getan haben. Nach einiger Zeit können sie nur staunen. Die Netze sind schwer. Sie reißen fast. Sie müssen einander helfen, damit sie alle Fische in die Boote bringen. Es sind so viele Fische, dass die Boote vom Gewicht sehr tief im Wasser liegen. Ob sie auch alle heil ans Ufer kommen?

Auf dem Rückweg drehen sich die Gedanken wieder im Kopf von Simon. Er sorgt sich nicht darum, was seine Familie heute Abend essen wird. Er zweifelt nicht daran, dass sie auch die nächsten Tage noch genug haben werden und einen großen Teil der Fische verkaufen können. Die Gedanken von Simon drehen sich um ihn selbst. Warum hat er gezweifelt und sich gedacht, dass Jesus ihm nicht helfen kann? Warum hat er nicht geglaubt, dass Gott für ihn sorgen wird, so wie es Jesus erzählt hat? Simon schämt sich dafür, dass er es besser wissen wollte als Jesus. Er tut sich schwer, anderen zu vertrauen, den Menschen ebenso wie Gott.

Sie kommen zurück ans Ufer. Jesus steht noch immer da. Simon kann nicht anders. Er muss Jesus seine Gedanken mitteilen. Es tut ihm leid, dass es ihm schwer fällt zu vertrauen. So kniet er sich vor Jesus hin. Simon will ihm zeigen, dass er Recht hat. Er sagt: „Ich will dir nicht zu nahe kommen. Geh fort von mir. Ich bin ein Mensch voller Schuld. Ich habe an dir gezweifelt. Ich habe dir nicht vertraut, dass du es gut mit mir meinst.“ Auch den anderen, die mit Simon auf dem See waren, geht es ähnlich. Sie sind überwältigt, dass sie mit dem großen Fischfang so viel Gutes erfahren haben, obwohl sie nicht überzeugt waren, dass sie überhaupt noch etwas fangen werden. Jetzt müssen sie es sich eingestehen: Ein so großer und gewaltiger Fang, das hat Gott getan. Das war nicht ihre eigene Kunst und ihr eigenes Können. Sie müssen anerkennen, dass sie nur Menschen sind und nicht an Gott herankommen.

Der zweite Auftrag

Es ist Jesus, der die Spannung löst, die in der Luft liegt. Er geht auf die Männer zu und sagt zu ihnen: „Habt keine Angst! Ich habe eine neue Aufgabe für euch. Von jetzt an werdet ihr Menschenfischer sein!“ Was für eine eigenartige Aufgabe, denken sie sich: Menschenfischer sollen wir sein! Wir sollen dafür sorgen, dass Menschen zu Gott finden. Doch die Entscheidung fällt: Wir wollen mit Jesus mitgehen. Wir wollen von ihm lernen. Wir wollen auch andere Menschen von seiner Güte erzählen lassen und sie erfahren lassen, dass Gott es gut mit den Menschen meint. Er ist ihnen nahe und wohl gesonnen.

Wie kommt es, dass Menschen Jesus nachfolgen? 

Mich bewegt die Frage: Wie kommen Menschen dazu, Jesus nachzufolgen? Am Anfang von Simons Weg mit Jesus steht ein beruflicher Misserfolg. Das führt zu weiteren Problemen und Fragen. Die eigene Existenz steht auf dem Spiel. Das Überleben der Familie ist nicht gesichert. Wenn das Leben so in Frage gestellt wird, wenn eine große Verunsicherung erfolgt, dann machen sich Menschen auf die Suche. Sie halten Ausschau danach, wie sie ihr Leben von Grund auf auf eine neue Basis stellen können.

Die Szene am See Gennesaret ist – nach der Abfolge des Lukasevangeliums – jedoch nicht die erste Begegnung, die Simon mit Jesus hat. Davor heilt Jesus die Schwiegermutter von Simon. Dadurch begegnet dieser ein erstes Mal Gottes Güte. Und er hat weitere Möglichkeiten zu erfahren, wie Jesus sein Handeln und seine Botschaft miteinander verbindet. Viele andere Menschen werden von Jesus geheilt. Und Jesus erzählt ihnen von Gott und seinem Reich. In diesem Reich läuft so manches anders als sonst im Alltag und in der Gesellschaft. Arme und Ausgegrenzte erfahren Achtung und ihre Anliegen werden respektiert. Traurige werden getröstet. Kranke erfahren Heilung. Es leuchtet eine neue Hoffnung in den Augen derer, die am Rand stehen und es schwer haben. Menschen brauchen solche Erfahrungen, wo sie Gottes Nähe und Zuwendung erleben können.

Das Vertrauen wächst 

Die direkte Begegnung und das Gespräch, das Simon mit Jesus hat, gleicht jedoch zunächst weniger einer Zuwendung als einer Verhöhnung seiner Situation. Wie soll ein gelernter Zimmermann schon wissen, wann die Fische ins Netz gehen? Dennoch hat Simon Vertrauen gefasst. Auf das Wort von Jesus hin, will er es probieren. Er fährt noch einmal bei hellem Tageslicht auf den See hinaus. Vielleicht geschieht es auch nach dem Motto: „Nützt es nichts, so schadet es wenigstens nicht.“

Mit vollen Netzen hat er nicht gerechnet. Und dass er dabei die Hilfe der anderen Fischer braucht, um den ganzen Fang in die Boote zu bringen auch nicht. Simon begegnet auf überraschende Weise der Güte Gottes. Sein Problem, wie er sich selbst und seine Familie durchbringen kann, ist nun gelöst. Wenn es jetzt immer so weiterginge mit den vollen Netzen, dann hätte er ausgesorgt.

Gottes Güte macht nachdenklich

Doch gerade da kommt Simon ins Nachdenken. Wer so wie er mit Gottes Güte, der Fülle des Lebens und Gottes Liebe konfrontiert wird, der entdeckt dabei seine eigene Unzulänglichkeit und Schuld. Simon hat Jesus nicht vertraut. Er meinte es besser zu wissen. Er war nicht bereit sich überraschen zu lassen. Dafür schämt er sich. Wer so vom Licht der Gnade Gottes angestrahlt wird, sieht seine eigenen Schatten viel deutlicher. Es kann erschreckend sein, wenn man der Dunkelheit im eigenen Leben begegnet. In diesen Spiegel schauen wir nicht gerne.

Doch Jesus wendet sich gerade jetzt nicht von Simon ab. Er stößt ihn nicht weg und lässt ihn im eigenen Dunkel zurück. Er streckt seine Hand aus, indem er ihm zuspricht: „Hab keine Angst!“ Er weiß eine neue Aufgabe für ihn. Er gibt ihm den Auftrag ein Menschenfischer zu werden. Damit gibt Jesus Simon eine neue Identität. Er wird gerufen mit Jesus mitzugehen, mit ihm zu lernen und mit ihm zu arbeiten, Seite an Seite.

Die Wege, wie Menschen mit Jesus gehen, sind verschieden. Für manche braucht es das Scheitern am eigenen Leben und den Misserfolg. So machen sie sich auf die Suche nach einer Alternative. Für andere ist es die Konfrontation mit den eigenen Schatten durch Gottes Licht der Gnade. Sie wollen das Dunkle in ihrem Leben hinter sich lassen. Für wieder andere ist es wichtig, Vertrauen zu lernen und auf den See hinaus zu fahren, auch wenn es sinnlos zu sein scheint. Sie brauchen einen Auftrag und eine Aufgabe.

Eine Entscheidung ist gefragt

Wichtig scheint es mir zu sein, dass sie bereit sind eine Entscheidung zu treffen. Sie gehen nicht mehr in das alte Leben zurück. Sie folgen Jesus nach, auch wenn sie noch nicht wissen, wie das geht: Menschenfischen. Auch wenn sie keine Ahnung haben, was mit ihren Familien sein wird. Auch wenn noch manche Zweifel und Verunsicherungen kommen, so wie bei Simon, der später den Namen Petrus tragen wird. Auf dem neuen Weg werden sie weitere Erfahrungen mit Jesus machen, so wie Petrus: trotz mangelndem Vertrauen auf dem Wasser zu gehen; trotz der Verleugnung: „Ich kenne Jesus nicht“; trotz der Flucht vor der Hinrichtung von Jesus. Petrus hat immer wieder erfahren, dass Jesus an ihm festgehalten hat. Er hat ihm die Hand gereicht. Er hat ihn vor dem Untergang bewahrt. Er hat ihn wieder in seinen Dienst genommen. Denn Jesus wollte, dass er ein Menschenfischer wird. 

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