Gott Abrahams sei Preis
Glaubensimpuls
Pastorin, Erwachsenenbildung
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Das Lied „Gott Abrahams sei Preis“ führt uns mit seiner Entstehungsgeschichte gut 850 Jahre zurück zu den christlich-jüdischen Verbindungen des Abendlandes und auf eine Reise mit elf Stationen quer durch Europa, in die Karibik, nach Amerika und wieder zurück.
Erste Station: der Ausgangspunkt bei Moses Maimonides
An der ersten Station dieser Reise finden wir den jüdischen Philosophen, Rechtsgelehrten und Arzt Moses Maimonides. Er wurde zwischen 1135 und 1138 in Córdoba, Andalusien geboren und verstarb im Jahr 1204 in Kairo. In der jüdischen Tradition trägt er auch den Namen RaMBaM, als Abkürzung für Rabbi Mosche Ben Maimon, also Rabbi Moses, Sohn des Maimon.
Als die Almohaden 1148 die herrschenden Almoraviden in Andalusien ablösten verschärfte sich das politisch-religiöse Klima zwischen Muslimen, Christen und Juden noch mehr und die Familie von Maimonides war gezwungen auszuwandern. Sie blieben zunächst im westlichen Mittelmeerraum im heutigen nördlichen Spanien und dann in Marokko, zogen aber ab 1165 in den östlichen Mittelmeerraum, zunächst nach Jerusalem, dann Alexandria und schließlich nach Kairo.
Maimonides war erst Gelehrter ohne weitere Verpflichtungen. Nach dem Tod seines Bruders verdiente er für sich und seine Familie als Arzt des Sultans und vieler anderer Kranker seinen Lebensunterhalt.
In seinem Kommentar zur Mischna, das sind Erläuterungen zur Tora, fasste er mit den 13 Glaubenssätzen (Iqqarim) die wichtigsten Aussagen des jüdischen Glaubens zusammen. Vermutlich war das eine Reaktion auf christliche und muslimische Glaubensgrundsätze, mit denen das Judentum konfrontiert war. Warum sollten nicht auch die Juden solche Grundsätze haben? Insbesondere der letzte Glaubensgrundsatz zur Auferstehung blieb aber lange Zeit umstritten. Außerdem stellte sich die grundlegende Frage, ob man die wichtigsten Ansichten des Judentums überhaupt in Dogmen fassen könne, so wie das im Christentum und im Islam der Fall war.
Die Glaubensgrundsätze des Maimonides beschreiben das Wesen und Dasein Gottes: seine Einheit, Unkörperlichkeit, seine Ewigkeit und Allwissenheit. Sie gehen auf die Pflicht des Menschen ein, Gott anzubeten. Sie benennen die Prophetie als wichtiges Element des jüdischen Glaubens und zeichnen Moses als den höchsten Propheten aus. Sie beschreiben die Tora und ihre Unveränderlichkeit. Sie erläutern Lohn und Strafe für das Verhalten der Menschen, erinnern an das Kommen des Messias und die Auferstehung der Toten.
Zweite Station: die Glaubenssätze werden ein geistliches Gedicht
Bei der nächsten Station wurden diese Glaubensgrundsätze um 1300 (oder doch erst 1400?) in eine poetisch-metrische Form gebracht. Solche in der jüdischen Gebetsliturgie verwendeten Gedichte werden „Piyyutim“ genannt. Es ist umstritten, ob die 13 Glaubensgrundsätze des Maimonides durch Immanuel ben-Schlomo ha-Romi (um 1261 bis um 1335) oder durch Daniel ben Jehuda Dajan (um 1300) in Reimform gebracht wurden oder ob der eine die Arbeiten des anderen aufgenommen und verfeinert hat. Beiden ist jedoch gemeinsam, dass sie aus Rom stammten oder dort wirkten.
Der Text beginnt mit den Worten „Yigdal Elohim Chai“ (Groß ist der lebendige Gott) und wird auch kurz „Yigdal“ genannt. Er gehört sowohl zur Gebetstradition der sephardischen wie auch der aschkenasischen Tradition des Judentums. Eine Ausnahme bildet das kabbalistische Judentum, in dessen „Siddurim“ (Gebetbücher) „Yigdal“ nicht zu finden ist, da der Text nach Ansicht von Isaak Luria (1534-1572), dem Begründer der Kabbala, nicht alt und ehrwürdig genug ist.
Den Reiseweg bis hierher erklärt uns nun Eli noch einmal auf Englisch. Er wird etwas zur Melodie der aschkenasischen Tradition sagen, um sie zum Schluss auch zu singen.
Die Reise geht nun auf unterschiedlichen Wegen weiter, denn das sephardische und aschkenasische Judentum bildeten zu „Yigdal“ unterschiedliche Melodien und liturgische Traditionen aus. Aschkenasische Juden singen „Yigdal“ beim Morgengebet, sephardische beim Abendgebet und/oder am Abend des Schabbath und an bestimmten Feiertagen mit unterschiedlichen Melodien.
Die eine Abzweigung: sephardische Tradition
Wir folgen zunächst dem Strang des sephardischen Judentums. Dabei handelt es sich um die Juden der iberischen Halbinsel, die ab dem 11. Jahrhundert in verschiedenen Wellen von dort vertrieben wurden. Sie ließen sich teils im östlichen Mittelmeerraum nieder wie z.B. Moses Maimonides, oder im Herrschaftsgebiet des Osmanischen Reiches oder im nördlichen Afrika. So gibt es bis heute auf dem Gebiet des Balkan sephardische jüdische Gemeinden, in denen Ladino, eine spanisch-hebräische Mischsprache, gesprochen wird. Seit 1492, der endgültigen Vertreibung der Juden von der iberischen Halbinsel, gibt es auch in nördlichen Handelsstädten wie Amsterdam, London oder Hamburg sephardische Gemeinden. Im sephardischen Judentum wird den 13 Glaubenssätzen noch ein abschließender vierzehnter Satz hinzugefügt, der benennt, dass dies die 13 Glaubenssätze seien.
Hier eine unisono gesungene Version in hebräischer Sprache und mit spanischer Übersetzung.
Die sephardische Musiktradition hat über die Jahrhunderte verschiedene musikalische Elemente und Instrumente ihres Umfeldes übernommen. Dies ist gut zu hören in der Version von „Yigdal“ aus einem Konzert mit dem gebürtigen Algerier Enrico Macias (*1938).
Und hier noch eine historische Aufnahme von 1960 mit einer anderen Melodie, die in der Türkei aufgenommen wurde, gesungen vom Kantor Isak Maroço.
Die andere Abzweigung: aschkenasische Tradition
Wir folgen nun auf unserer Reise weiter entlang der Route der aschkenasischen Tradition des Judentums. Sie siedelten ab dem frühen Mittelalter im deutschen und französischen Raum und wanderten zunehmend in Richtung Osten. So gehört das osteuropäische Judentum der aschkenasischen Richtung an. Die gemeinsam verbindende Sprache ist das Jiddische. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts und mit der Shoah sind große Teile des aschkenasischen Judentums in die USA, nach Südafrika und Australien ausgewandert.
Hier die schon bei Eli gehörte Melodie mit den Portnoy Brothers und einer englischer Übersetzung des hebräischen Textes. Es sind jeweils zwei Glaubenssätze zu einer Strophe zusammengefasst.
Diese folgende Aufnahme weist auf eine Tradition des aschkenasischen Judentums hin, nämlich dass die Glaubenssätze jeweils im Wechsel zwischen Vorsänger und Gemeinde gesungen werden, hier ist der Gemeindeteil gekennzeichnet durch das Erklingen des Schellenkranzes.
Dritte Station: ein jüdischer Kantor als Opernsänger
Nun wird es Zeit für die nächste Station, die sich in London befindet. Dort war an der Großen Synagoge, die leider 1940 im Blitzkrieg durch deutsche Bomben zerstört wurde, ein gewisser Myer Lyon Kantor der jüdischen aschkenasischen Gemeinde. Sein Geburtsort und sein Geburtsjahr sind unsicher. Eine Vermutung besagt, dass er in Deutschland, vielleicht in Frankfurt am Main um das Jahr 1750 geboren wurde. Er könnte aber auch etwas älter und in London aufgewachsen sein. Auf jeden Fall war er gesegnet mit einer guten Stimme, die ein besonderes Timbre hatte. Der Adel wurde auf ihn aufmerksam und man bot ihm eine zweite Karriere als Opernsänger am Theater an.
An der Synagoge war man durchaus froh darüber, da man nun das Gehalt für den Kantor kürzen konnte. Allerdings musste das Opernpublikum am Covent Garden Theater jeden Freitagabend auf Aufführungen mit Michael Leoni – so nannte sich Myer Lyon am Theater – verzichten, da er für den Dienst am Vorabend des Schabbat in der Synagoge unabkömmlich war. Während Leoni Mitte der 1770er Jahre als Star für Privatkonzerte eingeladen wurde, begann sein Stern ab dem Ende der 1780er Jahre zu verblassen. Er versuchte dann sein Glück in Dublin. Als auch das scheiterte, wanderte er um das Jahr 1788 nach Jamaica aus, wo er der dortigen jüdischen Gemeinde bis zum seinem Tod 1797 als „Chazzan – Kantor“ diente und in der Hauptstadt Kingston beerdigt wurde.
Hier ein Teilstück aus der Ouverture zur Oper „Duenna“ von Thomas Linley (1756-1778, nach dem Libretto seines Schwagers Richard Brinsley Sheridan, 1751-1816), arrangiert für Geige und Bratsche. Dies war die Oper, die freitags nicht gespielt werden konnte, weil der Akteur Michael Leoni – Myer Lyon zu dieser Zeit in der Synagoge singen musste.
Vierte Station: das Lied entsteht
Zu den Bewunderern von Michael Leoni – Myer Lyon gehörte auch Thomas Olivers (1725-1799). Er stammte aus Wales und bekehrte sich anlässlich einer Predigt von George Whitefield (1714-1770), die er in Bristol gehört hatte. Er schloss sich in der Folge jedoch den methodistischen Gemeinschaften von John Wesley (1703-1791) an und wurde Reiseprediger, zunächst in Cornwall, später in ganz Großbritannien und ab 1757 auch in Irland.
Es war wohl einfacher und weniger anrüchig für einen bekehrten Christen, der Stimme des Sängers Leoni am Freitagabend in der Großen Synagoge zu lauschen als in einem der Londoner Theater. So hörte Olivers Myer Lyon „Yigdal“ singen. Im Jahr 1770 bat er ihn darum, die Melodie aufzuschreiben. Den Text hat Olivers vermutlich schon davor – zwischen 1763 und 1770 – in 13 Strophen unter dem Titel „The God of Abraham Praise“ verfasst. In der Überlieferung der Gesangbücher wurde das Lied dann nur noch mit 12 Strophen weiter tradiert.
Möglicherweise war es 1770 das erste Mal, dass die Melodie von „Yigdal“, die vermutlich aus dem 17. Jahrhundert stammt, aber vielleicht auch älter ist, nun mit Musiknoten aufgeschrieben wurde. Olivers gab der Melodie den Namen LEONI, benannt nach seinem Freund, dem Kantor Myer Lyon – Michael Leoni.
Hier die Melodie von „Yigdal“, wie sie in der christlichen Tradition überliefert wird.
Und zum Vergleich noch einmal die jüdisch-aschkenasische Fassung mit einigen Variationen.
Thomas Olivers hat aus den 13 jüdischen Glaubenssätzen ein christliches Lied gestaltet, indem er an einigen Stellen christliches Glaubensgut einfügte, jedoch die Bezugnahme auf Mose als dem größten Propheten wegließ.. Am Ende der dritten Strophe („And he shall save me to the end Through Jesu’s blood“) und in der fünften Strophe („with Jesus in my view“) wird Jesus explizit erwähnt. Die siebte Strophe erwähnt den „Prince of Peace“ aus Jesaja, den Olivers auf christlichem Hintergrund deutet. Sowohl die achte Strophe als auch die elfte Strophe nehmen Bilder aus dem Buch der Offenbarung auf. Und in der neunten und zwölften Strophen wird mit „the great Three-One“ und „Hail Father, Son and Holy Ghost“ auf die christliche Lehre der Trinität Bezug genommen.
Im Gesangbuch der Wesleyanischen Methodisten (britische Tradition), das 1878 für die Gemeinden in Deutschland erschienen ist und vermutlich auch in der methodistischen Gemeinde in Wien im Gebrauch war, findet sich eine Übersetzung ins Deutsche mit elf Strophen von einem gewissen F. Mürdter. Sie ist qualitativ schlecht, sodass man das Lied, das unter der Rubrik Lob- und Danklieder steht, wohl nur selten gesungen haben wird.
Eine Fassung mit mehr als sechs Strophen war bis jetzt nicht aufzufinden. Aber die Aufnahme des KNUST Ghamsu Choir beim Konzert, das von der methodistischen Studenten-Union in Ghana im Jahr 2019 veranstaltet wurde, ist auf jeden Fall hörenswert, allein schon wegen der Solostimmen und der Keyboarder.
Fünfte Station: die methodistischen Gesangbücher in Großbritannien
Thomas Olivers’ Lied erschien zunächst 1771 als Einzelblattdruck in Nottingham mit dem Titel „A Hymn to the God of Abraham“. John Wesley nahm es dann 1780 als Nummer 58 mit zwölf Strophen in die Ausgabe der „Sacred Harmony“ auf. Das ist das letzte von drei Gesangbüchern, die auch mit zwei- und dreistimmigen Notensätzen versehen sind. In diesen drei Liederbüchern mit Melodien aus den Jahren 1742 („Foundery Collection“), 1761 („Select Hymns“) und 1780 („Sacred Harmony“) ist jede Melodie mit einem Namen (Tune-Name) versehen, sodass man in den viel zahlreicheren Textausgaben jeweils nur diese Namen anzugeben brauchte und die Gemeinde jeweils wusste, nach welcher Melodie das Lied zu singen war. In den Liederbüchern des britischen Methodismus ist „The God of Abraham Praise“ durchgehend überliefert worden, teils mit 12 Strophen (1877 und 1933), wobei diese auf drei Teile zu 4, 5 und 3 Strophen aufgeteilt wurden, teils auch mit weniger Strophen wie im „The Primitive Methodist Hymnal“ von 1889. In „Hymns and Psalms“ von 1983 sind zwei Textfassungen abgedruckt. Diejenige unter der Nummer 56 („Praise to the living God!“) mit vier Strophen enthält keine christliche Anspielungen (siehe siebte Station); die andere unter Nr. 452 („The God of Abraham Praise“) mit den Strophen 1, 4, und 10-12 aus der 12-strophigen Fassung verweist am Schluss auf den dreieinen Gott. Das aktuelle Gesangbuch „Singing the Faith“ (2011) behält beide Fassungen unter den Nummern 87 und 91 bei.
Sechste Station: die methodistischen Gesangbücher in Amerika
Zu den Methodisten Amerikas gelangte das Lied wohl über das „Pocket Hymn Book“, wobei nicht ganz klar ist, um welche Ausgabe es sich handelt und von wem sie herausgegeben wurde. Robert Spence (†1824), ein Buchhändler aus York, der Verbindungen zu den Methodisten hatte, gab 1781 eine auf 174 Nummern verkürzte Fassung mit den beliebtesten Liedern aus John Wesleys großer Liedersammlung „A Collection of Hymns for the People Called Methodists“ von 1780 heraus, die insgesamt 525 Nummern enthielt und so etwas wie die in Liedern gefasste Dogmatik der Wesley-Brüder darstellte. 1783 setzte Spence dem noch eins drauf, indem er seiner Sammlung weitere 50 beliebte Lieder anderer Autoren als von John Wesley ausgesucht aus erwecklichen Kreisen hinzufügte und das Buch auf das Duodezformat verkleinerte. Um einen Schilling wurde es zu einem Verkaufsschlager wogegen die 1780 Collection von John Wesley zu einem Ladenhüter wurde, weil die Ausgabe um 4 Schilling für viele Methodisten unerschwinglich war. Robert Spence gehörte nicht zu den methodistischen Reisepredigern, die im Dienst John Wesleys standen. So konnte Wesley Spence nicht darauf verpflichten, keine eigenen Liederbücher herauszugeben und damit ein Geschäft zu machen.
Der Buchvertrieb war für John Wesley eine wichtige Einnahmequelle. Aus dem Erlös bezahlte er – vertraglich geregelt – seinem Bruder Charles Wesley (1707-1788) jährlich 100 Pfund, damit dieser mit seiner fünfköpfigen Familie davon leben konnte. John Wesley selbst benötigte jährlich nur 28 Pfund für sich selbst. Charles Wesley lieferte mit seinen über 6.500 Liedtexten quasi den „Rohstoff“ für das methodistische Geschäft mit Liederbüchern. Mit dem Erlös wurden nicht nur die Wesleys, sondern auch arme Prediger unterstützt. So waren es Prediger aus den eigenen Reihen, die Wesley auf den Verdienstentgang aufmerksam machten. Sie hatten bei ihren Hausbesuchen gesehen, dass sich die von Robert Spence herausgegeben Liederbücher unter den Methodisten großer Beliebtheit erfreuten.
Es blieb Wesley nichts anderes übrig, als selbst ein preisgünstiges „Taschengesangbuch“ herauszugeben, um damit Spence das Wasser abzugraben. Das Problem war, dass Wesley in der Auswahl der Lieder seiner theologischen Linie treu bleiben wollte und dabei nicht ganz den Geschmack der Leute traf. Sein erstes Pocket Hymn Book von 1785 wurde ein Flop, dasjenige von 1787, mit vollem Titel „Pocket Hymn Book for the use of Christians of all Denominations”, kam mit einer besseren Liedauswahl daher. Es enthielt als Nr. 207 das Lied von Thomas Olivers mit den ersten vier Strophen und gesungen nach der Melodie LEONI. Wesley hatte es für die Ausgabe von 1787 aus der Sammlung von Spence übernommen, während er es im Pocket Hymn Book von 1785 noch mit 10 der 12 Strophen abgedruckt hatte. Die Methodisten in Amerika hatten sich im Jahr 1784 mit der sogenannten „Weihnachtskonferenz“ von Baltimore selbst konstituiert und wurden somit von John Wesley unabhängig – auch was den Buchverkauf betraf. Sie druckten 1786 zunächst das „Pocket Hymn Book“ von Spence nach, ersetzten aber einige Lieder durch solche aus Wesleys anderen Liederbüchern. In den folgenden Jahren gab es eine Reihe von neuen Auflagen des Pocket Hymn Book, die immer wieder durch neue Lieder erweitert wurden. Ab 1790 erfolgte dann die Herausgabe von Gesangbüchern im Auftrag der Generalkonferenz und als „Echtheitsgarantie“ wurde das Vorwort jeweils von den Bischöfen unterschrieben.
Eines jedoch zeigt sich deutlich: Die von John Wesley ausgewählte Liedsammlung mit 118 Nummern, die er mit seiner Liturgie „The Sunday Service of the Methodists in North America“ 1784 nach Amerika geschickt hatte, konnte sich nicht durchsetzen. Die amerikanischen Methodisten begannen eine von John Wesley unabhängige Tradition von Gesangbüchern zu gestalten, die nicht nur Lieder von Charles Wesley enthielten, sondern auch das zeitgenössische erweckliche Liedgut berücksichtigten. Stets war dabei „The God of Abraham Praise“ mit enthalten, wenn auch mit einer wechselnden Auswahl von Strophen.
Siebte Station: eine neue jüdische Textfassung
Max Landsberg (1845-1927) war ein in Berlin geborener und in Deutschland ausgebildeter Rabbiner. Als die ursprünglich orthodoxe jüdische Gemeinde in Rochester NY einen Rabbiner suchte, der sowohl in deutscher als auch englischer Sprache predigen konnte und Reformen gegenüber aufgeschlossen war, ging Landsberg 1871 in die USA und stand der Gemeinde bis 1915 vor.
Der Gemeindevorstand war uneins in der Frage, welches Gebetbuch man verwenden sollte. Denn dieses brauchte für die Bedürfnisse der Gemeinde sowohl deutsche als auch englische Texte und Lieder. So veröffentlichte Landsberg 1880 das „Hymn Book for Jewish Worship“. Vier Jahre später, 1884, gab er das „Ritual for Jewish Worship“ heraus, das in den Reformen der Liturgie noch einige Schritte weiterging.
Für dieses Gebetbuch bat Landsberg den Pfarrer Newton Mann (1836-1926) um Unterstützung, um ein dem ursprünglichen Text von „Yigdal“ näher kommende Textfassung zu schaffen als es die christianisierte Version „The God of Abraham Praise“ von Thomas Olivers war. Newton Mann war von 1870-1888 an der unitarischen Gemeinde in Rochester tätig. Unitarier lehnen die christliche Lehre der Dreieinigkeit Gottes und der Göttlichkeit Jesu ab. Sie betonen – wie Menschen jüdischen Glaubens – die Einzigkeit Gottes. Als eine weitere Liedautorin aus der unitarischen Tradition ist Sarah Fuller Adams (1805-1848) zu nennen, die das Lied EM 659 „Näher, mein Gott, zu dir – Nearer, my God, to thee“ gedichtet hat. Mit „Praise to the living God“ ist ein Lied entstanden, das sowohl von Menschen jüdischen wie christlichen Glaubens gesungen werden kann und das 1885 im „Union Hymnal“ erstmals publiziert wurde. 1910 überarbeitete William C. Gannett (1840-1923), ebenfalls ein unitarischer Pfarrer, auf Bitte von Max Landsberg den Text noch einmal, und so wurde er im „The Union Hymnal for Jewish Worship“ von 1914 veröffentlicht.
„The Methodist Hymnal“, das Gesangbuch der United Methodist Church von 1966, druckte eine Fassung mit drei Strophen von „Praise to the living God“ anstelle von „The God of Abraham Praise“ ab.
Hier „Praise to the living God“ mit der Melodie LEONI, allerdings am Ende der dritten Melodiezeile mit einem langen Vorhalt, wie die Melodie in anglikanischen Gemeinden gesungen wird.
Aus beiden Liedern sind variantenreiche Mischfassungen entstanden, je nachdem welche Akzente die Herausgeber von Gesangbüchern setzen wollten.
Eines zeigt der grobe Überblick über die Verbreitung beider Lieder in den englischsprachigen Gesangbüchern: Seit den 1970er Jahren tauchen sie häufiger auf als in den 100 Jahren davor. Das hängt wohl mit den vermehrten Bemühungen um eine christlich-jüdische Verständigung zusammen.
Achte Station: die amerikanische Vorlage der deutschen Übersetzung
Die englischsprachige Vorlage für die deutsche Übersetzung von Lothar Pöll (1951-2020) ist dem „United Methodist Hymnal“, Nr. 116, von 1989 entnommen. Sie übernimmt die Strophen 1, 4, 6 und 10 von Thomas Olivers’ Fassung und ist den „Psalms and Hymns for Public and Private Worship“ von Augustus Montague Toplady (1740-1778), London 1776 entnommen. Darüber hinaus wurden einige Änderungen vorgenommen, um eine zu dominant-männliche Sprache zu vermeiden. So beginnt die zweite Strophe nicht mit „He by himself“ sondern mit „The great I AM“ und „he“ wurde jeweils durch „God“ ersetzt. In der vierten Zeile der letzten Strophe heißt es schließlich nicht „Jehovah, Father, Great I AM“, sondern „Jehovah, Lord, the great I AM“.
In den beiden Rahmenstrophen der englischsprachigen Fassung dominieren Sprachbilder eines ewig herrschenden, allmächtigen Gottes. Er regiert auf dem Thron, ewig von alters her. Er ist der große ICH BIN, angebetet von Menschen, Himmel und Erde (Str. 1). Gott regiert in der Höhe und ist umgeben von den Erzengeln, die das „Heilig, heilig, heilig“ singen. Er bleibt stets der Gleiche und wird angebetet (Str. 4).
In den beiden Mittelstrophen geht es einerseits um den Bund, der die Beziehung des einzelnen Menschen zu Gott prägt (Str. 2, die Hälfte der acht Zeilen beginnen mit „I – Ich“), sowie andererseits um die Sehnsucht nach dem himmlischen („heavenly“) Land, in dem Milch und Honig fließen, Öl und Wein gedeiht und Lebensbäume wachsen (Str. 3). Dieses Land wird mit Bildern beschrieben, die im Alten Testament für das gelobte Land stehen.
Hier die Version mit der Textfassung aus dem United Methodist Hymnal mit zeitgenössischem Arrangement.
Neunte Station: die deutsche Übersetzung von Lothar Pöll
In seiner Übersetzung ist Lothar Pöll darum bemüht, die Bilder der königlichen Herrschaft Gottes soweit zu übertragen, dass sie von Individuen einer demokratisch geprägten Gesellschaft besser nachvollzogen werden können. Gottes Herrschaft anzuerkennen bedeutet für einen Menschen des Glaubens, sich Gott mit seinem Leben hinzugeben, ihm zu dienen und ihn zu loben. Das drückt die letzte Zeile der ersten Strophe aus: „Ich beuge mich vor ihm und gebe mich ihm hin.“ Ebenso auch die beiden letzten Zeilen der vierten Strophe: „Für Gott, der sagt ICH BIN, sind wir zum Dienst bereit / und loben den Allmächtigen in Ewigkeit.“ Während die ersten drei Strophen im Singular formuliert sind und die Beziehung des einzelnen Menschen zu Gott beschreiben, wechselt die vierte Strophe zum „wir“ der glaubenden Gemeinde, in der dieses Lied gesungen wird.
Sowohl in der ersten als auch in der vierten Strophe wird Gott nach 2. Mose 3,14 bei seinem Namen „ICH BIN“ genannt, im Englischen „the great I AM“. An dieser Stelle stehen im Text der hebräischen Bibel der Bibel die vier Buchstaben JHWH. Sie bilden den Gottesnamen, der von Jüdinnen und Juden aus Achtung nicht ausgesprochen, sondern nur umschrieben wird, z.B. als „der Ewige“ oder „Ha-Schem – der Name“. Die vier Buchstaben – auf Griechisch auch Tetragramm genannt – können auch als Verbform gelesen und mit „ich bin da“ oder „ich bin für dich da“ übersetzt werden. Die Septuaginta, die griechische Übersetzung der hebräischen Bibel, überträgt die Stelle mit „Ich bin, der ich bin“.
Zwei weitere Formulierungen der ersten Strophe lassen aufhorchen: In Zeile zwei wird Gott bezeichnet als „der schon von Anfang an ein Gott der Liebe ist“. Gottes Handeln und Wirken wird schon im Alten Testament als Ausdruck seiner Liebe verstanden. Damit wirkt Pöll der nach wie vor vereinfachenden Sichtweise entgegen, dass Gott erst in den Aussagen des Neuen Testamentes und damit mit dem Wirken von Jesus den Menschen seine Liebe zeigt und sichtbar macht. Mit der anderen Formulierung „die Schöpfung singt von ihm“ wird das englische „by earth and heaven confessed“ nachgezeichnet. Für Pöll besteht damit das Bekenntnis alles Geschaffenen zu seinem Schöpfer in dem Lob, das die Schöpfung Gott entgegenbringt.
Nicht nur im Englischen, sondern auch in der deutschen Übersetzung der zweiten Strophe dominiert das „Ich“ und damit der einzelne Mensch in seiner Beziehung zu Gott. Das starke Bild vom Adler, auf dessen Flügeln ich zu Gott aufsteige, um ihn anzubeten, kommt aus der Erzählung aus 2. Mose 19,4, wo Gott am Berg Sinai dem Volk Israel das Angebot eines Bundesschlusses macht. Das Geschehen liegt noch in der Zukunft und wird durch den sprachlichen Vollzug im Gesang doch schon real. Ebenso geht es in der dritten Strophe weiter. Sie zeichnet das Bild eines Himmels, wo Friede und Freiheit herrschen. In der deutschen Übersetzung kommt noch – reimbedingt – die Gerechtigkeit dazu. Auf der bildlichen Ebene fließen dort wie im gelobten Land Milch und Honig, was sprichwörtlich aus der biblischen in die deutsche Sprache übernommen wurde. Ergänzt werden die beiden Begriffe noch aus Psalm 104,15 mit Öl und Wein, was die Fülle und die Freude symbolisiert.
Zum Schluss der dritten und zu Beginn der vierten Strophe wird die Bild- und Sprachebene aus dem Alten Testament für kurze Zeit verlassen. Dass die Bäume im Garten Eden gute Früchte hervorbringen, kann in 1. Mose 2,9 nachgelesen werden. Dass sie das „jeder Zeit“ tun, oder mit der symbolischen Zahl der Fülle 12 jeden Monat, das erfährt man erst aus Offenbarung 22,2. Ebenso lehnt sich die Bezeichnung „der kommt und ist und war“ an die Formulierung aus Offenbarung 1,8 für Gott an: „der da ist und der da war und der da kommt, der Allmächtige.“
Da keine deutschsprachige Fassung des Liedes auffindbar ist, hier eine Instrumentalversion zur Meditation des deutschen Textes, der im Gesangbuch unter Nr. 39 mitgelesen werden kann. Sie kommt aus dem spanischsprachigen Raum, wo das Lied mit der Zeile „Al Dios de Abraham Loor“ beginnt.
Zum Entstehungshintergrund der deutschen Übersetzung
Die Übersetzung, die mit dem Gesangbuch der Evangelisch-methodistischen Kirche 2002 gedruckt vorliegt, stammt aus dem Jahr 2000. Lothar Pöll, in Wien geboren und Pastor sowie Superintendent der Evangelisch-methodistischen Kirche in Österreich, hat sie als Mitglied des Übersetzungsausschusses für das Gesangbuch erstellt. Es war dem Ausschuss wichtig, dass neue Übersetzungen zu Liedern des englischsprachigen Methodismus entstehen, die bei unterschiedlichen Gelegenheiten – z.B. gemeinsamen Gottesdiensten von deutschsprachigen und englischsprachigen Gemeinden in Deutschland und Österreich – miteinander gesungen werden können. Da die Evangelisch-methodistische Kirche im deutschsprachigen Europa zur United Methodist Church in den USA gehört, wurde bevorzugt auf die Textvorlagen aus dem „United Methodist Hymnal“ zurückgegriffen.
Mitte Ende der 1990er Jahre hat sich Lothar Pöll – angeregt durch die Lektüre von Friedrich-Wilhelm Marquardts Dogmatik – mit der Israelvergessenheit der christlichen Kirchen auseinandergesetzt. Er war zu jener Zeit als methodistischer Pastor von Linz mitbeteiligt, das christlich-jüdische Komitee in Oberösterreich im Jahr 1999 ins Leben zu rufen. So war es ihm ein Anliegen, für dieses Lied eine erste Übersetzung zu erstellen, an der im Übersetzungsausschuss zwischen Jänner und Juni 2000 nochmals gefeilt wurde. So brachte die Germanistin Ulrike Voigt (*1963) als Mitglied dieses Ausschusses einige Formulierungen mit ein.
Für Lothar Pölls Verständnis seines Dienstes als Pastor – auch als Mitglied des Gesangbuchausschusses – scheint mir die zweitletzte Zeile der vierten Strophe sehr passend zu sein: „Für Gott, der sagt ICH BIN, sind wir zum Dienst bereit.“ Er war zum Dienst bereit und das in vielfältiger Weise: als Prediger und Seelsorger, als Liedbegleiter auf der Gitarre, am Klavier oder auch mit der Ziehharmonika, als Konferenzsekretär und Verfasser von unzähligen Protokollen ebenso wie als Vorsitzender verschiedenster Kommissionen und Gremien. Er setzte Computer neu auf und setzte Heizungen in Gang. Wo sein Rat gefragt war, hörte er zunächst zu und äußerte seine meist pointierte Meinung erst dann, wenn er explizit danach gefragt wurde. Seine Liedübersetzungen waren das Ergebnis dieser Treue zum Dienst. Sie brauchten zusätzlich einiges an sprachlicher und poetische Überarbeitung, überzeugten aber dann durch ihre theologische Klarheit, die manchmal das Original übertrafen.
Zehnte Station: musikalische Anklänge aus Tschechien und Schweden
Carlton R. Young (*1926), Herausgeber des (United) Methodist Hymnal von 1966 und von 1989, weist im „Companion to the United Methodist Hymnal“ 1993 darauf hin, dass die Melodie von „The God of Abraham Praise“ nebst den jüdischen Wurzeln auch Anklänge an spanisch-baskische und russische Volksmusik aufweist. Auch in Bedrich Smetanas (1824-1884) Orchesterwerk „die Moldau“, das dieser 1874 geschrieben hat, klingt die Melodie an.
Wer dies selbst überprüfen möchte, kann es hier anhand einer Aufnahme der Wiener Philharmoniker aus dem Goldenen Saal des Musikvereins unter der Leitung von Daniel Barenboim (*1942) aus dem Jahr 2016 überprüfen. Das musikalische Motiv, das dem Anfang der Melodie von „The God of Abraham Praise“ entspricht, erklingt bei 1:07 zunächst in Moll und dann bei 2:08 in Dur. Es wird bei 8:04 und 10:10 noch einmal wiederholt.
Ob Smetana ebenso wie Thomas Olivers die Melodie in einem jüdischen Gottesdienst zum Schabbat kennengelernt hat, lässt sich nicht nachweisen. Allerdings lebte er aus politischen Gründen von 1856 bis 1861 in Schweden und könnte von dort das Volkslied „Ack Värmeland, du Sköna“ mitgebracht haben, das ebenfalls mit dem uns bekannten musikalischen Motiv beginnt, hier in einem Arrangement von Robert Sund (*1942), gesungen vom Värmlands Nations Kör.
Letzte Station: die Rezeption der deutschsprachigen Fassung
Das bisher einzige Gesangbuch, das „Gott Abrahams sei Preis“ aus dem methodistischen Gesangbuch übernommen hat, ist das „Gesangbuch der Evangelischen Brüdergemeinde“, herausgegeben von der Evangelischen Brüder-Unität / Herrnhuter Brüdergemeine Bad Boll – Herrnhut – Zeist 2007, wo es die Nummer 31 von 1054 trägt.
In Wien hat es sich eingebürgert, das Lied anlässlich des ökumenischen Gottesdienstes zum Tag des Judentums, jeweils am 17. Jänner jeden Jahres zu singen. Ein weiteres Lied, das – noch wenig entdeckt – eine Verbindung zum Judentum darstellt, ist „Morning has broken“.
Aufgrund seiner Entstehungsgeschichte bestehen durchaus Chancen, dass „Gott Abrahams sei Preis“ zu den Liedern gehören wird, die in die engere Auswahl für das neu entstehende Evangelische Gesangbuch kommen könnten.
Aus urheberrechtlichen Gründen können hier keine Texte aus dem Gesangbuch der Evangelisch-methodistischen Kirche 2002 abgedruckt werden. Dieses kann jedoch bei blessings4you bestellt werden.