Ihr habt gehört, dass gesagt ist: "Ihr sollt nicht…" Ich aber sage euch…

Glaubensimpuls

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Stefan Schröckenfuchs

Pastor, Superintendent


Predigt zu den Antithesen Jesu in der Bergpredigt (Matthäus 5,21-37) als Text und Video

Pre­digt­text


Matthäus 5,21-37 (Basisbibel)

VOM TÖTEN

Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist (2. Mose 20,13; 21,12): »Du sollst nicht töten«; wer aber tötet, der soll des Gerichts schuldig sein. Ich aber sage euch:  

Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig; wer aber zu seinem Bruder sagt: Du Nichtsnutz!, der ist des Hohen Rats schuldig; wer aber sagt: Du Narr!, der ist des höllischen Feuers schuldig.

Darum: wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und dort kommt dir in den Sinn, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass dort vor dem Altar deine Gabe und geh zuerst hin und versöhne dich mit deinem Bruder, und dann komm und opfere deine Gabe.

Vertrage dich mit deinem Gegner sogleich, solange du noch mit ihm auf dem Weg bist, damit dich der Gegner nicht dem Richter überantworte und der Richter dem Gerichtsdiener und du ins Gefängnis geworfen werdest. Wahrlich, ich sage dir: Du wirst nicht von dort herauskommen, bis du auch den letzten Pfennig bezahlt hast.

VOM EHEBRECHEN

Ihr habt gehört, dass gesagt ist (2. Mose 20,14): »Du sollst nicht ehebrechen.« Ich aber sage euch: Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen.

Wenn dich aber dein rechtes Auge zum Abfall verführt, so reiß es aus und wirf’s von dir. Es ist besser für dich, dass eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde. Wenn dich deine rechte Hand zum Abfall verführt, so hau sie ab und wirf sie von dir. Es ist besser für dich, dass eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle fahre.

Es ist auch gesagt (5. Mose 24,1): »Wer sich von seiner Frau scheidet, der soll ihr einen Scheidebrief geben.« Ich aber sage euch: Wer sich von seiner Frau scheidet, es sei denn wegen Ehebruchs, der macht, dass sie die Ehe bricht; und wer eine Geschiedene heiratet, der bricht die Ehe.

VOM SCHWÖREN

Ihr habt weiter gehört, dass zu den Alten gesagt ist (3. Mose 19,12; 4. Mose 30,3): »Du sollst keinen falschen Eid schwören und sollst dem Herrn deinen Eid halten.« Ich aber sage euch, dass ihr überhaupt nicht schwören sollt, weder bei dem Himmel, denn er ist Gottes Thron; noch bei der Erde, denn sie ist der Schemel seiner Füße; noch bei Jerusalem, denn sie ist die Stadt des großen Königs. Auch sollst du nicht bei deinem Haupt schwören; denn du vermagst nicht ein einziges Haar weiß oder schwarz zu machen. Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.

Predigt


Wer ›Idiot‹ sagt, der gehört ins Feuer der Hölle. Wer die Frau eines anderen begehrlich ansieht, hat mit ihr schon die Ehe gebrochen. Und wenn dich irgendein Körperteil zum Bösen verleitet, schlag sie ab und wirf sie weg! Es ist immer noch besser, als Krüppel in den Himmel zu kommen als als vollständiger Mensch in die Hölle. 

Ihr Lieben, 

manchmal sind die Worte Jesu, die uns die Evangelisten überliefern, schon ziemlich schwer zu ertragen. Und als Prediger ist man versucht, den Text auszulassen und über etwas anderes zu predigen. Denn das, was Jesus hier und im weiteren Verlauf der Bergpredigt fordert, kann doch kein Mensch wirklich erfüllen. Oder zumindest nicht, ohne in ständiger Angst leben zu müssen, irgendetwas falsch zu machen. 

Manch einer hat sich deshalb die Frage gestellt, ob man diese Worte Jesu überhaupt als ethische Forderungen ansehen sollte – also als etwas, das man tatsächlich tun und erfüllen soll. Es gibt auch die These, dass Jesus hier eine Art Utopie entwirft: Also ein Bild von einer idealen Wirklichkeit, die es im Grunde unmöglich geben kann – das uns aber inspirieren soll, von einer besseren Welt zu träumen. Utopie oder nicht – die Versuchung ist jedenfalls immer groß, den Text so weichzuspülen, dass er ein wenig erträglicher wird.  

Ich will deshalb versuchen, mich schrittweise diesem widerborstigen Text anzunähern, ohne ihm von vorne herein die Spitzen zu nehmen… 

1) Mogeln unmöglich

Was zunächst auffällt ist, dass Jesus gängige Verbote seiner Zeit aufnimmt, und sie dann radikal verschärft. Aus „Du sollst nicht töten!“ wird, dass man nicht einmal mehr wütend auf einen anderen sein darf. Aus „Du sollst nicht ehebrechen!“ wird, dass man nicht einmal die Frau eines anderen anschauen darf und jede Scheidung – unabhängig von den Umständen – als Ehebruch anzusehen ist. Und aus „Du sollst deinen Schwur nicht brechen!“ wird die Forderung, gar nicht zu schwören. 

War Jesus in seinen moralischen Vorstellungen einfach viel strenger und radikaler als seine Zeitgenossen? Oder gibt es im Blick auf die von ihm genannten Verbote grundlegende Probleme, die Jesus aufdecken will?

Was auffällt ist, dass es sich bei den genannten Geboten um Verbote und Schutzbestimmungen handelt, die sehr genau regeln, was nicht getan werden darf. Aber alles, was vor der Grenze des Verbotenen liegt, bleibt offen. Ist es damit erlaubt?

Es gibt auch heute Gesetze, bei denen man den Eindruck hat, es gehe weniger darum festzulegen, was verboten ist – als darum, was nicht verboten ist. 

Ich war gerade wieder einige Tage in meiner Heimat in Seekirchen am Wallersee. Vor einigen Jahren haben kluge Leute da einmal festgelegt, dass bestimmte Bereiche rund um den See als Naturschutzgebiet gelten sollen und deshalb nicht bebaut werden dürfen. Wenn ich heute nach Seekirchen komme, habe ich den Eindruck, dass es dabei weniger darum gegangen ist, schützenswerte Natur zu schützen, sondern viel mehr darum festzulegen, was man alles zubauen darf. Denn heute sind fast alle Wiesen, die in meiner Kindheit noch grün und voller Blumen waren, zugebaut. Und zwar exakt bis zu dieser Grenze, wo der Sumpf beginnt, in den man eh nichts stellen kann und der als Naturschutzgebiet ausgewiesen wird. Aus dem Schutz der „Naturschutz“ ist – so scheint es jedenfalls – letztlich eine Bauerlaubnis für fast alle grünen Wiesen geworden. 

Und ich denke, das war schon immer so: Alle Versuche, das zwischenmenschliche Miteinander durch Verbote zu regeln, führen dazu, dass sofort kreativ nach Schlupflöchern, Ausnahmen und vor allem nach den „nicht geregelten“ Bereichen gesucht wird. Und so stellt man durch die Praxis die eigentliche Absicht der Gebote gern auf den Kopf. 

Das scheint mir ein Problem zu sein, das auch Jesus bewegt adressiert. Schauen wir es uns im Detail an: Zuerst…

„Du sollst nicht töten.“

Mord als die schlimmste Eskalationsform eines Konflikts ist klar und deutlich verboten. Aber was ist mit anderen Formen der Gewalt – insbesondere verbaler Gewalt wie Mobbing, Erniedrigung, Beschimpfung usw.?

Man muss Jesus also wohl so verstehen, dass er nicht erst die schlimmste Form der Eskalation – nämlich Mord und Totschlag – verurteilt. Auch wenn Rufmord weniger verwerflich erscheint als tatsächlicher Mord: Wenn wir dem göttlichen Heilswillen gemäß leben wollen, müssen wir auf alle Formen der Gewalt verzichten und uns darum bemühen, Konflikte so früh wie möglich zu klären, damit sie gar nicht erst weiter eskalieren können. 

Gott will keine religiösen Ersatzleistungen in Form von irgendwelchen Opfern, die wir ihm bringen – sondern Frieden unter seinen Geschöpfen. 

"Du sollst nicht ehebrechen"

Zunächst müssen wir uns bewusst sein, dass die Institution der Ehe zur Zeit Jesu andere Funktionen zu erfüllen hatte, als heute, wo Ehen in der Regel einvernehmlich geschlossen werden – und unter Umständen auch ebenso einvernehmlich aufgelöst werden können, ohne dass dies für einen der Ehepartner zwingend zu einer existentiellen Katastrophe führen würde. 

Zur Zeit Jesu war das anders. Eine Frau hatte kein Recht, sich von ihrem Mann zu trennen. Wollte ein Mann aber seine Frau loswerden, dann konnte er ihr – unter Angabe irgendwelcher fragwürdiger Gründe – einen Scheidebrief ausstellen. Das war praktisch für den Mann – die Frau war damit offiziell wieder am Heiratsmarkt verfügbar. Soll sich halt ein anderer um sie kümmern. Für die Frau war es aber oft genug eine existentielle Katastrophe. Denn wer weiß, ob sich ein Mann findet, der sie nimmt – und selbst wenn: Wer weiß, was für ein Mann das dann ist. Aber das war ja nicht mehr die Sorge des bisherigen Ehemanns. 

Der existentielle Schutz, den die Ehe insbesondere Frauen bieten sollte, wurde durch das Modell der Scheidebriefe also zugunsten der Männer untergraben. So ist zu verstehen, warum Jesus die Praxis der Scheidebriefe so vehement attackiert. 

"Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen."

Jesus spricht hier noch ein Problem an, das noch tiefer liegt: Er verurteilt es auch, wenn jemand eine Frau auch nur ansieht, „um sie zu begehren“. Ich glaube nicht, dass Jesus einfach ein Feind der Sinnlichkeit war. Das Problem liegt vielmehr darin, dass Frauen im Blick der Männer allzu oft tatsächlich zu einem „Objekt der Begierde“ werden – ein Objekt, über das sie verfügen wollen. Und wenn die Begierde gestillt ist, wird „Mann“ das Objekt auch gerne wieder los. 

Es geht also nicht darum, dass Erotik an sich etwas Böses ist; böse ist jedoch, wenn ich meinen Mitmensch – sei er Mann oder Frau – nicht mehr als das sehe, was er oder sie ist: ein Mitmensch eben – ein freies, von Gott geliebtes Subjekt, dessen Würde unantastbar ist und über das niemals ein anderer einfach verfügen darf.  

So verstehe ich, warum Jesus schon den begehrenden Blick verurteilt und nicht erst die konkrete Tat, die daraus folgt.  

"Du sollst keinen falschen Eid schwören und sollst dem Herrn deinen Eid halten."

Die Verschärfung Jesu zu diesem Gebot muss man wohl vor dem Hintergrund sehen, dass manche Zeitgenossen sich ohne Schwur nicht – oder zumindest nicht so streng – an ihre Zusagen gebunden gefühlt haben. So hat das Gebot, dass man einen Schwur nicht brechen soll, offenbar das Gegenteil von dem bewirkt, was es beabsichtigt: Statt die Verbindlichkeit und Treu unter den Menschen zu stärken war die Folge, dass man sich auf das Wort eines anderen nicht mehr ohne weiteres verlassen konnte. Das gegenseitige Vertrauen wurde unterminiert. 

In diesem Sinn fordert Jesus schlicht, dass unser Ja als Ja gelten soll und unser Nein als Nein, ohne dass es irgendeine Zusatzverpflichtung braucht. 

Bei allen drei Beispielen zeigt ein ähnliches Muster

Jesus nennt ein bekanntes Ge- bzw. Verbot und verschärft es so, dass es nicht mehr durch Schlupflöcher oder ungeregelte Bereiche umgangen oder gar pervertiert werden kann. Ich denke, diese Erkenntnis hilft schon etwas zu verstehen, warum Jesus hier eine solche Verschärfung vornimmt. 

Sie nimmt ihr aber noch nicht die Spitze. Denn in der Bedingungslosigkeit, in der Jesus jede „Verharmlosung“ der Gebote zunichte macht, erscheinen sie eben auch unerfüllbar. Darum möchte ich noch einen weiteren Aspekt ins Feld führen. 

2) Der Kontext 

Die Gebotsverschärfungen Jesu stehen nicht allein für sich. Sie sind Teil einer großen Rede Jesu – der Bergpredigt, die sich im Matthäusevangelium über mehrere Kapitel erstreckt. In der Einleitung zur Bergpredigt heißt es, dass Jesus die gute Nachricht vom Himmelreich verkündigt. 

Die gute Nachricht vom Himmelreich: Das ist die Verheißung einer Zukunft, die sich radikal unterscheidet von dem Elend, das sich Menschen zur Zeit Jesu ebenso wie heute gegenseitig bereiten. Es ist eine Welt, in der Frieden herrscht – Shalom – das heißt: Genüge und Wohlergehen für alle. Weil die Menschen ein Leben führen, wie es dem Heilswillen Gottes entspricht. 

Darum ist es eine Realität, in der sich die Armen glücklich schätzen können, die Sanftmütigen, die Trauernden, und die, die sich nach Frieden und Gerechtigkeit sehnen. Sie alle werden in Gottes Realität selig gepriesen. 

Doch dieser heilvollen Wirklichkeit Gottes steht eine Dynamik des Bösen im Weg, die das friedliche Miteinander der Menschen zerstört. Und zu dieser Dynamik des Bösen gehört in besonders perfider Weise auch die Versuchung, religiöse Gebote – die als Wegweisungen für ein gelingendes Miteinander gedacht sind – zu „Spielregeln im Kampf um den eigenen Vorteil“ zu degradieren. Unter dem Vorwand des Guten und des Göttlichen wird Gewalt an anderen ausgeübt; und statt ein friedliches Miteinander zu gewährleisten wird der von Gott verheißene Schalom im Namen Gottes zerstört. Ich denke, das ist der Grund warum Jesus hier so radikal argumentiert. 

Und schließlich sollten wir noch einen letzten Gedanken im Blick behalten: 

3) Wir stehen mit leeren Händen vor Gott – Gottseidank! 

Ganz am Anfang der Bergpredigt heißt es in der ersten Seligpreisung: „Glückselig sind die, die wissen, dass sie vor Gott arm sind. Denn ihnen gehört das Himmelreich.“

Ich verstehe diese Worte so, dass es ein Segen ist zu begreifen, dass ich eigentlich mit leeren Händen vor Gott stehe. Es gibt nichts, was ich Gott schenken, geben, oder beweisen könnte – ohne auf das zurückzugreifen, was Gott mir zuvor geschenkt hat. Letztlich ist alles ein göttliches Geschenk. 

Darum kann es auch nicht darum gehen, dass ich Gott durch das Befolgen irgendwelcher Gebote etwas beweisen oder mir etwas verdienen kann oder muss. Egal was ich tue: Ich bin immer „arm“ vor Gott. Auch das Himmelreich kann nicht verdient werden – es will erbeten sein. 

In diesem Sinne bin ich überzeugt, dass Jesus von uns nicht eine noch strengere Gesetzlichkeit fordert, die uns letztlich nur überfordert. Ich höre seinen leidenschaftlichen Appell an uns, das zu tun, was dem Heilswillen Gottes entspricht – und darum dem Wohl unseres menschlichen Miteinanders dient. 

Jesus spricht in aller Klarheit an, woran das menschliche Miteinander leidet: Die Stärkeren sind ständig versucht, Gesetze, die dem Schutz der Schwächeren dienen sollen, so zu verdrehen, dass sie nur ihnen selbst dienen. Männer sind kollektiv in der Versuchung, Frauen zu Objekten der Begierde zu degradieren, über die sie nach belieben verfügen wollen. Und lächerliche Konflikte werden bis zur gegenseitigen Vernichtung hochstilisiert, statt dass man sich frühstmöglich wieder versöhnt. 

Die Dynamik des Bösen ist in unserer Welt so allgegenwärtig, dass wir uns von den Forderungen Jesu verständlicherweise rasch überfordert fühlen. Im Licht des Evangeliums ist aber gleichzeitig zu sagen: Es geht doch nicht nur um das, was wir selbst zu erfüllen in der Lage sind. Es geht doch viel mehr um das, was wir von Gott erwarten dürfen. 

Gott verheißt uns eine Welt, in der es ein Ende damit hat, dass die Stärkeren sich das Recht zurecht biegen; in der Frauen nicht mehr zu Objekten der Begierde degradiert werden, und in der Versöhnung und Verzeihen eine Selbstverständlichkeit sind. Wenn Gott diese Welt verheißt, dann wird er uns auch den Geist und die Kraft geben, in seinem Sinne zu handeln. 

Es geht im Glauben doch nicht um einen Wettbewerb, wer im Slalom des irdischen Daseins die wenigsten Fehler macht. Es geht darum zu erkennen, dass ich arm bin vor Gott – nichts kommt von mir selbst, ich bin von Gott her ganz und gar beschenkt. 

Weil Gott uns schenkt, was wir zum Leben brauchen, darf ich von Gott tatsächlich alles erwarten. Auch die Bereitschaft zu Vertrauen. Auch das Wollen. Und letztlich auch das Vollbringen. 

Frieden gibt es nicht, solange das Recht verdreht wird. Aber wo Menschen sich Gott anvertrauen und versuchen, auf Gottes lebensstiftende Weisungen zu hören, da wird Frieden möglich, und das Himmelreich bricht auf Erden an.   

Amen

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