Meinen Bogen setze ich in die Wolken

Glaubensimpuls

Bild von Esther Handschin
Esther Handschin

Pastorin, Erwachsenenbildung


Gott im Bund mit allem, was lebt – Predigt von Pastorin Esther Handschin zum Tag des Judentums in Graz, zu 1. Mose 9,8-13

Von Anfang an ein Gott der Liebe

Schon einmal war es so, erzählt uns die Bibel, dass die Menschheit ihr Fortbestehen durch ein rücksichtsloses Verhalten in den Sand gesetzt hat. Schon einmal war es so, dass der Mensch in seiner Dummheit, Kleinlichkeit und seinem Egoismus alles zerstört hat, formuliert Elie Wiesel in seiner Erzählung „Noah oder die Verwandlung der Angst“. Gott fühlt sich verraten von seinem Lieblingsgeschöpf und er beschließt, noch einmal von Neuem zu beginnen. Von Anfang an. Er ist unzufrieden mit der Aufführung. Vorhang bitte. In einem moderneren Bild könnte man auch sagen: Er drückt die Reset-Taste.

„The great reset“ stehe unmittelbar bevor. Das wird auf bestimmten Websiten im Internet fleißig geteilt. In den Echokammern der Social Media wird dieses Gemunkel zum Raunen, Rauschen und Dröhnen in den Ohren derer, die sich in diesen Bubbles und Blasen bewegen. Es seien einige wenige, die im Hintergrund die Fäden ziehen, um die Weltherrschaft zu übernehmen. Als mir eine Frau von diesem Great reset erzählte, habe ich nachgefragt, wer denn „die“ im Hintergrund seien. Ich bekam die Antwort zugeflüstert: die Juden.

Seit uns einige Krisen auf Trab halten, feiert er wieder fröhliche Urständ, der Antisemitismus. Denn irgendjemand muss ja verantwortlich gemacht werden für all die Einschränkungen und Mühsale, die wir auf uns zu nehmen haben. In christlichen Kreisen verbindet sich das gerne mit einem Muster der Bibelauslegung, die im Gott des Alten Testaments den Gott des Zorns sieht, dem im Neuen Testament der von Jesus verkündete Gott der Liebe gegenübersteht.

Doch diese Sichtweise verkennt, dass Gott „von Anfang an ein Gott der Liebe ist“, und von dem die Schöpfung singt, wie wir in dem einen Lied gehört und gesungen haben. Wie sollen wir unsere Welt verstehen und den Platz, den wir Menschen darin einnehmen, wenn wir nichts von den Geschichten über die Anfänge wüssten, die uns das Buch des Anfangs erzählt, das 1. Buch Mose, das Buch Genesis, das im Hebräischem mit „Bereschit — Im Anfang“ beginnt.

Im Lauf der christlichen Geschichte wurde immer wieder die Frage gestellt, ob die Bücher und Schriften des Alten Testaments, der hebräischen Bibel, auch zum Kanon der Heiligen Schrift gezählt werden sollen. Doch erst mit ihnen erschließt sich uns der Blick auf das größere Ganze des Weges Gottes mit den Menschen, auf das sich Jesus in seinem Reden und Handeln bezieht und mit ihm diejenigen, die ihm nachgefolgt sind und bis heute nachfolgen.

Gilt Gottes Zusage auch weiterhin?

So erzählt uns das Buch Genesis, dass Gott in dem Verrat, den er durch sein Lieblingsgeschöpf erfahren hat, gerade nicht den „great reset“ wählt, den Weg der totalen Auslöschung und des radikalen Neuanfangs. Denn da gibt es einen, der in Gottes Augen Gnade gefunden hat. Er wird ein Gerechter genannt. Es ist Noah, Gottes Trost und Freude. Er hält sich zu Gott und er erhält von Gott den Auftrag, ein großes Schiff zu bauen. Das ist die Arche, in der stellvertretend für alle Lebewesen jeweils zwei von jeder Art ihren Platz finden, um die Katastrophe der Sintflut zu überstehen.

Seit die Auswirkungen der Klimakatastrophe immer deutlicher spürbar werden und ganze Landstriche und große Teile ganzer Länder von Fluten unter Wasser gesetzt werden, stellt sich für uns die Frage, ob nicht wieder die Zeit gekommen sei, einen Gerechten zu finden, der ein großes Schiff baut. Und es stellt sich die Frage, ob die Zusage Gottes zu seinem Bund noch gilt, die er am Ende der Erzählung über Noah gibt: „Meinen Bogen setze ich in die Wolken.“

Dürfen wir uns weiterhin darauf verlassen, dass nach jedem Regen die Sonne wieder scheint? Wird es den Wechsel von Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht immer noch geben? Bleibt die Vielfalt der Tiere und der Menschen auch forthin erhalten? Wird die Erde nach wie vor bestehen? Oder gilt das, was junge Menschen über sich selbst sagen, nämlich dass sie die letzte Generation seien und dass sie damit rechneten, die letzten ihrer Art zu sein?

An späterer Stelle führt Elie Wiesel in seiner Erzählung über Noah aus: 

Nein, Gott wird kein weiteres Desaster zulassen. Er wird es nicht anstiften, noch wird er sich anstiften lassen. Dennoch, was hat sich verändert? Noah hat Angst. Er vertraut Gott, aber er kennt die Menschen: Was Gott nicht tun wird, können sie sehr wohl ausführen. Gott wird sie nicht mehr vernichten, aber sie könnten sich selbst vernichten. Der Bund bindet ihn, nicht sie. »Ich werde die Welt nicht zerstören«, sagt Gott. Mit anderen Worten: Ich werde es nicht tun, aber wie steht es mit dir?

Elie Wiesel
Noah oder die Verwandlung der Angst

Gott bindet sich an seinen Bund. Aber wem genau ist der sogenannte Noahbund verheißen? Im Gegensatz zu anderen Bundeszusagen, wie der an Abraham oder an das Volk Israel am Berg Sinai, ist die Bundeszusage im Licht des Regenbogens nicht an einen einzelnen Menschen oder an ein Volk gerichtet, sondern an die Erde: „Meinen Bogen setze ich in die Wolken, und er sei das Zeichen des Bundes zwischen mir und der Erde.“ So wird uns das Fortbestehen der Erde versichert. Wie aber steht es um uns Menschen?

Wie steht es mit dir?

Ich wiederhole noch einmal Elie Wiesels Worte: „»Ich werde die Welt nicht zerstören«, sagt Gott. Mit anderen Worten: Ich werde es nicht tun, aber wie steht es mit dir?“

Wie steht es mit mir? Wie steht es mit dir? Gehöre ich, gehörst du zu denen, die die Welt, die diese Erde zerstören? Die Erkenntnis darüber und unsere Antwort darauf haben einen bitteren Geschmack. Denn wer nach westlichem Lebensstil auf der Nordhalbkugel dieser Erde lebt, kann nicht sagen: Ich gehöre nicht dazu. Ich zerstöre diese Erde nicht. Wir müssen vielmehr der Tatsache ins Auge schauen, dass wir unsere eigene Lebensgrundlage vernichten. Unser Verbrauch der Ressourcen, die uns die Erde zur Verfügung stellen kann, ist höher als es der Erde gut tut.

Damals, erzählt die Bibel, hat Gott seinen Plan, die Erde – sein Schöpfungswerk – zu vernichten aufgegeben, weil er einen Gerechten gefunden hat, einen einzigen, Noah. Wird Gott wieder einen Gerechten, eine Gerechte finden unter den acht Milliarden Menschen, die es inzwischen gibt? Und was heißt es überhaupt, gerecht zu sein?

"Tut Gutes! Sucht das Recht!"

„Tut Gutes! Sucht das Recht!“ so heißt das Motto der Gebetswoche für die Einheit der Christinnen und Christen, die ab morgen beginnt. Der Tag des Judentums und der Gottesdienst, den wir heute miteinander feiern, ist der Auftakt dazu. Wir besinnen uns auf die Wurzeln, aus denen der christliche Glaube hervorgegangen ist.

Diese Wurzeln geben uns zu verstehen: Die Erde ist ein guter Ort, um darauf zu leben. Gott hat die Erde erschaffen und sein Werk für sehr gut befunden. Damit diese Erde auch für zukünftige Generationen ein guter Ort bleiben kann, braucht er unsere Mitwirkung: „Tut Gutes! Sucht das Recht!“ Damals, als der Prophet Jesaja die Bevölkerung von Jerusalem dazu aufgefordert hat, bedeutete dies: Es geht nicht um das Frommsein, um die Feier von Gottesdiensten mit allem, was dazu gehört und mit allem, was ihr dazu aufbieten könnt. Schaut darauf, dass die Armen unter euch nicht unterdrückt werden, sondern dass sie leben und an der Gesellschaft teilhaben können.

Heute ist es notwendig, das Tun des Guten und des Gerechten weiter zu denken und danach zu handeln: Lebt so, dass die jungen Menschen der letzten Generation nicht die letzte Generation bleiben, sondern dass ihnen noch weitere und viele Generationen folgen werden. Lebt so, dass das Klima auch für diejenigen erträglich bleibt, die nichts zum Ausstoß von CO2 und der Überhitzung der Erdatmosphäre beigetragen haben; sorgt daher für Klimagerechtigkeit. Lebt so, dass die Vielfalt von Menschen, Tieren und Pflanzen erhalten bleibt.

Gutes zu tun und das Recht zu suchen, auch hinsichtlich unseres Umgangs mit den Ressourcen der Erde, damit liegt kein leichter Weg vor uns. Denn zu viel ist aus dem Gleichgewicht geraten. Doch als diejenigen, die wir Jesus nachfolgen und damit in den Bund Gottes mit seinem Volk hineingenommen sind, gilt für uns, was über Noahs Leben gegolten hat: Er hat Gnade in Gottes Augen gefunden. Und so leuchtet auch über unserem Leben Gottes Bogen, den er in die Wolken gesetzt und mit dem er seinen Bund geschlossen hat mit der ganzen Erde und allem, was darauf lebt und atmet. Amen.

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