Über­ra­schen­des Wachstum – Totaler Einsatz

Glaubensimpuls


Predigt von Dr. Walter Klaiber zu Matthäus 13,31-33 und 44-46
Bischof i.R. Dr. Walter Klaiber am 30.07.2023

Matthäus 13,31-33 und 44-46

31Ein anderes Gleichnis legte er ihnen vor und sprach: Das Himmelreich gleicht einem Senfkorn, das ein Mensch nahm und auf seinen Acker säte; 32das ist das kleinste unter allen Samenkörnern; wenn es aber gewachsen ist, so ist es größer als alle Kräuter und wird ein Baum, sodass die Vögel unter dem Himmel kommen und wohnen in seinen Zweigen.

33Ein anderes Gleichnis sagte er ihnen: Das Himmelreich gleicht einem Sauerteig, den eine Frau nahm und unter einen halben Zentner Mehl mengte, bis es ganz durchsäuert war.

44Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den Acker.

45Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte, 46und als er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie.

Als sich nach der Wende, Anfang der neunziger Jahre, eine Delegation des Board of Global Ministries unter Leitung von ST Kimbrough nach Litauen aufmachte, um zu erkunden, ob dort in Anknüpfung an die große methodistische Gemeindearbeit vor dem Zweiten Weltkrieg wieder ein missionarisches Engagement möglich sein würde, trafen sie auf drei Überlebende aus der Arbeit der Vorkriegszeit, drei leibliche Geschwister, die sie mit den Worten empfingen: Warum seid ihr so lange nicht gekommen? Und sie erzählten ihnen, dass sie sich all die Zeit jeden Sonntag getroffen haben und immer das Lied gesungen haben: Die Sach ist dein, Herr Jesu Christ, die Sach an der wir stehn. Und weil es deine Sache ist, kann sie nicht untergehn. Das war ihr Trost und das gab ihnen Zuversicht: Die Sache Jesu kann nicht untergehen, weil es seine Sache ist. Es sind nicht menschliche Bemühungen und Schutzmächte, die entscheidend sind, sondern er selbst, der sein Werk wachsen lässt und in schwieriger Zeit beschützt.

Aber das bedeutet nicht, dass die, die zu Jesus gehören, ihre Hände in den Schoß legen und zuschauen, wie der Herr alles so herrlich vollführet. Das Lied endet mit der Bitte an ihn, Boten in jedes Land auszuschicken, die seinen Namen bekannt machen, und schließt mit dem Versprechen: „Auch wir stehn Dir zum Dienst bereit“. Volles Vertrauen auf Jesu Wirken und ganzes Engagement in seiner Sache gehören offensichtlich zusammen.

Der für heute vorgeschlagene Predigttext aus Matthäus 13 stellt zwei Gleichnispaare zusammen die einen solchen Spannungsbogen aufweisen. Überraschendes und eigentlich doch ganz selbstverständliches Wachstum – davon spricht das erste Gleichnispaar – totaler Einsatz für eine große Sache – davon das zweite. Wie passt beides zusammen?

1. Überraschendes Wachstum im Verborgenen

Es sind zwei ganz unterschiedliche Bilder, die Jesus wählt: Ein winzig kleines Senfkorn wird zur großen Staude, fast ein Baum. Ein kleiner Anfang und ein erstaunliches Ergebnis. Aus einem winzigen Körnchen Leben wird Lebensraum für andere Geschöpfe. Und all das geschieht, ohne dass man viel tun müsste, man muss den Keim nicht aus dem Boden ziehen. Es wächst alles von selbst. 
So ist es mit dem Reich Gottes, sagt Jesus. Das nimmt einen unscheinbaren Anfang und wird doch für viele Zuflucht und Leben bieten.

Jesus kann das fast provozierend betonen, so auch im Gleichnis von der selbstwachsenden Saat. Der Bauer sät und dann darf er warten, bis die Ernte kommt. 
Sehr tröstlich auf der einen Seite (Luther sagte: Wenn ich mit Philippus mein Wittenbergisch Bier trinke, läuft das Evangelium), aber vielleicht auch eine Versuchung für lässige Pastoren und eine Anfechtung für alle, die wissen, wieviel Mühe es kostet in der Gemeinde etwas zustande zu bringen oder für Hilfsbedürftige da zu sein und etwas zu erreichen.

Vielleicht zeigt da das zweite Gleichnis etwas mehr Verständnis für die Arbeit, die nötig ist, um das Evangelium unter die Leute zu bringen und die Liebe Gottes für andere so zu leben, dass sie wirklich wirksam ist.

Eine Frau, die einen Sauerteig macht. Da ist schon etwas an Arbeit nötig, um so ein wenig Sauerteig unter so viel Mehl zu mischen. Da muss man kneten und kneten. Und doch: Auch hier geschieht das Eigentliche ohne ihr Zutun: Dass das bisschen Sauerteig wirklich den ganzen Teig durchsäuert und dadurch gutes Brot entsteht, das ist nicht ihr Werk.

Und so bleibt auf der einen Seite angesichts dieser Gleichnisse und ihrer Botschaft das dankbare Staunen darüber: Das Eigentliche tut Gott, es liegt nicht in unseren Händen. Und das Ergebnis wird größer sein, als wir uns vorstellen. Die bescheidenen Anfänge werden zu einem überwältigenden Ziel führen.
Aber auf der anderen Seite mag das gerade in unserer Zeit auch eine große Anfechtung bedeuten: Wir sehen so wenig Wachstum. Wenn es gut geht ist es Null-Wachstum, oft aber Minus-Wachstum wie das heute oft genannt wird.
Was bedeuten Jesu Gleichnisse für uns heute?

Früher sprach man von Wachstumsgleichnissen. Man meinte man könne das Wachsen des Reiches Gottes am Wachstum der Kirche ablesen. Aber das meint Jesus wohl nicht. Er wusste: Es wird auch Zeiten geben, in denen es der Kirche und den Christen nicht gut geht, in denen die Sache Jesu auf dem absteigenden Ast zu sein scheint. Jesus geht es um den Kontrast zwischen dem bescheidenen Anfang und dem überraschend großen Ergebnis am Ziel.

Das zeigt das Gleichnis vom Sauerteig etwas besser: Die Frau „verbirgt“ den Sauerteig, heißt es auf Griechisch – was wirklich geschieht, bleibt verborgen.
Ich hoffe, auch heute geschieht mehr, als wir sehen. Gottes Reich ist kein Schaugarten, in dem wir Tag für Tag beobachten können, wie die Saat wächst, oder sogar am Meterstab abmessen, wie schnell der Bambus in die Höhe schießt. Gottes Reich wirkt und wächst oft im Verborgenen. Da gibt es

- Worte des Trostes, der Ermutigung oder auch hilfreicher Infragestellung, die irgendwann in einem Herzen aufgehen und Früchte tragen und Gutes bewirken,

- ein entschlossenes Zupacken in einer schwierigen Situation, geduldiges Begleiten in einer schweren Krise, zugewandte Pflege trotz Zeitdruck und widrigen Umständen, Taten der Liebe, vielleicht kaum bedankt, und doch als Lichtblick in dunklen Stunden wahrgenommen und – vielleicht fast unbewusst – als Zeichen der Liebe Gottes erkannt,

- das Einstehen für Benachteiligte und die Stimme für die an den Rand Gedrückten, nicht immer erfolgreich und politisch mehrheitsfähig und doch so etwas wie Sauerteig der Gesellschaft, das nötige Salz für die Erde.

Solche Leute seid ihr, sagt Jesus zu seinen Jüngerinnen und Jüngern, das seid ihr, wenn ihr lebt, was ihr seid: Menschen, die vertrauen, Menschen, die sich von Gott Kraft schenken lassen, Leute, die von der Liebe Gottes bewegt sind. Das bewirkt mehr als ihr denkt, das keimt und reift vielleicht auch in denen, die das nicht so deutlich zeigen, wie wir das wünschen, vielleicht auch den Kindern und Enkeln, die nicht zur Gemeinde kommen, vielleicht auch den Nachbarn, die wir vergeblich zu Vorträgen über den Glauben einladen. Vertraut auf Gott.

Aber wie werden wir solche Menschen? Darauf geben die beiden anderen Gleichnisse Auskunft.

2. Totaler Einsatz für verborgen Schätze

Auf den ersten Blick zeigt Jesus hier eine völlige andere Perspektive menschlichen Tuns, das dem Reich Gottes entspricht, als in den anderen beiden Gleichnissen. Da ist nicht der Gärtner, der Samen aussät und dann geduldig wartet, nicht die Hausfrau, die den Sauerteig ansetzt und sich geduldet, bis er alles durchsäuert hat. Da ist ein Landarbeiter, der auf einem fremden Acker einen Schatz findet, und alles, was er hat, verkauft, um den Acker zu kaufen und den Schatz zu besitzen. Da ist ein Perlenhändler, der plötzlich die eine, kostbare Perle findet, die alles in den Schatten stellt, was er bisher gesehen hat, und der nun alles zu Geld macht, um diese eine Perle zu besitzen. Da bleiben Fragen offen: Werden die beiden den Schatz oder die Perle wieder verkaufen, um wirklich reich zu werden, oder behalten sie diese Kostbarkeiten, weil sie ihnen so wertvoll sind – doch wovon wollen sie dann leben? Jesus konzentriert alles auf den einen Punkt: Es gibt Werte und Schätze im Leben, für die lohnt sich der ganze Einsatz, und dazu gehören zu allererst Gott und sein Reich!

Zwei Anmerkungen sind mir dabei wichtig: Es ist nicht der Einsatz der beiden, der den Schatz oder die Perle so wertvoll macht. Übertragen auf die Sache, um die es Jesus geht, heißt das: Nicht unser Einsatz und unsere Hingabe machen Gottes Sache und sein Reich groß. Wer Gott und seiner Liebe wirklich begegnet, wird überwältigt sein von ihrem Wert und wird bereit, alles für sie einzusetzen.

Und das führt zu meiner zweiten Beobachtung. Auch der Schatz ist zunächst verborgen und die Perle liegt nicht in der Auslage eines Juweliers in der Kärntnerstraße, sondern muss entdeckt werden. Der Kaufmann sucht nach Perlen, der Landarbeiter stößt zufällig auf den Schatz; das heißt doch, es gibt Leute, die sind auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und finden ihn plötzlich in Gott, wie ihn Jesus gelebt und verkündigt hat; andere werden völlig überrascht von Gott und seiner Liebe, mit der sie nicht gerechnet haben. Aber beide merken: Wenn Gott und seine Liebe wirklich für mein Leben wichtig sein sollen, dann kann ich keine halbe Sache machen, dann muss ich alles dransetzen, um dazu zu gehören.

Aber was bedeutet das heute praktisch? Früher haben das manche wörtlich genommen und alles verkauft und sind ins Kloster gegangen. Für unsere Eltern und Großeltern bedeutete das oft, alle bisherigen Beziehungen abzubrechen, um ganz für Jesus und die Gemeinde zu leben. Beides hat sich in manchem als problematisch erwiesen. Aber heute habe ich nicht selten den Eindruck, dass für viele Christen ihr Christsein und ihr Engagement in der Gemeinde ein Hobby neben andern ist. Und das aber führt dazu, dass man die Größe und den Wert dessen, was Gott und seine Liebe für uns bedeuten, nicht mehr wirklich erfasst, sich deshalb eher weniger engagiert und deshalb immer weniger mit Gott erlebt!

Was also tun? Nach meinem Eindruck hebt hier Jesus nicht den mahnenden Zeigefinger oder droht gar mit der Peitsche, um mehr Engagement und Opferbereitschaft zu erzwingen. Er will den Blick dafür öffnen, was es tatsächlich bedeutet, Gott und seiner Liebe zu begegnen. Das ist der Schatz, der das Leben reich macht, die Perle, deren Glanz Wärme und Licht ins Leben bringt. Gott vertrauen zu können, sich ihm öffnen zu dürfen, zu wissen, der, dem ich mein Leben verdanke, sagt Ja zu mir, und zu spüren, ich kann dadurch auch für andere etwas sein, das macht mein Leben unendlich reich und wertvoll. Wesley wagt es, in seiner Auslegung der Bergpredigt mit all ihren steilen Forderungen von der Schönheit der Heiligung zu sprechen. Falls uns dieses Wort überhaupt noch etwas sagt, verbinden wir eher Anstrengung und Verzicht damit. Aber nein, sagt Wesley im Sinne Jesu: Es ist schön, Gott zu gehören, es mag manchmal mühsam sein, ihm und dem Weg der Liebe zu folgen. Aber das ist wie bei einer Bergtour: Es gibt Mühen, die zahlen sich vielfältig aus, durch den Gewinn an Leben, die Intensität der Erfahrung und die Weitung des Horizonts.

„Alles zu verkaufen“ – um im Gleichnis zu sprechen – mag dann je nach Situation verschieden aussehen. Was wir einsetzen müssen, um die Liebe Gottes zu leben, worauf wir verzichten müssen, um sie mit anderen zu teilen, das entscheidet sich an den konkreten Herausforderungen, vor denen wir stehen und nicht an gesetzlichen Vorgaben. Jesus ermutigt uns, darauf zu vertrauen: Wer alles auf die Sache Jesu setzt, wird nicht enttäuscht werden. Das sagen alle vier Gleichnisse! Alle vier laden ein zum Vertrauen: zum Vertrauen darauf, dass auch dann, wenn es um die Statistik und den öffentlichen Einfluss der Kirchen nicht gut aussieht, Gottes Reich nicht in Gefahr ist und im Verborgenen wachsen kann, zum Vertrauen darauf, dass sich der Einsatz für Gottes Sache lohnt, auch wenn die äußeren Erfolgsaussichten gering scheinen, weil es um die Liebe geht, zum Vertrauen darauf, dass das, was wir in seinem Namen tun und sagen, nicht ohne Wirkung bleiben wird. „Die Sach ist dein, Herr Jesu Christ…“

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