Heilige Gastfreundschaft
Glaubensimpuls
Pastor, Kinder- und Jugendwerk
Liebe Geschwister,
in Astrid Lindgrens Buch »Die Kinder aus der Krachmacherstraße« besuchen Jonas, Mia-Maria und Lotta immer wieder einmal die alte Nachbarin, Tante Berg. Nach einem Besuch dort – sehr lustig zu lesen – kommen die drei heim, und Jonas bilanziert: »Tante Berg hat sich zweimal gefreut. Erst hat sie sich gefreut, als wir kamen, und dann hat sie sich gefreut, als wir gingen.«
Was für eine schöne Schilderung!
Besuch zu bekommen, Besuch zu haben kann sehr schön sein. Einen Raum öffnen, das eigene Zuhause herzeigen, teilen und bewirten. Es ist aber wichtig, dass Gastfreundschaft nicht überstrapaziert wird, denn Gastfreundschaft bedeutet Arbeit und Zeit.
Das zeigt auch die Geschichte von Abraham deutlich: Abraham heißt die Fremden willkommen, bietet ihnen zunächst eine Fußwaschung und einen Platz im Schatten an und stellt auch eine Stärkung in Aussicht.
Dann eilt er zu seiner Frau Sara und erklärt ihr, wie viel und welches Mehl sie nehmen soll und dass sie den Teig vor dem Backen kneten muss. (Gott sei Dank hat Sara einen Mann, der wahrscheinlich noch nie Brot gebacken hat, aber ihr genau sagen kann, was sie tun soll. 😉)
Dann läuft Abraham weiter zu seiner Rinderherde. Dort sucht er ein zartes, gutes Kalb aus und gibt es dem Knecht. Der bereitet es »schnell« (ich frage mich natürlich wie schnell das Schlachten und schmackhaft zubereiten tatsächlich passieren konnte) zu.
Dann spielt Abraham höchstpersönlich den Kellner, bringt den Gästen Butter, Milch und das zubereitete Kalb und bleibt stehen, während die Gäste essen.
Warum macht der reiche Patriarch diesen Aufwand? Spannt seine Frau und seinen Angestellten ein, um ein guter Gastgeber zu sein und macht sich selbst zum Diener?
Abraham erkennt in den Gästen Gott selbst. Und so ist ihm kein Aufwand zu groß.
Liebe Geschwister,
nicht nur Astrid Lindgren weiß einen Besuch schön und voller hintergründigem Humor zu schildern. Auch die Bibel tut das.
Was wir nicht erfahren, ist: Haben die Reisenden die großzügige Gastfreundschaft Abrahams überhaupt nötig? Sind sie in Not?
Es ist doch so: In manchen Situationen sind wir schlicht darauf angewiesen, dass uns jemand aufnimmt, versorgt und stärkt. In anderen Situationen gibt es keine unmittelbare Not.
Und doch denke ich, dass auch die Gastfreundschaft, die über die unmittelbare Not hinausgeht, eine not-wendige Gastfreundschaft ist. Denn sie wendet die tiefere Not unserer menschlichen Existenz: »Du bist willkommen! Schön, dass du da bist!« Das sind Sätze, von denen wir leben, die wir uns aber selbst nicht sagen können. Unser Leben kommt erst in der Begegnung, erst in der Gemeinschaft zur wahren Fülle.
Und so ist jede Form der Gastfreundschaft heilig. Als heilig bezeichnen wir nämlich, was zu Gott gehört; oder was von Gott in besonderem Sinne zu unserem Heil – also zu unserem Wohlergehen im umfassenden Sinn – bestimmt ist. Gerade die »überflüssige« Form der Gastfreundschaft hat eine Schönheit, von der ich nur schwärmen kann.
Und so schwärme ich von diesem Gott, der Gastfreundschaft selbst lebt. Ich schwärme für diesen Gott, von dessen großzügiger Gastfreundschaft wir Menschen letztlich alle leben. Ich schwärme für Gott, der sich selbst zum Bedürftigen und zum Gast macht.
Gott kehrt bei Abraham ein und lässt sich die Gastfreundschaft seiner Familie gefallen. Gott nimmt an, was wir ihm bringen.
In Jesus Christus wird Gott ganz Mensch. Und das Wesen jedes Menschen beschreibt der Psalmist treffend mit den Worten: »Ich bin ein Gast auf Erden.« (Psalm 119,19)
Und dieser Jesus wird sich einerseits bei sogenannten Frommen und sogenannten Sünder*innen einladen. Er wird aber andererseits als Christus Gottes Gastfreundschaft für die ganze Welt sichtbar machen: Eine Willkommenskultur prägen, die bereit ist, Fremden mehr als ein Gastrecht, nämlich eine neue Heimat zu schenken. (vgl. Epheser 2,19)
Und so bleiben wir in Jesu Fußspuren beides – Gäste und Gastgeber*innen, Sorgende und immer schon Umsorgte.
Liebe Geschwister,
ich höre die Geschichte von Gottes Besuch bei Abraham heute als Ermutigung. Als Ermutigung mich neu auf die Gastfreundschaft und ihre Heiligkeit – also ihre heilbringende Bedeutung – zu besinnen.
Wir brauchen angesichts der Klimakatastrophe, der Krisen und Kriege dringend neuen Mut, Gastfreundschaft ernst zu nehmen:
Die Gastfreundschaft, die Gott uns Menschen in seiner natürlichen Schöpfung gewährt; und die Gastfreundschaft, die wir Menschen einander erweisen können.
Nur indem wir einander immer wieder gegenseitig Gastfreundschaft gewähren, werden wir einander gut genug gewahr, um ein gemeinsames Überleben der Menschheit auf der Erde überhaupt in realistische Reichweite zu rücken.
Und um eine Sache ernst zu nehmen, brauchen wir auch den Humor, der in der Abrahams-Geschichte aufblitzt; damit die Gastfreundschaft keine krampfhafte wird, sondern voller Freiheit und Freude bleibt.
Lasst uns – so wie unsere Geschwister in Burkina Faso, die die Bibeltexte und das Thema für den heutigen Gottesdienst ausgesucht haben – beherzt Gastfreundschaft üben. Lasst uns Gott selbst in allen möglichen Mitmenschen begegnen – auch in denen, die unseren Glauben nicht teilen.
Und lasst uns Gott danken, der sich am Ende der Tage – anders als die Tante Berg aus der Krachmacherstraße – nur einmal freuen wird, wenn er uns an seinen Tisch bittet und wir schließlich ganz bei Gott zu Hause sind.
Glaubensimpulse