Wo du hingehst, dahin will auch ich gehen

Glaubensimpuls

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Stefan Schröckenfuchs

Pastor, Superintendent


Diese 1. Predigt zur Geschichte von Ruth und Noomi lenkt den Blick darauf, dass es Opfer gibt, die ins Leben führen 

Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der Herr tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden.

Rut 1,16f
Die Bibel nach der Übersetzung von Martin Luther 

Hinweis: Der unten wiedergegebene Text stellt eine knappe Übersicht über den Inhalt der Predigt dar. Die ganze Inhalt der Predigt ist als Video verfügbar.  

Die Geschichte von Ruth: Eine Geschichte von Liebe, Hingabe und Verletzlichkeit

Die Worte aus dem Buch Ruth – „Wohin du gehst, da will auch ich hingehen. Wo du bleibst, da bleibe ich auch“ – sind vielen bekannt. Sie erzählen eine bewegende Geschichte über Treue, Verlust und einen Neuanfang. Ruths Geschichte und ihre Bedeutung stehen im Mittelpunkt dieser Predigt.

Verletzlichkeit und Verlust in der Geschichte von Ruth

Die Geschichte spielt in einer Zeit großer Not. Eine Hungersnot zwingt Elimelech und seine Familie, ihre Heimat zu verlassen und in das Land der Moabiter zu ziehen. Elimelech stirbt, und seine Söhne heiraten zwei moabitische Frauen, Ruth und Orpa. Doch auch die Söhne sterben, und zurück bleiben drei Witwen: Noomi, Ruth und Orpa – verletzliche, machtlose Figuren in einer patriarchalischen Gesellschaft.

Noomi, gebrochen vom Verlust, beschließt, in ihre Heimat zurückzukehren, da sie gehört hat, dass Gott sich wieder seinem Volk zugewandt hat. Sie rät ihren Schwiegertöchtern, in Moab zu bleiben, um dort Sicherheit und eine neue Zukunft zu finden. Orpa folgt diesem Rat und kehrt in ihre Heimat zurück. Ruth jedoch bleibt und spricht die berühmten Worte: „Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“ Sie entscheidet sich, ihre Heimat, ihre Religion und ihre Identität aufzugeben, um Noomi zu begleiten.

Hingabe statt Opferrolle

Die Geschichte von Ruth zeigt eine bemerkenswerte Alternative zu den üblichen Reaktionen auf Verlust und Verletzlichkeit. Häufig sehen wir nur zwei Möglichkeiten: entweder passiv das Opfer zu sein oder mit Wut und Zorn zu reagieren. Doch Ruth wählt eine dritte Option: Hingabe. Sie nimmt bewusst Verlust und Risiken auf sich, um für Noomi da zu sein. Diese Hingabe ermöglicht neues Leben – sowohl für Noomi als auch später für Ruth selbst.

Parallelen zu „Wherever You Will Go“ von *The Calling*

Das Lied *Wherever You Will Go* bringt ähnliche Gefühle zum Ausdruck. Ursprünglich vom Verlust inspiriert, den ein Mann erlebte, als seine Frau starb, erzählt es von der Sehnsucht, immer für den anderen da zu sein, auch wenn dies physisch nicht mehr möglich ist. Der Refrain – „If I could, then I would, I’ll go wherever you will go“ – spiegelt Ruths Worte an Noomi wider: die Bereitschaft, bedingungslos an der Seite eines anderen Menschen zu stehen, selbst in den dunkelsten Momenten.

Doch das Lied zeigt auch eine andere Seite. Im dazugehörigen Musikvideo erlebt eine junge Frau den Verrat ihres Partners. Ihre Reaktion ist destruktiv: Sie zerstört die Wohnung und überdeckt schließlich das Tattoo seines Namens mit einem neuen. Diese Darstellung zeigt, wie Verletzlichkeit und Schmerz auch zu Wut und Vergeltung führen können, anstatt zu Fürsorge und Hingabe.

Was wir aus Ruths Geschichte lernen können

Die Geschichte von Ruth lehrt uns, dass Verlust und Verletzlichkeit uns nicht zwingend zu Opfern machen müssen. Sie zeigt, dass wir durch Liebe und Hingabe die Freiheit gewinnen können, Leben zu ermöglichen – nicht nur für uns selbst, sondern auch für andere. Ruths Entscheidung, Noomi zu begleiten, ist ein Opfer, aber eines, das bewusst gegeben wird, um Gutes zu bewirken.

Im Englischen gibt es zwei Worte für „Opfer“: *victim* (Opfer im Sinne von Leidtragendem) und *sacrifice* (Hingabe). Ruths Handlung fällt in die zweite Kategorie: Sie gibt etwas auf, um Leben zu ermöglichen, genau wie Jesus es tat. Seine Hingabe, sein *sacrifice*, war nicht bloß ein Schicksalsschlag, sondern ein bewusstes Handeln aus Liebe und Fürsorge für andere.

Einladungen zur Liebe

Die Botschaft von Ruths Geschichte ist zeitlos. Sie lädt uns ein, über uns selbst hinauszublicken und andere zu sehen. Sie ermutigt uns, Verletzlichkeit nicht als Schwäche zu betrachten, sondern als Möglichkeit zur Hingabe und zum Leben. So wie Ruth durch ihre Liebe Noomi ein neues Leben ermöglicht hat, können auch wir in unserem Alltag Leben fördern und Gemeinschaft schaffen.

Diese Einladung zur Liebe, die das Leben ermöglicht, ist zentral – nicht nur in der Geschichte von Ruth, sondern auch in unserem eigenen Leben.

Stefan Schröckenfuchs, 2024

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