Bleibt wachsam!
Glaubensimpuls

Pastorin, Erwachsenenbildung

Kontraste
Mit dem ersten Advent beginnt nicht nur das neue Kirchenjahr. Mit dem ersten Advent beginnt auch die Vorbereitungszeit auf das Fest von Weihnachten, auf die Geburt von Jesus, dem Erlöser der Menschen. Die Advent- und Weihnachtsmärkte auf den Plätzen von Graz haben zwar schon seit einer Woche geöffnet. In den Kirchen jedoch beginnt der Advent erst jetzt.
Und noch etwas ist anders in den Kirchen als draußen auf den Plätzen und in den Geschäften der Stadt. Kirchlich gesehen ist der Advent nicht eine Zeit des vermehrten Konsums, seien das nun Kekse und Punsch, oder seien das die Einkäufe von Geschenken. Der Advent ist in den Kirchen eine Zeit der Buße, der Umkehr, der inneren Einkehr und der Selbstprüfung.
So wie in der Fastenzeit auf Ostern hin, sind viele Kirchenräume von der liturgischen Farbe Violett geprägt. Das ist die Farbe der Buße. Und die biblischen Texte, die wir heute gehört haben und die wir an den nächsten Sonntagen noch hören werden, sie rufen uns auf zur Umkehr, zur Buße, zur Neuorientierung unseres Lebens. Davon werden wir auch am 2. und 3. Advent noch hören.
Niemand kennt die Stunde
Heute steht ein Abschnitt aus der sogenannten Rede Jesu über die Endzeit aus dem Matthäusevangelium im Mittelpunkt. Es geht um die Ansage eines bestimmten Zeitpunkts, an dem der Menschensohn erscheinen wird. An welchem Tag und zu welcher Stunde dieses Ereignisses geschieht weiß niemand, nur Gott allein. (V36) So sagt es Jesus selbst, in dem wir den Menschensohn erkennen. Sein Kommen ist unerwartet und plötzlich.
Dieser überraschende Zeitpunkt, den niemand kennt, er erinnert uns z.B. an eine Kontrolle vom Amt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in einem Restaurant oder an die Polizei, die bei einer Razzia auftaucht. Oder es ist, wie wenn man mit der Straßenbahn oder dem Bus fährt und plötzlich zwei, drei unauffällige Menschen die Fahrscheine der Mitfahrenden sehen möchten. Allerdings sind die Fahrscheinkontrollen schon fast wieder berechenbar sind, weil sie meist zu Monatsanfang auftreten.
Das Unberechenbare, das Plötzliche, das, was man selbst nicht in der Hand hat und kontrollieren kann, das löst bei uns Unbehagen aus. Wie kann ich diesem Menschensohn begegnen, wenn ich mich nicht darauf vorbereiten kann? Wie ist Vertrauen möglich, wenn der Zeitpunkt ungewiss ist? Wie kann ich glauben, wenn doch alles ganz anders kommt? Und warum sollen wir uns gerade am Beginn des Advents so verunsichern lassen?
Klare Worte gegen die Berechenbarkeit …
Eigentlich bin ich ganz froh, dass Jesus hier einmal klare Worte spricht. Auch wenn sich bei mir zunächst Unbehagen zeigt, so sind seine Aussagen ein deutliches Wort gegen alle Berechenbarkeit, die wir gerne auch in Dingen des Glaubens hätten.
Berechenbar ist es geworden, das Erscheinen von Jesus. Am 24. Dezember kommt es, das Christkind, flötet es aus den Lautsprechern am Weihnachtsmarkt. „Alle Jahre wieder kommt das Christuskind“, so singen wir es in einem Weihnachtslied. Und dieses Christkind kommt mit einer Sicherheit, mit der der Handel ein gutes Geschäft zu machen weiß. Bis zu diesem Termin muss alles eingekauft, eingepackt und angeschrieben sein. Bis zu diesem Zeitpunkt läuft der meiste Umsatz des Jahres. Und läuft er einmal nicht, dann jammern die Vertreter der Wirtschaft lauthals.
Die Berechenbarkeit des Weihnachtsgeschäftes, sie schlägt sich bis in unsere Wertvorstellungen, ja bis in unseren Glauben nieder. Wie leicht lassen wir uns einreden, dass wir bei diesem Wirbel die schönste Zeit des Jahres, die seligsten Erinnerungen und die bezauberndsten Momente verpassen. Und wie enttäuscht sind wir, wenn es nicht so eintrifft wie versprochen. Darum bin ich froh, dass Jesus von seinem Kommen anders spricht. Er weist uns auf die Überraschung hin und dass wir nichts berechnen oder kalkulieren können.
… und gegen falsche Prophezeiungen
„Der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr ihn nicht erwartet.“ (V44) Das ist nicht nur gegen diejenigen gerichtet, die mit dem 24. Dezember ein Geschäft zu machen versuchen. Dieses Wort ist auch gegen falsche Propheten gerichtet. Sie meinen berechnen zu können, wann Jesus wiederkommt. Sie meinen zu wissen, wann das Ende dieser Zeit und dieser Erde sein wird.
So wie die falschen Propheten damals versuchten, damit ein Geschäft zu machen und die Ängste der Menschen zu schüren, so geschieht es auch heute. Immer wieder werden Berechnungen angestellt, um den genauen Termin zu kennen! Und nicht nur der Zeitpunkt ist von Interesse. Noch wichtiger ist es zu wissen, wie es weiter geht. Wer auf der Seite der Guten und der Bösen, der Gerechten und der Ungerechten stehen wird, wer zu den Böcken und wer zu den Schafen gehört. Doch wie wollen die Propheten wissen, was den Engeln im Himmel und selbst dem Sohn verborgen ist, was nur allein der Vater weiß?
Wozu also die unbequemen Worte von der mir unbekannten Stunde, wann der Menschensohn kommen wird? Warum das drohende Beispiel aus der Zeit Noahs, wo die Sintflut ebenso plötzlich und unerwartet über die Menschheit hereinbrach, wie der Menschensohn kommen wird? Was bringt der Aufruf, wachsam zu bleiben und aufmerksam zu sein? Soll ich mein Leben etwa nur noch auf den wiederkommenden Herrn ausrichten und keine Planung für die Zukunft mehr vornehmen? Soll ich stets meinen Fahrschein bereithalten, damit ich auch ja keine Strafe bezahlen muss und ungeschoren davonkomme? Soll ich mich nur noch absichern und darauf achten, dass ja nichts schief läuft, auch nicht in meinem religiösen Leben und in meinem Glauben nicht?
Bleibt wachsam und seid jederzeit bereit!
„Bleibt wachsam!“ (V42) und „Seid jederzeit bereit!“ (V44) so mahnt uns Jesus. Diese Aufforderung beziehe ich auf drei Aspekte:
Jeder und jede ist für den eigenen Glauben selbst verantwortlich
Zunächst: Bleibt wachsam! Das mahnt mich, meinen eigenen Glauben und meine Beziehung zu Gott nicht zu vernachlässigen. Gerade in den Zeiten, wo die Versuchung groß ist, in die allgemeine Weihnachtsseligkeit einzustimmen und mit dem Strom mitzuschwimmen, da ruft mir dieses Wort in Erinnerung: Pass auf! Nicht alles, was einen religiösen Anstrich hat, zeigt dir den menschenfreundlichen Gott wie er in Jesus Christus erschienen ist. Darum prüfe alles und behalte das Gute!
Lass dich nicht einlullen von dem Glauben, dass durch das Feiern des Weihnachtsfestes mit all seinen Aktionen die Welt göttlicher und heilvoller wird. Heilvoller wird sie nur, wenn dieser Gottessohn in dein Leben tritt und du ihn bei dir willkommen heißt.
Oder, um noch einmal ein Beispiel von Jesus aufzugreifen: Nimm dich in Acht, auch wenn zwei ganz eng miteinander zusammenarbeiten oder zusammenleben, auf dem Feld oder beim Mahlen an der Mühle, so ist ihnen ein gemeinsamer Weg, ein gemeinsames Ende nicht gewiss. Jeder und jede ist für den eigenen Glauben selbst verantwortlich und dafür wie dieser Glaube Ausdruck gewinnt.
Nutze die Zeit und schiebe nichts auf!
Als nächstes: Bleibt wachsam! Das ist ein Aufruf, nicht alles auf die lange Bank zu schieben oder anstehen zu lassen. Vielleicht ist für uns das Kommen des Menschensohnes oder die Wiederkunft des Herrn ein Datum, das außerhalb unseres Zeithorizontes liegt. Wir wissen es nicht. Aber der eigene Tod oder der Tod anderer Menschen, die liegen für uns näher. Sie mahnen uns: Es gibt auch ein Zuspät. Es gibt einen Zeitpunkt, da ist kein direktes Gespräch und kein persönliches Wiedergutmachen mehr möglich. Darum nutze die Zeit, die dir gegeben ist.
Nutze die Zeit des Adventes nicht nur für die Vorbereitung auf Weihnachten. Nutze die Zeit, um Dinge anzupacken und in Ordnung zu bringen, die schon länger anstehen und noch ungelöst sind. Höre auf die biblischen Texte, die uns dazu aufrufen, Buße zu tun und umzukehren. Bleib wachsam auf das, was uns Gottes Wort zu sagen hat. Schöpfe daraus die Kraft, dich auf Gottes Kommen in diese Welt vorzubereiten.
Geht achtsam mit euch selbst und euren Mitmenschen um!
Und schließlich: Bleib wachsam! Das ist eine Ermutigung, mich nicht mit Unnötigem zuschütten zu lassen, sondern das Wesentliche im Leben wahrzunehmen. Bleib wachsam! Das ist eine Ermahnung, dass ich mich mit offenen Augen und empfindsamem Herzen in dieser Welt bewege. Bleib wachsam für die Menschen und ihre Nöte! Verschließe dein Herz nicht vor ihren Sorgen und Ängsten! Lass dich bewegen von dem, was sie und euch beschäftigt.
Und zugleich gilt: Freut euch! Freut euch mit anderen Menschen und lasst euch von ihrer Lebensfreude anstecken! Bleibt wachsam, was euch selbst betrifft. Geht achtsam und behutsam mit euch selbst um. Überfordert euch nicht, indem ihr euch Unmögliches abverlangt. Nehmt eure Bedürfnisse wahr und äußert sie. Lasst andere an euren Gefühlen und Gedanken teilhaben. Das ist eine Bereicherung für alle.
Wachsamkeit führt in eine erfüllte Zeit
Bleibt wach und bereit, denn wer in dieser Haltung sein Leben lebt, für den ist weder der eigene Tod noch das Wiederkommen des Herrn eine Überraschung. Wer im Jetzt lebt, wer wach durchs Leben geht, den wird nicht das Lebensgefühl prägen, immer zu spät zu kommen oder das Wesentliche wieder einmal verpasst zu haben.
Wer wach und bereit ist, durch die Höhen und auch durch die Tiefen des Lebens zu gehen, trauert letztlich nicht über die ungelebten Zeiten und vertanen Chancen. Wer wach und bereit ist, wird dankbar für alle Freude und alles Berührende zu jeder Zeit. In der Haltung der Wachsamkeit und Bereitschaft im Hinblick auf das Kommen des Herrn, wird unsere Zeit zu einer erfüllten, vollendeten und damit vollkommenen Zeit. Amen.