Die Visionen des Amos
Glaubensimpuls
Lokalpastor EmK Schweiz
Liebe Gemeinde, heute möchte ich zeigen, wie die Visionen von Amos das Thema der Ungerechtigkeit und der damit verbundenen Verantwortung aufgreifen. Was kann das für uns heute bedeuten?
Für die Welt und die Zeit in der wir leben?
Amos, um die Hauptperson einmal kurz vorzustellen, stammt aus Tekoa. Einer noch heute existierenden Ortschaft ca. 10 km südlich von Bethlehem. Amos sagt von sich selbst: „Ich bin kein Prophet und kein Prophetenschüler, sondern ich bin ein Viehhirte und veredle Maulbeerfeigen. Aber der HERR hat mich hinter meiner Herde weggenommen und zu mir gesagt: Geh und prophezeie meinem Volk Israel!“ (Amos 7,14-15)
Das sind ganz wichtige Informationen. Wir hören damit: Amos ist unabhängig. Er ist kein Untertan des Landes Israel, wo er prophezeit, sondern stammt aus Juda. Nicht Jerobeam ist sein König, sondern Usija, der König von Juda. Und er ist kein Prophetenschüler oder Hofprophet, der vom König bezahlt wird, sondern er ist ein Bauer mit eigenem Anwesen. Kein Tagelöhner, sondern es ist „seine“ Herde, von der er weggenommen wird. Amos ist selbstständig, er ist finanziell abgesichert.
Hören wir einmal, warum er kommt:
„Hört dieses Wort, ihr Baschankühe auf dem Berg von Samaria, die ihr die Schwachen ausbeutet und die Armen zermalmt und zu euren Männern sagt: Schafft herbei, wir wollen saufen!“ (Amos 4,1)
Ähnliches Thema aber an anderer Stelle, heißt es im Kapitel 5:
„Ihr bringt den Unschuldigen in Not, ihr lasst euch bestechen und weist den Armen ab im Tor.“ (Amos 5,12b) Oder: „Weil ihr vom Hilflosen Pachtgeld annehmt und sein Getreide mit Steuern belegt, darum baut ihr Häuser aus behauenen Steinen… und legt euch prächtige Weingärten an.“ (Amos 5,11)
Amos kommt in ein Land, ins Land Israel zur Zeit des Königs Jerobeam, in dem die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Nicht weil sie, die Reichen oder die Oberschicht, soviel tüchtiger wären, nein. Sondern weil sie die Schwachen ausbeuten und die Menschen in ungesicherten Verhältnissen zu bloßen Objekten ihres Erwerbs-, Macht- und Genusstriebs herabwürdigen. Kommt uns das bekannt vor? Jedenfalls ist das der Hintergrund, auf dem wir die Visionen des Amos hören müssen.
Dabei unterscheiden sich die Visionen eins und zwei ganz klar von den Visionen drei und vier. Wer aufmerksam zugehört hat, wird bemerkt haben, dass sich die jeweiligen Paare im Aufbau und in der Wortwahl sehr ähnlich sind. Das ist natürlich bewusst so gestaltet worden, um sie als miteinander verbunden erkennbar zu machen.
Schauen wir uns jetzt einmal die Vision eins an: „Dies hat GOTT, der Herr, mich sehen lassen: Siehe, da war einer, der einen Heuschreckenschwarm formte, als die Spätsaat zu wachsen begann. Und siehe, die Spätsaat folgt auf den Schnitt für den König. Sie machten sich daran, alles Grün im Land zu vertilgen. Da rief ich: Herr und GOTT, vergib doch! Wie kann Jakob bestehen? Er ist ja so klein. Da hatte der HERR Mitleid: Es wird nicht geschehen – sprach der HERR.“
Da formte einer – gemeint ist Gott – einen Heuschreckenschwarm. Heute ist uns das vielleicht nicht mehr so bewusst, wenn wir einen hübschen, grünen Heuschreck im Garten entdecken. Aber im Namen steckt das Wort „Schrecken“. Tatsächlich ist es so, dass auch heute noch ein Heuschreckenschwarm in kürzester Zeit alles, was ihm in den Weg kommt, niederfrisst. Das allein wäre also schon schlimm. Aber es geht in dieser Vision um die Spätsaat. Um die Spätsaat, die auf den Schnitt für den König folgt. Erst holt sich der König einmal seinen Anteil – die Steuern könnte man sagen. Oder die Pacht für das Land, wie auch immer. Aber von der Spätsaat lebt die Familie der Bauern. Sie ist deren Existenzgrundlage und das weiß der Bauer Amos. Deswegen schreit er auf und bittet Gott einzuhalten. Bitte Gott, vergib doch! Das kann der kleine Mann, Jakob, der ja so klein ist, nicht verkraften. Das ist zu viel, das hält er nicht aus! Und Gott hat Mitleid und sagt: Es wird nicht geschehen.
Was wir schon hier erkennen können, ist, dass auch der kleine Mann, der Mann aus dem Volk Israel, genannt Jakob, nicht ohne Schuld ist. Auch unter den armen Menschen gibt es Lüge, Missgunst, Streben nach eigenem Vorteil, also Ungerechtigkeit. Die Armen sind moralisch gesehen nicht besser als die Reichen. Sie haben auch Strafe verdient, wenn man so will.
Aber sie sind klein. Eine solch harte Strafe wie der Heuschreckenschwarm, würde sie umbringen. Sie können das nicht aushalten. Und Gott sieht das ein und vergibt.
Gott sieht das ein. Diese Formulierung ist natürlich dem Erzählverlauf geschuldet. Gott weiß natürlich zu jeder Zeit, was er tun wird. Aber die Erzählung und der Aufschrei von Amos sollen deutlich machen, dass Gott kein philosophisches Prinzip ist, sondern ein lebendiger Gott. Ein Gott, der sich umstimmen lässt. Ein Gott, der sich Mitleid vorbehält, wenn die Menschen Buße oder Umkehr zeigen.
Bestes Beispiel dazu wäre Jona und die Stadt Ninive. Die ganze Stadt Ninive tut Buße und da reute es Gott und er vernichtet die Stadt nicht. Auch das Buch Amos ist durchsetzt von diesen Verheißungen, dass Gott gnädig sein kann, wenn sich etwas ändert.
Damit komme ich jetzt zur zweiten Vision, die ja ganz ähnlich, stellenweise wortgleich, aufgebaut ist:
„Dies hat GOTT, der Herr, mich sehen lassen: Siehe, da rief jemand einen Angriff mit Feuer herbei, Herr und GOTT, und es fraß die große Urflut und wollte das Ackerland verschlingen. Da rief ich: Herr und GOTT, halte doch ein! Wie kann Jakob bestehen? Er ist ja so klein. Da hatte der HERR Mitleid: Auch das wird nicht geschehen – sprach GOTT, der Herr.“
Mit Feuer ist hier ein Steppenfeuer gemeint. Auch heute noch eine tödliche Bedrohung, weil es sich rasend schnell ausbreitet und alles in Brand steckt, weil ja alles grundsätzlich trocken ist. Das Fressen der Urflut meint die Absenkung des Grundwasserspiegels, das dieses Feuer bewirkt. Damit ist also nicht nur die Nahrung, die Spätsaat, sondern die Grundlage jeden Lebens in Gefahr. Ohne Wasser kein Leben. Und auch hier lässt sich Gott umstimmen. Weil Jakob so klein ist.
Erste und zweite Vision betreffen die normalen Leute. Die Unterschicht, die rund um die auf einem Hügel erbaute Stadt Samaria leben und die von der Hand in den Mund leben. Der König hat seinen Anteil schon vor der Spätsaat bekommen und ein Steppenbrand betrifft die Stadtmenschen nicht.
Um sie geht es in den Visionen drei und vier.
Wir hören die Vision drei, die jetzt schon ganz anders aufgebaut ist:
„Dies hat er mich sehen lassen: Siehe, der Herr stand auf einer Mauer aus Zinn und in seiner Hand war Zinn. Und der HERR fragte mich: Was siehst du, Amos? Ich antwortete: Zinn. Da sagte der Herr: Siehe, ich lege Zinn in die Mitte meines Volkes Israel. Ich gehe nicht noch einmal an ihm vorüber. Isaaks Kulthöhen werden verwüstet und Israels Heiligtümer zerstört; mit dem Schwert erhebe ich mich gegen das Haus Jerobeam.“
Im Unterschied zu den Visionen eins und zwei ist die Handlung hier schon vollzogen. Gott wird nicht auf die Mauer steigen, sondern er steht bereits auf der Mauer. Gemeint ist hier auch nicht irgend ein Gartenmäuerle sondern eine 5-8 Meter hohe, mehrere Meter dicke Stadtmauer. So eine Mauer wie sie die Hauptstadt Samaria umgeben hat. Und wer auf der Mauer steht, der ist der Sieger. Derjenige, der die Stadt eingenommen hat. Eingenommen mit Zinn, das ist ein Bild für Militär, Waffen und Krieg, denn aus einem drittel Anteil und zwei drittel Anteilen Kupfer lässt sich Bronze herstellen. Bronze, das Material des Krieges.
Um in der Bibel etwas Wichtiges deutlich zu machen, werden als Stilmittel oft Doppelungen verwendet. Wir kennen das von vielen Ereignissen, ob es jetzt die beiden Schöpfungsberichte im Buch Genesis sind oder die 10 Gebote, die wir im 2. und im 5. Buch Mose finden. Es gibt dazu viele Beispiele, aber deswegen hören wir jetzt auch noch die vierte Vision, die, wie schon gesagt, nach demselben Strickmuster wie Vision drei aufgebaut ist:
„Dies hat GOTT, der Herr, mich sehen lassen: Siehe, ein Korb für die Ernte. Er fragte: Was siehst du, Amos? Ich antwortete: Einen Korb für die Ernte. Da sagte der HERR zu mir: Gekommen ist das Ende zu meinem Volk Israel. Ich gehe nicht noch einmal an ihm vorüber. Dann heulen die Sängerinnen des Palastes. An jenem Tag – Spruch GOTTES, des Herrn – gibt es viele Leichen, überall wirft man sie hin. Still!“
Erstmals wird hier das Bild der Ernte mit dem Kommen des Gerichts gleichgesetzt. Auch hier geht es für Amos nur mehr darum, das bereits Geschehene zur Kenntnis zu nehmen.
Was wir jedenfalls in diesem gesamten Visionszyklus wahrnehmen können, ist, dass Gott jedes Mal Strafe androht wegen der Ungerechtigkeit, die in Israel herrscht. Der Ungerechtigkeit muss ein Ende gesetzt werden. So kann es nicht weitergehen. Gott wird das ändern.
Auf die Wahl der Mittel kann ich in dieser Predigt nicht eingehen, aber was doch hoffentlich ganz klar aus der Betrachtung der Visionspaare eins und zwei sowie drei und vier hervorgegangen ist, ist die Beobachtung, dass Gott unterscheidet.
Gott unterscheidet zwischen dem Volk, der Unterschicht, den „Kleinen“ und der Schickeria, der Oberschicht, den sogenannten „Großen“.
Wie ich schon gesagt habe: Die „Kleinen“ sind nicht ohne Schuld. Auch unter den Kleinen gibt es Ungerechtigkeit. Aber sie werden von Gott anders behandelt als die Großen. Weil sie klein sind. Anders schaut das bei den Großen aus, also denjenigen, die die Macht haben, etwas an den Verhältnissen zu ändern.
Und genau das ist der Punkt, der mich heute nachdenklich macht. Gehören du und ich zu den „Kleinen“? Oder doch zu den „Großen“? Oder gehöre ich zu den Großen? Du aber zu den Kleinen?
Angesichts meiner Möglichkeiten den Krieg in der Ukraine zu beeinflussen bin ich vielleicht ein Kleiner. Gilt das aber auch für den Klimawandel?
Bin ich da nicht ein Großer, weil mein Leben und mein Urlaub einen ungleich größeren ökologischen Fußabdruck hinterlassen als von Millionen anderer Menschen? Wenn ich mir das Umdenken leisten kann und eben nicht auf die Spätsaat angewiesen bin, warum tue ich es dann nicht?
Das sind jedenfalls die Fragen, die mich bewegen und die ich auch euch heute mitgeben möchte.
Amen.
Frank Moritz-Jauk