Unruhig ist unser Herz bis es ruht in dir.

Glaubensimpuls

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Bernhard Lasser

Laienprediger


Predigt von Bernhard Lasser zu Hebräer 5,5-14

Predigttext 

Hebräer 5,5-14 nach der Übersetzung der BasisBibel 

„So hat auch Christus sich nicht selbst die Würde verliehen, Hohepriester zu werden. Vielmehr hat er sie von dem empfangen, der zu ihm gesagt hat: »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt.« Und an einer anderen Stelle sagt er: »Du bist Priester für alle Zeit, wie Melchisedek es war.«

Als Jesus hier auf der Erde lebte, brachte er seine Gebete und sein Flehen vor Gott – mit lautem Rufen und unter Tränen. Denn der konnte ihn vom Tod retten. Und wegen seiner Ehrfurcht vor Gott ist er erhört worden. Obwohl er der Sohn war, hat er es angenommen, wie ein Mensch durch Leiden Gehorsam zu lernen. So wurde er zur Vollendung gebracht. Seitdem ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber ihrer ewigen Rettung geworden. Gott nannte ihn ja »Hohepriester, wie Melchisedek« es war.

Dazu hätten wir noch viel zu sagen. Es ist aber schwierig zu erklären, weil ihr so begriffsstutzig seid. Nach der langen Zeit müsstet ihr schon selbst Lehrer sein. Aber ihr braucht noch einmal jemanden, der euch die Grundbegriffe von Gottes Wort beibringt. Ihr braucht wieder Milch und keine feste Nahrung! Wer noch Milch trinkt, ist unfähig, die Botschaft von der Gerechtigkeit zu verstehen. Er ist ein kleines Kind. Feste Nahrung ist aber für die Erwachsenen, also die im Glauben Vollendeten. Ihre Sinne sind durch den Gebrauch darin geübt, Gut und Böse zu unterscheiden.

Unruhig ist unser Herz bis es ruht in dir

Liebe Gemeinde,

Der Kirchenvater Augustinus hat in seinen Bekenntnissen einen Satz geschrieben, der sehr bekannt wurde. „[U]nruhig ist unser Herz bis es ruht in dir.“[1] Vielleicht dachte Augustinus an Psalm 116, in dem es heißt: „Kehre zurück, meine Seele, zu deiner Ruhe.““[2] Augustinus schrieb die Bekenntnisse als einen Rückblick auf ein bewegtes Leben. Augustinus war der Sohn einer gläubigen Frau, er wandte sich in seiner Jugend aber vom Glauben ab. Danach war er lange auf geistiger Suche, er war bei verschiedenen Religionen und Philosophien, fand aber keine Erfüllung. Er war ein gebildeter Mann, der eine gehobene Position erreicht hatte, aber seine innere Unruhe konnte er nicht stillen. Die Unruhe führte schließlich zu einer Hinwendung zu Gott. In einer schwierigen Zeit wurde Augustinus Bischof von Hippo, der Krieg vor der Tür und die Gemeinde zerstritten. Er ließ sich von Gott beruhigen und begann das Evangelium zu verkünden. Er hat seine Ruhe in Gott gefunden. Seine Seele kehrte zurück zu ihrer Ruhe in Gott. Die Ruhe gefunden zu haben bedeutete nicht sich auszuruhen, sondern eine Ausrichtung der Seele auf Gott und eine Lebenspraxis, die dieser Ausrichtung entsprach. Auch für John Wesley war Augustinus ein wichtiger christlicher Denker, auch Wesleys Herz ruhte in Gott. Wie für Augustinus war für Wesley Ruhe nicht Freizeit, sondern eine Lebensführung, die seinem Glauben entsprach. Im Glauben wird täglich das Vertrauen Jesus geschenkt. So hat auch Wesley Ruhe und Frieden im Glauben gefunden.

Sehnsucht nach Ruhe ist wichtig

Diese Sehnsucht nach Ruhe ist für mich sehr nachvollziehbar. Nicht nur in einem derart hektischen Leben wie in dem von Augustinus oder dem von Wesley. In der Hektik, zumindest in meinem Leben, ist Ruhe auch eine Sehnsucht. Eine Sehnsucht, die wirklich wichtig ist. Wie schön ist ein Tag ohne Termine, ein Tag, der mit geliebten Menschen verbracht werden kann. Ein Tag, an dem nicht die Pflichten der Arbeit, des Studiums oder andere Pflichten im Mittelpunkt stehen. Diese Ruhe ist aber nicht die, die Augustinus und Wesley beschreiben. Nicht nur an solchen freien Tagen kann ich zur Ruhe kommen. Auch in der Kirche kann ich gut zur Ruhe kommen, wenn ich die Musik höre, die Orgel oder das Klavier. Wie ich mit meinen Gedanken im Gottesdienst ankomme, wenn die Eingangsmusik beginnt. Da ist Ruhe. Auch sonst ist der Gottesdienst eine Zeit, in der ich ruhig werden kann, in der Gott sich mir zuwendet und ich mich Gott zuwenden kann. Der Alltag wird unterbrochen und ich komme zur Ruhe. Auch deswegen ist es mir wichtig, den Gottesdienst zu besuchen und Teil des Gottesdienstes zu sein.

Der Sklaverei entfliehen

Die Ruhe ist ein besonders wichtiges Ziel, wenn sie aufgrund der Lebensumstände nicht erreicht werden kann. Als etwas erscheint, das sowieso nicht realisiert wird. So zum Beispiel für das Gottesvolk Israel in Ägypten. Eine Existenz in Sklaverei und Unterdrückung, aus der es keinen Ausweg gab. In Ägypten waren die Zustände schrecklich. Aufgrund seiner Angst vor einem Aufstand der Israeliten und Israelitinnen hatte der Pharao sogar angeordnet, alle männlichen Kinder umzubringen. Verhindert werden konnte das nur von den mutigen Hebammen Schiffra und Pua, die dem Pharao sagten, dass die Kinder bereits geboren waren, wenn sie zu den werdenden Müttern kamen. Sie sagten das in vollkommener Machtlosigkeit zum mächtigsten Mann der Welt und haben so viele Kinder gerettet. Eines der geretteten Kinder war Mose.​
Gott zeigte durch Mose, dass auch etwas anderes möglich ist. Ein anderes Leben als das in der Unterdrückung in Ägypten. Die Israeliten und Israelitinnen wollten aus der Sklaverei in Ägypten entkommen. Der Weg war äußerst anstrengend. Der Weg durch die Wüste war lang, die Bibel berichtet von vierzig Jahren Wüstenwanderung. Bei einer solchen Dauer scheint das Ziel in weite Ferne zu rücken, es kommt zu Zweifeln an der Erreichbarkeit des Landes Kanaan, das die Israeliten und Israelitinnen zu erreichen versuchten. Dass die Sehnsucht nach Ruhe bei einer solchen Anstrengung groß wird, ist nur zu verständlich. Die Menschen mussten große Entbehrungen auf sich nehmen, der Weg durch die Wüsten brachte enorme Lasten mit sich. Sie waren auf dem Weg in ein Land, in dem Milch und Honig fließen. Auf dem Weg in eine bessere, menschlichere Zukunft. Sie würden frei sein und nicht mehr in der Sklaverei in Ägypten. Die Unterdrückung, die sie in Ägypten erfahren hatten, sollte nicht wiederkehren.

Der Weg in die Freiheit führt durch die Entbehrung

Das Leben war in Ägypten sehr bedroht. In einer derartigen Situation ist die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nur zu verständlich. Das Ziel ist es Wert, größte Entbehrungen auf sich zu nehmen. Mit der Zeit zweifelten die Menschen an der Erreichbarkeit des gelobten Landes. Schließlich, nach vierzig Jahren in der Wüste, wurde das Land endlich erreicht. Die Geschichte vom Exodus, dem Auszug aus Ägypten, ist die erste Geschichte, in der auf ein solches Ziel hingearbeitet wird. Es ist das erste Mal, dass davon erzählt wird, dass Menschen versuchen ein menschenwürdigeres Dasein zu gestalten. Das Volk Israel versucht in einem neuen Gebiet ein Leben in Freiheit zu beginnen. Ein Leben, in dem sie frei von Unterdrückung sein sollten. Anfang und Ende unterscheiden sich extrem voneinander. Dennoch ist das Ende bereits am Anfang als Hoffnung da. Diese Geschichte war eine große Neuerung gegenüber den anderen Erzählungen in der Antike.[3] Dass Anfang und Ende sich unterscheiden ist dabei unmöglich. Nicht so im Exodus. Der Auszug aus Ägypten führt nach den Entbehrungen und langer Zeit in das gelobte Land. Eine Verbesserung der menschlichen Verhältnisse wird damit denkbar und ein erstrebenswertes Ziel. Eine Erzählung von Hoffnung, die auch später Hoffnung ermöglicht.

Hoffnung hilft auf dem Weg durch die Wüste

So ermöglichte sie Hoffnung für den Verfasser des Hebräerbriefes. Der Autor des Hebräerbriefes sieht die Gemeinde, für die er schreibt, als das wandernde Gottesvolk. Der Weg durch die Wüste ist beschwerlich, und die Gemeinde scheint eher aufzugeben als weitergehen zu wollen. Sie befindet sich in einer Situation, die mit der Wanderung des Gottesvolkes verglichen wird. Das Ziel ist hier die obere Welt, also der Himmel. Eine Wanderung aus der irdischen Existenz zu einer himmlischen Existenz bei Gott. Zu der Zeit, als der Brief geschrieben wurde, war die erste Begeisterung für den neuen Glauben verflogen. Als diese erste Begeisterung weg war zeigte sich, dass das Leben so beschwerlich war wie davor. In vielen Punkten wurde das Leben sogar schwieriger, da die Umwelt dem neuen Glauben nicht offen gegenüberstand. Die Gemeinde machte sich durch den Glauben an Christus keine Freunde, die Umwelt reagierte ablehnend. Vermutlich wurden zumindest einzelne Gemeindemitglieder bestraft und verfolgt. Es waren schwierige Zeiten. Der Autor des Briefes erinnert an die Wanderung des Volkes Israel durch die Wüste, und daran, dass das Ziel die Anstrengungen wert war. Auch er will die Hoffnung vermitteln, dass der Glaube die Entbehrungen wert ist, die die Gemeindemitglieder auf sich nehmen.

Der Weg durch die Wüste ist schon gegangen

Der Weg durch die Wüste wurde schon gegangen. Im Hebräerbrief nicht nur vom Volk Israel, sondern auch von Jesus Christus. Der Weg Jesu geht über einen triumphalen Einzug in Jerusalem über die letzten Tage seines Lebens, das letzte Abendmahl mit seinen Jüngern zum Tod am Kreuz. Sein Sterben brachte die größte Entbehrung mit sich. „Und als er vollendet war, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber des ewigen Heils geworden“[4], so der Brief an die Hebräer. Diese Hingabe, dieses Leiden war notwendig dafür, dass er Christus ist. Ein schrecklicher Tod, aber auch eine Erzählung vom Vertrauen in Gott und eine Zuwendung zu den Menschen. Um die Menschen vor Gott vertreten zu können, musste Jesus Christus die menschliche Existenz kennenlernen. Nicht nur die schönen und angenehmen Seiten, sondern auch andere. Und so lernte er auch das tiefste Leiden kennen. Eine solche Gemeinschaft mit den Menschen ist nur möglich, wenn die Leiden der menschlichen Existenz bekannt sind und erlebt und durchlitten wurden. Im Hebräerbrief ist es klar, dass dieses Opfer Jesu notwendig war. Die Ruhe und der Frieden, die er mit seinem Opfer bringt, gilt allen Menschen. Alle Menschen sind eingeladen, ihm nachzufolgen und auf ihn zu vertrauen. Jesus ist himmlischer Hohepriester, der mit seinem Opfer endgültige Sühne bewirkt. Er ist Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks, für den Verfasser des Hebräerbriefes ist das die höchste und älteste Ordnung des hohepriesterlichen Amtes.[5] Andere Hohepriester sind damit nur Schatten des Hohepriesteramtes Jesu. Im Hebräerbrief ist es ganz klar, dass die himmlische Welt die wahre Welt ist und die Irdische nur ein Schatten davon. Die wirkliche Ruhe wird durch das himmlische Original vermittelt, auf der Erde ist nur ein Abbild dieser Ruhe möglich.

„Kirche“ ist Aufbruch in eine himmlische Existenz

Die Hoffnung auf einen neuen Weg in das gelobte Land ist im Hebräerbrief eine Hoffnung auf den Himmel. Im Glauben ist diese Hoffnung Gewissheit. Von einem Leben in der Welt der Schatten ist es die Hoffnung, direkt bei Gott zu sein. Eine nur allzu menschliche Hoffnung, wenn die Situation bedacht wird, in der die Gemeinde sich befindet. Die Gemeinde litt unter Unterdrückung durch ihre Umwelt. Die Kirche ist ein Aufbruch in die himmlische Existenz. Eine bessere Existenz. Der Glaube ist bereits jetzt die Realität dieser kommenden Welt.​

Der Mensch ist nicht perfekt, und dennoch ist es unsere Aufgabe, an einer besseren Zukunft mitzuwirken.

Die Situation der Kirche hat sich verändert. Auch die Aufgaben der Kirche haben sich verändert. Die Hoffnung auf die kommende Welt, einen neuen Himmel und eine neue Erde ohne Leid, ist eine für uns Christinnen und Christen zeitlose Hoffnung. Aber aus dieser Hoffnung abzuleiten, dass ein Auszug in den gelobten Himmel notwendig ist, ist heute fragwürdig geworden. Es ist auch Aufgabe der Kirche geworden, auf den Menschen zu achten. Die Hoffnung auf eine menschliche Existenz kann nicht nur in den Himmel verschoben werden. Das soziale Bekenntnis unserer Kirche ist ein Ausdruck davon. So heißt es im Sozialen Bekenntnis: „Wir stehen ein für die Überwindung von Ungerechtigkeit und Not.“[6] Oder: „Wir sind bereit, mit den Benachteiligten unsere Lebensmöglichkeiten zu teilen. Wir sehen darin eine Antwort auf Gottes Liebe.“[7] Auch das kann Menschen helfen, zur Ruhe zu kommen. Es ist gerade in diesen Zeiten notwendig, die Hoffnung auf eine menschlichere Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Der Mensch ist nicht perfekt, und dennoch ist es unsere Aufgabe, an einer besseren Zukunft mitzuwirken. Die Kirche hat hier eine besondere Aufgabe, sie darf nicht zu einer Vollstreckerin der Gesellschaft werden. Stattdessen gilt es zu bezeugen, dass ein menschlicheres Leben möglich ist. Lasst uns diese Kirche gestalten.

Amen.

Quellen

[1] Augustinus, Confessiones/Bekenntnisse. Stuttgart 2009, hier: I.1, S. 36.

[2] Psalm 116,7, Elberfelder Bibel. 

[3] Vgl. Walzer, Michael, Exodus und Revolution, Berlin 1988. So wiederholt zum Beispiel das Schicksal des Odysseus. 

[4] Hebräer 5,9, Neue Genfer Übersetzung.

[5] Vgl. Hebräer 5, 6.10. 

[6] Soziales Bekenntnis der Evangelisch-methodistischen Kirche, Gesangbuch Nr. 771, S. 1343.

[7] Soziales Bekenntnis der Evangelisch-methodistischen Kirche, Gesangbuch Nr. 771, S. 1343.

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