Friede braucht Kirche
Glaubensimpuls
Lokalpastor EmK Schweiz
Die evangelische Pfarrer*innentagung, die vom 28. bis 30. August 2023 in Rust/Burgenland getagt hat, hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, wie Frieden und Kirche zusammenhängen.
Was können Kirchen zum Frieden beitragen?
Inwiefern sind die Forderung nach gewaltfreien Lösungen mit dem Recht auf Selbstverteidigung vereinbar?
Die Predigt reflektiert diese Fragestellungen auch autobiografisch am Beispiel der eigenen Entscheidung, keinen Militärdienst zu leisten.
Friede braucht Kirche
„Friede braucht Kirche“, das könnte man beim ersten Hören einmal grundsätzlich in Frage stellen. Braucht der Friede die Kirche?
Ist nicht Religion hauptverantwortlich für so viele Konflikte, wenn wir in den Sudan, nach Syrien, Jemen, Israel oder sonstwo in der Welt schauen?
Oder wenn wir auf den aktuellen und in den Medien präsentesten Krieg in der Ukraine schauen: „Friede braucht Kirche“: welche Kirche?
Die russisch-orthodoxe Kirche etwa?
Von welcher Kirche reden wir denn?
Hintergrund
Nachdem die vergangenen drei Tage in Rust am Neusiedler See eine Tagung der drei evangelischen Kirchen in Österreich war, werde ich das Thema einmal auf diese evangelischen Kirchen beschränken. Denn dann kann ich etwas vom Verlauf der Gespräche und der Vorträge wiedergeben.
Jedenfalls hoffe ich, dass ich mit dieser Predigt oder diesen Gedanken zum Thema zum Nachdenken anregen kann. Über vielleicht schon lange gehegte oder verschiedentlich schon ausgesprochene oder noch offene, unbeantwortete Fragen.
Problematik von einzelnen Bibelzitaten
Im Laufe dieser Predigt zum Thema werde ich einige einzelne Bibelstellen zitieren.
Normalerweise dürfte jede und jeder sofort „Kontext, Kontext, Kontext“ schreien.
Es ist nicht unproblematisch, Bibelstellen als einzelne Stellen und nicht in ihrem Zusammenhang – ihrem Kontext – zu verwenden.
Was ich aber mit dieser Vorgangsweise stärken möchte, das ist die Verwurzelung der Fragestellung im biblischen Wort.
Was sagt die Bibel zum Thema Frieden und - darauf komme ich auch noch - was sagt die Bibel zum Thema Gerechtigkeit und Freiheit?
Wenn ich das Thema Frieden hier in der Predigt behandle, dann frage ich ja nach einem Verhalten von einem jeden Christen und einer jeden Christin.
WWJD – What would Jesus do?
So schwierig es auch sein wird, darauf eine gute Antwort zu geben – ich denke, das ist für mich wichtig: Was würde Jesus tun?
Was würde er sagen und raten?
Oder ist Jesus mit einem so klar umrissenen Auftrag und einer ganz bestimmten Vorgangsweise (Stichwort Leidensweg) hier auf der Erde gewesen, dass er zum Krieg in der Ukraine rein gar nichts sagen könnte?
Oder würde er ähnlich wie der Römerbrief (Römer 12,19) argumentieren:
„Das Unrecht zu rächen ist meine Sache, sagt der Herr, ich werde Vergeltung üben?“
Definition von Frieden
Fakt ist, dass der biblische Friede immer viel mehr ist als die Abwesenheit von Krieg. Ich denke, das merken wir daran, wie Jesus das Wort Friede verwendet, wenn er es an seine Jünger adressiert. Besonders nach seiner Auferstehung.
„Friede sei mit euch“ (Johannes 20,19), so werden die Jüngerinnen und Jünger angesprochen.
Oder denken wir an die Verheißung im Johannesevangelium:
„Was ich euch zurücklasse, ist Frieden: Ich gebe euch meinen Frieden – einen Frieden, wie ihn die Welt nicht geben kann.“ (Johannes 14,27)
Jesus sagt das im Zusammenhang mit der Sendung oder der Gabe des Heiligen Geistes.
Und zum Thema Friede in der Bibel möchte ich hier noch Paulus zu Wort kommen lassen:
„Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christo Jesu!“
Auch das deutet an, dass biblischer Friede viel mehr ist als das Schweigen der Waffen.
Praktische Umsetzung
Dennoch – und hier wird es jetzt ganz konkret und ganz praktisch:
Was antworte ich als Christ auf die Frage: Waffenlieferung, ja oder nein?
Soll der Westen jetzt weiter Waffen liefern und die Ukraine in ihrem militärischen Kampf gegen Russland unterstützen?
Oder sollen diese Waffenlieferungen eingestellt werden, damit nicht jeden Tag Menschen sterben?
Hat nicht die Ukraine, als von Russland überfallenes Volk, ein Recht darauf sich zu verteidigen und ihre Gebiete zurückerobern zu wollen?
Oder wird damit ausschließlich eine Waffenlobby unterstützt, die jetzt fette Gewinne macht und die Friedensverhandlungen nur verzögert?
Erweiterung der Diskussion
An dieser Stelle wird man die Diskussion wohl um die Begriffe Gerechtigkeit und Freiheit erweitern müssen.
Wie schaut ein gerechter Friede aus?
Kann man den Ukrainerinnen und Ukrainern einen Frieden zumuten, der ihre Freiheit beschneidet oder gefährdet?
Kann man Russland überhaupt noch vertrauen?
Inhaltlicher Input von der Pfarrer*innentagung
An dieser Stelle möchte ich eine Referentin der Pfarrer*innentagung zu Wort kommen lassen.
Frau Professorin Angelika Dörfler-Dierken hat in ihrem Vortrag auf die Krisen in Europa seit 1990 im Kontext mit Russland hingewiesen.
Vor allem hat sie auf das Budapester Memorandum 1994 hingewiesen, bei dem die Ukraine die Atomwaffen an Russland zurückgegeben hat. Russland hat im Gegenzug der Ukraine dafür die volle staatliche Souveränität garantiert. 1997 wurde in Kiew der russisch-ukrainische Freundschaftsvertrag unterzeichnet. Mit der Besetzung der Krim 2014 wurde dieser von der Ukraine nach 2019 nicht verlängert. Im Februar 2022 erfolgte der Einmarsch russischer Truppen und der Beginn des Angriffskrieges. Russland hat also alle völkerrechtlichen Abkommen und Verträge mit der Ukraine gebrochen.
Konsequenzen aus der Geschichte
Kann man so einem Land also noch vertrauen?
Wie soll dann ein verlässlicher, gerechter Friede ausschauen?
Welche Bedingungen braucht es dafür?
Ist die Rückgabe oder die Rückeroberung der von Russland besetzten Gebiete dafür die Bedingung?
Ist eine solche Forderung realistisch?
Wie sehen das eigentlich die unmittelbar Betroffenen, sprich die Ukrainerinnen und Ukrainer?
Und welche Auswirkungen hat das für Europa?
Insbesondere für die an Russland angrenzenden Länder wie Estland, Lettland oder Finnland?
Zwischenfazit
Unabhängig davon, dass ich alle diese Fragen nicht beantworten kann, war ich hier versucht, die Waffenlieferungen gut zu heißen.
Also um der Freiheit und um der Gerechtigkeit willen, Waffenlieferung ja.
Und natürlich ist mir Bonhoeffer eingefallen.
Dietrich Bonhoeffer war ein evangelischer Pfarrer im Zweiten Weltkrieg, der sich an einem Attentat an Hitler beteiligt hat und dafür von den Nationalsozialisten kurz vor Ende des Krieges hingerichtet wurde.
Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.
Reflexionen eines Zivildieners
In der folgenden Nacht habe ich dann noch einmal nachgedacht.
Und festgestellt, dass es für mich als Zivildiener doch nicht so einfach oder so eindeutig ist.
Als Zivildiener habe ich den Dienst an der Waffe aus Gewissensgründen verweigert.
Ich bringe damit zum Ausdruck, dass ich nicht gewillt bin, Konflikte mit Waffengewalt zu lösen.
In den Verhandlungen ist man dann früher manchmal gefragt worden:
„Nehmen wir an ihre Freundin wird gerade vergewaltigt und zufällig liegt eine Pistole neben ihnen – wie würden sie jetzt handeln?“
Die richtige Antwort, die wahrscheinlich den wenigsten jungen Männern in dieser Situation eingefallen ist lautet:
„Gerade deshalb verweigere ich hier gerade, damit da keine Waffe – zufällig – liegt. Nein, ich möchte, was das betrifft, nicht in den USA leben.“
Waffengewalt?
Was ich jedenfalls zum Ausdruck bringen möchte, ist mein Zweifel an dieser Form der Konfliktlösung, Freiheit hin oder her.
Warum sollte ich jetzt der Logik des Waffeneinsatzes folgen, die ich doch mit meinem Zivildienst abgelehnt habe?
Noch dazu, wenn ich davon ausgehe, dass die Gewaltbereitschaft nach oben hin offen ist? Sprich, dass wenn Russland dabei ist zu verlieren, es ja auch noch Atomwaffen einsetzen könnte? Oder dafür Sorge trägt, dass das Atomkraftwerk Saporischschja nicht mehr gekühlt wird?
Umgang mit der Bergpredigt und anderen biblischen Stellen
Auch frage ich mich, was ich mit den beiden Bibelstellen aus der Bergpredigt anfangen soll?
Was bedeutet es, die andere Wange hinzuhalten oder die zusätzliche Meile mit zu gehen?
Wie gehe ich mit der Feindesliebe um, die uns ja nicht nur in der Bergpredigt, sondern auch beispielsweise im Römerbrief Kapitel 12 begegnet?
Freiheit und Freiwilligkeit
Und eine letzte Frage noch zur Freiheit oder besser Freiwilligkeit, die ich bei der Pfarrer*innentagung auch öffentlich ausgesprochen habe:
Wir liefern Waffen, damit sich die Ukraine verteidigen kann, weil sie das will.
Weil die Menschen ihre Freiheit verteidigen wollen.
Warum dürfen dann Männer das Land nur mehr mit Sondergenehmigungen verlassen? Wie freiwillig ist das denn?
Man hört immer nur den Präsidenten Selenski – ja, der Mann sitzt im Trockenen.
Immer sitzen die Befehlshaber im Trockenen, sprich sie sind sicher.
In jedem Krieg sterben die einfachen Soldaten – nicht die Befehlshaber und damit Auftraggeber.
Was bedeutet also freiwillig?
Schlussfolgerungen
Nicht weil schon alles gesagt ist.
Sondern weil ich euch nur einen Anfang und einen Einblick in das Thema der Pfarrer*innentagung mit dem Thema „Friede braucht Kirche“ geben wollte.
- Von einer einheitlichen Stellungnahme als evangelische Kirchen zum Thema Waffenlieferungen sind wir noch meilenweit entfernt.
- Positionen zum Frieden und einen guten Austausch untereinander brauchen wir tatsächlich notwendiger denn je.
- Und was wir als Kirchen zur aktuellen Situation und zum Frieden beitragen können – das muss jede und jeder von euch erst einmal selbst und sehr individuell herausfinden.
Ich selbst habe gemerkt, wie schwer es ist, in dieser Situation zu einer eindeutigen, überzeugend „christlichen“ Antwort zu kommen.
Wahrscheinlich gibt es auch nicht die „eine“ Antwort, aber mehrere, verschiedene Wege, wie wir uns in dieser Situation hilfreich verhalten können.
Möge Gott uns dabei helfen.
Und uns durch seinen Heiligen Geist an seiner Weisheit teilhaben lassen.
Amen
ORF Kurzartikel vom 05.09.2023
Ukraine: Über 20.000 Männer an Flucht gehindert
Seit Beginn der russischen Invasion vor mehr als 18 Monaten hat der ukrainische Grenzschutz über 20.000 wehrpflichtige ukrainische Männer an der Flucht gehindert. „Insgesamt haben die Grenzer seit dem 24. Februar vorigen Jahres etwa 14.600 Personen festgenommen, die illegal die Ukraine verlassen wollten“, sagte Grenzschutzsprecher Andrij Demtschenko heute im Nachrichtenfernsehen. Zusätzlich seien rund 6.200 Männer mit gefälschten Ausreisegenehmigungen erwischt worden.
Viele Ukrainer versuchen, sich dem Kriegsdienst zu entziehen. Flüchtige seien an der „grünen Grenze“ vor allem zu Rumänien und Moldawien aufgegriffen worden, sagte Demtschenko. Es gehe hauptsächlich um Männer im Alter zwischen 18 und 60 Jahren. Von der Behörde war bereits mitgeteilt worden, dass allein im Grenzfluss Tyssa zu Rumänien und Ungarn mindestens 19 Männer ertrunken seien. Mehrere erfroren auch bei der Flucht durch die Karpaten.
Bei Kriegsbeginn war eine Generalmobilmachung mit einem Verbot zur Ausreise von wehrpflichtigen Männern im Alter zwischen 18 und 60 Jahren angeordnet worden. Der EU-Statistikbehörde Eurostat zufolge sind in den 27 EU-Staaten und Norwegen, Schweiz und Liechtenstein allerdings mehr als 650.000 ukrainische Männer im Alter von 18 bis 64 Jahren als Flüchtlinge registriert.
Von Kiew wird in Betracht gezogen, die Auslieferung von illegal ausgereisten Wehrpflichtigen unter anderem aus den EU-Staaten zu erwirken. Der Verkauf von Dokumenten für eine Freistellung vom Wehrdienst floriert in der Ukraine. Nach einer von Präsident Wolodymyr Selenskyj angeordneten Welle von Razzien mit Festnahmen in den Einberufungsstellen liegt der Preis nach Justizangaben für derartige Papiere inzwischen bei über 10.000 Euro.
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