Sünde, Schuld und Vergebung
Glaubensimpuls
Lokalpastor EmK Schweiz
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Liebe Leserinnen und Leser!
Der heute gehörte Text aus dem Matthäusevangelium lädt uns ein, über grundlegende christliche Themen nachzudenken: Sünde, Schuld und Vergebung.
Wie oft sollen wir vergeben?
Dazu haben wir die Frage des Petrus gehört: Wie oft soll ich meinem Bruder – heute natürlich auch meiner Schwester – vergeben?
Jesus antwortet: Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzig Mal.
Siebenundsiebzig Mal, ich denke dieses Bildwort kann man heute mit „immer“ übersetzen. Du sollst deinem Bruder oder deiner Schwester immer vergeben, egal, wie oft sie gegen dich sündigt.
Das Gleichnis vom Schuldner
Und außerdem haben wir das Gleichnis vom Schuldner gehört. Jemand, der selbst Vergebung erfährt, diese aber nicht demjenigen gewährt, der ihm etwas schuldet.
Damit sind die Themen Sünde, Schuld und Vergebung angesprochen. Aber bevor ich auf diese einzelnen, schwergewichtigen Begriffe unseres christlichen Glaubens zu sprechen komme, möchte ich noch kurz auf ein paar Besonderheiten hinweisen.
Vorbemerkungen
Zunächst möchte ich uns die Zahlen verdeutlichen, die im Text angesprochen werden. Ein Denar ist der Tageslohn eines einfachen Arbeiters. Beim Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg bekommt jeder Arbeiter einen Denar. Ein Talent, das sind ca. 6.000 Denare. Mit ein wenig Urlaub oder krankheitsbedingten Ausfällen muss ein Tagelöhner also ungefähr 17 Jahre für ein Talent arbeiten.
Wenn es also heißt, man brachte einen vor ihn, der ihm zehntausend Talente schuldete, dann entspricht das siebzehntausend Jahre Tagelöhnerarbeit – sprich: Es ist eine unfassbar große Summe.
Dem gegenüber sind 600 Denare, wie wir schon gehört haben, also eine nicht unwesentliche aber doch machbare Summe, die man noch zurück zahlen könnte.
Die zweite Besonderheit, auf die ich uns aufmerksam machen möchte, ist die eigenartige Form der Vergebung; die uns bei unseren Gedanken zur Vergebung im Kopf bleiben soll.
Erst werden dem Diener die zehntausend Talente erlassen und dann, nach dessen Fehlverhalten, heißt es: „Und voller Zorn übergab ihn der Herr den Folterknechten, bis er ihm alles zurückgezahlt hätte, was er ihm schuldig war.“
Immerhin sind jetzt Frau, Kinder und Besitz aus dem Spiel, aber die Frage bleibt natürlich deutlich im Raum stehen: Kann man sich auf die Vergebung des Herrn verlassen? Erst vergibt er und dann wird er zornig und die Vergebung gilt nicht mehr?
Insbesondere – und das ist die letzte Besonderheit, die ich an den Anfang der Predigt stelle – insbesondere, wenn es als letzter Satz heißt: „So wird auch mein Vater im Himmel jeden von euch behandeln…“
Also auch dazu werde ich noch etwas sagen.
Sagen müssen, denke ich.
Sünde
- Sünde als Macht
- Sünde als Zielverfehlung
- Sünde als Klage statt als Anklage
- Sünde als Zustand, aus dem wir von Jesus befreit werden
Beginnen wir jetzt einmal mit dem ersten zentralen Begriff, und das ist der Begriff „Sünde“. Sünde, was ist damit eigentlich gemeint?
Ich denke, die meisten werden bei Sünde irgendwie an Fehlverhalten denken. Wenn ich absichtlich oder nicht absichtlich etwas tue, das Gott nicht gefällt, dann ist das Sünde. Wer lügt, der sündigt. Wer etwas stiehlt, der hat ebenfalls eine Sünde begangen.
Und ich möchte heute an dieser Stelle einmal deutlich sagen: Das ist nicht falsch.
Sünde als Macht
Es ist nicht falsch, aber in Wirklichkeit ist Sünde eben viel mehr als das. Sünde wird im Neuen Testament und hier vor allem in den Paulusbriefen als Macht beschrieben.
Wenn Paulus davon redet, dass er „unter die Sünde verkauft ist“ (Römer 7,14) oder „nicht das Gute tut, das er tun will, sondern das Böse, das er nicht tun will“ (Römer 7,19), dann wird etwas von der Verzweiflung spürbar, die eben mehr ist als ein Fehlverhalten.
Sünde als Zielverfehlung
Heute wird Sünde daher gerne mit „Zielverfehlung“ übersetzt oder beschrieben. Zielverfehlung, das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass das eigene Leben auch scheitern könnte. Daher ist Sünde also eher Scheitern, Misslingen oder Verloren Sein, als dass Sünde Rebellion, Ungehorsam oder eine Absage an Gott ist.
Sünde viel mehr als Klage denn als Anklage
Sünde als Schuld und Verhängnis, als Macht, der der Mensch ausgeliefert ist – das wird deutlich, wenn wir an Aussprüche von Jesus denken, wo es heißt: „Es jammerte ihn.“ Dieses „Jammern“ macht deutlich, dass es bei Sünde eher um die Klage – und nicht um die Anklage – geht.
Sünde braucht Erlösung
Wenn wir uns also diese viel weiter reichende Dimension von Sünde bewusst machen, dann wird uns klarer, warum wir von dieser Sünde erlöst werden müssen; warum es ein Eingreifen Gottes braucht; warum Jesus für unsere Sünden gestorben ist.
Weil die Sünde eben nicht harmlos ist, sondern weil sie eine Macht ist, die unser Leben beherrschen kann; oder noch einmal anders gesagt: Weil die Sünde das verkehrte Verhältnis des Menschen zu Gott darstellt, mit dem ein verkehrtes Selbst- und Weltverhältnis einhergeht. Sünde ist eine Störung unserer Beziehung zu Gott.
Störung in dem Sinn, dass wir nicht erkennen, wer Gott für uns ist.
Unser Schöpfer, der uns ins Leben gerufen hat, der uns liebt und dem wir vertrauen können.
Schuld
- Schuld als konkrete Tat
- Schuld bedeutet Verantwortung
- Schuld wird bekannt und dann vergeben
Wie verhalten sich jetzt Sünde und Schuld zueinander?
Ich würde das jetzt einmal so ausdrücken:
Wenn Sünde die große, ein gelingendes Leben bedrohende Macht ist, dann ist Schuld die einzelne, konkret gewordene Tat.
Schuld ist einerseits das Zurückbleiben hinter Gottes Forderungen.
Also zum Beispiel seine Nächste oder seinen Nächsten zu lieben oder das Gute zu tun.
Und andererseits ist Schuld die Verantwortlichkeit im Sinne der Zurechnung.
Also das war tatsächlich ich, der gelogen hat oder ich der hartherzig war – und nicht jemand anderes.
Schuldig werden wir durch das, was wir tun und durch das, was wir unterlassen.
So beschreibt es eine unserer methodistischen Abendmahlsliturgien.
Und deshalb bekennen wir unsere Schuld und bitten um Vergebung.
Vergebung
- Vergebung als Rettung
- Vergebung als Ziel
- Vergebung mit Gottes Hilfe
Was also ist jetzt Vergebung?
Vergebung ist die lebensbefreiende, lebensspendende Kraft, die uns aus dem Herrschaftsbereich der Sünde und der Schuld herausholt.
Auch hier finden wir eine meiner Meinung nach sehr gute Beschreibung in einer anderen Abendmahlsliturgie. Dort heißt es:
„Wir bekennen jetzt unsere Schuld. Gott will uns nicht bloßstellen oder demütigen. Er befreit uns von der Last aller offenen und verdeckten Schuld, damit wir wieder frei atmen können und dankbarer Jubel unsere Herzen erfüllt.“
Oder denken wir an das Lied: „Du hast Erbarmen und zertrittst all meine Schuld."
Weiter heißt es dann:"Du hilfst mir auf in deiner Treue und Geduld. Du nimmst mir meine Last, nichts ist für dich zu schwer. Du wirfst all meine Sünde tief hinab ins Meer."
Das beschreibt Vergebung glaube ich sehr treffend und sehr eindrucksvoll.
Nachbemerkungen
Und mit dem zweiten Teil dieses Liedes "Du hast Erbarmen" leite ich jetzt meine Reaktion auf die eingangs angedeuteten Besonderheiten hinsichtlich der eigenartigen Form der Vergebung im Evangeliumstext ein:
„Wer ist ein Gott wie du, der die Sünde verzeiht und das Unrecht vergibt? Wer ist ein Gott wie du? Nicht für immer bleibt dein Zorn bestehn, denn du liebst es, gnädig zu sein.“
Woher nimmt der Verfasser und Komponist dieses Liedes diese Gewissheit, die ich ja auch gerne predigen möchte?
Eine Gewissheit die ich selbst von Herzen glaube.
Und die so gut tut!
Vergebung mit Bedingungen?
Immer wieder musste ich beim Lesen des Evangeliumstextes an Menschen denken, die einem Bettler auf der Straße Geld geben mit den Worten: „Aber nicht für Alkohol verwenden!“
Die Gabe des Geldes wird an eine Bedingung geknüpft.
Geld ja aber nur, wenn du keinen Alkohol damit kaufst.
Und auf den Evangeliumstext bezogen, finde ich das schwierig.
Die Vergebung ist an eine Bedingung geknüpft ?!?
Ich vergebe dir.
Aber nur, wenn du anderen auch vergibst.
Anfrage
Und wenn Jesus dieses Verhalten mit seinem Vater im Himmel vergleicht und sagt, dass jeder von uns einmal so behandelt wird, der seinem Bruder oder seiner Schwester nicht von Herzen vergibt dann…
Dann glaube ich das nicht.
Ja, aber es steht doch so geschrieben.
Schwarz auf weiß.
Ein Wort Jesu.
Im Evangelium nach Matthäus.
Wie willst du dich denn da rausreden?
Ich will mich gar nicht rausreden – ich glaube es trotzdem nicht.
Begründung
Und ich kann auch sagen, warum nicht.
Weil es nicht zum Gesamteindruck von Gott passt, den ich durch das Lesen der ganzen Bibel – und eben nicht einer Einzelstelle – von Gott gewonnen habe.
Mag sein, dass ich mich täusche, das will ich damit nicht in Abrede stellen.
Es kann natürlich einmal so sein am Ende der Zeiten.
Ich kann und will nicht Gottes Handeln bestimmen.
Das wäre anmaßend und lächerlich.
Aber ich kann mir das nicht vorstellen.
Vergebung mit Gottes Hilfe
Auch deshalb nicht, weil Vergebung manchmal erst durch Gott ermöglicht wird.
Das sagt meine eigene Erfahrung.
Wirklich schlimmes Leid oder große Schuld kann manchmal nicht so einfach vergeben werden. Wenn mich jemand wirklich gekränkt hat oder wirklich getroffen hat, dann ist Vergebung zwar wünschenswert, aber nicht so einfach. Da legst du nicht einfach den Schalter um und die Vergebung ist da. So funktioniert das nicht.
Ich habe das selbst erlebt. Als mein Vater meine Mutter verlassen hat und ich das Elend erlebt habe, das dann über uns als Familie hereingebrochen ist – da konnte ich meinem Vater nicht vergeben. Es hat Jahre gedauert. Gott sei Dank ist es gelungen!
Andere Lesart
Daher bin ich geneigt, die heute gehörte Stelle zu übersetzen. Wissend, dass ich das begründen muss.
Aber ich würde es eben so übersetzen, dass deutlich herauskommen soll, dass der hartherzige Diener nicht mit seinem brutalen Fehlverhalten davonkommen soll.
Er, der über die Maßen beschenkt und begnadigt worden ist mit seinen zehntausend Talenten.
Er oder in Wirklichkeit die Hörer und Hörerinnen und wir alle, sollen deutlich vor Augen geführt bekommen, dass es bei der Vergebung der Schuld, bei der Erlösung von der Macht der Sünde, um etwas wirklich Großes geht.
Gottes Handeln an uns ist so bedeutend und so lebensverändernd, dass auch wir so handeln sollen.
So stark „sollen“, dass sich der Verfasser des Textes zu einem „müssen“ verleiten hat lassen.
Unsere Schuld wird uns immer wieder von Gott vergeben.
Und weil das wirklich befreiend ist, sollen wir uns darum bemühen einander zu vergeben. Wo jemand an uns schuldig geworden ist, da gilt es zu vergeben.
Gott helfe uns dabei.
Amen.