Warum feiern wir Weihnachten?
Glaubensimpuls
Lokalpastor EmK Schweiz
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Liebe Schwestern und Brüder, Markus 1,1-8 und Jesaja 40,1-11. Das sind zwei Texte, die beide das Kommen Gottes zum Thema haben. Zwei typische Adventtexte könnte man jetzt sagen, denn genau das ist doch das große Thema im Advent: Sich auf das Kommen Gottes vorzubereiten.
Warum Weihnachten?
Ich weiß nicht, wie es euch geht aber mich beschäftigt diese Frage sehr:
Wie kann ich mich auf das Kommen Gottes vorbereiten?
Und zwar wirklich auf das Kommen Gottes und nicht das Herannahen eines großen Familienfestes?
Das wäre einmal das eine.
Das andere ist, dass die Frage ja eigentlich falsch gestellt ist. Ich bereite mich in Wahrheit ja gar nicht auf das Kommen Gottes vor, denn Gott ist in Jesus ja bereits Mensch geworden.
Jesus kommt seit jetzt mittlerweile etwas über 2000 Jahren ja nicht jedes Jahr neu.
Er ist gekommen, hat gelebt, ist eines gewaltsamen Todes gestorben und mit seiner Auferstehung ist alles neu geworden.
Als Christinnen und Christen im Jahre 2023 ist das unsere Realität.
Erinnerung
Die Frage müsste also lauten:
Wie kann ich mich an die Menschwerdung Gottes erinnern?
Und zwar so erinnern, dass ich Weihnachten angemessen feiern kann.
Natürlich hat jeder Mensch und die meisten Familien zu Weihnachten gewisse Rituale geschaffen. Man kennt den Ort, wo der Weihnachtsbaum steht. Oder man weiß, was es an Weihnachten zu essen geben wird. Oder es sind vertraute Abläufe, die zur Tradition geworden sind.
Gegen all das ist überhaupt nichts einzuwenden, denn das schöne an Ritualen ist, dass sie uns Sicherheit geben.
Und trotzdem glaube ich, dass es sich jedes Jahr lohnt, diese Frage zu stellen:
Was ist denn der Kern von Weihnachten?
Woran soll ich mich erinnern?
Wenn ich diese Frage stelle, dann gibt es meiner Ansicht nach niemanden, der das besser in Worte gefasst hat, als Karl Rahner.
Karl Rahner war ein katholischer Theologe, der maßgeblich an der Vorbereitung und Durchführung des Zweiten Vatikanischen Konzils mitgewirkt hat.
Er ist im Jahr 1984 verstorben.
Rahner schreibt:
„Wir feiern bald Weihnachten.
Ach Gott, das ist so ein frommer Brauch. Ein Tannenbaum mit Lichtern und ein paar netten Geschenken, Spannung der Kinder und ein wenig Weihnachtsmusik ist immer schön und rührend.Wir haben ja alle – wer will es uns verargen – insgeheim immer ein wenig Mitleid mit uns selber und gönnen uns darum gern ein wenig Stimmung, die friedlich und tröstlich ist, so wie man einem verweinten Kind über den Kopf streichelt und sagt: Es ist nicht so schlimm, es wird schon wieder alles gut.
Ist das alles an Weihnachten? Ist das die Hauptsache?
Ist Weihnachtsfreude und -frieden nur eine Stimmung in die man illusionistisch flüchtet?
Oder ist es die Äußerung, die heilige Begehung eines wahrhaften Geschehens, zu dem man in der großen Tapferkeit des Herzens aufbricht, damit es auch an uns und durch uns geschehe, weil es auf jeden Fall Wahrheit und Wirklichkeit ist.
Weihnachten ist mehr als ein bisschen tröstliche Stimmung.
Auf das Kind, auf das eine Kind kommt es an diesem Tag, in dieser heiligen Nacht, an. Auf den Sohn Gottes, der Mensch wurde, auf seine Geburt. Er hat die Nacht hell gemacht. Er hat die Nacht unserer Unbegreiflichkeiten und unserer grausamen Ängste zur Heiligen Nacht gemacht. Das sagt Weihnachten.
Die Nacht wurde hell. Gott ist gekommen. Er ist da.
Darum ist alles anders, als wir meinen.
Wenn wir sagen: Es ist Weihnacht, dann sagen wir: Gott hat sein letztes, sein tiefstes, sein schönstes Wort im fleischgewordenen Wort in die Welt hineingesagt.
Ein Wort das nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, weil es Gottes endgültige Tat, weil es Gott selbst in der Welt ist.
Und dieses Wort heißt: Ich liebe dich du Welt und du Mensch.
Das ist ein ganz unerwartetes, ein ganz unwahrscheinliches Wort.
Aber es ist Gottes Wort und dieses Wort sagt der Welt als Ganzes: Ich bin da. Ich bin bei dir. Ich bin deine Zeit. Ich bin die Düsterkeit deines Alltags, warum willst du sie nicht tragen?
Ich weine deine Tränen – weine deine mir, mein Kind.
Ich bin deine Freude, denn seit ich geweint habe ist die Freude die wirklichkeitsgemäßere Lebenshaltung als die Angst.
Ich habe euch angenommen, als ich mein Menschenleben auf mich nahm, als euresgleichen, als neuer Anfang habe ich in meinen Untergängen gesiegt.
Wenn ihr die Zukunft nach euch allein beurteilt, könnt ihr nicht pessimistisch genug sein. Aber vergesst nicht: Eure wahre Zukunft ist meine Gegenwart.
Darum ist es letztendlich realistischer gedacht, wenn ihr euch an meinen Optimismus haltet, der nicht Utopie, sondern die Wirklichkeit Gottes ist.
Die ganze Wirklichkeit Gottes die ich – das unbegreifliche Wunder meiner allmächtigen Liebe – unversehrt und ganz in dem kalten Stall eurer Welt untergebracht habe.
Ich bin da. Und meine Liebe ist seitdem unbesieglich.“
Essenz
"Auf das Kind, auf das eine Kind kommt es an diesem Tag, in dieser heiligen Nacht, an. Auf den Sohn Gottes, der Mensch wurde, auf seine Geburt."
„Gott hat sein letztes, sein tiefstes, sein schönstes Wort im fleischgewordenen Wort in die Welt hineingesagt.“
Das ist für mich der Kern von Weihnachten.
Das Kind. Der Sohn Gottes.
Evangelium
Auf Weihnachten bezogen ist das auch der schönste und wichtigste Teil des Evangeliumstextes. Markus beginnt sein Evangelium mit dieser ganz einfachen aber natürlich alles verändernden Überschrift:
Dies ist der Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes.
Das ist schon eine gewichtige Aussage.
Und eine Besonderheit fällt uns heutigen Hörer*innen gar nicht mehr auf:
Das Evangelium. Die frohe Botschaft.
In der Antike gab es das Wort für die frohe Botschaft eigentlich nur im Plural. Es war immer von frohen Botschaften, Evangelien, die Rede, wenn irgendein Kaiser etwas Positives zu verkünden hatte. Markus setzt ein doppeltes Rufzeichen, wenn er nicht von Evangelien, sondern vom Evangelium spricht. Es geht nicht um eine gute Nachricht unter vielen anderen guten Nachrichten, sondern Jesus bringt die rettende, alles verändernde frohe Botschaft schlechthin.
Menschliche Vorstellungen
Und noch etwas fällt mir dieses Jahr in besonderer Weise auf, wenn ich solche Texte wie den Anfang des Markusevangeliums oder den Text aus dem Buch Jesaja höre: Wieviel Weltliches wird doch in ihnen sichtbar.
Weltlich, damit meine ich: Wie gefangen sind wir Menschen doch in unseren eigenen Vorstellungen von einem Kommen Gottes.
Wenn Gott kommt, dann heben sich die Täler, dann senken sich die Berge, dann wird alles gerade, was vorher krumm war.
Ja, so stellen sich Menschen das Kommen eines Herrschers vor.
Dass Gott als kleines Kind in einem kalten Stall zur Welt kommt – das war nicht vorgesehen. Das hatte niemand erwartet. Und doch wird soviel daran sichtbar.
Gott kommt nicht als Herrscher, der sich dienen lässt, sondern er wird ein ganz einfacher Mensch. Ein Mensch, der seinen Jüngern die Füße waschen wird; und der sein Leben lässt, um uns zu retten.
Gott ist sanft
So wie es beim Markusevangelium der erste Satz ist, der eigentlich der wichtigste Satz ist, so ist es bei Jesaja der letzte Vers, der eigentlich am entscheidensten ist.
Erst ist bei Jesaja von dieser großen Straße die Rede. Dann von lauten Rufen und Ankündigungen bis hin zum vorletzten Vers: Siehe Gott, der Herr, kommt mit Macht, er herrscht mit starkem Arm.
Bis hier hin ist alles so, wie es menschlichen Vorstellungen entspricht.
Und dann heißt es aber im Schlussvers:
"Wie ein Hirt weidet er seine Herde, auf seinem Arm sammelt er die Lämmer, an seiner Brust trägt er sie, die Mutterschafe führt er behutsam."
An seiner Brust trägt er die Lämmer.
Und die Mutterschafe führt er behutsam.
Was für ein Bild!
Gott ist sanft.
Und Gott ist zärtlich.
Ich glaube, mit diesem Bild und mit den wundervollen Worten von Rahner möchte ich dieses Jahr vor der Krippe stehen bleiben.
Und mich daran erinnern, wie sehr Gott uns liebt.
Amen.