Wofür brauchen wir eine Kirche?
Glaubensimpuls
Pastor, Superintendent von Albanien
Diese Predigt von Pastor Wilfried Nausner, Superintendent der EmK in Albanien, wurde im Rahmen der Gottesdienstreihe "Gemeinde sein" am 19.11.2023 in der EmK Wien-Fünfhaus gehalten.
Predigttexte
2. Mose 33,12-23
Und Mose sprach zu dem HERRN: Siehe, du sprichst zu mir: Führe dies Volk hinauf!, und lässt mich nicht wissen, wen du mit mir senden willst, wo du doch gesagt hast: Ich kenne dich mit Namen, und du hast Gnade vor meinen Augen gefunden. Hab ich denn Gnade vor deinen Augen gefunden, so lass mich deinen Weg wissen, damit ich dich erkenne und Gnade vor deinen Augen finde. Und sieh doch, dass dies Volk dein Volk ist. Er sprach: Mein Angesicht soll vorangehen; ich will dich zur Ruhe leiten. Mose aber sprach zu ihm: Wenn nicht dein Angesicht vorangeht, so führe uns nicht von hier hinauf. Denn woran soll erkannt werden, dass ich und dein Volk vor deinen Augen Gnade gefunden haben, wenn nicht daran, dass du mit uns gehst, sodass ich und dein Volk erhoben werden vor allen Völkern, die auf dem Erdboden sind? Der HERR sprach zu Mose: Auch das, was du jetzt gesagt hast, will ich tun; denn du hast Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit Namen.
Und Mose sprach: Lass mich deine Herrlichkeit sehen! Und er sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will ausrufen den Namen des HERRN vor dir: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht. Und der HERR sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.
2. Mose 35,1-5
Und Mose versammelte die ganze Gemeinde der Israeliten und sprach zu ihnen: Dies ist's, was der HERR geboten hat, dass ihr es tun sollt: Sechs Tage sollt ihr arbeiten. Am siebenten Tag aber sei für euch Sabbat, ein Ruhetag, heilig dem HERRN. Wer an diesem Tag arbeitet, soll sterben. Ihr sollt kein Feuer anzünden am Sabbattag in allen euren Wohnungen.
Und Mose sprach zu der ganzen Gemeinde der Israeliten: Dies ist's, was der HERR geboten hat: Erhebt von eurem Besitz eine Abgabe für den HERRN. Ein jeder, dessen Herz dazu bereit ist, bringe die Abgabe für den HERRN: Gold, Silber, Bronze, blauen und roten Purpur, Karmesin, feines Leinen und Ziegenhaar, rot gefärbte Widderfelle, Leder und Akazienholz, Öl für die Lampen und Spezerei zum Salböl und zu wohlriechendem Räucherwerk, Onyxsteine und eingefasste Steine zum Priesterschurz und zum Brustschild. Und wer unter euch kundig ist, der komme und mache, was der HERR geboten hat, nämlich die Wohnung mit ihrem Zelt und ihrer Decke, ihren Haken, Brettern, Riegeln, Säulen und Füßen, die Lade mit ihren Stangen, den Gnadenstuhl und Vorhang, den Tisch mit seinen Stangen und all seinem Gerät und die Schaubrote, den Leuchter für das Licht und sein Gerät und seine Lampen und das Öl für das Licht, den Räucheraltar mit seinen Stangen, das Salböl und das wohlriechende Räucherwerk, die Decke, die vor dem Eingang der Wohnung hängt, den Brandopferaltar mit seinem Gitter aus Bronze, seinen Stangen und all seinem Gerät, das Becken mit seinem Gestell; die Behänge des Vorhofs, seine Säulen und Füße und die Decke des Tors am Vorhof, die Zeltpflöcke der Wohnung und des Vorhofs mit ihren Seilen, die gewirkten Kleider zum Dienst im Heiligtum, die heiligen Kleider Aarons, des Priesters, samt den Kleidern seiner Söhne für den priesterlichen Dienst.
Predigt
Stefan bat mich, über die Bedeutung von Gemeinde (Kirche im Sinne des Neuen Testaments) zu predigen. Ich habe mich dafür entschieden, eine Predigt zu halten, die ich in Tirana beim ersten Gottesdienst im neuen Kirchengebäude gehalten habe.
In Tirana war die EmK-Gemeinde in den letzten Jahren ständig unterwegs und zog von einem Gebäude zum nächsten. Das heutige Haus ist unser fünftes in einem Zeitraum von 15 Jahren. Wir fühlen uns wie das Volk Israel auf der Suche nach dem verheißenen Land. Und auch jetzt sind wir wieder an einem vorläufigen Ort. Das ähnelt dem Leben, wie es ist – eine Wanderschaft, auf der wir immer wieder unsere Zelte an anderen Orten aufschlagen. Israel hatte dafür die Stiftshütte, ein transportables Heiligtum. Lasst mich zunächst eine Frage stellen.
Wofür brauchen wir eine Kirche?
Damit meine ich beides, Ort und Gemeinschaft. Warum brauchen wir einen Platz um zusammenzukommen, um zuzuhören, zu lernen und Zeit mit Gott und anderen Menschen zu verbringen?
Mose sprach mit Gott wie zu einem Freund. Es ist eine außergewöhnliche Beziehung, die er mit Gott zu haben schien. Wir wissen nicht, auf welche Weise dieser Austausch stattfand. Ich habe nie ein solches Gespräch mit Gott geführt, und ich denke, keiner von uns hat es in solch umfangreicherer Weise getan.
Dieser besondere Dialog schien Mose jedoch nicht zu genügen. „Woher weiß ich, dass ich dir wirklich am Herzen liege“, fragte Mose Gott. Wie kann ich von deiner Anwesenheit in meinem Leben inmitten meines Volkes erfahren? Ich kann dich hören und dass du zu mir sagst, dass ich dir gefalle – aber das reicht nicht aus. Ich kann mir deiner nie sicher sein. Und wie sollen die Menschen, die mit mir unterwegs sind und die dich nicht hören können, wissen, dass da etwas Besonderes am Werk ist und dass du heute wirksam bist?
Ich brauche mehr von dir – zeig mir deine Größe und Güte! Mose bat um Vergewisserung. Er wollte sich der Gegenwart Gottes sicher sein. Er wollte einen Gott in seiner Nähe und bei seinem Volk haben. Ein Gott zum Anfassen, zum Fühlen, zum Sehen und zum Hören.
Mose will sich Gottes vergewissern
Mose wollte Gott aber gar nicht in seiner vollen Größe sehen. Er wollte Gewissheit seiner Gegenwart. In der ersten christlichen Kirche wurde dieser Text so interpretiert, als würde Mose um Jesus bitten. (Auch wenn das durchaus möglich ist, muss ich darauf hinweisen, dass dies in der Erzählung nicht zu finden ist – es handelt sich um eine Spekulation aus späterer Zeit.) Er bat darum, dass Gott so anwesend sei, dass ein menschlicher Geist ihn verstehen und ihm folgen könne. Er fragte Gott, ihn und sein Volk zu führen und die Bedeutung ihres Lebens zu bewahren – heute und für die kommenden Generationen. Christen sagten später, dass diese Frage mit Jesus beantwortet wurde, der bei seinem Volk war, mit ihm ging und lebte.
Gott antwortete Mose, dass er seinen Wunsch nicht erfüllen würde. Gott kann von einem lebendigen Menschen nicht gesehen oder wahrgenommen werden. Wenn es so wäre, würde dieser Mensch vergehen. Wir können Gott nicht als Lebewesen sehen – das liegt außerhalb unserer Möglichkeiten. Unser Verstand würde zerbrechen, wenn wir nur einen Teil der Gespräche hören würden, die die gesamte Menschheit täglich mit Gott führt.
Gott wusste um die Not des Mose, und so sagte er: „Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will ausrufen den Namen des HERRN vor dir: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich."
Gott ist nur im Nachhinein zu erkennen
Beachtet in der Antwort: Herrlichkeit wird hier in einer weiteren Bedeutung beschrieben als Güte (Gutheit). Das Wort soll etwas anders verstanden werden. Gott sagte, er würde vorbeigehen und Mose bedecken, um ihn zu beschützen, und ganz am Ende würde er diese Decke anheben, damit Mose sehen könne: … Du wirst meinen Rücken sehen; aber mein Angesicht sollst du nicht sehen. Mose wird die Gegenwart Gottes nur sehen, wenn Gott bereits vorbeigegangen ist.
Dies ist nicht nur die Erfahrung von Mose. Bis heute erkennt jeder von uns die Gegenwart und die Taten Gottes, wenn wir auf bereits vergangene Ereignisse zurückblicken. Ich habe viele Geschichten von Menschen gehört, die schwierige Zeiten durchgemacht hatten und sagten, nachdem alles vorbei war, dass sie jetzt sehen könnten, dass Gott die ganze Zeit anwesend war. Geschichten wie diese finden wir in der Bibel immer wieder. Jakob erhält den neuen Namen „Israel“, nachdem er mit Gott gerungen hat, ohne zu wissen, wer ihn herausgefordert hat. Josef sieht das Wirken Gottes selbst im schlimmsten Betrug usw. Es gibt diese bekannte Erzählung über die Schritte im Sand, die wir alle kennen: Gott trägt uns in Zeiten dringender Not.
Wir sehen Gottes Gegenwart nicht, aber wir sehen im Nachhinein. Wenn wir unsere Erinnerungen abrufen, wissen wir: Gott war da!
Mit Gelassenheit sehe ich heute, was am Schluss herauskommt.
Mir hat das geholfen, damit umzugehen, wenn Menschen zu anderen sagen, dass ihnen Gott, oder Heilige Geist gesagt habe, wie wir uns verhalten sollten. Das wird oft mit dem Anspruch verbunden, dass sie unbedingt gehört werden müssen, weil Gott direkt zu ihnen gesprochen hat. Ich sehe keinen Grund zu folgen, wenn ich nicht davon überzeugt bin, dass es richtig ist. Es ist auch gut möglich, dass jemand Gott für sein Tun verantwortlich machen möchte. Mit Gelassenheit sehe ich heute, was am Schluss herauskommt. Im Nachhinein wird es offenbar, ob und wie Gott wirksam ist.
Und diese Rückansicht Gottes, an die wir uns erinnern, erscheint uns als „Güte“ . Wir werden in diesem Leben nie das ganze Bild sehen. Aber wir können seine „Güte “ sehen, nachdem die Dinge geschehen sind. Wenn wir zurückblicken, können wir die Güte Gottes im Glauben erkennen, und gleichzeitig wird dieser Glaube gestärkt.
Gott ist voller Barmherzigkeit
Ja, wir wissen heute von Jesus – und Gott hat uns (die wir keine Juden sind) in ihm gezeigt, dass er ein guter Gott voller Barmherzigkeit ist. Er zeigte uns, dass die Auferstehung Gottes Antwort auf den Tod ist. Durch ihn wissen wir: Es gibt keine Hoffnung in Rache oder Gewalt, sondern darin, zu dienen und das eigene Leben für andere zu geben. In Jesus können wir die Güte Gottes sehen, der die Schmerzen und Kämpfe der gesamten Menschheit auf sich nahm. In ihm sehen wir gelebten Glauben, Hoffnung und Liebe. Wir werden uns bewusst, dass Gott ein guter Gott ist und dass er uns und alle in diese bedingungslose, wunderbare Liebe einbezieht. Und umso deutlicher sehen wir diese Liebe, nachdem das Leben Jesu vergangen und erfüllt war.
In Jesus können wir die Güte Gottes sehen.
Wozu Kirche?
Und jetzt komme ich auf die Ausgangsfrage zurück: „Wozu brauchen wir eine Kirche?“ Ja, wir können auf ein Gebäude verzichten und die Orte, an denen wir uns versammeln, ändern. Aber wir müssen einen Ort haben, an dem wir „Erinnerungen an Gott “ teilen und bewahren. Die Bibel ist ein Buch gemeinsamer Erinnerungen, gefasst in Erzählungen, Gebete und Weisungen für ein gelingendes Leben. Wenn wir sie lesen, blicken wir auf Momente zurück, in denen Menschen sahen, was Gott in ihrem Leben getan hatte.
Wenn wir keinen Ort haben, an dem wir diese Erinnerungen aufbewahren und teilen, werden wir sie irgendwann vergessen. Wir brauchen eine Gemeinschaft von Menschen, sehr unterschiedlichen Personen, um die Vielfalt der Erinnerungen an Gott zu bewahren: in Erzählungen, Hymnen, Weisungen und Gebeten durch Menschen, die mit uns als Volk Gottes unterwegs sind. Es ist unsere Aufgabe, diese Gemeinschaft am Leben zu erhalten und diese Erinnerungen durch unser Beispiel und unseren Glauben, der durch Liebe aktiv wird, an unsere Kinder weiterzugeben.
Wir brauchen Erinnerung, und wir brauchen die, die uns beim Erinnern helfen
Wir brauchen andere, die uns beim Erinnern helfen, sonst werden wir gleichgültig. Gleichgültigkeit ist das Gegenteil von Liebe. Hass ist nicht das Gegenteil – es ist selbstgerechte Liebe. Nur wer geliebt hat, kann hassen. Hass ist der Liebe näher, als wir vielleicht denken. Die größte Gefahr unserer Zeit ist die Gleichgültigkeit – sie führt zum Gedächtnisverlust. Wir wissen dann nicht mehr, wer wir sind und wofür wir leben. Wir tabuisieren die wichtigen Fragen des Lebens, weil sie uns überfordern. Wir sehen die „Güte“ Gottes nicht mehr und erkennen nicht, wie seine Gnade am Werk ist. Wenn wir diese „Güte“ nicht sehen, was sehen wir dann? Was ist ein Leben, das nicht gut ist?
Die Liturgie im Gottesdienst lässt Jesus an uns vorbeiziehen, so wie er es tat, als er unter den Menschen war. In ihm sehen wir die Liebe Gottes am Werk. Wenn wir in Erinnerung an ihn wandeln, werden wir erzogen wie jene Menschen, mit denen er seinerzeit wandelte. Darin liegt die Kraft der Erinnerung.
Eine Hütte für Gott…
Ich habe für diese Predigt eine zweite Lesung gewählt. Es geht um die Einhaltung des Sabbats und den Bau der Stiftshütte ganz am Ende des zweiten Buches Mose. Gott hat Mose seine Herrlichkeit gezeigt, obwohl es nur seine Rückansicht war, und er hat seinem Volk vergeben, nachdem es seine eigenen Götter gemacht und sie angebetet hatte. Das Volk hat einen Bund mit Gott geschlossen und sich verpflichtet, sein Gebot und seine Weisung zu achten. Und nun geht es darum ein Heiligtum zu bauen, in dem Gott gegenwärtig sein kann unter den Menschen. Das Volk bekommt eine Aufgabe, es soll eine Hütte für Gott bauen. Warum schließt das zweite Buch Mose ausgerechnet damit und was hat das mit Kirche (Gemeinde) zu tun?
Das Volk Israel droht im Chaos zu versinken, weil es sich seine eigenen Götter gemacht hat: ein Kalb aus Gold, ein Symbol der Prosperität, einen selbst zusammengezimmerten Gott. Das führte sie weg von Gottes Weisung und Gebot. Mose bat Gott um Vergebung und das Volk erlangte Vergebung. Um zum Volk Gottes zu werden, um sie vom Chaos, dass ausgebrochen war, zu einer neuen Ordnung zu führen, vom Auseinanderbrechen zum Zusammenhalt brauchte das Volk eine gemeinsame Aufgabe.
…als eine gemeinsame Aufgabe
Die Menschen sollten zusammenwirken, damit die Kinder Israels zum Volk des Bundes werden konnten. Was zur Zeit Moses Bedeutung hatte, hat auch heute noch für uns Gültigkeit. Worte, Gedanken und Gebote reichen nicht aus, um Menschen nachhaltig zusammenzubringen. Wir werden zu dem, was wir sind, durch das, was wir tun und indem wir zusammenarbeiten. Wir werden durch Handeln verändert, nicht durch Gedanken und auch nicht durch Verkündigung.
Die Aufgabe, die Mose den Menschen gab, war es ein Heiligtum zu bauen und zu gestalten. Die Ordnung des Lebens beginnt damit, einen heiligen Tag festzulegen und zu gestalten, einen Tag für alle und insbesondere für Gott. Ein Tag der Erinnerung und des Gebets, einen „leeren Raum“ in dem Gott sein kann, einen „heiligen Raum“, der allein Gott vorbehalten ist. Gott kann nur an einem Ort anwesend sein, der nicht von uns gefüllt ist. Deshalb kann dies auch eine gemeinsame Aufgabe sein einen solchen Raum zu schaffen.
Gott kann nur an einem Ort anwesend sein, der nicht von uns gefüllt ist.
Die Aufgabe besteht darin, einen Rahmen zu schaffen für die Gegenwart Gottes. Dieser Rahmen soll schön sein, soll wertvoll sein, soll das zur Geltung bringen, was darinnen sein kann. Wenn ein Bild eines Künstlers ausgestellt wird, gibt ihm der Bilderrahmen eine besondere Note. Wenn er gut gewählt ist, zeigt er das Bild besser als ohne Rahmen. Nur dass es in unserem Fall kein Bild ist, dass ein Künstler geschaffen hat. Wir sind eingeladen einen Rahmen für die Gegenwart Gottes zu gestalten. Ob und wann er dort sein wird, liegt in seiner Hand. Wir gestalten den Raum darum herum mit allen unseren Möglichkeiten.
Es ist auch heute unsere Aufgabe, Orte und Zeiten allein für Gott festzulegen. Dies ist insbesondere in einer Zeit notwendig, die immer mehr von einer Markt- und Konsumgesellschaft geprägt ist. Wir müssen uns daran erinnern, dass das Leben, die Menschheit, diese Welt und alles darin nicht den Herrschern dieser Welt gehört, sondern Gott gehört. Unser Leben gehört nicht uns und für das, was wir tun, sind wir unserem Schöpfer gegenüber verantwortlich. Unsere Aufgabe ist nicht, das zu tun, was nur Gott tun kann, sondern daran mitzuarbeiten, dass Gott wirken kann.
Im Tun vertieft sich der gemeinsame Glaube
Ich komme auf unseren Text zurück. Wir brauchen ein Projekt, und verschiedene Aufgaben, wenn wir Kirche sein wollen. Etwas, das wir gemeinsam machen und es muss ein Projekt für uns alle sein – vielleicht für Generationen. Im „Tun“ formt und vertieft sich unser gemeinsamer Glaube. Es geht nicht um uns selbst, sondern darum, Zeit und Raum für Gott zu schaffen und um einen Dienst, den wir für andere leisten. Wir müssen herausfinden und feststellen, was heilig ist, was kein Geld dieser Welt kaufen kann und was uns hilft – uns und unseren Kindern –, um die Erinnerung an Gott zu bewahren und seinem Volk zu dienen. Heilig ist jener Ort und jene Zeit, in der Gott uns dienen kann. Diesen Ort festzulegen, gemeinsam das Umfeld zu gestalten und unseren Teil dazu beizutragen, ist unsere Aufgabe. Damit wir und die Menschen, mit denen wir unterwegs sind, Gottes GÜTE sehen und erleben können.
Dazu sind viele verschiedene Aufgaben nötig, damit ein guter, schöner Raum für Gott geschaffen wird. Von der Gestaltung der Räume über ihre Reinigung, Mitgestaltung bei Festen, Lesungen und Vertrautwerden mit den biblischen Texte. Beteiligung am Abendmahl und Mitwirkung bei Gottesdiensten, finanzielle Beteiligung, Mitarbeit bei der Gestaltung, aber auch beim Mitwirken an einer einladenden Atmosphäre, Zuhören und Achtsamkeit für andere. Viele kleine Dienste, die getan werden müssen. Und es liegt an uns, dies zu entscheiden.
Teilhabe am "Heiligen"
Wesley spricht vom Gebrauch der Gnadenmittel. Sie sind der Rahmen, aber auch die Wege, die Gott zu uns findet, zu seiner Zeit. Und es kann alles Mögliche zum Gnadenmittel werden, wenn wir damit Gott und seinem Volk dienen. Das ist nicht eine zusätzliche Aufgabe, die die Kirche uns gibt, sondern es ist Teilhabe am „Heiligen“. Heilig ist immer der Rahmen, der jenen Raum umfasst, in dem Gott gegenwärtig sein kann.
Nun kann es sein, dass jemand zu Recht die Frage stellt: Du hast dich sehr viel mit der Frage befasst, wie wir als Gemeinschaft Gott lieben und dienen. Wie ist das aber nun mit der Liebe zum Nächsten, zum Mitmenschen? Darüber lässt sich selbstverständlich viel sagen, vieles was in dieser Predigt nicht vorkommt. Ist es nicht so, dass nur der oder die, die selbst geliebt wurde, befähigt ist zur Liebe? Christus selbst sagt, dass das Gebot der Liebe zum Nächsten gleich ist, wie das Gebot Gott zu lieben.
Nicht einfach zur Tagesordnung zurückkehren
Gleich ist es schon, aber es nicht dasselbe. Mose hat das bereits entdeckt. Schon vorher war das Volk Israel durch Gottes Liebe und Güte aus Ägyptenland geführt worden. Aber es wurde erst zum Volk als es eine gemeinsame Antwort auf Gottes Tun gab, nämlich indem es begann Gott zu lieben. Tatsächlich müssen wir lieben lernen, damit wir das Geschenk der Liebe annehmen können. Die Antwort auf Gnade besteht nicht darin einfach Danke zu sagen und zur Tagesordnung zurückzukehren. Wir müssen selbst gnädig und gütig sein, um das Gute, das uns entgegengebracht wird, annehmen zu können, und vor allem müssen wir gemeinsam daran arbeiten.
Wirke mit, gemeinsam einen Platz für Gott unter uns zu gestalten
Lange Zeit wusste ich nicht, was Sören Kierkegaard über die Liebe sagte: „Zu lieben heißt anderen zur Gottesliebe zu helfen und geliebt zu werden heißt Hilfe zu erhalten Gott zu lieben.“ Heute weiß ich es. Du weißt, dass Gott dich liebt, bedingungslos, aber liebst du auch Gott – bedingungslos? Wenn du nicht sicher bist, dann wirke mit, gemeinsam einen Platz für ihn unter uns zu gestalten. Dafür brauchen wir die Gemeinde. Dafür haben sie alle, Juden und Christen, gebraucht. In ihr werden wir Gottes Volk und sein Leib. Verschiedene Menschen, aber doch jede/r in seine/ihrer besonderen Würde – unverzichtbar.
Wir brauchen die Gemeinde für beides – uns zu erinnern und dazu, Gottes Volk zu werden und zu sein. In ihr lernen wir es Gott zu lieben (durch und in Christus) und das ist nötig. damit wir die Menschen wirklich lieben können.
Amen.