Das Kreuz auf sich nehmen
Glaubensimpuls
Pastorin, Kinder- & Jugendwerk
Liebe Leser*innen,
Wir befinden uns in der Fastenzeit.
Die Lesungen und Texte, die wir bei den Gottesdiensten in der Fastenzeit hören, bereiten uns auf den Weg Jesu in Richtung Kreuz und Auferstehung vor.
Sie sind keine leichte Kost.
Aber genau deswegen ist es so wichtig, sich immer wieder bewusst auch mit den unangenehmen Texten der Bibel auseinanderzusetzen. Weil sie das Unangenehme im Leben ins Licht rücken. Da wird nichts vertuscht oder versteckt:
Jesus rief das Volk und seine Jünger zu sich.
Er sagte: »Wer mir folgen will,
darf nicht an seinem Leben hängen.
Er muss sein Kreuz auf sich nehmen
und mir auf meinem Weg folgen.
Wer sein Leben retten will, wird es verlieren.
Wer sich aber zu mir und der Guten Nachricht bekennt
und deshalb sein Leben verliert, wird es erhalten.
Was nützt es einem Menschen,
wenn er die ganze Welt gewinnt,
aber sein Leben dabei verliert?
Was kann ein Mensch einsetzen,
um sein Leben dafür einzutauschen?
Denn wer sich nicht zu mir und meinen Worten bekennt
vor dieser treulosen und schuldbeladenen Generation,
der muss wissen:
Der Menschensohn wird sich auch nicht zu ihm bekennen,
wenn er wiederkommt –
in der Herrlichkeit seines Vaters
und mit den heiligen Engeln.«
Die Aktualität des Themas
Wer Jesus nachfolgen will, wer sich also Christ oder Christin nennen will, muss sich auch mit dem Kreuz und der Last von Leben und Glauben beschäftigen!
Und es ist für mich wie ein Zeichen des Himmels, dass wir diesen schwierigen Text heute (Anm.: am 25.2.2024) im Gottesdienst lesen, am Tag nach dem 2. Jahrestag des Kriegs in der Ukraine. In der Woche, in der wir vom Tod von Alexej Nawalny gehört haben. In der Woche, in der Methodisten im Kongo Opfer eines brutalen Angriffs wurden. Ja, es ist keine leichte Zeit, in der wir uns befinden.
Ich möchte mit euch in dieser Predigt ganz bewusst die Augen öffnen und das Leid betrachten, das für so viele Menschen Teil ihres täglichen Lebens ist.
Wir tun das hier in der relativen Sicherheit Österreichs.
Aber wir sind hier in der Nachfolge Christi und vieler anderer, die für ihren Glauben das Leben lassen mussten.
Der Preis des Glaubens
Glaube bedeutet nicht, dass Gott uns immer beschenkt und all unsere Wünsche erfüllt werden.
Glaube bedeutet nicht, dass wir auf der sicheren Seite sind und uns das Ticket für die Ewigkeit gesichert haben.
Glaube, wie wir im Markusevangelium lesen, hat einen Preis: „Wer mir folgen will, darf nicht an seinem Leben hängen. Er muss sein Kreuz auf sich nehmen und mir auf meinem Weg folgen.“
So sprach Jesus zu seinen Jüngern!
Diese Verse sind für mich immer wieder eindrucksvoll. Sie sprechen so direkt die Kosten und Konsequenzen vom Glauben für das eigene Leben an.
Das Kreuz auf sich nehmen… Wir wissen, dass dieser Ausdruck für Jesus eine Erfahrung am eigenen Leib wurde. Das Markusevangelium deutet hier schon darauf hin, dass der Weg Jesu in den Tod führen wird.
Für die eigenen Werte und den Glauben bis ans Kreuz gehen
Jesus spricht diese Worte zu seinen Jüngern in einer Zeit, in der viele auf den Retter warteten, der das Land von den römischen Unterdrückern befreien würde. Der verheißene Messias sollte nicht ein Kreuz auf sich nehmen, sondern das Schwert nehmen und die Römer vertreiben!
Jesus zeigt mit seiner Wortwahl ganz deutlich, dass er nicht im Sinn hat, einen gewalttätigen politischen Umsturz in die Wege zu leiten.
Er spricht hier das Gegenteil davon an: Das Kreuz auf sich nehmen, bedeutet, sich der Willkür des römischen Reiches auszuliefern. Zu den eigenen Werten zu stehen, auch wenn das den sicheren Tod bedeutet!
„Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber sein Leben dabei verliert?“, fragt Jesus.
Sterblichkeit des Köpers und Unsterblichkeit der Werte
Das griechische Wort, das im Deutschen mit „Leben“ übersetzt wird, ist „Psyche“. Es ist die Seele, die hier gemeint ist. Das, was jeden Menschen einzigartig macht. Das, was wir an Wertvorstellungen und Ansichten im Herzen tragen. Der Körper, in dem wir leben, ist an dieser Stelle nicht gemeint. Sondern das, was jedem Menschen seine Identität gibt.
Das Leben verlieren – natürlich setzt man das Leben aufs Spiel, wenn man sich gegen die Herrscher auflehnt. Aber das, was am Kreuz verloren wird, ist nur das irdische Leben, ist nur die Hülle des irdischen Körpers.
Das, was für Jesus wertvoll ist, ist die Psyche. Das, was uns Menschen ausmacht. Unser Charakter, unsere Werte. Dinge, die unantastbar sind. Sie können nicht ausgerottet werden, nicht einmal durch dem Tod.
Wer in dieser Woche die Nachrichten aus Russland verfolgt hat, sieht ganz deutlich, dass auch der Tod eines politischen Gefangenen seine Werte nicht verringern kann. Stattdessen wird das, wofür Nawalny sich eingesetzt hat, noch lauter in den Medien vieler Länder verkündet.
Muss diese Bibelstelle politisch ausgelegt werden?
Vielleicht denkt ihr euch gerade: Wieso spricht die Pastorin hier ständig von politischen Dingen?
Kann sie sich nicht wenigstens in der Predigt mal auf Jesus und den Glauben beschränken? Wieso muss das denn sein, dass wir uns diese weltlichen Sachen auch noch im Gottesdienst anhören müssen?
Der Grund dafür heißt, unter Anderem, Caesarea Philippi!
Eine Antwort ist daher:
Weil Jesus seine Worte über das Kreuz nicht irgendwo in Galiläa gesprochen hat, sondern in Caesarea Philippi.
Was bedeuten die Ortsnamen in diesem Kapitel des Markusevangeliums?
Manchmal überlesen wir heutzutage die Ortsbeschreibungen oder Ortsnamen, wenn wir biblische Texte lesen. Die sind für uns wenig aussagekräftig, weil wir ja nicht im selben Land leben, in dem Jesus vor 2000 Jahren unterwegs war.
Aber es lohnt sich, ab und zu einen Blick darauf zu werfen, wohin Jesus unterwegs war:
Jesus, der aus Nazareth stammte und seine Wunder lange Zeit in Galiläa verbrachte, lebte nördlich des Toten Meeres, in der Nähe vom See Genezareth. Dort zog er umher und sprach mit den eher einfachen Menschen, die in dieser Gegend wohnten. Jerusalem war viel weiter im Süden; dort war das religiöse und auch ein politisches Zentrum des Landes.
In den Versen vor dem heutigen Evangeliumstext geht Jesus aus Galiläa an den See Genezareth und dort in die Ortschaft Bethsaida. Die lag an der Mündung des Jordans in den See. Wo genau sie war, das erforschen Archäologen bis heute noch. Erst innerhalb der letzten sieben Jahre haben Ausgrabungen Überreste der Stadt zum Vorschein gebracht. Und diese Überreste sind von Bedeutung: ein römisches Bad, eine byzantinische Kirche und ein Mosaik, das dem Kaiser und „Diener Christi Konstantin“ gewidmet war.
Bethsaida war ein Ort, der politisch wichtig war. Der jüdische Historiker Flavius Josephus beschrieb, dass König Herodes II. im Jahr 30/31 (oder vielleicht 32/33) das ehemalige Dorf Bethsaida in den Stand einer Polis, also einer Stadt, erhob.
Genau in der Zeit also, in der Jesus dorthin zog und ein weiteres Wunder vollbrachte.
Vielleicht spürt ihr schon: Jesus geht an die Orte, an denen es politisch brisant wird.
Von Bethsaida aus zieht er mit den Jüngern weiter in den Norden, in die Nähe der Golanhöhen. Dort wurden Schreine für eine Vielzahl von Göttern errichtet, zu denen vor allem die römischen Besatzer beteten und denen sie Opfer brachten.
Und dort lag die Stadt Caesarea Philippi, die Hauptstadt für diese römische Region. Bevor sie diesen römischen Namen erhalten hatte, hieß die Stadt „Banias“ und war dem griechischen Gott „Pan“ gewidmet.
Jesus zog also ganz bewusst mit seinen Jüngern an einen Ort, sowohl der heidnischen Bräuche als auch der politischer Unterdrückung.
Und genau an diesem Ort offenbarte Jesus den Jüngern zum ersten Mal, dass sein Weg als Sohn Gottes ihn in dieser politischen Landschaft ans Kreuz führen würde.
Das Kreuz ist politisch!
Wieso habe ich diesen historisch-theologischen Exkurs mit euch gemacht in dieser Predigt?
Weil ich glaube, dass das Christentum im Lauf der Jahrhunderte oft vergessen hat, welche Konsequenzen der Glaube an Jesus für das eigene Leben haben kann.
Weil ich überzeugt bin, dass man als Christ*in Religion und Politik nicht trennen kann.
Weil christlicher Glaube sich auf unser ganzes Leben auswirkt.
Weil wir als Christ*innen heute immer noch in einer Welt leben voller unterdrückender Herrscher, voller Machtgier und voll vom Leiden vieler unterdrückter Menschen.
Das Kreuz auf uns nehmen – das hat auch heute noch Konsequenzen für viele Menschen, die versuchen, im Glauben an Jesus zu leben.
Methodistisches Beispiel aus der Demokratischen Republik Kongo
Ich möchte hier ein Beispiel aus dem Kongo erzählen. Das Frauennetzwerk unterstützt über die methodistische Hilfsorganisation Connexio (Schweiz) unter anderem ein Friedensprojekt im Kongo. Auch unsere Spenden aus Salzburg sind teilweise an dieses Projekt geschickt worden.
Methodistische Frauen setzen sich im Kongo für Frieden ein, inmitten von Überfällen und Bedrohung durch extremistische Banden.
Erst vor Kurzem haben sie Bildungsveranstaltungen organisiert vor den Wahlen im Land. Sie wollten ihren Mitmenschen beibringen, was es bedeutet, demokratisch zu wählen. Im Kongo ist das nicht ungefährlich.
Und vom 17. auf den 18. Februar gab es eine Attacke bewaffneter Rebellen der Alliierten Demokraten auf ein Dorf im Kongo. Die Vorsitzende des Frauennetzwerks der United Methodist Church in Komanda und zwei ihrer Kinder kamen dabei ums Leben, sowie mindestens dreizehn weitere Personen.
Das Kreuz auf sich nehmen – die Methodisten im Kongo wissen, was das bedeuten kann. Und sie lassen sich von diesen Angriffen nicht beirren oder im Glauben einschränken.
Wenn ich an diese mutigen Menschen im Kongo denke, dann höre ich die Worte von Paulus über Abraham ganz deutlich: „Wo es eigentlich keinen Grund zur Hoffnung gab, hat Abraham voller Hoffnung am Glauben festgehalten.“ (Römer 13,18)
Christliche Solidarität angesichts von Leid und Unterdrückung heute
Inmitten von Leid und Trauer und Tod kann der Glaube an Gott eine unglaubliche Kraft entwickeln und schenken.
Das habe ich in den letzten Tagen hier in Salzburg gespürt, bei den verschiedenen Gebeten und Aktionen zum Jahrestag des Ukraine-Kriegs.
Gestern waren einige von uns beim Marsch der ukrainischen Gemeinde durch die Stadt Salzburg dabei. Es war das erste Mal, dass ich in einer Demonstration mitgegangen bin, bei der die Menschen am Rand stehen geblieben sind und applaudiert haben. Viele Menschen in Salzburg und Umgebung haben sich solidarisch gezeigt mit dem unsagbaren Leid, das die ukrainischen Flüchtlinge erlebt haben und das ihre Angehörigen in der Ukraine immer noch aushalten müssen.
Auch sie tragen das Kreuz ihres Glaubens an Freiheit, Gleichheit aller Menschen und Demokratie. Auch sie setzen für diese Werte das Leben aufs Spiel.
Aber: Sie tragen in sich eine Hoffnung, die ihnen Mut macht. Pfarrer Vitaliy Mykytyn der ukrainisch-griechisch-katholischen Kirche in Salzburg und sein ukrainischer Kollege John Reeves haben gestern beim Friedensgebet vor dem Dom betont, dass sie dankbar sind für das Leid, das sie als Ukrainer tragen. Denn das viele Leid hat ihnen die Augen geöffnet für ein Vielfaches an Solidarität, an Barmherzigkeit, an Mitmenschlichkeit und an Nächstenliebe, die sie seit Kriegsbeginn erfahren durften.
Das Kreuz auf uns nehmen: Friede und Hoffnung inmitten des Leidens
Friede ist schon da am Wirken und am Wachsen, wo inmitten von Leid und Unheil die Liebe Gottes durch uns Menschen spürbar wird.
John Wesley und die ersten Methodisten sind immer wieder bewusst an Orte des Leidens gegangen, um Menschen beizustehen, die krank waren, die im Gefängnis saßen, die auf dem Weg zum Galgen waren. Sie haben die Augen nicht verschlossen vor dem Leid ihrer Mitmenschen, sondern haben sich an ihre Seite gestellt.
Auch wir sind im Glauben immer wieder dazu aufgefordert, uns auf die Seite der Leidenden, der Unterdrückten, der Schwachen zu stellen.
Denn wir tragen eine Hoffnung in uns, die nicht von dieser Welt ist. Und diese Hoffnung kann Wunder wirken – auch in unserem Leben und in unserer Welt!
Amen
Zum 2. Jahrestag des Kriegs in der Ukraine fanden in Salzburg verschiedene Aktionen statt
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