Freude, Auf­merk­sam­keit, Momentum

Glaubensimpuls

Bild von Frank Moritz
Frank Moritz

Lokalpastor EmK Schweiz


Eine letzte Predigt zum Abschied aus Graz

Liebe Gemeinde, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Familie, Weggefährtinnen und Weggefährten!

Man soll niemals nie sagen – man weiß ja nicht, was die Zukunft bringt – aber wahrscheinlich wird diese Predigt für lange Zeit meine letzte Predigt hier in Graz sein. Das ist irgendwie traurig aber irgendwie auch ganz einfach wahr. Es gehört zum Abschiednehmen dazu.

Jetzt werden alle, die mich etwas besser kennen aber ahnen, dass ich mich mit etwas Traurigem natürlich nicht verabschieden werde.

Sondern ich habe mir überlegt, was ich euch hinterlassen möchte. 
Was ist mir wichtig? 
Womit möchte ich bei euch in Erinnerung bleiben?

Wilfried Nausner, mein Vorvorgänger als Pastor hier in Graz, hat Graz nach 24 Jahren verlassen. Bei mir sind es 30 Jahre! 
Und Wilfried hat zum Ende seiner Zeit einen Dreierzyklus an Predigten zu 1. Korinther 13, Vers 13 gehalten: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ 
Und ich möchte einmal sagen, hier schließe ich mich ihm vollinhaltlich an: 
Diese Zusammenfassung des christlichen Glaubens ist meiner Ansicht nach nicht steigerbar. Diese Zusammenfassung und die Hervorhebung der Liebe ist der Kern der christlichen Botschaft.

Aber selbst bei solch wichtigen und richtigen Überzeugungen gilt es, sie mit Leben zu füllen. Das ist und war mir immer ein ganz zentrales Anliegen: 
Wie lässt sich das Gehörte und Erkannte im eigenen Leben umsetzen? 
Was braucht es, damit unser Glaube lebendig bleibt? 
Wie schaffen wir den Spagat zwischen Anspruch und Zuspruch? 
Also zwischen dem Aufruf zur Veränderung und den ermutigenden Zusagen Gottes?

Und wenn ich jetzt besonders auf meine acht Jahre als Pastor dieser Gemeinde zurückschaue, auf meinen Dienst und meinen Zugang zum Glauben, dann möchte ich auch einen Dreiklang formulieren, den ich für wichtig halte. 
Dieser Dreiklang soll Glaube, Hoffnung und Liebe nicht ersetzen oder in Frage stellen, sondern fragt wie Glaube, Hoffnung und Liebe gelebt werden können.

Mein Dreiklang – und ich denke jetzt habe ich es spannend genug gemacht – lautet: Freude, Aufmerksamkeit und Momentum.

Freude

Ich glaube ich lüge nicht, wenn ich meine Berufung und Beauftragung als Pastor mit einer ganz grundsätzlichen Freude in Verbindung bringe. Viele morgendliche Gebete habe ich mit einen Dank begonnen: „Danke Gott, dass ich diesen Tag aus deinen Händen empfangen habe und danke für die vielen guten und schönen Dinge, die vor mir liegen.“ Es erfüllt mich mit großer Freude, dass ich Pastor sein darf und damit eine für mich sinnvolle und meinen Gaben entsprechende Betätigung gefunden habe. Oft habe ich mir gedacht, dass ich jetzt im Leben an dem Ort angekommen bin, wo Gott mich haben möchte oder brauchen kann. Und das freut mich.

Tatsächlich kann ich nicht nachvollziehen, warum so wenige Menschen Pastorin oder Pastor werden wollen. Wer bitte, muss nur am Sonntag arbeiten, so wie ich? Nein – im Ernst: Ich genieße die Freiheit dieses Berufes sehr. Die freie Zeiteinteilung und die vielfältigen Aufgaben finde ich großartig. Das Gehalt könnte besser sein. Aber auch hier wieder ganz im Ernst: Ich hatte immer im Leben das Gefühl reich zu sein. Mir alles leisten zu können. Mein Leben als gesegnet zu erleben.

Einmal ganz abgesehen von mir oder dem pastoralen Beruf habe ich Freude immer als entscheidendes Kriterium erlebt, ob etwas gut oder sehr gut wird. Wenn ich mit Freude an Dinge herangehe, dann werden sie besser. Und es spielt überhaupt keine Rolle, was ich mache. Ob ich Klavier spiele, koche oder Menschen besuchen gehe. Ob ich Arzt, Anwältin, Busfahrer oder Lehrerin bin. Freude ist das Gegenteil von Zwang. Freude ist pure, Kräfte freisetzende Motivation.

Und in Bezug auf unsere christliche Verkündigung halte ich Freude deshalb für so wichtig, weil sie eine Gewichtung vornimmt: Was kommt zuerst? Was kommt zuerst und was folgt daraus?

Grundsätzlich einmal hat Gott dich erlöst. Gott liebt dich. Und daraus folgt, dass du selbst auch lieben kannst. Oder Gutes tun möchtest. Oder in einem dritten Schritt beginnst, die Bibel zu lesen.

Wenn wir Menschen vom Evangelium überzeugen wollen, dann geht es darum, das froh machende dieser frohen Botschaft zu betonen. Nicht den Aufgabenkatalog: Du sollst dies nicht tun und das nicht tun. Ganz aktuell, im Blick auf die Krisen und die damit einhergehenden Einschätzungen, halte ich es für eine Freude und Gelassenheit stiftende Botschaft, dass Gott die Welt in seinen Händen hält.

Das ist frohe Botschaft. Da ist jemand, nämlich Gott, von dem es heißt: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und meine Wege sind nicht eure Wege.“ (Jesaja 55,8)

Und ein Letztes noch zur Freude: Freude heißt für mich nicht, dass ich oder jede und jeder von euch ständig mit einem Grinsen durch die Welt laufen muss. Dass wir alles herrlich und leicht und großartig finden. Beim Falten der Gemeindenachrichten in 65-facher Ausführung habe ich kaum frohlockt und jubiliert. Das war einfach Arbeit, die getan werden muss. Nein, darum geht es nicht.

Freude bedeutet meiner Ansicht unter anderem Frieden zu finden mit dem, was ich tue. Aus dieser Haltung dem Leben gegenüber entsteht eine heitere Gelassenheit, die mich aufbaut, Sinn stiftet und die damit auch auf andere Menschen übertragen wird.

Damit komme ich zur Aufmerksamkeit. 

Die Aufmerksamkeit ist wahrscheinlich der verwundbarste Punkt eines jeden Pastors und einer jeden Pastorin. In der griechischen Mythologie hat man das die Achillesferse genannt: Am Fuß hatte der Held Achilles eine Stelle, an der er verwundbar war. Und als ein Pfeil ihn dort getroffen hat – ist er gestorben. Die Aufmerksamkeit als Achillesferse bedeutet: Hier stellt sich auch mir die Frage, wann ist genug, genug? Kann es ein genug geben? Wo bin ich an Menschen wegen meiner Unaufmerksamkeit schuldig geworden?

Oder muss ich als Pastor damit leben, dass ich nie genügend aufmerksam zu allen Menschen sein kann?

Gleichzeitig halte ich die Aufmerksamkeit aber für den entscheidenden Schlüssel, damit Beziehungen entstehen können. Wir Menschen brauchen und lieben Aufmerksamkeit. Es tut uns gut, wenn wir gesehen werden. Genauer gesagt, wenn wir als Ganzes gesehen und angenommen werden.

Ich denke, so können wir den Aufruf Jesu leben, der uns auffordert: „Liebt einander! Ihr sollt einander lieben, wie ich euch geliebt habe. An eurer Liebe zueinander werden alle erkennen, dass ihr meine Jüngerinnen und Jünger seid.“ (Johannes 13,35)

Dieses „liebt einander“ ist in Wirklichkeit ja ein wahnsinnig hoher Anspruch. Wenn wir bedenken, was Liebe alles beinhaltet. Und wie individuell Liebe ist und eigentlich ja auch sein muss.

Deshalb glaube ich, dass die Aufmerksamkeit so wichtig ist. Weil sie ein Anfang sein kann mit dem wir beginnen können. Und die Vorbildwirkung, die Jesus beschreibt, halte ich in unserer heutigen Zeit für ganz wesentlich und entscheidend. Wie gehen wir miteinander um? Und daraus abgeleitet die Frage: Wie gehen wir mit unseren Mitmenschen generell um? Auch hier wird unsere Haltung den anderen Menschen gegenüber das entscheidende Zeugnis unserer Liebe zu Gott sein.

Und auch hier ein letzter Punkt zur Aufmerksamkeit: Vielleicht sollten wir bei der Aufmerksamkeit nicht nur in den Blick nehmen, was wir tun können. Sondern auch, was wir an uns geschehen lassen können. Viele Menschen sind gerne bereit zu helfen. Aber wenige Menschen sind bereit sich helfen zu lassen. Damit verweigern wir Menschen die Möglichkeit, etwas zurückgeben zu können. Oder selbst tätig zu werden. Oder auf Augenhöhe Gemeinschaft zu leben. Aufmerksamkeit bedeutet auch, diese Augenhöhe und dieses Miteinander, das Gemeinschaft stiftet, nicht aus den Augen zu verlieren.

Bleibt also noch der letzte Schritt im Dreiklang: Das Momentum.

Ausnahmsweise habe ich mich hier für ein Fremdwort entschieden. Aber es ist relativ leicht aus dem Namen heraus erklärt: Momentum bedeutet, den Moment, den richtigen Augenblick, zu suchen und zu nutzen. Zu nutzen bedeutet, die Bewegung, die daraus entsteht, einzusetzen.

Mit Momentum möchte ich die Offenheit gegenüber Gottes Wirken im Heiligen Geist ansprechen. Auch wenn das in manchen Ohren sehr fromm klingen mag: Ohne den Heiligen Geist kann und will ich mir meine Arbeit überhaupt nicht vorstellen. Und ich glaube, das gilt nicht nur für die Arbeit eines Pastors, sondern für jeden Menschen, der Christus nachfolgen möchte.

Ich bin der Überzeugung, dass wir gut beraten sind, die Dinge nicht ausschließlich aus uns selbst heraus bewältigen zu wollen. Sondern im Gegenteil: Uns von Gottes Geist beflügeln und tragen zu lassen. Das bedeutet ganz praktisch: Das Wirken Gottes im Gebet zu suchen.

Bei der jüngst zu Ende gegangenen Jährlichen Konferenz wurde beschlossen, die Weg- und Lerngemeinschaft in die Tat umzusetzen. Vielleicht können wir das von unseren charismatischen Geschwistern lernen: Den Heiligen Geist mehr als bisher in unsere Überlegungen einzubeziehen.

Momentum bedeutet für mich außerdem, mit dem „Jetzt“ zu arbeiten. Mit den jetzt vorhandenen Möglichkeiten und Menschen etwas zu tun. Es gibt Menschen die singen wollen – dann lasst den Chor und Heavenly Worship aufleben. Es gibt viele chinesische Menschen in der Gemeinde – dann lernt sie kennen, merkt euch ihre Namen, ladet sie zum Essen ein und macht etwas miteinander. Es gibt eine Verbindung zur Gemeinde in Skopje, Nordmazedonien – dann besucht sie und baut an grenzübergreifenden Beziehungen. Ihr wollt auch von außen als Kirche sichtbar sein – dann organisiert  wieder einmal einen Gottesdienst im Augarten. Ist eh schon mehr als zehn Jahre her, dass wir das das letzte Mal gemacht haben. Momentum bedeutet Schwung. Es bedeutet, etwas zu tun.

Ich glaube, dass John Wesley das mit seinem berühmten Satz gemeint hat: „Glaube, der in der Liebe tätig ist.“ So, jetzt hätten wir  – spät aber doch – auch den John untergebracht. Wie es sich für eine methodistische Predigt gehört.

Freude, Aufmerksamkeit und Momentum. 

Freude ist Motivation. 
Aufmerksamkeit ist Miteinander. 
Momentum ist Heiliger Geist. 

Ob das gut in Erinnerung bleibt, wird die Zeit zeigen. 

Und in Wahrheit ist es nicht das Wichtigste. 
Viel wichtiger ist die Gewissheit und die Zuversicht, dass Gott mit uns ist. 
Dass Gott die Welt in seinen Händen hält und wir seine geliebten Kinder sind.

Das ist die Botschaft, die wir und die Welt händeringend brauchen, um jeden Tag neu zu leben und unseren Beitrag zu leisten. 

Möge es gelingen! 
Das wünsche ich mir und euch!

Amen.

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