Wir, die Nichtjüdinnen und Nichtjuden
Glaubensimpuls
Lokalpastor EmK Schweiz
Liebe Gemeinde, in zwei Wochen ist Pfingsten. Nächsten Sonntag noch Muttertag, dann aber Pfingsten. Und mit Pfingsten werden traditionell zwei große Themen angesprochen: Die Gabe des Heiligen Geistes und die Geburtsstunde der Kirche.
Unser heute gehörter Text ist zeitlich gesehen deutlich hinter dem berühmten Pfingstwunder anzusiedeln. Also diesem Brausen vom Himmel und den Feuerzungen, wie es in der Apostelgeschichte im Kapitel zwei beschreiben wird.
Dennoch – und das ist wichtig – wird hier das gleiche Zeichen oder der gleiche Beweis angeführt, dass es sich wirklich um die Gabe des Heiligen Geistes handelt. Die Versammelten begannen nämlich in geistgewirkten Sprachen zu reden. Und weil das so war, wurden sie auch getauft. Also mit der Taufe zu vollwertigen Mitgliedern der neuen Gemeinschaft von Christinnen und Christen. Auch Kirche genannt.
Ich möchte heute drei Themen ansprechen, die ich im heutigen Text angelegt sehe. Und das sind erstens die Öffnung der neuen Gemeinschaft in Richtung Nichtjüdinnen und Nichtjuden. Zweitens die Gabe des Heiligen Geistes. Und drittens die Dankbarkeit, dass auch wir heutigen Nichtjüdinnen und Nichtjuden, sprich du und ich, zu Gott gehören dürfen.
Öffnung
Wenn wir mit dem ersten Thema beginnen, der Öffnung der neuen Gemeinschaft in Richtung Nichtjüdinnen und Nichtjuden, dann ist es wichtig festzuhalten, dass unser heutiger Text der Endpunkt einer groß angelegten Erzählung ist.
Sie beginnt mit der Vision eines römischen Hauptmanns mit Namen Kornelius aus Cäsarea. Diesem erscheint ein Engel Gottes, der ihn auffordert Petrus zu sich einzuladen. Dieser Petrus, gemeint ist natürlich der Apostel Petrus, verweilt gerade in Joppe. Wie Cäsarea eine kleine Hafenstadt, ca. 40 km von Cäsarea entfernt. Und dieser Petrus hat einen Tag später auch eine Vision. Er sieht ein riesiges Tuch in dem sich allerlei Tiere befinden, die nach jüdischem Recht als unrein galten; die ein frommer Jude also nicht essen durfte. Und in dieser Vision des Petrus hört Petrus eine Stimme, die ihn auffordert: „Auf, Petrus, schlachte und iss!“ Petrus weigert sich: „Ich habe noch nie etwas Unheiliges und Unreines gegessen.“ Darauf wiederholt die Stimme die Aufforderung: „Was Gott für rein erklärt hat, das behandle du nicht, als wäre es unrein.“ Jedenfalls kommt Petrus zu Kornelius, betritt dessen Haus, was einem frommen Juden eigentlich auch nicht erlaubt war, und beginnt das Evangelium zu verkünden.
Und hier setzt jetzt unser heutiger Text fort. Es ist also ein großer Bogen mit vielen Vorbereitungen und Visionen, der jetzt mit der Gabe des Heiligen Geistes seinen Schlusspunkt findet. Das passiert nicht einfach irgendwie oder beiläufig. Dem Verfasser der Apostelgeschichte, dem Evangelisten Lukas, und ich denke hier können wir auch sagen Gott, war es wichtig, dass dieser bedeutsame Schritt gut vorbereitet ist. Dass der Gott Israels, sich durch die Gabe des Heiligen Geistes, auch Nichtjüdinnen und Nichtjuden zu erkennen oder zu erfahren gibt, ist ja nicht selbstverständlich.
Besonders wenn wir bedenken, dass Jesus selbst diese Öffnung zu Lebzeiten abgelehnt hat. In der Geschichte mit der kanaanäischen Frau sagt Jesus: „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Volkes Israel gesandt.“ (Matthäus 15,24)
Unser heutiger Text ist also ein Meilenstein auf dem Weg unserer eigenen Heilsgeschichte. Der Gott Israels gibt sich auch Nichtjüdinnen und Nichtjuden zu erkennen. Die Vergebung der Sünden erfahren alle, die an Jesus Christus glauben. Auf den Namen Jesus wurden die Menschen rund um Kornelius und wir selbst getauft.
Leichtigkeit
Den zweiten Punkt, den ich heute ansprechen möchte ist die besondere Form der Gabe des Heiligen Geistes, von der in unserem heutigen Text berichtet wird. Ich weiß nicht, ob euch das aufgefallen ist. Aber es heißt: „Während Petrus noch über diese Dinge sprach, kam der Heilige Geist auf alle herab, die seine Botschaft hörten.“
Da wird niemand gefragt. Es geschieht einfach. Ohne eigene Willensentscheidung und ohne Vorbedingungen.
Ich finde das deshalb so bemerkenswert, weil weltweit gesehen die zahlenmäßig größten christlichen Gruppierungen bis hin zu Kirchen hier eine ganz strenge Reihenfolge festgelegt haben.
Erst musst du deine Sünden bekennen. Dann die Vergebung erfahren. Möglichst noch solltest du genau wissen an welchem Tag und zu welcher Stunde das war.
Vor allem aber musst du es wollen. Du musst dich zu Jesus bekehren. Das muss dein Wille sein. So wie es eben dann auch der Wille all derjenigen ist, die sich nicht zu Jesus bekehren. Und die deshalb verloren gehen werden.
Von all dieser Strenge ist heute überhaupt nicht die Rede. Der Heilige Geist kommt. Ungefragt und mühelos. Auf alle.
Diese Leichtigkeit finde ich wirklich beeindruckend. Wieder einmal wird sichtbar, wie vielfältig die Wege Gottes sein können. Für mich leuchtet hier Gottes Größe und Schönheit auf. Zu ihm möchte ich gerne gehören und sein Kind sein.
Dankbarkeit
Damit komme ich zum dritten Punkt und das ist die Dankbarkeit. Die Dankbarkeit, dass ich als Nichtjude dazu gehören darf. Dass sich der Gott Israels gegenüber mir geöffnet hat und ich an seinen jüdisch aufgewachsenen Sohn glauben kann. Weil sein Heiliger Geist auch in mir am Werk ist und mir Gottes Wirklichkeit bezeugt hat.
Also so empfinde ich das.
Und ich kann die Verwunderung, die heute so schön beschrieben wurde sehr gut nachvollziehen, wenn es heißt: „Die Gläubigen jüdischer Herkunft, die Petrus nach Cäsarea begleitet hatten – und die übrigens auch das Haus eines Nichtjuden betreten hatten – waren außer sich vor Verwunderung, dass die Gabe Gottes, der Heilige Geist, auch über Nichtjuden ausgegossen wurde.“
„Waren außer sich vor Verwunderung“ – man kann hier auch ein gewisses Entsetzen oder eine starke Verunsicherung hören: Ist das nicht unser Gott?
Der Gott Israels? Abrahams, Isaaks und Jakobs?
Ich weiß nicht, wer den Begriff der „feindlichen Übernahme“ kennt. Eine feindliche Übernahme liegt vor, wenn ein Unternehmen versucht, ein anderes gegen den Willen der Unternehmensführung zu übernehmen. Ein Unternehmen kann eine "feindliche Übernahme" erreichen, indem es sich zum Beispiel direkt an die Aktionäre wendet oder um die Ablösung der Unternehmensführung kämpft.
Lange Jahre, und ich fürchte bis hinein in unsere Gegenwart, haben sich Christinnen und Christen eher in einer solchen Haltung gegenüber Jüdinnen und Juden benommen.
Denken wir an die Darstellung der Synagoge als alte Frau mit gebrochenem Stab neben einer strahlenden jungen Frau mit erhobenem Kreuz. Oder an die Versuche von christlichen Gruppierungen, Jüdinnen und Juden zum christlichen Glauben zu bekehren. Oder wie unsensibel und ich würde es fast schon schamlos nennen, Aussagen des Ersten Testaments auf Jesus bezogen werden.
Ich denke mir dann oft, wie würde es denn mir gehen? Wenn jemand kommt, die Bibel aufschlägt und mir dann erklärt, wie dieser oder jener Text zu verstehen ist. Oder Teile aus der Bibel entnimmt, einen neuen Text daraus formt und diesen für den jetzt gültigen Text erklärt.
Wie gesagt, ich kann dieses „außer sich vor Verwunderung“ auf diesem Hintergrund sehr gut nachvollziehen. Und ich denke, dass wir als Christinnen und Christen hier viel gut zu machen haben in unserer Haltung dem Judentum gegenüber.
Ein ganz bezeichnender Satz, den wir im Christlich-jüdischen Dialog immer wieder anführen, stammt aus dem Römerbrief: „Doch das ist kein Grund verächtlich auf die anderen Zweige herabzusehen (gemeint ist Israel). Wenn du meinst, du hättest das Recht dazu, dann lass dir gesagt sein: Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.“ (Römer 11,18)
Und daher bleibe ich persönlich bei meiner Haltung der Dankbarkeit. Danke, dass wir Christinnen und Christen, wir Nichtjüdinnen und Nichtjuden, dazu gehören dürfen.
Amen.